Jede und jeder kennt das Wort mit den drei Buchstaben, eingerahmt von einem grün umrandeten Sechseck, das im Supermarkt auf den verschiedensten Verpackungen prangt. Die Rede ist vom staatlichen Bio-Siegel. Es findet sich hierzulande auf über 95.000 Produkten, von der Bio-Banane über Bio-Eier bis hin zum Bio-Lachs ist alles dabei. Der Umsatz stieg allein im vergangenen Jahr um 22 Prozent.
Längst lassen sich Bio-Produkte nicht mehr nur in abgelegenen Hofläden kaufen, sondern erreichen durch Discounter wie Aldi und Lidl die breite Masse der Konsumenten. Bio – das ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Menschen verbinden mit dem Siegel artgerechte Tierhaltung, naturbelassene Lebensmittel, regionale Ware und gesunde Ernährung. Für diese Versprechen zahlen die Verbraucher ziemlich viel Geld. Bio-Produkte sind im Schnitt 42 Prozent teurer als ihre konventionell hergestellten Pendants. Oft beträgt die Teuerung sogar mehr als das doppelte. Doch lohnt sich dieser Preisaufschlag wirklich? Und ist dort, wo „Bio“ draufsteht, auch wirklich „Bio“ drin? Berichte und Recherchen im Zeit-Magazin lassen erhebliche Zweifel an den Versprechen der Öko-Branche aufkommen.
Ob in Deutschland ein Lebensmittel "bio" genannt werden darf, regelt die EU-Öko-Verordnung. Bei der Herstellung von Bio-Lebensmitteln dürfen keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemittel verwendet werden. Nutztiere müssen Tageslicht und Auslaufmöglichkeiten bekommen, sie sollen mehr Platz als Tiere haben, die konventionell gehalten werden. Der Einsatz von Gentechnik ist verboten, und es dürfen weniger Zusatzstoffe benutzt werden.
So weit, so gut. Doch wie sehen die Bedingungen in der Praxis aus? Tierrechtler haben in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Bilder in Geflügelhöfen gemacht, in denen Tausende von Hennen dicht an dicht gedrängt auf Metallstangen hocken. Viele haben kahl gepickte Bäuche oder rote Hinterteile, manche Hennen bluten, andere liegen sterbend auf Gittern oder sind schon tot. Ein Skandal mit Gesetzesbruch, möchte man meinen. Doch dem ist nicht so. Die EU-Verordnung erlaubt durchaus, dass Tausende Hennen so eng beieinander leben. Das staatliche Bio-Siegel ist also, rein juristisch gesehen, vollkommen zu Recht auf den Verpackungen der beiden untersuchten Geflügelhöfe aufgedruckt.
Neben den Tierrechtlern kontrollieren Prüfer im Auftrag der Landesregierungen mindestens einmal im Jahr, ob sich ein Bio-Hof an die Regeln der EU-Verordnung hält. Das Problem bei diesen Kontrollen ist, dass die Kontrollstellen privatwirtschaftliche Unternehmen sind und die Prüfung von den Bio-Betrieben selbst bezahlt wird. Ähnlich wie hierzulande beim TÜV sind Interessenskonflikte also vorprogrammiert. Die Kontrolleure hingegen kritisieren die Behörden, die bei gemeldeten Verstößen gegen das Öko-Recht selten und wenn, dann nur in viel zu geringem Maße sanktionieren würden. Eine Abschreckwirkung sei nicht vorhanden.
Einige Bio-Händler und weitere Insider berichten anonym gegenüber dem Zeit-Magazin von Tricks und Betrugsmaschen im Geschäft. So werden Bio-Bauern beschrieben, die Stromkabel vor den Ausläufen ihrer Hennen verlegen oder ihren Stall so lange aufheizen, bis der Temperaturunterschied zu draußen so groß ist, dass die Tiere lieber drinnen bleiben. Besonders zum Betrug verleitet werden Unternehmer, die einen ökologischen und gleichzeitig einen konventionellen Betrieb besitzen. So würden bei Engpässen gerne mal zehn Tonnen konventionelle Tomaten zu zehn Tonnen Bio-Tomaten umdeklariert.
- Der zugrundeliegende Artikel von Zeit-Online: https://www.zeit.de/2021/47/tierhaltung-bio-huehner-lebensmittel-kontrolle (Z+ nur für Abonnenten)
- Podcast zum Thema: https://verlag.zeit.de/freunde/podcast/wie-bio-ist-bio-die-zeit-47-2021/
oder auf allen gängigen Podcast-Plattformen Titel: „DIE ZEIT: Hinter der
Geschichte“ Folge: „Wie bio ist Bio? (DIE ZEIT 47/2021)“
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