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Dienstag, 8. April 2025

"Verkaufte Zukunft" als Lizenzausgabe bei der bpb erhältlich

Zu den besten deutschspachigen Büchern zum Themenkomplex Nachhaltigkeit zählt das Buch "Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht " von Jens Beckert, das auch in den Seminaren Verwendung findet. Dieses Buch können Sie ab sofort bei der bpb für 5,- € bestellen. Auf der bpb-Website findet sich folgende Beschreibung:

"Seit Jahrzehnten ist der Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und der Erhitzung der Erdatmosphäre bekannt – genau wie seine potenziell desaströsen Konsequenzen. Dennoch hat die Menschheit in dieser Zeit nicht weniger, sondern immer mehr Treibhausgase ausgestoßen: In den vergangenen drei Jahrzehnten ist so viel CO₂ emittiert worden wie in den zwei Jahrhunderten zuvor. Worin liegt diese eklatante Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln begründet? Der Soziologe Jens Beckert analysiert, welche massiven Hürden moderne Gesellschaften davon abhalten, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren: die kapitalistische, an Gewinn orientierte Wirtschaft, das auf demokratische Legitimation angewiesene politische System sowie soziokulturelle Bedingungen, die Konsum, Identität und sozialen Status eng aneinander koppeln. Da keine einfachen Auswege aus diesen strukturellen Dilemmata hinausführen, so Beckert, sei es wichtig, diese zu reflektieren und sie im politischen Handeln zu berücksichtigen. Auch wenn die Klimaerhitzung bereits Realität sei und sich ein weiterer Temperaturanstieg nicht mehr abwenden lasse, sei es nötig, Handlungspotenziale auszuloten und zu nutzen, um ihn so weit wie möglich zu begrenzen. Zugleich müssten Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden, die den Menschen Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels bieten und den sozialen Zusammenhalt im Angesicht verschlechterter Lebensbedingungen stärken."

Freitag, 17. November 2023

Zygmunt Bauman zur Konsumgesellschaft

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich nur durch Steigerung erhalten kann (siehe Vortrag von Hartmut Rosa), die also von Wachstum abhängig ist. Die steigende Produktion muss aber auch Abnehmer finden. Würden wir nur das kaufen und konsumieren, was wir benötigen, wäre das Ende der Fahnenstange schnell erreicht. Und hier kommt die Konsumgesellschaft ins Spiel. Wer diese Gesellschaftsformation, die sich in den USA etwas früher, in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet und in den 1980er Jahren vollständig durchgesetzt hat, verstehen will, dem sei die Lektüre von Zygmunt Baumans 2007 erschienenen Buchs "Consuming Life" empfohlen, das auch in deutscher Übersetzung vorliegt:

  • Zygmunt Bauman (2009), Leben als Konsum, Hamburger Edition.
Dieses Buch und damit eine Analyse zentraler Elemente der Konsumgesellschaft wird im folgenden Text vorgestellt. Alle nicht anderweitig gekennzeichneten Zitate stammen daraus.

Montag, 1. Mai 2023

Wie Krisen das Konsumverhalten beeinflussen

Man kann davon ausgehen, dass seit 2020 vieles anders geworden ist. Die Bevölkerung musste sich erstmals mit Themen beschäftigen, die vor allem für die jüngere Generation fremd waren. Wie beispielsweise eine Pandemie, welche die ganze Welt beängstigte und viele neue Regelungen zur Folge hatte. Dann gewann der Begriff „Inflation“ an Aktualität. Für viele war dieser Begriff schon in Vergessenheit geraten. Schließlich begann im Februar 2022 der Ukraine-Russland Krieg, der ganz Europa in Angst versetzte. Wie belastend diese Herausforderungen sind, kann man nicht nur an psychischen Beschwerden sehen, sondern beispielsweise auch am Konsumverhalten der Bevölkerung.[1] 

Bei der Corona-Pandemie haben vor allem Faktoren wie die Inzidenzzahl, die „Wellen“ der Krankheit, aber auch die verschiedenen Regelungen ihren Abdruck hinterlassen. Eine hohe Inzidenzzahl schreckte den Konsumenten, einkaufen zu gehen. Bestärkt mit beispielsweise der 2G-Regel, die für einen Zeitraum gültig war, resultierte daraus ein eher zurückhaltendes Konsumverhalten.[2] 

Zusätzlich kam es zu einem allgemeinen Preisanstieg von Waren und Dienstleistungen, also Inflation. Dies färbt ebenfalls auf das Kaufverhalten des Konsumenten ab. Denn dieser zögert logischerweise, Geld auszugeben. Dadurch spart der Konsument und verzichtet eher auf spontane Einkäufe bzw. auf das Konsumieren.[3] 

Schließlich herrscht in der Ukraine seit Februar 2022 Krieg. Der Angriff durch Russland beeinflusste ebenfalls das alltägliche Leben in Deutschland. Viele Bürger fürchteten sich vor einem militärischen Angriff durch Putin. Zudem verursachte der Krieg Lieferkettenprobleme und Preissteigerungen in Deutschland, sodass die Konsumenten ebenfalls einen Verzicht bei Konsumgütern vornahmen.[4] 

Zusammenfassend sieht man, wie verschiedene Krisen, die aufeinanderfolgend über mehrere Jahre den Menschen in großem Maße beeinflussen, Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Solche Krisen erzeugen eine pessimistische und depressive Stimmung bei den Konsumenten und bremsen das Kaufverhalten. Die Unternehmen spüren diese negative Stimmung durch ein zurückhaltendes Konsumverhalten. Denn eine Konsumgesellschaft ist davon gekennzeichnet, dass der Verbrauch von Dienstleistungen und Produkten durch den Konsumenten stattfindet.

Fußnoten

  • [1] Vgl. Radvilas, Heidi (2023): Die Stimmung bleibt gedämpft (Tagesschau vom 29.03.2023), siehe unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/gfk-konsumklimaindex-127.html
  • [2] Vgl. Anonym (2021): Pandemie und Inflation schwächen Konsumklima (Growth from Knowledge), siehe unter: https://www.gfk.com/de/presse/Pandemie-und-Inflation-schwaechen-Konsumklima
  • [3] Vgl. Wiederwald, Rupert (2022): Privater Konsum: Fehlanzeige (Tagesschau vom 04.08.2022), siehe unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/konsumlaune-verbraucher-101.html
  • [4] Vgl. Anonym (2022): Ukraine-Krieg wirkt sich auf das Konsumverhalten aus (Markenartikel vom 30.03.2023), https://www.markenartikel-magazin.de/_rubric/detail.php?rubric=handel-e-commerce&nr=47562

Montag, 23. Januar 2023

Konsumgesellschaft und Handys

Können Sie sich denn noch ein Leben ohne Handy vorstellen? Wenn nicht, sind Sie in guter Gesellschaft. Aus unserem modernen Leben sind Handys nicht mehr wegzudenken. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wirklich jeder auf diesem Planeten ein Handy besitzt. Im Jahr 2021 gab es Statistiken zufolge ca. 3,5 Milliarden Smartphone-User weltweit. Jedoch ist die Anzahl der kursierenden Handys mit über sechs Milliarden fast doppelt so hoch, was bedeutet, dass viele Menschen nicht nur ein Handy besitzen, sondern zwei oder sogar mehr. Allein in Deutschland werden derzeit 60,7 Millionen internetfähige Mobiltelefone benutzt. In den USA sind es ca. 298 Millionen und in China sogar 1,6 Milliarden. Und die Tendenz ist überall gleich: Sie ist steigend (vgl. Otto, S. 2).

Ein Blick in die Zukunft: Im Jahr 2050 werden knapp neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, die alle ein Recht auf ein gutes Leben mit ausreichend Nahrung, Sicherheit und Bildung haben. Jedoch wird dieser Zuwachs den Druck auf die natürlichen Rohstoffvorkommen, die biologische Vielfalt und das ökologische Gleichgewicht auf der Erde enorm verschärfen. Es ist uns heute noch unklar, wie die Erde bis dahin aussehen wird. Eines ist jedoch klar: Notwendig sind ein ressourcenschonender Konsum sowie effiziente Produkte. Denn nur so kann den Menschen eine gerechte Teilhabe am Wohlstand ermöglicht werden, ohne den Planeten zu zerstören (vgl. Nordmann et al., S. 1).

Schon heute gibt es den Kampf um seltene und wertvolle Rohstoffe. Besonders für die Herstellung von technischen Geräten, wie zum Beispiel dem Handy, spielen Rohstoffe wie seltene Erden eine wichtige Rolle. Das Problem liegt darin, dass diese meist nur in jeweils kleinen Mengen in weit verstreut lagernden Mineralien vorkommen. Für die Aufbereitung dieser Metalle benötigt man Energie und Chemikalien, welche immense Umweltschäden verursachen (vgl. Nordmann et al., S. 1).

"Die naturwissenschaftlichen Grundlagen unseres Rohstoffverbrauchs und dessen Folgen für Menschen und Umwelt lassen sich besonders gut an dem heute fast wichtigsten Alltagsbegleiter Handy deutlich machen" (Nordmann et al., S. 1).

Mittwoch, 4. Mai 2022

Grenzenloser Genuss ohne Reue? Die Konsumgesellschaft

Die Konsumgesellschaft als Resultat der Wachstumsgesellschaft zeichnet sich durch ihren hohen Verbrauch an Ressourcen aus. Das gute Leben wird in dieser Gesellschaft im grenzenlosen Konsum gesehen und somit im Leben im Hier und Jetzt. Menschen, die unter den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen der Konsumgesellschaft leben, befinden sich in einem Kreislauf des Konsums, der aus Kaufen, Wegwerfen und Neukaufen besteht.

Auch wenn die Bedürfnisse in der Konsumgesellschaft längst gestillt sind, wird der Verbraucher unter anderem durch Werbung immer weiter zum Kaufen und Verbrauchen verleitet. Ein Unterschied zu anderen Gesellschaften ist, dass der Konsum in alle Lebensbereiche dringt. Hierbei dienen Produkte als Statussymbole und bestimmen die gesellschaftliche Rangordnung. Auch Anerkennung und Liebe werden durch Konsum geäußert.

Während die Schere zwischen Arm und Reich durch diesen Kreislauf immer größer wird, verschärfen sich die daraus resultierenden Probleme, vor allem die Klimakrise. Die Gefahr für die Ozeane, menschenverachtende Arbeitsbedingungen, Ressourcenausbeutung uvm. sind die Folgen. Lösungsansätze werden in der Verbraucherverantwortung und in Konzepten wie zum Beispiel der Sharing Economy gesehen.

Donnerstag, 21. April 2022

Wie Kapitalismus, Wachstum und Klimawandel zusammenhängen

Der Klimawandel ist eines der größten und komplexesten Probleme unserer heutigen Zeit. In allen größeren Parteien Deutschlands findet man in den Programmpunkten einige Ansätze und Vorschläge, wie die schlimmsten Auswirkungen verhindert werden können. Und dennoch bekommen wir bereits heute die ersten Konsequenzen des Klimawandels zu spüren: Immer häufiger erreichen uns Nachrichten von riesigen Waldbränden, ausgelöst durch lange Hitzewellen, oder von Fluten, welche ganze Ortschaften zerstören. Und so steigt auch die Angst vieler Bürgerinnen und Bürger, die sich zunehmend direkt bedroht fühlen (vgl. Heeke 2021).

Diese zunehmend erlebte Gefährdung drückt sich auch in globalen Organisationen wie „Fridays for Future“ aus. Diese organisieren regelmäßig globale Streiks gegen den Klimawandel und fordern dabei immer wieder die Politik auf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Klima zu schützen (vgl. Fridays for Future 2022).

Doch obwohl das Problem des Klimawandels eine hohe mediale und politische Aufmerksamkeit genießt, reichen die Beschlüsse und Maßnahmen nicht aus, um das Problem zu lösen (vgl. Sadik 2020). Es scheint, als fehle der Wille oder die Kompetenz, um den Klimawandel wirklich wirksam zu bekämpfen. Doch warum ist dies so?

Was, wenn unsere gesamte Art zu leben, unser Wirtschaftssystem und unsere Werte gegen eine Bekämpfung des Klimawandels sprechen? Wie wirkt sich der Kapitalismus auf die Bekämpfung des Klimawandels aus? Als Antwort lautet die These dieser Arbeit: Der Kapitalismus teilt unsere Gesellschaft in zwei Gruppen auf: Personen mit und ohne Kapital. Dabei existiert ein Wachstumsgedanke in beiden Gruppen, welcher sich unterschiedlich bemerkbar macht, im Effekt jedoch die Lösung des Klimaproblems verhindert.

Montag, 14. März 2022

Geplante Obsoleszenz am Beispiel von Apple

Jeder hat sie heutzutage in seinem Zimmer oder Haus. Die eine Schublade voller alter Handys, die sich im Laufe der letzten Jahre angesammelt haben. Allein in meinem Zimmer habe ich 7 Handys von verschiedenen Herstellern liegen, die ich in den letzten 10 bis 12 Jahren genutzt habe. Das entspricht einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von circa eineinhalb Jahren, bis es zu einer Neuanschaffung kommt. Das ist erschreckend kurz, da aber Neugeräte mittlerweile erschwinglich geworden sind, habe ich in der Vergangenheit nie wirklich darüber nachgedacht und mir fast jährlich ein neues Gerät angeschafft.

Die Frage, die sich stellt, ist, ob es an meinem schlechten Umgang mit den Smartphones liegt, dass sie nur kurz überleben, oder steckt dahinter vielleicht sogar ein System der großen Hersteller, das uns nach einem bestimmten Zeitraum zwingt, ein neues Gerät zu kaufen. Natürlich gab es bei mir den einen oder anderen Fall, in dem das Smartphone durch schlechten Umgang das Zeitliche gesegnet hat, doch in der Regel waren es tatsächlich plötzlich auftretende Fehler, die es mit der Zeit unbrauchbar gemacht haben.

Durch die mittlerweile geringen Anschaffungskosten von Smartphones macht eine Reparatur meist nur noch wenig Sinn, da diese meist zu aufwendig und teurer als das Endgerät selbst ist. Die Folge sind immer größer werdende Sammlungen von alten Smartphones und Elektrogeräten bei uns zuhause und immer größer werdende Müllberge aus Elektroschrott in Teilen der Welt, die weit weg von uns sind.

Ein Grund dafür liegt in dem Prinzip der „geplanten Obsoleszenz“, welches eine Strategie der großen Industriekonzerne ist, die mittlerweile in vielen Branchen fester Bestandteil ist und uns zu einem nie endenden Neukauf und Konsum „zwingt“. Ich möchte in dieser Arbeit am Beispiel von Apple beleuchten, was es mit dem Prinzip auf sich hat und warum gerade der Riesenkonzern Apple ein "Spezialist" der geplanten Obsoleszenz ist.

Dienstag, 1. Dezember 2020

Zygmunt Baumans zentrales Buch zur Konsumgesellschaft

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich nur durch Steigerung erhalten kann (siehe Vortrag von Hartmut Rosa), die also von Wachstum abhängig ist. Die steigende Produktion muss aber auch Abnehmer finden. Würden wir nur das kaufen und konsumieren, was wir benötigen, wäre das Ende der Fahnenstange schnell erreicht. Und hier kommt die Konsumgesellschaft ins Spiel. Wer diese Gesellschaftsformation, die sich in den USA etwas früher, in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet und in den 1980er Jahren vollständig durchgesetzt hat, verstehen will, dem sei die Lektüre von Zygmunt Baumans 2007 erschienenen Buchs "Consuming Life" empfohlen, das auch in deutscher Übersetzung vorliegt:

  • Zygmunt Bauman (2009), Leben als Konsum, Hamburger Edition.
Dieses Buch und damit eine Analyse zentraler Elemente der Konsumgesellschaft wird im folgenden Text vorgestellt. Alle nicht anderweitig gekennzeichneten Zitate stammen daraus.

Kennzeichen der Konsumgesellschaft

Die in der Gesellschaft der Produzenten aufgewachsenen Älteren unter uns sind an folgendes Szenarium gewöhnt: Es gibt auf der einen Seite Objekte, die gewählt bzw. gekauft und konsumiert werden, und auf der anderen Seite Subjekte, die wählen, kaufen, konsumieren. Oder anders ausgedrückt: Waren und Käufer. Wenn man dieses Modell auf die Konsumgesellschaft überträgt, geht man an der Wirklichkeit vorbei, weil in ihr jeder Käufer (Subjekt) gleichzeitig Ware (Objekt) ist.

Wenn junge Menschen im Internet ihre persönlichen Daten, Merkmale und Gewohnheiten preisgeben, dann deshalb, weil sie (vielleicht unbewusst) verstanden haben, dass sie Ware sind. Wer unsichtbar bleibt, verschwindet als Ladenhüter in den Magazinen. Als Ware ist der Mensch z.B. potentieller Lebensgefährte oder Arbeitnehmer. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden somit zu Begegnungen zwischen Käufern und Waren. Dabei muss der Einzelne darauf achten, sich so zu präsentieren, dass er als Ware attraktiv ist.

Ein Arbeitsuchender z.B. ist für einen Personalchef attraktiv, wenn er so ungebunden und flexibel wie möglich ist, anpassungsfähig und immer bereit für neue Aufgaben, und den die Firma entlassen kann, ohne viel Geschrei oder gar Rechtsstreitigkeiten fürchten zu müssen.

Vergleich Produzentengesellschaft – Konsumgesellschaft

Die Gesellschaft von Produzenten ist auf Langfristigkeit, Dauerhaftigkeit und Sicherheit angelegt. Man übt Bedürfnisverzicht in der Gegenwart, um sich in der Zukunft dafür etwas leisten zu können, das einem wichtiger ist. Man spart z.B. auf ein Haus oder ein Auto. In der Konsumgesellschaft ist das sofortige Befriedigen momentaner Bedürfnisse zum Lebensmittelpunkt geworden. Man nimmt z.B. Schulden auf, um mit einem attraktiven neuen Auto losfahren zu können. Damit einher geht ein von Wirtschaft und Werbung gefördertes Hasten zu immer neuen und größeren Wünschen.

In einer solchen Gesellschaft ändert sich die Vorstellung von Zeit. Bisher hat man sich die Zeit als eine ununterbrochene Linie vorgestellt, die aus der Vergangenheit kommt, die Gegenwart durchläuft und sich in die Zukunft hineinbegibt. Für die Zeitvorstellung der Konsumgesellschaft sind die Begriffe „pointillistische Zeit“ und „gebrochene Zeit“ geprägt worden. Man muss sie sich nicht als eine Linie vorstellen, sondern als unverbundene Punkte.
"Pointillistische Zeit ist zersplittert, ja geradezu pulverisiert zu einer Vielzahl von „ewigen Augenblicken“ – Ereignissen, Zwischenfällen, Unfällen, Abenteuern, Episoden." (S. 46)
"(Das Leben ist) eine Abfolge von Gegenwart, eine Verknüpfung von Augenblicken, die mehr oder weniger intensiv erlebt werden." (S. 47)
"Würde man eine Karte des pointillistischen Lebens zeichnen, so hätte sie eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit einem Friedhof für imaginäre, eingebildete oder fahrlässig vernachlässigte und unerfüllt gebliebene Möglichkeiten." (S. 47)
Für das menschliche Verhalten hat das gravierende Folgen. Man lebt ausschließlich in der Gegenwart, versucht, diese so gut wie möglich zu nutzen (carpe diem), und kümmert sich weder um die Erfahrungen der Vergangenheit, noch um die Konsequenzen seiner Handlungen in der Zukunft, und schon gar nicht um die Ewigkeit (memento mori). Und man empfindet diese Handlungsweise als Ausdruck seiner individuellen Freiheit.

Bei einem Fehlschlag hätte man früher (in der Gesellschaft der Produzenten) einen neuen Anlauf genommen, sich mehr angestrengt oder konzentriert und vielleicht mit einem verbesserten Werkzeug gearbeitet. In der Konsumgesellschaft wird der Plan fallengelassen. Wenn es sich um eine Beziehung handelt, wird diese kurzerhand beendet. Der Ausruf Fausts "Könnt ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön!" stößt in der Konsumgesellschaft auf Unverständnis. Es wäre so, als wolle man einen Punkt der pointillistischen Zeit zu einer Geraden verlängern wollen.

Der Übergang von der Gesellschaft der Produzenten zur Konsumgesellschaft wird als Entwicklung hin zu persönlicher Freiheit verstanden, der den Menschen von vielfältigen Zwängen (Routine, verpflichtende Verhaltensmuster, Bindungen) befreit und ihm endlich die Wahl lässt, sich zu verhalten, wie er will. Diese angeblich freie Wahl aber ist eine Illusion. Der Mensch kommt vom Regen in die Traufe. Er kann moralische Zwänge abwerfen, unterliegt aber neuen Zwängen. Es sind die Zwänge des Konsumgütermarktes, deren Gesetze nun zu Lebensgrundsätzen werden.

Man erwartet von denen, die sich diesen Regeln unterwerfen, "dass sie sich auf dem Markt anbieten und in Konkurrenz zu den übrigen Mitgliedern einen möglichst hohen „Marktwert“ anstreben." (S. 83) Sie müssen unter den angebotenen Waren "jene Werkzeuge und Rohstoffe (…) finden, die sie benutzen können (und müssen), um dafür Sorge zu tragen, dass sie selbst „für den Konsum geeignet“ und damit markttauglich sind." (S .83) Wer sich diesem Spiel verweigert, wird mit Exklusion bestraft.

So wenig, wie Glück und Freiheit in der Konsumgesellschaft zugenommen haben, so wenig hat das Leid abgenommen, es ist nur anders geworden. Früher galten Moralgesetze mit einer Fülle von Verboten, deren Übertretung zu Schuldgefühlen und im schlimmsten Fall zu Neurosen führten. In der Konsumgesellschaft werden die Neurosen von den Depressionen abgelöst. Sie entstehen dadurch, dass das Übermaß an Möglichkeiten, die die Gesellschaft bietet, zu Angst vor Unzulänglichkeiten (Zeitmangel, Geldknappheit) führt und diese Angst Depressionen auslöst.

Die Konsumgesellschaft wäre nicht, was sie ist, wenn sie nicht auch dagegen ein Heilmittel anböte. Es besteht darin, die Punkte, aus der die Zeit besteht, mit Handlungen zu füllen und von einem Punkt zum nächsten zu eilen.
"Permanente Aktivität, bei der eine dringliche Aufgabe auf die andere folgt, gibt einem die Sicherheit eines erfüllten Lebens oder einer „erfolgreichen Karriere“, die einzigen Beweise der Selbstverwirklichung in einer Welt, aus der alle Bezüge auf ein Jenseits verschwunden sind.(…) Allzu oft ist Handeln nur eine Flucht vor dem Selbst, ein Heilmittel gegen den Schmerz." (S.125/126).

Wie „funktioniert“ die Konsumgesellschaft?

Sie beruht auf einem inneren Widerspruch, den sie mit allen Mitteln kaschieren muss. Auf der einen Seite ist ihr proklamiertes Ziel das glückliche Leben, nicht irgendwann im Jenseits, sondern im Hier und Jetzt. Auf der anderen Seite muss sie danach trachten, dass ihre Mitglieder dieses Ziel nicht erreichen, weil das den Stillstand im Warenumsatz und damit den Verlust des Fundaments bedeuten würde, auf dem sie aufgebaut ist.
"Die Konsumgesellschaft floriert, solange sie erfolgreich dafür sorgt, dass die Nicht-Befriedigung ihrer Mitglieder (und damit in ihren eigenen Begriffen ihr Unglücklichsein) fortwährend ist." (S. 64)
Die Wirtschaft muss um jeden Preis angekurbelt werden. "Schulden zu machen und auf Kredit zu leben, ist in Großbritannien mittlerweile Teil des vom Staat entworfenen, abgesegneten und subventionierten nationalen Lehrplans geworden" (S. 104). Der Wirtschaftskreislauf, der nicht unterbrochen werden darf, besteht darin, Umsatz und Kauflust dadurch anzukurbeln, dass immer neue und (angeblich) bessere Produkte auf den Markt kommen und die Entsorgung der ausgedienten Produkte organisiert wird.

Beispiele für diesen Prozess reichen von den schnurlosen Telefonen, die immer mehr und bessere Funktionen haben müssen, um den Konsumenten davon zu überzeugen, ihre alten Geräte zu ersetzen, bis hin zu Online-Partnervermittlungen, die den Schwerpunkt darauf legen, ihre Kunden dahingehend zu beraten, wie sie unerwünscht gewordene Partner rasch und sicher loswerden können.

Die Folge von alledem ist, dass in einer Gesellschaft mit konsumorientiertem Wirtschaftssystem "Unbehagen und Unglücklichsein, (…) Stress oder Depressionen, lange und sozialunverträgliche Arbeitszeiten, zerfallende Beziehungen, Mangel an Selbstvertrauen" (S. 63) zunehmen. Die Konsumgesellschaft verspricht Glück, macht aber die Menschen unglücklich. Damit ist der "Konsumismus (…) nicht nur eine Ökonomie des Überschusses und des Abfalls, sondern auch eine Ökonomie der Täuschung" (S. 65).

Körperkult in der Konsumgesellschaft

Mit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft kann man eine gesteigerte Hinwendung zum Körperlichen beobachten. Sonnenstudios, Fitness-Studios und Schönheitssalons sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Schönheitsoperationen haben in großem Umfang zugenommen. Warum?

In der Konsumgesellschaft ist der Mensch selber zur Ware geworden. Den Vergleich mit der hohen Qualität des hergestellten Dings jedoch muss er scheuen. Der Mensch schämt sich wegen der offensichtlichen Unvollkommenheit seines Körpers (prometheische Scham). Und wähnt sich vor die Aufgabe gestellt, seinen Körper zu vervollkommnen. "Als nackt (…) gilt heute nicht mehr der unbekleidete Leib, sondern der „unbearbeitete“" ( S. 80).

Körperkult auf der einen Seite, eine veränderte Haltung zur Zeit auf der anderen haben zu der Überlegung geführt, die unzusammenhängenden Punkte der Zeit dafür zu nutzen, sich neue Identitäten zu schaffen, um damit das Ärgernis zeitlich begrenzten Lebens wenigstens teilweise dadurch aus der Welt zu schaffen, dass man sich mehrere Leben zulegt. Das Mittel dazu ist die körperliche Veränderung durch Schönheitsoperationen, wobei von Anfang an die Möglichkeit von Folgeoperationen ins Kalkül gezogen wird. Es gibt bereits Firmen, die Kundenkarten für Folgeoperationen anbieten. Eine entsprechende Flatrate wird nicht lange auf sich warten lassen.

Der Siegeszug des Fastfood

Wo keine dauerhaften Bindungen entstehen können und auch nicht erwünscht sind, hat die Familie einen schweren Stand. Eines der Integrationselemente ist das gemeinsame Essen meist selbst zubereiteter und manchmal sogar gemeinsam produzierter Speisen. All das schweißte die Gruppe zusammen und ließ Bindungen entstehen. Die Zunahme der Beliebtheit von Fastfood, die natürlich auch – und vielleicht vor allem – auf mangelnde Zeit und/oder Lust zurückzuführen ist, ein Essen selber zu bereiten, hat als Folge, dass Bindungen schwerer entstehen können, kann aber auch als Folge davon gesehen werden, dass Bindungen nicht gewünscht sind. "Fastfood ist dazu da, die Einsamkeit einsamer Konsumenten zu schützen" (S. 103).

Zwischenmenschliche Beziehungen

Wenn der Mensch zur Ware wird, wirkt sich das auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Aus ihnen verschwinden Fürsorge und Verantwortung für den anderen und machen radikalem Egoismus Platz. "Konsum ist alles, was für den „sozialen Wert“ und das Selbstwertgefühl des Individuums von Bedeutung ist" (S. 77). In einem Ratgeber („Der Cinderella Komplex“) warnt Colette Dowling: “Im Impuls, für andere zu sorgen, und in der Sehnsucht, von anderen umsorgt zu werden, lauert die schreckliche Gefahr, abhängig zu werden, die Fähigkeit zu verlieren, die Strömung auszuwählen, die sich derzeit am besten zum Surfen eignet, und leichtfüßig von einer Welle zur anderen zu hüpfen, sobald sie die Richtung ändert.“
"Der Raum, den flüchtig-moderne Konsumenten brauchen, für den sie, so der Rat von allen Seiten, kämpfen und den sie mit Zähnen und Klauen verteidigen sollen, kann nur dadurch errungen werden, dass man andere Menschen aus ihm hinausbefördert – vor allem jene Art von Menschen, die fürsorglich sind und/oder die es nötig haben könnten, dass man für sie sorgt" (S. 69).
Der ideale Konsument

„(Er) lebt von einem Augenblick zum nächsten.(…) Sein Verhalten ist impulsiv, entweder, weil er nicht die Disziplin aufbringen kann, eine gegenwärtige Befriedigung einer zukünftigen zu opfern, oder weil er gar keinen Sinn für Zukunft hat. Vorausschauendes Handeln ist ihm daher völlig fremd; was er nicht sofort konsumieren kann, hat für ihn keinerlei Wert“ (S. 175) (Zitat aus dem Buch von Ken Auletta: The Underclass)

Kürzer und genauer könnte man den typischen Vertreter der Konsumgesellschaft nicht charakterisieren. Bei dem Zitat handelt es sich allerdings um die Charakterisierung des Verhaltens eines typischen Vertreters der sogenannten Unterschicht.

Sonntag, 22. November 2020

Wachstum in den Köpfen: Leseempfehlungen

Empfehlungen von Jonathan Hörtkorn

Ein Interview aus dem Tagesspiegel (03.11.2014) mit dem Titel "Stetiges Wachstum ist obsolet" thematisiert das ständige Verlangen nach Wachstum, das sich in unseren Köpfen wiederfindet und sich in der Ökonomie widerspiegelt. Dabei zeigt der Ökonom Holger Rogall Ansätze auf, die das Wachstumsdenken der Menschen abschwächen könnten.

Der Beitrag "Wahrnehmung des Klimawandels" von Prof. Dr. Ines Weller auf dem insgesamt empfehlenswerten Portal Klimanavigator wertet verschiedene Studien zum Konsumverhalten aus. Außerdem werden im Text Einflussfaktoren auf das Konsumverhalten und die Ressourcennutzung dargelegt und er bietet einige Anhaltspunkte zur Selbstreflektion des eigenen Konsumverhaltens.

Sonntag, 30. August 2020

Nachhaltiger Konsum in Zeiten von Fast Fashion

Nachhaltigkeitskampagnen, CO2-Kompensationszahlungen für Flugreisen, Recyclingangebote anstatt wegzuwerfen und die Aufforderung zum umweltbewussteren Leben und nachhaltigeren Kaufen findet man heutzutage überall. In sozialen Netzwerken, in Printmedien und im Fernsehen werben Unternehmen mit ihrem „Sustainability“-Management. Und auch Verbraucher selbst betonen oftmals gerne, auf möglichst viele Plastikverpackungen zu verzichten, öffentliche Verkehrsmittel anstelle des eigenen Autos zu nutzen oder sich vegetarisch bis vegan zu ernähren, da dies insgesamt die Umwelt schone. Das Thema Nachhaltigkeit und der bewusste Konsum scheinen in der Gesellschaft angekommen zu sein.

Doch ist dem tatsächlich so? Ein Blick auf die Textil- und Bekleidungsindustrie (TBI) zeigt, dass hier weiterhin nach alten Maßstäben konsumiert und produziert wird. Viel mehr noch scheinen die großen Modeketten den Eindruck zu machen, als fluten sie im monatlichen Rhythmus die Läden mit neuen Kollektionen, immer mit der Hoffnung verbunden, die Verbraucher zum Kaufen anregen zu können. Und so wird weiterhin unter schlechten Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Ländern billige Massenware hergestellt, die weder nachhaltig noch fair produziert wird.

In Zeiten von Fridays-for-Future (FFF), in denen ein nachhaltigeres Leben gefordert wird, kann sich die TBI offenbar diesen Erwartungen nach wie vor entziehen und steht nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Die Automobilindustrie, die Flugzeugbranche sowie Kreuzfahrtschiffe sind dagegen stark in Verruf geraten, zu wenig für den Klimawandel zu tun bzw. zu viele schädliche Abgase auszustoßen.

Das Ziel der Arbeit ist es, einen Leitfaden für den Leser zu geben, wo und wie fair gehandelte Mode gekauft werden kann. Auf welche Merkmale beim Kauf von Kleidung geachtet werden sollte. Denn ist ein teures T-Shirt automatisch auch ein hochwertiges sowie fair und nachhaltig? Diesen Fragen gilt es auf den Grund zu gehen und Antworten dafür zu finden, wie ein umweltfreundliches Konsumverhalten aussehen kann. Doch natürlich soll in diesem Zusammenhang auch die Frage erläutert werden, wie es sich die TBI leisten kann, in immer kürzeren Abständen neue Kollektionen zu produzieren und diese als Massenware in den Einkaufsläden anzubieten.

Sonntag, 7. Juni 2020

Externalisierungsgesellschaft

"Neben uns die Sintflut" ist der eindrückliche Titel (Untertitel: "Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis"), den der Soziologe Stephan Lessenich seiner treffenden Diagnose unserer Gesellschaft gegeben hat. Das Buch ist 2016 im Carl Hanser Verlag erschienen und unbedingt lesenswert.

Zentrale Aussage ist, dass es uns gut geht, weil es anderen schlecht geht. Glück und Unglück müssen in Tateinheit betrachtet werden. So schreibt der Autor hinsichtlich der Ziele, die er mit dem Buch verfolgt:
"Ebendiese Doppelgeschichte soll hier in den Blick genommen werden. Es geht um den Einblick in Zusammenhänge, die Einsicht in Abhängigkeiten, in globale Beziehungsstrukturen und Wechselwirkungen. Es geht um die andere Seite der westlichen Moderne, um ihr 'dunkles Gesicht', um ihre Verankerung in den Strukturen und Mechanismen kolonialer Herrschaft über den Rest der Welt. Es geht um Reichtumsproduktion auf Kosten und um Wohlstandsgenuss zu Lasten anderer, um die Auslagerung der Kosten und Lasten des 'Fortschritts'. Und es geht noch um eine weitere, dritte Geschichte: um die Abwehr des Wissens um ebendiese Doppelgeschichte, um deren Verdrängung aus unserem Bewusstsein, um ihre Tilgung aus den gesellschaftlichen Erzählungen individuellen und kollektiven 'Erfolgs'. Wer von unserem Wohlstand hierzulande redet, dürfte von den damit verbundenen, verwobenen, ja ursächlich zusammenhängenden Nöten anderer Menschen andernorts nicht schweigen. Genau das aber ist es, was ununterbrochen geschieht." (S. 17)
Im weiteren Verlauf des Textes wird Lessenich noch deutlicher, wenn er schreibt: "Gegen ebenjenes Vergessen aber richtet sich dieses Buch" (S. 24). Es geht darum, die Mechanismen und Strukturen darzustellen, die zu der perversen "internationalen Arbeitsteilung" geführt haben, die sich so beschreiben lässt:
"Wir haben uns aufs Gewinnen spezialisiert - und die anderen aufs Verlieren festgelegt." (S. 25)
Die Anzeichen mehren sich, dass Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Weltmaßstab immer mehr Menschen Unbehagen bereitet.
"Diesem einstweilen noch unterschwelligen, aber - so die Vermutung - zunehmend um sich greifenden Unbehagen an der Externalisierungsgesellschaft und ihrem Preis will das vorliegende Buch Ausdruck und Auftrieb geben." (S. 29)
Es geht Lessenich also um "eine Gegenwartssoziologie der Externalisierungsgesellschaft" (S. 50), wobei er diesen zentralen Begriff entlang der drei zentralen Kategorien von Macht, Ausbeutung und Habitus folgendermaßen definiert:
"In der Externalisierungsgesellschaft besteht Macht in der Chance, die Kosten der eigenen Lebensführung auf andere abzuwälzen - und diese Chance ist strukturell ungleich verteilt. Sie ist dies, weil es bestimmten sozialen Kollektiven gelungen ist, sich Möglichkeiten zur Externalisierung anzueignen und sie zugleich anderen vorzuenthalten. Diese anderen werden von den machtvollen Positionen aus ausgebeutet, insofern sie vorrangig die Kosten der Externalisierung zu tragen haben, von den Profiten derselben aber dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Sozial wirksam und gesellschaftlich stabilisiert werden Machtungleichgewicht und Ausbeutungsdynamik in der Externalisierungsgesellschaft durch einen spezifischen Habitus derjenigen, die aus machtvollen Positionen heraus ausbeuterisch handeln: Externalisierung wird für sie zu einer sozialen Praxis, die sie als möglich, üblich und legitim wahrnehmen und daher wie selbstverständlich vollziehen." (S. 62f., eigene Hervorhebung)
Auf den Seiten 179/180 bilanziert der Autor seine Analyse. In zwei Anläufen habe er zu ergründen versucht, wie es sich mit Wohlstand und "Übelstand" verhält:
"Zunächst wurde gezeigt, wie die gesamte (...) Lebensführung in den reichen Gesellschaften des globalen Nordens auf einem schon seit langem praktizierten, großangelegten System ungleichen Tauschs beruht: In weiter Ferne, an den vielen Peripherien der kapitalistischen Weltökonomie, werden Arbeiten erbracht, Ressourcen gefördert, Giftstoffe freigesetzt, Abfälle gelagert, Landstriche verwüstet, Sozialräume zerstört, Menschen getötet - für uns, für die Menschen in den Zentren des Wohlstands, für die Ermöglichung und Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards, ihrer Lebenschancen, ihres Lebensstils." (S. 179f.)
Der zweite Schritt besteht darin, das Mobilitätsregime dieser globalen Formation in den Blick zu nehmen. Hier kommt Lessenich zu folgender Einschätzung:
"Sodann wurde in einem zweiten Schritt nachgezeichnet, wie sich diese Zentren des Wohlstands von der sie nährenden und entlastenden Außenwelt abschließen, oder genauer: wie sie 'fremde' Lebenswelten als ein 'Außen' konstruieren, auf das sie zur Sicherung ihrer Lebensweise zugreifen können, ohne selbst jedoch von diesem in ihrer Integrität berührt zu werden. Die Beziehungen zwischen Zentren und Peripherien sind nach dem Prinzip der Halbdurchlässigkeit gestaltet: Während nach 'außen' viel geht, soll nur wenig nach 'innen' gelangen. Die globale Mobilitätskluft zugunsten des globalen Nordens ist dafür ein treffendes Beispiel: Die eine Hälfte der Welt bereist kollektiv die andere, eröffnet dieser aber nur einen höchst selektiven Zugang zu ihrem eigenen Wirtschafts- und Sozialraum. Wie die Lebens- sind auch die Bewegungschancen offensichtlich global teilbar - und effektiv geteilt. Was den einen möglich ist, bleibt den anderen verwehrt: Das nennt sich dann das Zeitalter der 'Globalisierung'." (S. 180)
In dieser Analyse bestand das Hauptanliegen des Buches. Hinzu kam das Ziel, mit "der Schweigespirale des Wohlstandskapitalismus" (S. 192) zu brechen. Was mögliche Reaktionen auf die dargestellte schreiende Ungerechtigkeit betrifft, beschränkt sich Lessenich auf einige Andeutungen zur "radikalen institutionellen Reform der Externalisierungsgesellschaft" (S. 195):
"...von einer mit den Privilegien der Zentrumsökonomien brechenden Revision des Welthandelsregimes, einer effektiven Besteuerung weltweiter Finanztransaktionen und einem Umbau der reichen Volkswirtschaften in Postwachstumsökonomien bis hin zu einem Sozialvertrag zur Verzögerung des Klimawandels (...) und einer transnationalen Rechtspolitik, die globale soziale Rechte wirkungsvoll verankert. Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, liefe eine solche Reform auf eine konsequente Politik der doppelten Umverteilung hinaus: im nationalgesellschaftlichen wie im weltgesellschaftlichen Maßstab, von oben nach unten und von 'innen' nach 'außen'." (S. 195)

Samstag, 23. Mai 2020

Zygmunt Bauman zur Konsumgesellschaft

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich nur durch Steigerung erhalten kann (siehe Vortrag von Hartmut Rosa), die also von Wachstum abhängig ist. Die steigende Produktion muss aber auch Abnehmer finden. Würden wir nur das kaufen und konsumieren, was wir benötigen, wäre das Ende der Fahnenstange schnell erreicht. Und hier kommt die Konsumgesellschaft ins Spiel. Wer diese Gesellschaftsformation, die sich in den USA etwas früher, in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet und in den 1980er Jahren vollständig durchgesetzt hat, verstehen will, dem sei die Lektüre von Zygmunt Baumans 2007 erschienenen Buchs "Consuming Life" empfohlen, das auch in deutscher Übersetzung vorliegt:
  • Zygmunt Bauman (2009), Leben als Konsum, Hamburger Edition.
Dieses Buch und damit eine Analyse zentraler Elemente der Konsumgesellschaft wird im folgenden Text vorgestellt. Alle nicht anderweitig gekennzeichneten Zitate stammen daraus.

Kennzeichen der Konsumgesellschaft

Die in der Gesellschaft der Produzenten aufgewachsenen Älteren unter uns sind an folgendes Szenarium gewöhnt: Es gibt auf der einen Seite Objekte, die gewählt bzw. gekauft und konsumiert werden, und auf der anderen Seite Subjekte, die wählen, kaufen, konsumieren. Oder anders ausgedrückt: Waren und Käufer. Wenn man dieses Modell auf die Konsumgesellschaft überträgt, geht man an der Wirklichkeit vorbei, weil in ihr jeder Käufer (Subjekt) gleichzeitig Ware (Objekt) ist.

Wenn junge Menschen im Internet ihre persönlichen Daten, Merkmale und Gewohnheiten preisgeben, dann deshalb, weil sie (vielleicht unbewusst) verstanden haben, dass sie Ware sind. Wer unsichtbar bleibt, verschwindet als Ladenhüter in den Magazinen. Als Ware ist der Mensch z.B. potentieller Lebensgefährte oder Arbeitnehmer. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden somit zu Begegnungen zwischen Käufern und Waren. Dabei muss der Einzelne darauf achten, sich so zu präsentieren, dass er als Ware attraktiv ist.

Ein Arbeitsuchender z.B. ist für einen Personalchef attraktiv, wenn er so ungebunden und flexibel wie möglich ist, anpassungsfähig und immer bereit für neue Aufgaben, und den die Firma entlassen kann, ohne viel Geschrei oder gar Rechtsstreitigkeiten fürchten zu müssen.

Vergleich Produzentengesellschaft – Konsumgesellschaft

Die Gesellschaft von Produzenten ist auf Langfristigkeit, Dauerhaftigkeit und Sicherheit angelegt. Man übt Bedürfnisverzicht in der Gegenwart, um sich in der Zukunft dafür etwas leisten zu können, das einem wichtiger ist. Man spart z.B. auf ein Haus oder ein Auto. In der Konsumgesellschaft ist das sofortige Befriedigen momentaner Bedürfnisse zum Lebensmittelpunkt geworden. Man nimmt z.B. Schulden auf, um mit einem attraktiven neuen Auto losfahren zu können. Damit einher geht ein von Wirtschaft und Werbung gefördertes Hasten zu immer neuen und größeren Wünschen.

In einer solchen Gesellschaft ändert sich die Vorstellung von Zeit. Bisher hat man sich die Zeit als eine ununterbrochene Linie vorgestellt, die aus der Vergangenheit kommt, die Gegenwart durchläuft und sich in die Zukunft hineinbegibt. Für die Zeitvorstellung der Konsumgesellschaft sind die Begriffe „pointillistische Zeit“ und „gebrochene Zeit“ geprägt worden. Man muss sie sich nicht als eine Linie vorstellen, sondern als unverbundene Punkte.
"Pointillistische Zeit ist zersplittert, ja geradezu pulverisiert zu einer Vielzahl von „ewigen Augenblicken“ – Ereignissen, Zwischenfällen, Unfällen, Abenteuern, Episoden." (S. 46)
"(Das Leben ist) eine Abfolge von Gegenwart, eine Verknüpfung von Augenblicken, die mehr oder weniger intensiv erlebt werden." (S. 47)
"Würde man eine Karte des pointillistischen Lebens zeichnen, so hätte sie eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit einem Friedhof für imaginäre, eingebildete oder fahrlässig vernachlässigte und unerfüllt gebliebene Möglichkeiten." (S. 47)
Für das menschliche Verhalten hat das gravierende Folgen. Man lebt ausschließlich in der Gegenwart, versucht, diese so gut wie möglich zu nutzen (carpe diem), und kümmert sich weder um die Erfahrungen der Vergangenheit, noch um die Konsequenzen seiner Handlungen in der Zukunft, und schon gar nicht um die Ewigkeit (memento mori). Und man empfindet diese Handlungsweise als Ausdruck seiner individuellen Freiheit.

Bei einem Fehlschlag hätte man früher (in der Gesellschaft der Produzenten) einen neuen Anlauf genommen, sich mehr angestrengt oder konzentriert und vielleicht mit einem verbesserten Werkzeug gearbeitet. In der Konsumgesellschaft wird der Plan fallengelassen. Wenn es sich um eine Beziehung handelt, wird diese kurzerhand beendet. Der Ausruf Fausts "Könnt ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön!" stößt in der Konsumgesellschaft auf Unverständnis. Es wäre so, als wolle man einen Punkt der pointillistischen Zeit zu einer Geraden verlängern wollen.

Der Übergang von der Gesellschaft der Produzenten zur Konsumgesellschaft wird als Entwicklung hin zu persönlicher Freiheit verstanden, der den Menschen von vielfältigen Zwängen (Routine, verpflichtende Verhaltensmuster, Bindungen) befreit und ihm endlich die Wahl lässt, sich zu verhalten, wie er will. Diese angeblich freie Wahl aber ist eine Illusion. Der Mensch kommt vom Regen in die Traufe. Er kann moralische Zwänge abwerfen, unterliegt aber neuen Zwängen. Es sind die Zwänge des Konsumgütermarktes, deren Gesetze nun zu Lebensgrundsätzen werden.

Man erwartet von denen, die sich diesen Regeln unterwerfen, "dass sie sich auf dem Markt anbieten und in Konkurrenz zu den übrigen Mitgliedern einen möglichst hohen „Marktwert“ anstreben." (S. 83) Sie müssen unter den angebotenen Waren "jene Werkzeuge und Rohstoffe (…) finden, die sie benutzen können (und müssen), um dafür Sorge zu tragen, dass sie selbst „für den Konsum geeignet“ und damit markttauglich sind." (S .83) Wer sich diesem Spiel verweigert, wird mit Exklusion bestraft.

So wenig, wie Glück und Freiheit in der Konsumgesellschaft zugenommen haben, so wenig hat das Leid abgenommen, es ist nur anders geworden. Früher galten Moralgesetze mit einer Fülle von Verboten, deren Übertretung zu Schuldgefühlen und im schlimmsten Fall zu Neurosen führten. In der Konsumgesellschaft werden die Neurosen von den Depressionen abgelöst. Sie entstehen dadurch, dass das Übermaß an Möglichkeiten, die die Gesellschaft bietet, zu Angst vor Unzulänglichkeiten (Zeitmangel, Geldknappheit) führt und diese Angst Depressionen auslöst.

Die Konsumgesellschaft wäre nicht, was sie ist, wenn sie nicht auch dagegen ein Heilmittel anböte. Es besteht darin, die Punkte, aus der die Zeit besteht, mit Handlungen zu füllen und von einem Punkt zum nächsten zu eilen.
"Permanente Aktivität, bei der eine dringliche Aufgabe auf die andere folgt, gibt einem die Sicherheit eines erfüllten Lebens oder einer „erfolgreichen Karriere“, die einzigen Beweise der Selbstverwirklichung in einer Welt, aus der alle Bezüge auf ein Jenseits verschwunden sind.(…) Allzu oft ist Handeln nur eine Flucht vor dem Selbst, ein Heilmittel gegen den Schmerz." (S.125/126).

Wie „funktioniert“ die Konsumgesellschaft?

Sie beruht auf einem inneren Widerspruch, den sie mit allen Mitteln kaschieren muss. Auf der einen Seite ist ihr proklamiertes Ziel das glückliche Leben, nicht irgendwann im Jenseits, sondern im Hier und Jetzt. Auf der anderen Seite muss sie danach trachten, dass ihre Mitglieder dieses Ziel nicht erreichen, weil das den Stillstand im Warenumsatz und damit den Verlust des Fundaments bedeuten würde, auf dem sie aufgebaut ist.
"Die Konsumgesellschaft floriert, solange sie erfolgreich dafür sorgt, dass die Nicht-Befriedigung ihrer Mitglieder (und damit in ihren eigenen Begriffen ihr Unglücklichsein) fortwährend ist." (S. 64)
Die Wirtschaft muss um jeden Preis angekurbelt werden. "Schulden zu machen und auf Kredit zu leben, ist in Großbritannien mittlerweile Teil des vom Staat entworfenen, abgesegneten und subventionierten nationalen Lehrplans geworden" (S. 104). Der Wirtschaftskreislauf, der nicht unterbrochen werden darf, besteht darin, Umsatz und Kauflust dadurch anzukurbeln, dass immer neue und (angeblich) bessere Produkte auf den Markt kommen und die Entsorgung der ausgedienten Produkte organisiert wird.

Beispiele für diesen Prozess reichen von den schnurlosen Telefonen, die immer mehr und bessere Funktionen haben müssen, um den Konsumenten davon zu überzeugen, ihre alten Geräte zu ersetzen, bis hin zu Online-Partnervermittlungen, die den Schwerpunkt darauf legen, ihre Kunden dahingehend zu beraten, wie sie unerwünscht gewordene Partner rasch und sicher loswerden können.

Die Folge von alledem ist, dass in einer Gesellschaft mit konsumorientiertem Wirtschaftssystem "Unbehagen und Unglücklichsein, (…) Stress oder Depressionen, lange und sozialunverträgliche Arbeitszeiten, zerfallende Beziehungen, Mangel an Selbstvertrauen" (S. 63) zunehmen. Die Konsumgesellschaft verspricht Glück, macht aber die Menschen unglücklich. Damit ist der "Konsumismus (…) nicht nur eine Ökonomie des Überschusses und des Abfalls, sondern auch eine Ökonomie der Täuschung" (S. 65).

Körperkult in der Konsumgesellschaft

Mit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft kann man eine gesteigerte Hinwendung zum Körperlichen beobachten. Sonnenstudios, Fitness-Studios und Schönheitssalons sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Schönheitsoperationen haben in großem Umfang zugenommen. Warum?

In der Konsumgesellschaft ist der Mensch selber zur Ware geworden. Den Vergleich mit der hohen Qualität des hergestellten Dings jedoch muss er scheuen. Der Mensch schämt sich wegen der offensichtlichen Unvollkommenheit seines Körpers (prometheische Scham). Und wähnt sich vor die Aufgabe gestellt, seinen Körper zu vervollkommnen. "Als nackt (…) gilt heute nicht mehr der unbekleidete Leib, sondern der „unbearbeitete“" ( S. 80).

Körperkult auf der einen Seite, eine veränderte Haltung zur Zeit auf der anderen haben zu der Überlegung geführt, die unzusammenhängenden Punkte der Zeit dafür zu nutzen, sich neue Identitäten zu schaffen, um damit das Ärgernis zeitlich begrenzten Lebens wenigstens teilweise dadurch aus der Welt zu schaffen, dass man sich mehrere Leben zulegt. Das Mittel dazu ist die körperliche Veränderung durch Schönheitsoperationen, wobei von Anfang an die Möglichkeit von Folgeoperationen ins Kalkül gezogen wird. Es gibt bereits Firmen, die Kundenkarten für Folgeoperationen anbieten. Eine entsprechende Flatrate wird nicht lange auf sich warten lassen.

Der Siegeszug des Fastfood

Wo keine dauerhaften Bindungen entstehen können und auch nicht erwünscht sind, hat die Familie einen schweren Stand. Eines der Integrationselemente ist das gemeinsame Essen meist selbst zubereiteter und manchmal sogar gemeinsam produzierter Speisen. All das schweißte die Gruppe zusammen und ließ Bindungen entstehen. Die Zunahme der Beliebtheit von Fastfood, die natürlich auch – und vielleicht vor allem – auf mangelnde Zeit und/oder Lust zurückzuführen ist, ein Essen selber zu bereiten, hat als Folge, dass Bindungen schwerer entstehen können, kann aber auch als Folge davon gesehen werden, dass Bindungen nicht gewünscht sind. "Fastfood ist dazu da, die Einsamkeit einsamer Konsumenten zu schützen" (S. 103).

Zwischenmenschliche Beziehungen

Wenn der Mensch zur Ware wird, wirkt sich das auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Aus ihnen verschwinden Fürsorge und Verantwortung für den anderen und machen radikalem Egoismus Platz. "Konsum ist alles, was für den „sozialen Wert“ und das Selbstwertgefühl des Individuums von Bedeutung ist" (S. 77). In einem Ratgeber („Der Cinderella Komplex“) warnt Colette Dowling: “Im Impuls, für andere zu sorgen, und in der Sehnsucht, von anderen umsorgt zu werden, lauert die schreckliche Gefahr, abhängig zu werden, die Fähigkeit zu verlieren, die Strömung auszuwählen, die sich derzeit am besten zum Surfen eignet, und leichtfüßig von einer Welle zur anderen zu hüpfen, sobald sie die Richtung ändert.“
"Der Raum, den flüchtig-moderne Konsumenten brauchen, für den sie, so der Rat von allen Seiten, kämpfen und den sie mit Zähnen und Klauen verteidigen sollen, kann nur dadurch errungen werden, dass man andere Menschen aus ihm hinausbefördert – vor allem jene Art von Menschen, die fürsorglich sind und/oder die es nötig haben könnten, dass man für sie sorgt" (S. 69).
Der ideale Konsument

„(Er) lebt von einem Augenblick zum nächsten.(…) Sein Verhalten ist impulsiv, entweder, weil er nicht die Disziplin aufbringen kann, eine gegenwärtige Befriedigung einer zukünftigen zu opfern, oder weil er gar keinen Sinn für Zukunft hat. Vorausschauendes Handeln ist ihm daher völlig fremd; was er nicht sofort konsumieren kann, hat für ihn keinerlei Wert“ (S. 175) (Zitat aus dem Buch von Ken Auletta: The Underclass)

Kürzer und genauer könnte man den typischen Vertreter der Konsumgesellschaft nicht charakterisieren. Bei dem Zitat handelt es sich allerdings um die Charakterisierung des Verhaltens eines typischen Vertreters der sogenannten Unterschicht.

Mittwoch, 18. März 2020

Freiwillige CO2-Kompensation - (k)ein Trugschluss

Alltägliche Konsum- und Verhaltensfragen werden immer mehr zu einer Gewissensfrage im Rahmen der Frage, wie wir als Gesellschaft durch inzwischen auch aufkommenden sozialen Druck ökonomisch konform leben wollen bzw. sollten. Exemplarisch dafür steht der Neologismus „Flugscham“, welcher es bis in den Duden geschafft hat. Dieser beschreibt ein „schlechtes Gewissen, das Klima beim Reisen mit dem Flugzeug (vor allem durch den hohen CO2-Ausstoß) zu belasten.“ (Duden 2020)

Genau an diesem Punkt knüpfen Kritiker der freiwilligen Klimakompensation an und bezeichnen diese als modernen Ablasshandel, welcher primär dem Gewissen und eben nicht in ausreichendem und angemessenem Maße dem Schutz des Klimas dient. Bei aller öffentlichen Kritik verzeichnen die Anbieter jedoch in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg an Kunden. Führende bundesweite Nachrichtenportale wie der „Spiegel“ und die „Welt“ sprechen, angelehnt an die schwedische Klimaschutzaktivistin, schon von einem „Greta-Effekt“, welcher immer mehr Geld in die Kassen der Anbieter spült (vgl. Fritz 2019, S. 1; Hecking 2019, S. 1).

Der folgende Blogeintrag hinterfragt das Angebot von freiwilliger Klimakompensation kritisch und zeigt nach einer Einführung zur Funktionsweise neben den Chancen auch mögliche Risiken auf, welche bis hin zu einer Verzögerung der Transformation in Richtung einer klimaneutralen Gesellschaft führen können, und das obwohl gerade die Kompensation von Treibhausgasen für vermeintliche Klimaneutralität steht, wo doch die ausgestoßenen Emissionen parallel an anderer Stelle im selben Maß eingespart werden.

Donnerstag, 5. Dezember 2019

Schaubild zur Wachstumsgesellschaft

In den Seminaren zu Themen rund um Nachhaltigkeit ist das folgende Schaubild entstanden, das viele Aspekte der Gesellschaftsdiagnose zusammenfasst und das ich auf vielfachen Wunsch hier zur Verfügung stelle:


Dienstag, 3. Dezember 2019

Was hält uns davon ab, nachhaltig(er) zu leben?

Ein Beitrag von Jasemin Bal

Mittwochabend, 19 Uhr: ich liege im Bett und shoppe online auf der Zalando-App. Plötzlich kommt mir ein Gedanke: neue weiße Sneaker, das wär’s doch! Meine drei anderen Paare weiße Sneaker liegen zwar im Schuhschrank, sind aber meiner Meinung nach entweder schon viel zu abgerockt, um sie weiterhin tragen zu können, oder haben einen gaaaaaaanz anderen Stil, weswegen ich unbedingt neue brauche. Also mache ich mich schließlich auf die Suche nach neuen Turnschuhen, wohl wissend, dass ich drei Paare im Schuhschrank habe und eigentlich keine neuen brauche.

Die Frage ist doch: Wieso konsumieren wir weiter, obwohl wir selbst wissen, dass wir bestimmte Produkte oder Dinge, wie ein viertes Paar weißer Sneaker, nicht brauchen? In der folgenden Arbeit geht es darum, ausgehend von den Grundlagen der Nachhaltigkeitsdebatte über verschiedene Gesellschaftsschichten bis hin zur Konsumkultur und psychologischen Gründen diese Frage zu beantworten und die Ursachen für die Diskrepanz des Nachhaltig-Sein-Wollens, aber des Nicht-Nachhaltig-Seins zu finden.

Donnerstag, 13. Juni 2019

polis aktuell zu geplanter Obsoleszenz

Das Zentrum polis ist das österreichische Gegenstück zur deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Beide beschäftigen sich häufig mit Nachhaltigkeits-Themen. Passend zu unserer Beschäftigung mit der Wachstums- und Konsumgesellschaft ist nun ein "polis aktuell" zum Thema "Geplante Obsoleszenz" erschienen. Es handelt sich um die Ausgabe 3/2019, die ausgehend von der folgenden Seite heruntergeladen werden kann: https://www.politik-lernen.at/pa_geplanteobsoleszenz.

Samstag, 19. Januar 2019

Unser Schrottplatz in Afrika

Ihr habt euch gerade einen neuen Laptop gekauft und euren Alten entsorgt? Gut für euch. Das Problem ist, dass er mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit hier landen wird:


Agbogbloshie, ein Stadtteil der Millionenmetropole Accra im westafrikanischen Ghana, ist der Schrottplatz für den Elektroschrott Europas. Eine der größten Elektromüllhalden der Welt vergiftet in Ghanas Hauptstadt Menschen und Umwelt und bietet zugleich "Arbeitsplätze" für die Bewohner. Ist er somit Fluch oder Segen für die Menschen in Agbogbloshie?

Das Motto des Westens scheint klar zu sein: Aus den Augen, aus dem Sinn. Tonnenweise Elektroschrott wird nach Afrika verschifft. Dort wird dieser illegal entsorgt. Die giftigen Schwermetalle verseuchen Böden, Flüsse, Fische und Menschen. Eigentlich ist die Ausfuhr von Elektroschrott in Drittstaaten EU-weit verboten, dennoch landet der Schrott in den Entwicklungsländern. Davon sind vor allem Afrika und Asien betroffen. Agbogbloshie ist eine dieser Endstationen für aussortierte Elektrogeräte. Dort werden die Menschen und die Umwelt von Blei, Quecksilber, Cadmium und Arsen vergiftet.

Montag, 7. Januar 2019

Buen Vivir - das gute Leben jenseits der Entwicklungsideologie

Ein Beitrag von Marius Kölly über folgenden Aufsatz:

Alberto Acosta: Vom guten Leben. Der Ausweg aus der Entwicklungsideologie; in: Blätter für deutsche und internationale Politik (Hg.) (2015), Mehr geht nicht! Der Postwachstums-Reader, Blätter, S. 191-197.

Der Autor beschäftigt sich zunächst mit dem Begriff der ‚Entwicklung‘ oder auch dem ‚Fortschritt‘ und prangert das Versprechen der Industrieländer (u.a. Truman) auf die „Entwicklung“ und deren Umsetzung an. Genauer gesagt, das Vorgehen der Industrieländer in den peripheren Regionen, z.B. durch Interventionen von IWF und Weltbank auf ökonomischer Ebene, aber auch durch militärische Aktionen. Diese Interventionen werden von den westlichen Industrieländern dadurch legitimiert, dass die „Durchsetzung der Demokratie“ als Voraussetzung für die Entwicklung unabdingbar ist.

Als der Glaube an Entwicklung dann aber zu bröckeln begann, hat man nach alternativen Entwicklungspfaden gesucht, ohne aber den Pfad der Entwicklung komplett zu verlassen, was der Autor sehr kritisch sieht, d.h. der Begriff der Entwicklung wurde mit Zweitnamen versehen: soziale Entwicklung, lokale Entwicklung, ländliche Entwicklung, nachhaltige Entwicklung, endogene Entwicklung, geschlechtergerechte Entwicklung. 

Vom Neoliberalismus zum Extraktivismus

Der Autor fährt mit seiner Kritik an der Entwicklungsideologie weiter fort. In den 80er und 90er Jahren kam es zu – vom Neoliberalismus inspirierten – Reformen, welche allerdings die soziale Ungleichheit und die Umweltprobleme weiter wachsen ließen. Solange, bis die sozialen Konflikte, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und der immer weiter zunehmende Marktradikalismus immer deutlicher wurden.

Dies führte in einigen Ländern Südamerikas zu einem politischen Wandel nach links und zur Ablehnung des Neoliberalismus. Folglich kam es zu neuen Entwicklungsstrategien, die die Ausbeutung der Rohstoffe und des Agrarlands für den Export verfolgten. Genannt „Extraktivismus des 21. Jahrhunderts.“ Mit diesem Wandel bleiben Probleme allerdings nicht aus. Der nun auf Konsum ausgerichtete und räuberische Lebensstil bedroht das globale ökologische Gleichgewicht und schließt immer mehr Menschen von den vermeintlichen Vorteilen der Entwicklung aus.

Auch hier findet der Autor weitere Ansätze zur Kritik. Laut Acosta akzeptieren die lateinamerikanischen Staaten soziale und ökologische Verwüstungen (z.B. im Bereich des industriellen Bergbaus), um den fortgeschrittenen, modernen Ländern nachzueifern. Man schaut zu, wie alles kommerzialisiert wird, während gleichzeitig die eigenen historischen und kulturellen Wurzeln verleugnet werden. Acosta plädiert dafür, dass die natürlichen Ressourcen nicht länger als Basis für wirtschaftliches Wachstum herhalten müssen.

Alternativen zur Entwicklungsideologie – das Konzept ‚Buen Vivir‘

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Lebensweise innerhalb des Kapitalismus überhaupt möglich ist, die von den politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechten sowie den Rechten der Natur angetrieben wird?

In diesem Zusammenhang stellt Acosta das Konzept Buen Vivir als Alternative zur Entwicklung bzw. als Grundlage für einen Diskurs über Alternativen zur Entwicklung vor. Buen Vivir entstand im Kontext indigenen Widerstands gegen den Kolonialismus und wird heute noch in einigen indigenen Gemeinden praktiziert. Als bekannteste Umsetzung des Konzepts gilt die Verfassung Ecuadors und Boliviens, denn hier ist Buen Vivir festgeschrieben.

Buen Vivir stellt das Konzept des Fortschritts und die auf hauptsächlich wirtschaftlichem Wachstum basierende Entwicklung in Frage. Beispielsweise gibt es in einigen indigenen Gemeinschaften gar keinen Begriff für ‚Entwicklung‘. Das Leben ist nach dieser Philosophie kein linearer Prozess mit einem Vorher und Nachher. Es gibt weder unterentwickelte noch entwickelte Phasen, welche die Menschen auf der Suche nach Wohlstand durchlaufen. Es gibt keine Konzepte von Armut und Reichtum.

Denn: Buen Vivir basiert auf der Ethik des „Ausreichenden“ – für die ganze Gemeinschaft und nicht nur für das Individuum. Des Weiteren schlägt das Konzept einen zivilisatorischen Wandel vor, heißt: Man muss den Kapitalismus überwinden, um neue Formen des Wirtschaftens zu erschaffen. Allen voran eine Wirtschaft, die im Einklang mit der Natur steht und die Bedürfnisse der Menschen und nicht die des Kapitals bedient.

Wie bereits angeklungen, spielt die Natur beim Buen Vivir eine zentrale Rolle. Hier gilt es zu verstehen, dass die Menschen ein integraler Bestandteil der Natur sind. Der Mensch muss also aufhören, die Natur zu beherrschen versuchen, denn sie ist keine unerschöpfliche Quelle.

Deshalb setzt sich das Konzept auch zur Aufgabe, die Natur und die Menschen einander anzunähern mit dem Ziel, die Natur zu entkommerzialisieren. Das bedeutet, die ökonomischen Ziele müssen der Funktionsweise der Ökosysteme untergeordnet werden. Also gilt es, die natürlichen Ressourcen nur insoweit zu nutzen, wie die Natur sie regenerieren kann. Hierzu fordert Acosta die Politik auf, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen, denn die Natur ist nicht bloßes Objekt des Eigentums.

Kurz darauf relativiert der Autor sein ‚Angebot‘ an die Politik mit dem Hinweis, es sei eine „komplexe Aufgabe“. Denn allein die Idee zu akzeptieren, braucht Zeit, sie auszuarbeiten, noch viel mehr. Selbst in Bolivien und in Ecuador, wo das Buen Vivir Teil der Verfassung ist, wird es immer schwieriger umzusetzen, da mittlerweile beide Regierungen neoextraktivistische Politik betreiben und sich der kapitalistischen Akkumulation verschrieben haben.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Buen Vivir kein fertig ausgearbeiteter Vorschlag ist, noch kann es globales Programm sein. Vielmehr bietet es eine Möglichkeit oder eine Grundlage, um kollektiv neue Lebensformen zu entwicklen. Es kann möglicherweise als Diskussionsplattform zur Entwicklung von Antworten auf beispielsweise die Effekte des Klimawandels und/oder die wachsenden sozialen Verwerfungen herangezogen werden.

Freitag, 7. Dezember 2018

APuZ zum Thema Müll

Eine Konsumgesellschaft ist immer auch eine Wegwerfgesellschaft. Deshalb kann nicht überraschen, dass wir dem Thema Müll im laufenden Semester schon mehrfach begegnet sind. Die aktuelle Ausgabe von "Aus Politik und Zeitgeschichte" (APuZ 49-50/2018) beleuchtet das Thema Müll aus unterschiedlichen Blickwinkeln:
  • Christof Mauch: Deponierte Schätze. Archäologien des Mülls als Spiegel der Gesellschaft - Essay - Müll und Weggeworfenes geben Aufschluss über Bedürfnisse und Wertvorstellungen, über einstmals Geschätztes und über das, was wir vergessen wollten. Dabei sind ihre Botschaften untrüglich, weil sie niemals dazu bestimmt waren, "gelesen" zu werden.
  • Henning Wilts: Was passiert mit unserem Müll? Nationaler Müllkreislauf und internationale Müllökonomie - Kein europäisches Land hat höhere Abfallverwertungsquoten als Deutschland. Aber was genau passiert eigentlich mit unserem Müll? In welchen Teilen der Welt wird er recycelt? Und wer hat Zugriff auf die Rohstoffe, die aus ihm zurückgewonnen werden?
  • Wolfgang Klett, Hagen Weishaupt: Müllgovernance in Deutschland und Europa - Die EU-Richtlinien bilden den Rahmen für die nationale Gesetzgebung zur Abfallwirtschaft. Das europäische Kreislaufwirtschaftspaket 2018 öffnet ein weiteres Kapitel der Rechts-entwicklung, die in Deutschland mit dem Abfallbeseitigungsgesetz 1972 begann.
  • Stefan Gäth, Frances Eck: Zur falschen Zeit am falschen Ort. Müll als Ressource - Die Dinge, die wir ausmustern und wegschmeißen, sind zugleich ein Fundus an Materialien und Stoffen, die sich wieder nutzbar machen ließen. Am Beispiel der Rohstoffe Phosphor, Kobalt und Kupfer wird deutlich, welche Bedeutung effizientes Recycling hat.
  • Laura Moisi: Müll als Strukturfaktor gesellschaftlicher Ungleichheitsbeziehungen - Die Wahrnehmung von Müll hängt stark von sozialen Erfahrungen und kulturellen Bewertungen ab. Vorstellungen von legitimen oder illegitimen Abfällen, von Schmutz und Reinheit haben daher auch Einfluss auf gesellschaftliche Grenzziehungen.
  • Roman Köster: Recycelte Sprachbilder. Kleine Geschichte deutscher Abfalldiskurse bis 1990 - Aktuelle Mülldebatten demonstrieren, dass die semantischen Gehalte der Abfalldebatten der 1970er und 1980er Jahre immer noch plausibel erscheinen. Die Rede über den Müll versetzt uns insofern in einen Modus der kritischen Reflexion über die moderne Lebensweise.
  • Olga Witt: Zero Waste. (K)ein Ding der Unmöglichkeit? - Essay - Keinen Müll kann es in unserer Gesellschaft nicht geben. Aber es könnte deutlich weniger Müll geben. In vielen Städten entstehen Läden, die Einkäufe ohne Verpackungen ermöglichen. Und auch sonst gibt es genügend Strategien, wie man seine Müllbilanz verbessern kann.

Montag, 26. November 2018

Film: Tomorrow - Die Welt ist voller Lösungen

Kurzer Filmtipp zum Wochenstart:
Tomorrow - Die Welt ist voller Lösungen
(http://www.tomorrow-derfilm.de/).

Französische Filmemacher können nicht glauben, dass die Welt gerade auf dem Weg in die Zerstörung ist - die Welt, die sie ihren Kindern überlassen. Daher suchen sie Lösungen. Lösungen, die heute schon existieren. Der Film bietet einen gut verständlichen und Mut machenden Überblick zum Thema Nachhaltigkeit. Im Amazon-Filmverleih (und ähnliche) für 3,99 Euro zum Leihen.
"Was, wenn jeder von uns dazu beitragen könnte? Als die Schauspielerin Mélanie Laurent („Inglourious Basterds“, „Beginners“) und der französische Aktivist Cyril Dion in der Zeitschrift „Nature“ eine Studie lesen, die den wahrscheinlichen Zusammenbruch unserer Zivilisation in den nächsten 40 Jahren voraussagt, wollen sie sich mit diesem Horror-Szenario nicht abfinden. Schnell ist ihnen jedoch klar, dass die bestehenden Ansätze nicht ausreichen, um einen breiten Teil der Bevölkerung zu inspirieren und zum Handeln zu bewegen. Also machen sich die beiden auf den Weg. Sie sprechen mit Experten und besuchen weltweit Projekte und Initiativen, die alternative ökologische, wirtschaftliche und demokratische Ideen verfolgen. Was sie finden, sind Antworten auf die dringendsten Fragen unserer Zeit. Und die Gewissheit, dass es eine andere Geschichte für unsere Zukunft geben kann." (Website des Films)