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Mittwoch, 17. Januar 2024

Gemeinwohl-Ökonomie in Höxter

In der ostwestfälischen Provinz Höxter setzen Unternehmer und Kommunalpolitiker sich aktiv für eine neue Form der Ökonomie ein. Dieser Wandel wurde initiiert, als der Apotheker Albrecht Binder dem Bürgermeister seiner Stadt das Buch "Gemeinwohlökonomie" von Christian Felber übergab. Christian Felber präsentiert in seinem Buch ein zukunftsweisendes Wirtschaftsmodell, das den Fokus von reinen Profiten auf das Wohlergehen aller Menschen legt. Es handelt sich um eine ethische Marktwirtschaft, die auf Kooperation statt Wettbewerb, Nachhaltigkeit statt Ausbeutung setzt.

Apotheker Binder setzt diese Vorstellungen bereits in seiner Apotheke um. Sieben Monate nach der Lektüre von Felbers Buch legte er die erste Gemeinwohl-Bilanz für seine Apotheke und drei Filialen vor. Dabei wurden Fragen zur ethischen Ausrichtung beantwortet, wie beispielsweise, ob Firmengelder bei einer Ethikbank angelegt sind oder wie umweltfreundlich die Angestellten zur Arbeit gelangen.

Im Mittelpunkt steht nicht der Umsatz und Gewinn, sondern unternehmerisches Handeln wird an Werten wie Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitspracherechten für die Angestellten gemessen. Ein Auditor überprüft diesen Bericht und vergibt Punkte.

Binder erreichte in der Bewertung 439 Punkte auf einer Skala von -3600 bis 1000. Diese positive Bewertung zeigt, dass er bereits erfolgreiche Schritte in Richtung einer nachhaltigen und sozial verantwortlichen Marktwirtschaft unternommen hat. Dazu gehören Maßnahmen wie die Verwendung eines Elektrofahrrads für Botenfahrten, kein Zeitarbeitspersonal oder die Nutzung von Recycling-Papier im Drucker.

Sonntag, 9. Juli 2023

Warum man als Liberaler jegliche Klimapolitik ablehnen sollte

Ich bin prinzipiell gegen Klimapolitik. Ich lehne also jeglichen staatlichen Einfluss auf den Ausstoß von CO₂ und anderen Treibhausgasen ab. Das ist natürlich eine Position, die stark im Widerspruch zum herrschenden Zeitgeist steht. Auch werden sich viele fragen: „Leugnet er etwa den anthropogenen Klimawandel?“, oder diese Position intuitiv als unmoralisch einstufen und sie in eine fragliche politische Ecke stellen. Diese Bedenken können bereits zu Beginn zerstreut werden: Sämtliche Daten, auf die hier Bezug genommen wird, stammen aus Quellen wie dem IPCC und anderen renommierten Stellen. Zuerst wird allerdings die moralische Grundlage erläutert, auf der mein Urteil zur Klimapolitik basiert.

Das moralische Fundament, welches als Grundlage der Bewertung dient, baut auf der Prämisse des klassisch-liberalen Minimalstaats auf. Dieser kümmert sich um innere, äußere sowie rechtliche Sicherheit. Sämtliche anderen Aspekte sind auf freiwilliger Basis durchgeführten zwischenmenschlichen Aktionen überlassen. Nur ein solches System kann meiner Meinung nach moralisch sein, weil es dem Menschen maximale Selbstbestimmung und Raum zur persönlichen Entfaltung ermöglicht und die Freiheits- und Eigentumsrechte des Individuums schützt. Auch reduziert es die politische Macht, die Gruppen und Individuen über andere gegen ihren Willen haben, auf ein Minimum und schafft damit tatsächliche rechtliche Gleichheit.

Hat man dies als Ideal, so leitet sich aus diesem Staatsverständnis ab, dass der Staat nicht das Recht hat, in Freiheits- und Eigentumsrechte einzugreifen, auch nicht zum Zwecke der Erreichung der CO₂-Neutralität. Damit ein Schadensersatzanspruch besteht, den ein solcher Staat im Rahmen der Rechtssicherheit durchsetzen darf, muss eine klar nachvollziehbare kausale Kette zwischen Schädiger und Geschädigtem ersichtlich sein. Dies ist bei CO₂-Ausstoß nicht der Fall. Anders als in einem Szenario, in welchem jemand giftige Stoffe in die Luft lässt, die andere gesundheitlich schädigen, oder durch das Kippen von Giftmüll in den Fluss fremdes Eigentum beschädigt wird, lässt sich eine direkte Kausalkette zwischen Geschädigtem und Schädiger beim CO₂-Ausstoß nicht feststellen.

CO₂ mag in seiner Summe zwar dafür sorgen, dass weniger Sonnenwärme zurück ins Weltall abgestrahlt wird und sich die Erde dadurch erhitzt, was zu Schaden führen kann, allerdings liegt das Verhalten des einzelnen Individuums unterhalb der Schwelle einer direkten Schädigung, weshalb das Verhalten in einem klassisch liberalen System nicht rechtlich belangbar wäre. Es kann also von einer Externalität gesprochen werden.

Eine Regulation derartiger Externalitäten kann sehr schnell totalitäre Züge annehmen. Jedes Verhalten hat über ein paar Ecken irgendeinen Einfluss auf das Leben und Eigentum anderer. Daher kann dies nicht der Maßstab sein, nach welchem der Staat legitim eingreifen darf. Sonst dürfte kein Flughafen oder Windrad mehr gebaut werden, weil sich immer jemand findet, dem dies zu nah an seinem Eigentum ist und es daher als Schädigung empfindet.

Der Mensch hätte faktisch keine Möglichkeit mehr, sich persönlich und technisch zu entfalten. Die Schwelle, ab wann von einem Eigentumsschaden gesprochen werden kann, und damit Schadenersatzanspruch besteht, muss sehr klar definiert und kausal nachvollziehbar sein. Handlungen, die unterhalb dieser Schwelle liegen, sollten daher rechtlich nicht belangbar sein und damit von dem Einfluss des Staates unberührt bleiben. Dies gilt auch dann, wenn dieser Staat eine demokratische Legitimation hat. Keine Mehrheit sollte in Freiheits- und Eigentumsrechte eingreifen dürfen, denn es handelt sich um Menschenrechte, die von einer liberalen Verfassung geschützt sein sollten. Derartige abstrakte moralische Begründungen und liberale Rechtsphilosophie werden vielen jedoch nicht als Argumente reichen.

„Aber was ist mit den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels? Was ist mit dem steigenden Meeresspiegel, den Hitzewellen, Extremwetterereignissen, den Klimaflüchtlingen und den Kipppunkten?“, werden sich viele an dieser Stelle fragen. Einige dieser Fragen lassen sich bereits mit heutigen technischen Möglichkeiten beantworten. So liegt bereits heute ein beachtlicher Teil der Niederlande unterhalb des Meeresspiegels. Die Lösung: Dämme. Für flache Pazifikinseln gibt es neben Dämmen auch die Möglichkeit des Aufschüttens. Auch dies wird bereits getätigt. Entsprechende Inseln sind aktuell sogar am Wachsen[1][2].

Auch gibt es bereits heute technische Möglichkeiten, um mit steigender Hitze umzugehen. Schon heute leben Menschen in sehr heißen Regionen in gut klimatisierten Städten wie Abu Dhabi. Das mag energieintensiv sein, aber gerade deshalb ist günstige Energie, die durch Klimapolitik verhindert wird, so essenziell.

Nichts erhöht den Wohlstand so sehr wie günstige Energie. Bestimmte Energieträger künstlich zu verknappen, verteuert Energie und damit im Grunde genommen alles Weitere und senkt den Lebensstandard. Daher sind fossile Energieträger aktuell unverzichtbar und sollten weder sanktioniert noch sollen andere Energieträger subventioniert werden. Gerade in Entwicklungsländern ist günstige Energie unverzichtbar. Weder können wir von den Entwicklungsländern verlangen, sich industriell einzuschränken, noch sollen wir aus eigenem Interesse, aber auch im Interesse der Dritten Welt auf billige Energie verzichten. Da wir in einer globalisierten Wirtschaft leben, leidet nämlich auch die Dritte Welt darunter, wenn der Traktor bei uns teurer in der Herstellung und damit höher im Preis ist.

Es ist klar, dass das Öl endlich ist. Dadurch wird es immer teurer, je weniger es davon gibt. Erneuerbare Energieträger werden sich über die Zeit entsprechend automatisch als dominante Form der Energiegewinnung durchsetzen. Dies ist jedoch ein natürlicher Prozess, der sich aus den Gesetzmäßigkeiten des Marktgeschehens ergibt und daher nicht politisch forciert werden muss, um möglichst schnell vonstatten zu gehen. Des Weiteren wird der technische Fortschritt ebenfalls zu einer Vergünstigung der Energie führen. Gerade die Kernfusion ist eine sehr aussichtsreiche Zukunftstechnologie[3]. Ebenfalls schreitet der technische Fortschritt im Bereich Carbon Capture weiter voran[4].

Zurück zur Hitze: Natürlich leidet der Mensch nicht nur direkt durch die Hitze, sondern auch dadurch, dass landwirtschaftliche Nutzflächen zur Nahrungsmittelproduktion verloren gehen. Aber auch hierfür gibt es technische Möglichkeiten: Mit der Hilfe von Gentechnik gibt es deutlich resistentere Pflanzen und höhere Erträge. Auch gibt es beispielsweise neuartige Formen der Landwirtschaft, wie das Vertical Farming[5]. Des Weiteren werden die Meere noch kaum als Agrarfläche benutzt, weil es sich aktuell noch nicht lohnt. Dies kann sich allerdings mit zunehmender Hitze ändern. Es mag sein, dass sich unsere Essgewohnheiten durch den Klimawandel verändern werden. Von Hungersnöten ist jedoch nicht auszugehen.

Bei den sich häufenden Extremwetterereignissen, die durch den Klimawandel begünstigt werden, muss man ebenfalls anmerken, dass die Menschheit immer besser auf diese vorbereitet ist. So ist beispielsweise in dem verhältnismäßig freien Land USA die Anzahl an Toten durch Klimaereignisse auf einem historischen Tiefpunkt[6]. Technischer Fortschritt und die ihn begünstigenden Faktoren kommen dabei zum Tragen.

In der wissenschaftlichen Diskussion um das Thema Klimaflucht gibt es zwei Lager: die Alarmisten, die hauptsächlich aus Naturwissenschaftlern bestehen, und die Skeptiker, die hauptsächlich aus der Migrationsforschung und den Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften stammen. Aus Reihen der Alarmisten stammt die wissenschaftlich fragwürdige Prognose, dass es bis zum Ende des 21. Jahrhundert angeblich 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben würde[7]. Die Gruppe, die man als „Skeptiker“ zusammenfasst, beschäftigt sich mit dem tatsächlichen Verhalten von Menschen. Auch wenn man alle Aspekte des wissenschaftlichen Diskurses im Auge haben sollte, so scheinen die Skeptiker deutlich verlässlichere Prognosen zu liefern.

Unter den Kipppunkten versteht man kritische Grenzen von Treibhausgasmengen in der Atmosphäre, bei deren Überschreiten Mechanismen in Gang gesetzt werden, die zu weiterer signifikanter Erwärmung führen. Ein Beispiel hierfür wären die Permafrostböden, deren Auftauen weiteres CO₂ in die Atmosphäre entlässt[8]. Bereits bei 1,5°C könnte ein solcher Kipppunkt überschritten sein[9]. Es gelte also zu verhindern, dass die Kipppunkte erreicht werden, indem das 1,5°-Ziel eingehalten wird – um jeden Preis.

Wirklich um jeden Preis? Schließlich wäre eine Abkehr von der liberalen Demokratie ein notwendiger Schritt, um dieses Ziel zu erreichen. Selbst zu Zeiten des Corona-Lockdowns, in der es zu einer enormen Verringerung des CO₂-Ausstoßes kam, hätte dies, wenn man es fortgeführt hätte, nicht gereicht, um das 1,5°-Ziel zu erreichen. Und die wirtschaftlichen Schäden und gesellschaftlichen Verwerfungen waren bereits extrem. Die Maßnahmen, die notwendig wären, um das 1,5°-Ziel zu erreichen, sind im Rahmen des jetzigen Systems entsprechend (glücklicherweise) nicht durchsetzbar.

Das „liberale“ in der liberalen Demokratie sollte nämlich vor gravierenden Freiheitseinschränkungen schützen, die zur Erreichung des Klimaziels notwendig wären. Die „Demokratie“ hat vermutlich zum Ergebnis, dass ein Großteil der Menschen nicht bereit sein werden, ihren Wohlstand für die Klimaziele aufzugeben, wie auch die kürzliche „Klimawahl“ in Berlin eindrücklich demonstriert hat[10].

Und selbst wenn all diese Faktoren nicht wären und es uns mit Hilfe autoritärer Maßnahmen und gesenktem Lebensstandard gelingen würde, das 1,5°-Ziel zu erreichen – das Land und wie es sich darin leben würde, wären für andere Länder ein mahnendes Beispiel, es uns niemals gleichzutun. Auch aktuell ist es bereits so, dass Klimapolitik zu Verwerfungen führt. Viele Länder ziehen nicht mit.

Es ist also davon auszugehen, dass die Kipppunkte in jedem Fall erreicht werden. Wir haben die Wahl, ob wir bis dahin unsere Freiheit und unseren Wohlstand opfern, oder einen besseren und sinnvolleren Weg einschlagen: Einen konsequenten Kapitalismus. Nur ein freier Markt begünstigt billige Energie und technischen Fortschritt, die uns für die Folgen des Klimawandels wappnen. Nur in Freiheit kann der Mensch ein glückliches Leben führen und sein schöpferisches Potenzial entfalten.

Quellen

  • [1] Low-lying Pacific islands 'growing not sinking', aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.bbc.com/news/10222679
  • [2] The Ever-Shifting—Not Necessarily Shrinking—Pacific Island Nations, aufgerufen am 09.07.2023 von https://hakaimagazine.com/news/the-ever-shifting-not-necessarily-shrinking-pacific-island-nations/
  • [3]Wissenschaftlicher Durchbruch bei Kernfusion, aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/durchbruch-kernfusion-100.html
  • [4]Carbon Capture and Storage, aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/gewaesser/grundwasser/nutzung-belastungen/carbon-capture-storage
  • [5] Vertical Farming – Landwirtschaft in der Senkrechten, aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-erleben/landwirtschaft-hautnah/in-der-stadt/vertical-farming-landwirtschaft-in-der-senkrechten
  • [6]Fatality rates in the US due to weather events, aufgerufen am 09.07.2023 von https://ourworldindata.org/grapher/fatality-rates-in-the-us-due-to-weather-events
  • [7]Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration, aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/282320/der-zusammenhang-zwischen-klimawandel-und-migration/
  • [8]Mechanisms and Impacts of Earth System Tipping Elements, aufgerufen am 09.07.2023 von https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2021RG000757
  • [9] IPCC (Hrsg.): Synthesis Report of the IPCC Sixth Assessment Report (AR 6) – Longer Version. März 2023, S. 42, aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2023/03/Doc5_Adopted_AR6_SYR_Longer_Report.pdf
  • [10]Klima-Volksentscheid gescheitert - Initiative verfehlt Quorum deutlich, aufgerufen am 09.07.2023 von https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/03/volksentscheid-berlin-klimaneutral-2030-wahlsonntag.html

Sonntag, 16. April 2023

Eine Kritik an „Sharing Economy: Gutes Teilen, schlechtes Teilen?“ von Reinhard Loske

In „Sharing Economy: Gutes Teilen, schlechtes Teilen?“ beschreibt Loske die „Ökonomie des Teilens“ und welche Aspekte daran er befürwortet und welche er ablehnt. Unter der Ökonomie des Teilens bzw. der Sharing Economy fallen Dienste wie beispielweise „Car, Bike oder Ride Sharing, Couchsurfing oder Kleidertausch, Urban Gardening oder Food Sharing, Crowdfunding oder Office Sharing, Coworking oder freie Software“[1]. Für die Prognose der zukünftigen Entwicklung der Sharing Economy stellt er eine pessimistische und eine optimistische Perspektive dar. Dabei stellt er meiner Meinung nach eine falsche Dichotomie auf, da beide Perspektiven, so wie er sie beschreibt, eine negative Grundeinstellung zu freien Märkten haben und er damit die Selbstverständlichkeit dieser Annahme impliziert. So heißt es bei der positiven Perspektive:

„Hier wird dem Sharing-Modus, der im gesellschaftlichen Alltag an die Stelle kompetitiver Grundorientierungen treten soll, eine transformative und letztlich systemsprengende Kraft zugeschrieben. Am Horizont erscheint nichts Geringeres als das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.“[2] 

Der Charakter der kompetitiven Grundorientierung, welcher umfangreiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Fortschritte mit sich brachte, wird hierbei als etwas Negatives gesehen. Dabei ist diesem Prinzip zu verdanken, dass der Wohlstand ein Level erreicht hat, welches Menschen dazu bewegt, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und sich Gedanken über Klima und Umwelt zu machen. Jene wären im Bewusstsein lediglich Sekundärerscheinungen, wenn sich das Lebensniveau auf einem niedrigeren Level befände, da dabei gänzlich andere Problematiken für die Menschen von Relevanz wären. In der negativen Perspektive heißt es:

„Im sogenannten Plattformkapitalismus drohe die Erosion sozialstaatlicher Errungenschaften und eine allumfassende Entsolidarisierung der Gesellschaft – also das exakte Gegenteil dessen, was die Sharing-Optimisten voraussehen. Was wir ehedem aus Empathie und ohne ökonomisches Kalkül taten, so die Befürchtung, machen wir in Zukunft nur noch aus Berechnung und gegen Geld.“[3] 

Auch hier wird ein falscher Dualismus aus Marktwirtschaft und ökonomisch sinnvollem Denken auf einer Seite und Aspekten wie Solidarität und Empathie auf der anderen Seite erstellt. Dies suggeriert, dass die Aspekte Solidarität und Empathie in einem freiheitlichen System verschwinden würden, sofern sie nicht staatlich erzwungen werden. Loske stellt seine eigene Position daraufhin als eine Art „vernünftige Mitte“ dar, auch wenn er ebenfalls auf der markwirtschaftskritischen Grundprämisse aufbaut:

„Die politische Gestaltungsaufgabe ist meines Erachtens eine dreifache: Wo Sharing gemeinwohlorientiert organisiert ist, hat Politik die Aufgabe, es zu fördern, zu stabilisieren und auch vor feindlichen Übernahmen zu schützen. Wo Sharing eine gewinnorientierte Wirtschaftsaktivität wie jede andere ist oder wird, sind durch adäquate Regulierung Wettbewerbsfairness, Steuergerechtigkeit und die Einhaltung von Sozial-, Sicherheits- und Umweltstandards zu gewährleisten. Wo wirtschafts- und sozialpolitische Grundsatzentscheidungen getroffen werden, sollte in Zukunft systematisch mitgedacht werden, ob sie eher zur Bildung von sozialem Kapital beitragen oder eher zu dessen Erosion.“[4]

Sein Lösungsansatz hat also meiner Meinung nach eher einen ideologischen Charakter, da sich seine Kritik weniger daran orientiert, was gut für die Umwelt ist, sondern sich direkt gegen kapitalistische Mechanismen richtet. Die sich aus dem Markt heraus gebildete Sharing Economy hat durchaus positive Aspekte für die Umwelt. Dies geht dem Autor jedoch nicht weit genug und so fordert er umfangreiche politische Interventionen in den Markt. Auch stellt er Marktwirtschaft in direkte Verbindung mit umweltschädlichem Verhalten, ohne dies kausal in einem zufriedenstellenden Maße zu begründen. 

Loske reiht sich damit unter jene ein, die das Narrativ vertreten, dass der Klimaschutz eine Legitimation dafür sei, in Freiheits- und Eigentumsrechte einzugreifen bzw. den Kapitalismus einzudämmen. Jeder, dem der Liberalismus und die Freiheit des Menschen etwas bedeuten, sollte sich diesem Narrativ konsequent entgegenstellen. 


[1] Loske, Reinhard (2015): Sharing Economy: Gutes Teilen, schlechtes Teilen?; in: Blätter für deutsche und internationale Politik (Hg.), Mehr geht nicht! Der Postwachstums-Reader, Blätter, S. 295.
[2] Ebenda S. 296
[3] Ebenda S. 296
[4] Ebenda S. 299

Samstag, 24. September 2022

Kapitalismus und Klimaschutz - Podcast mit Ulrike Herrmann

Gestern war die Wirtschaftsjournalistin (taz) Ulrike Herrmann zu Gast bei der SWR1-Sendung "Leute". Es lohnt sich, das Gespräch nachzuhören. Herrmann macht deutlich, dass grünes Wachstum eine Illusion ist und dass sich der Kapitalismus deshalb grundlegend in eine "Überlebenswirtschaft" weiterentwickeln muss. Für diese Transformation im Rahmen einer demokratischen Ordnung gibt es - wenn überhaupt - nur ein einziges historisches Vorbild, nämlich die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg. Den Podcast gibt es hier: "Was bedeutet "Überlebenswirtschaft" für uns?" Er kann als Anregung dienen, sich anhand des neuen Buches von Herrmann ("Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden", Kiepenheuer & Witsch 2022) genauer mit den Inhalten zu beschäftigen:


Donnerstag, 21. April 2022

Wie Kapitalismus, Wachstum und Klimawandel zusammenhängen

Der Klimawandel ist eines der größten und komplexesten Probleme unserer heutigen Zeit. In allen größeren Parteien Deutschlands findet man in den Programmpunkten einige Ansätze und Vorschläge, wie die schlimmsten Auswirkungen verhindert werden können. Und dennoch bekommen wir bereits heute die ersten Konsequenzen des Klimawandels zu spüren: Immer häufiger erreichen uns Nachrichten von riesigen Waldbränden, ausgelöst durch lange Hitzewellen, oder von Fluten, welche ganze Ortschaften zerstören. Und so steigt auch die Angst vieler Bürgerinnen und Bürger, die sich zunehmend direkt bedroht fühlen (vgl. Heeke 2021).

Diese zunehmend erlebte Gefährdung drückt sich auch in globalen Organisationen wie „Fridays for Future“ aus. Diese organisieren regelmäßig globale Streiks gegen den Klimawandel und fordern dabei immer wieder die Politik auf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Klima zu schützen (vgl. Fridays for Future 2022).

Doch obwohl das Problem des Klimawandels eine hohe mediale und politische Aufmerksamkeit genießt, reichen die Beschlüsse und Maßnahmen nicht aus, um das Problem zu lösen (vgl. Sadik 2020). Es scheint, als fehle der Wille oder die Kompetenz, um den Klimawandel wirklich wirksam zu bekämpfen. Doch warum ist dies so?

Was, wenn unsere gesamte Art zu leben, unser Wirtschaftssystem und unsere Werte gegen eine Bekämpfung des Klimawandels sprechen? Wie wirkt sich der Kapitalismus auf die Bekämpfung des Klimawandels aus? Als Antwort lautet die These dieser Arbeit: Der Kapitalismus teilt unsere Gesellschaft in zwei Gruppen auf: Personen mit und ohne Kapital. Dabei existiert ein Wachstumsgedanke in beiden Gruppen, welcher sich unterschiedlich bemerkbar macht, im Effekt jedoch die Lösung des Klimaproblems verhindert.

Donnerstag, 5. Dezember 2019

Schaubild zur Wachstumsgesellschaft

In den Seminaren zu Themen rund um Nachhaltigkeit ist das folgende Schaubild entstanden, das viele Aspekte der Gesellschaftsdiagnose zusammenfasst und das ich auf vielfachen Wunsch hier zur Verfügung stelle:


Dienstag, 1. Oktober 2019

Wohin geht eigentlich all die Zeit, die wir sparen?

Jegliche Technik lockt uns mit dem Versprechen, an irgendeiner Stelle Zeit einzusparen. Ob es nun das neue Küchengerät ist, welches mühsames Schneiden von Gemüse erleichtert, das Navigationsgerät, welches die schnellste Route mit unserem ebenso möglichst schnellen Auto empfiehlt, oder überhaupt erst das Auto im Gegensatz zur Kutsche. Zeitersparnisse versprechen ebenfalls der schnellere neue Computer, das schnellere Smartphone oder die schnellste Internetverbindung.

Gerade im Bereich der Kommunikation ist das Tempo geradezu unbeschreiblich. Mit einer Email sparen wir im Vergleich zum Brief mehr als die Hälfte der Zeit, durch Instant-Messenger kann bei einer Kurznachricht kaum noch von Zeitaufwand gesprochen werden. Wenn wir also an allen Ecken und Enden unseres Tagesablaufes Zeit sparen, drängt sich doch geradezu die Frage auf, wo all diese Zeit hingeht? Denn obwohl wir Zeit im Überfluss gewinnen, kennt doch jeder das Gefühl der Zeitnot. Ist das nicht paradox?

Diese Frage wird in der folgenden Arbeit beantwortet werden. Hierfür wird die Erfahrung des modernen Lebens unter dem Aspekt der sozialen Beschleunigung betrachtet. Auf Basis der Überlegungen Hartmut Rosas wird die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne thematisiert, um zu zeigen, inwiefern die soziale Beschleunigung das spätmoderne Leben durchdringt, und um zu klären, ob die Beschleunigung in der modernen Gesellschaft fest verankert ist. Leitfrage dieser Arbeit ist, ob die Beschleunigung als prägendes Merkmal der Moderne gilt und inwiefern die spätmoderne Gesellschaft dem Autonomieversprechen der Moderne gerecht wird.

Hierfür werden zunächst die verschiedenen Arten der Beschleunigung sowie ihre Motoren definiert, bevor die Entschleunigung thematisiert wird, um zu betrachten, inwiefern sie einen Gegentrend zur Beschleunigung darstellt. Darauffolgend wird das Erleben der Moderne analysiert und überprüft, inwiefern dieses als Beschleunigungserfahrung charakterisiert werden kann. Hierbei wird die Entwicklung der Zeitstrukturen im Verlauf der Moderne betrachtet, ebenso wie die Rolle der Gesellschaft gegenüber dem Individuum. Abschließend wird kritisch betrachtet, ob die Erfahrung des spätmodernen Lebens dem Ideal des selbstbestimmten Lebens entspricht.

Freitag, 5. Juli 2019

Klimawandelleugner – Versuch einer Erklärung

Im „Grundsatzpapier Klima“ der EIKE (Europäisches Institut für Klima und Energie), lässt sich auf die Frage, ob CO2 ein Lebenselixier oder Schadstoff sei, folgende Antwort finden:
„CO2 ist Grundbaustein der Photosynthese und damit Voraussetzung allen Lebens unserer Erde. Mit zunehmender CO2-Konzentration wachsen Pflanzen besser: Die Getreide-Erträge im Freiland steigen. Gewächshauskulturen werden zur Ertragssteigerung mit CO2 begast.“ (EIKE, Grundsatzpapier Klima).
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt dagegen Professor Mathias Frisch:
„Wer in Anbetracht des Forschungsstandes immer noch zweifelt, dass Kohlendioxid-Emissionen vorrangig für den gegenwärtigen Klimawandel verantwortlich sind, ist daher nicht ein kritisch-rationaler Skeptiker sondern ein Klimawandel-Leugner […]“ (Frisch 2019).
Aber auch von anderen Seiten werden die „skeptischen“ Stimmen immer lauter. Wer einen genaueren Blick in das Europawahlprogramm der ‚Alternative für Deutschland‘ wirft, wird unter dem Kapitel „Umweltschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“ folgendes Zitat finden:
„Der propagierte Ausbau der sogenannten Erneuerbaren Energien führt zu einer Vernichtung unserer Natur- und Kulturlandschaften.“ (Europawahlprogramm der AfD 2019).
Einer Studie der Denkfabrik ‚adelphi‘ zufolge ist dieses Phänomen europaweit zu erkennen:
„We found that party programmes seldom cover climate policy and if they do, the position is relatively simplistic or underdeveloped.“ (Convenient Truths Mapping climate agendas of right-wing populist parties in Europe 2019)
Noch interessanter ist ein anderes Ergebnis der Studie: 7 von 21 überprüften rechtspopulistischen Parteien dementieren den Klimawandel und den damit verbundenen Konsens in der Wissenschaft (vgl. ebd.). Dass der von Menschen gemachte Klimawandel (anthropogener Klimawandel) in der Wissenschaft beinahe unumstritten ist, bestätigt die Professorin Claudia Kemfert mit folgenden Worten:
„Natürlich, Diskurs gehört zur Wissenschaft. Aber wir streiten nur noch darüber, wie die Auswirkungen des Klimawandels genau aussehen werden (…). Im Grundsatz gibt es aber kein Erkenntnisproblem. Der menschengemachte Klimawandel gilt als zu 97 Prozent sicher.“ (Kemfert 2019)
Weiter unterstrichen wird diese Aussage durch den vom IPCC (Intergovernmantel Panel on Climate Change) veröffentlichten Sonderbericht über 1,5°C globale Erwärmung (eine auf Deutsch übersetzte Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger gibt es hier zu lesen). An dieser Stelle sollte bereits eine Dissonanz zwischen anerkannter Wissenschaft und Klimawandel-Leugnern ersichtlich geworden sein. In der Zeitschrift fluter zieht der Autor Bartholomäus von Laffert zu besagter Dissonanz folgenden Schluss:
„Und bis auf ein paar merkwürdige Ausnahmen sogenannter Klimawandel-Leugner bezweifeln wir auch nicht, dass er [der Klimawandel] menschengemacht ist (Anpassung F.L.).“ (Laffert 2019)
‚Merkwürdige Ausnahmen‘, diese Umschreibung klingt eher wie eine Art Euphemismus. Denn es handelt sich eben nicht um einzelne Ausnahmen, sondern um ein breites und auch organisiertes Netzwerk von Personen. Eine solche Beschönigung würde diesem Phänomen nicht gerecht werden und die Tragweite solcher ‚Skeptiker‘ verharmlosen.

So soll sich in diesem Beitrag nicht mit der Frage beschäftigt werden, ob es nun einen von Menschen erzeugten Klimawandel gibt oder nicht. Denn zu dieser Frage existiert bereits ein breiter Konsens in der Wissenschaft. Vielmehr soll es darum gehen, warum in Anbetracht des aktuellen Forschungsstandes immer noch eine Vielzahl an Strömungen existieren, welche die aktuellen Forschungsergebnisse anzweifeln und sogar bekämpfen oder auch vehement die Augen vor einer solchen Krise verschließen. Dabei muss erwähnt werden, dass diese Arbeit nicht den Anspruch auf eine vollständige Klärung dieses Phänomens erheben kann. Ziel ist es, mit diesem Beitrag weitere Überlegungen und Denkanstöße zu dieser Thematik zu ermöglichen.

Um sich dieser Thematik nähern zu können, soll wie folgt vorgegangen werden: Zu Beginn dieses Beitrages sollen rechtspopulistische Strömungen und deren Einstellung zum anthropogenen Klimawandel fokussiert werden. Danach sollen historische Aspekte der Klimawandel-Leugnung genauer betrachtet werden und es soll untersucht werden, welche wirtschaftlichen Interessengruppen dabei eine Rolle spielen. In einem letzten Schritt werden psychologische Faktoren zu Rate gezogen, um dieses Phänomen besser zu erklären.

Donnerstag, 13. Juni 2019

polis aktuell zu geplanter Obsoleszenz

Das Zentrum polis ist das österreichische Gegenstück zur deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Beide beschäftigen sich häufig mit Nachhaltigkeits-Themen. Passend zu unserer Beschäftigung mit der Wachstums- und Konsumgesellschaft ist nun ein "polis aktuell" zum Thema "Geplante Obsoleszenz" erschienen. Es handelt sich um die Ausgabe 3/2019, die ausgehend von der folgenden Seite heruntergeladen werden kann: https://www.politik-lernen.at/pa_geplanteobsoleszenz.

Donnerstag, 16. Mai 2019

Podcast: Wege in eine nachhaltige Zukunft

In der Reihe "Eine Stunde Talk" des Deutschlandfunks war gestern Maja Göpel zur Gast. Sie ist Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung globale Umweltveränderung. Im Podcast (39 min) geht es um die Frage, die wir uns im Seminar auch schon wiederholt gestellt haben, nämlich warum trotz eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse seit 30 Jahren nichts passiert. Anhören lohnt sich, wobei Sie sich die ersten 9:27 min sparen können (da geht es um die etwas alberne Frage, ob Maja Göpel lieber mit Greta Thunberg Monopoly spielen oder Trump beraten oder den Henker Heinz [!?] treffen möchte). Sie finden den Podcast hier...
Maja Göpel will dabei helfen, unseren Lebensstil im 21. Jahrhundert neu zu gestalten. Wie genau der aussieht, muss noch gar nicht klar sein. Sicher ist aber: Der Kapitalismus in seiner jetzigen Form hat ausgedient.

Montag, 7. Januar 2019

Buen Vivir - das gute Leben jenseits der Entwicklungsideologie

Ein Beitrag von Marius Kölly über folgenden Aufsatz:

Alberto Acosta: Vom guten Leben. Der Ausweg aus der Entwicklungsideologie; in: Blätter für deutsche und internationale Politik (Hg.) (2015), Mehr geht nicht! Der Postwachstums-Reader, Blätter, S. 191-197.

Der Autor beschäftigt sich zunächst mit dem Begriff der ‚Entwicklung‘ oder auch dem ‚Fortschritt‘ und prangert das Versprechen der Industrieländer (u.a. Truman) auf die „Entwicklung“ und deren Umsetzung an. Genauer gesagt, das Vorgehen der Industrieländer in den peripheren Regionen, z.B. durch Interventionen von IWF und Weltbank auf ökonomischer Ebene, aber auch durch militärische Aktionen. Diese Interventionen werden von den westlichen Industrieländern dadurch legitimiert, dass die „Durchsetzung der Demokratie“ als Voraussetzung für die Entwicklung unabdingbar ist.

Als der Glaube an Entwicklung dann aber zu bröckeln begann, hat man nach alternativen Entwicklungspfaden gesucht, ohne aber den Pfad der Entwicklung komplett zu verlassen, was der Autor sehr kritisch sieht, d.h. der Begriff der Entwicklung wurde mit Zweitnamen versehen: soziale Entwicklung, lokale Entwicklung, ländliche Entwicklung, nachhaltige Entwicklung, endogene Entwicklung, geschlechtergerechte Entwicklung. 

Vom Neoliberalismus zum Extraktivismus

Der Autor fährt mit seiner Kritik an der Entwicklungsideologie weiter fort. In den 80er und 90er Jahren kam es zu – vom Neoliberalismus inspirierten – Reformen, welche allerdings die soziale Ungleichheit und die Umweltprobleme weiter wachsen ließen. Solange, bis die sozialen Konflikte, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und der immer weiter zunehmende Marktradikalismus immer deutlicher wurden.

Dies führte in einigen Ländern Südamerikas zu einem politischen Wandel nach links und zur Ablehnung des Neoliberalismus. Folglich kam es zu neuen Entwicklungsstrategien, die die Ausbeutung der Rohstoffe und des Agrarlands für den Export verfolgten. Genannt „Extraktivismus des 21. Jahrhunderts.“ Mit diesem Wandel bleiben Probleme allerdings nicht aus. Der nun auf Konsum ausgerichtete und räuberische Lebensstil bedroht das globale ökologische Gleichgewicht und schließt immer mehr Menschen von den vermeintlichen Vorteilen der Entwicklung aus.

Auch hier findet der Autor weitere Ansätze zur Kritik. Laut Acosta akzeptieren die lateinamerikanischen Staaten soziale und ökologische Verwüstungen (z.B. im Bereich des industriellen Bergbaus), um den fortgeschrittenen, modernen Ländern nachzueifern. Man schaut zu, wie alles kommerzialisiert wird, während gleichzeitig die eigenen historischen und kulturellen Wurzeln verleugnet werden. Acosta plädiert dafür, dass die natürlichen Ressourcen nicht länger als Basis für wirtschaftliches Wachstum herhalten müssen.

Alternativen zur Entwicklungsideologie – das Konzept ‚Buen Vivir‘

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Lebensweise innerhalb des Kapitalismus überhaupt möglich ist, die von den politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechten sowie den Rechten der Natur angetrieben wird?

In diesem Zusammenhang stellt Acosta das Konzept Buen Vivir als Alternative zur Entwicklung bzw. als Grundlage für einen Diskurs über Alternativen zur Entwicklung vor. Buen Vivir entstand im Kontext indigenen Widerstands gegen den Kolonialismus und wird heute noch in einigen indigenen Gemeinden praktiziert. Als bekannteste Umsetzung des Konzepts gilt die Verfassung Ecuadors und Boliviens, denn hier ist Buen Vivir festgeschrieben.

Buen Vivir stellt das Konzept des Fortschritts und die auf hauptsächlich wirtschaftlichem Wachstum basierende Entwicklung in Frage. Beispielsweise gibt es in einigen indigenen Gemeinschaften gar keinen Begriff für ‚Entwicklung‘. Das Leben ist nach dieser Philosophie kein linearer Prozess mit einem Vorher und Nachher. Es gibt weder unterentwickelte noch entwickelte Phasen, welche die Menschen auf der Suche nach Wohlstand durchlaufen. Es gibt keine Konzepte von Armut und Reichtum.

Denn: Buen Vivir basiert auf der Ethik des „Ausreichenden“ – für die ganze Gemeinschaft und nicht nur für das Individuum. Des Weiteren schlägt das Konzept einen zivilisatorischen Wandel vor, heißt: Man muss den Kapitalismus überwinden, um neue Formen des Wirtschaftens zu erschaffen. Allen voran eine Wirtschaft, die im Einklang mit der Natur steht und die Bedürfnisse der Menschen und nicht die des Kapitals bedient.

Wie bereits angeklungen, spielt die Natur beim Buen Vivir eine zentrale Rolle. Hier gilt es zu verstehen, dass die Menschen ein integraler Bestandteil der Natur sind. Der Mensch muss also aufhören, die Natur zu beherrschen versuchen, denn sie ist keine unerschöpfliche Quelle.

Deshalb setzt sich das Konzept auch zur Aufgabe, die Natur und die Menschen einander anzunähern mit dem Ziel, die Natur zu entkommerzialisieren. Das bedeutet, die ökonomischen Ziele müssen der Funktionsweise der Ökosysteme untergeordnet werden. Also gilt es, die natürlichen Ressourcen nur insoweit zu nutzen, wie die Natur sie regenerieren kann. Hierzu fordert Acosta die Politik auf, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen, denn die Natur ist nicht bloßes Objekt des Eigentums.

Kurz darauf relativiert der Autor sein ‚Angebot‘ an die Politik mit dem Hinweis, es sei eine „komplexe Aufgabe“. Denn allein die Idee zu akzeptieren, braucht Zeit, sie auszuarbeiten, noch viel mehr. Selbst in Bolivien und in Ecuador, wo das Buen Vivir Teil der Verfassung ist, wird es immer schwieriger umzusetzen, da mittlerweile beide Regierungen neoextraktivistische Politik betreiben und sich der kapitalistischen Akkumulation verschrieben haben.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Buen Vivir kein fertig ausgearbeiteter Vorschlag ist, noch kann es globales Programm sein. Vielmehr bietet es eine Möglichkeit oder eine Grundlage, um kollektiv neue Lebensformen zu entwicklen. Es kann möglicherweise als Diskussionsplattform zur Entwicklung von Antworten auf beispielsweise die Effekte des Klimawandels und/oder die wachsenden sozialen Verwerfungen herangezogen werden.

Montag, 19. November 2018

Zeit für Utopien

„Zeit für Utopien“ ist ein Film von Kurt Langbein, der im April 2018 in deutschen Kinos zu sehen war. In der Dokumentation werden verschiedenen alternative Projekte vorgestellt, die gegen das bestehende Wirtschaftssystem konzipiert wurden.



Hierzu zählt zum Beispiel das Selbstversorgungssystem „Hansalim“ aus Südkorea, das seine Mitglieder stets mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln versorgt. Oder ein effizienter, schadstofffreier Wohnkomplex in Zürich, der Familien ermöglicht, weniger als eine Tonne CO² pro Jahr zu verbrauchen. Auch das Unternehmen „Fairphone“ versucht, durch enge Zusammenarbeit mit ihren Zulieferern ein leicht reparier- und recycelbares Smartphone zu produzieren und somit Menschen zu ermöglichen, ihr Smartphone länger zu erhalten und der Umwelt die Schäden durch die derzeitige Smartphone-Produktion zu ersparen.

Auch äußern sich in der Dokumentation einige Wissenschaftler/innen zu dem Thema Kapitalismus und Nachhaltigkeit. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Herrmann beispielsweise weist darauf hin, dass das System des Kapitalismus droht an die Wand zu fahren. Hierbei spielen zwei Parameter eine wichtige Rolle: die Belastbarkeit der Umwelt und die Endlichkeit der Ressourcen.

Joachim Bauer, ein Neurowissenschaftler, ist der Meinung, dass ein wichtiges Bedürfnis des Menschen ist, mit der Welt in Resonanz zu stehen. Die derzeitigen Produktionsbedingungen sollen ihm zufolge diesen Resonanzkreislauf zerstören. Da Menschen aber aus Sicht des Wissenschaftlers soziale Wesen und somit auf Kooperation angewiesen sind, können Projekte, wie die im Film vorgestellten, durchaus einen Fortschritt erzielen.

Die Dokumentation ist sehenswert, da sie Beispiele aufzeigt, wie Menschen es schaffen, durch Kooperation etwas Großes zu erschaffen, was sowohl für die Menschen selbst als auch für die Umwelt vorteilhaft sein kann. Außerdem sind einige in der Dokumentation genannten Fakten durchaus interessant und regen zum Nachdenken an.

Donnerstag, 14. Dezember 2017

Veranstaltungshinweis: Stephan Lessenich in Stuttgart

Der Soziologe Stephan Lessenich wird sein Buch "Neben uns die Sintflut: Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis" vorstellen. Wer seine Texte kennt, weiß, dass er ein scharfer Kritiker der bestehenden Verhältnisse ist und der Vortrag sicher gut zu unserem Seminar passt. Die Veranstaltung des BUND findet am Freitag, den 15.12.2017 um 18:00 Uhr im Bürgerzentrum West in der Bebelstr. 22 in Stuttgart statt. Mehr Informationen gibt es auf der Website des Weltladens an der Planie, von der auch das folgende Zitat stammt:
Alles zu haben und noch mehr zu wollen, den eigenen Wohlstand zu wahren, indem man ihn anderen vorenthält: Das ist das heimliche Lebensmotto der reichen industriekapitalistischen Gesellschaften. Großen Bevölkerungsmehrheiten in diesen Gesellschaften geht es gut, weil es den Menschen in anderen Weltregionen schlecht geht.
Das Buch wurde hier im Blog bereits vorgestellt...

Mittwoch, 11. Oktober 2017

Haben Solidarität und soziale Bindungen in der Konsumgesellschaft eine Chance? - "Leben als Konsum" von Zygmunt Bauman

„Ich shoppe, also bin ich..." - Ein treffendes Zitat aus dem Klappentext von Zygmunt Baumans Buch über die Gesellschaft, in der wir uns befinden. Er beschreibt den Wandel der Gesellschaft von Produzenten hin zu einer Gesellschaft von Konsumenten und untersucht die Auswirkungen von Haltungen und Verhaltensmustern unserer Gesellschaft, geprägt durch den uns umgebenden Konsum, in verschiedenen Aspekten des sozialen Lebens.

Politik und Demokratie, soziale Spaltungen und Schichtungen, Gemeinschaften und Partnerschaften, Identitätsbildung sowie die Produktion und der Gebrauch von Wissen und Wertorientierung scheinen im ersten Moment nicht miteinander verbunden, Bauman zeigt aber die einzelnen Verkettungen der Bereiche detailliert auf.

Obwohl der leider Anfang dieses Jahres im Alter von 91 Jahren verstorbene Zygmunt Bauman das Buch "Leben als Konsum" ("Consuming Life" im englischen Original) bereits vor 10 Jahren veröffentlicht hat, hat es bis heute rein gar nichts an Aktualität und Aussagekraft eingebüßt.

Bauman war die moralische Stimme, die sich für die Globalisierungsverlierer, die Armen und Enteigneten dieser Welt einsetzte, die durch die Raster der Konsumgesellschaft gefallen waren. Er galt als einer der produktivsten und prominentesten Soziologen Europas und zeichnete sich als Kritiker aus, der immer wieder Einfluss auf den gesellschaftspolitischen Diskurs der Konsumgesellschaft ausübte. Bereits in den 90er- Jahren setzte seine Kritik an der Konsumgesellschaft an, und er prägte Begriffe wie z.B. die flüchtige Moderne.

Eben diese flüchtige Moderne, die schnell und radikal ist, sieht Bauman als Grundlage der Konsumgesellschaft. Existenzielle Ängste und Verunsicherung, ausgelöst durch sich verflüchtigende soziale Strukturen und Beziehungen, noch bevor aus ihnen stützende Formen werden können, zeigen sich die Auswirkungen des schnellen Genusses der Konsumgesellschaft bis in unsere intimsten Bereiche des Lebens.

Freitag, 29. September 2017

Aus Gebern und Nehmern werden Partner - nachhaltige Entwicklungspolitik in Afrika?

Das Jahr 2017 ist nicht nur das Jahr der Reformation – welche sich zum 500sten Mal jährt – sondern auch das Afrikajahr Deutschlands und der EU. Das Afrikajahr 2017 soll dazu dienen, alte Konzepte zu reformieren, zwar nicht im Sinne von Martin Luther, jedoch im Sinne eines neuen Partnerschaftsvertrages.

Die neue Partnerschaft soll den Cotonou-Vertrag ablösen und eine neue Grundlage der Zusammenarbeit schaffen. Die Schwerpunkte dieses "Marshall-Plans" liegen auf den Gebieten „fairer Handel“, „mehr private Investoren“, „mehr wirtschaftliche Entwicklung“, und „unternehmerische Entfaltung“, außerdem soll dieser Plan zu mehr Jobs und mehr Beschäftigung führen. Der zentrale Begriff des Planes ist Zusammenarbeit, innerhalb welcher die EU und ihre Mitgliedstaaten als „gleichberechtigte Partner zur Verfügung“ stehen sollen.
„Ziel ist ein prosperierendes Afrika, dessen Entwicklung alle einbeziehen und von den Potenzialen der eigenen Bevölkerung vorangetrieben wird.“
Weiter heißt es, man wolle afrikanische Lösungen für afrikanische Herausforderungen (vgl. BMZ 2017, S. 5). Diese „neue Dimension der Zusammenarbeit“ scheint reformatorisch zu sein. Doch stellt man sich in diesem Zusammenhang die Frage: Wie kann nachhaltige Afrikapolitik aussehen und wie soll diese gestaltet werden?

Dienstag, 27. Juni 2017

Analyse der Externalisierungsgesellschaft

"Neben uns die Sintflut" ist der eindrückliche Titel (Untertitel: "Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis"), den der Soziologe Stephan Lessenich seiner treffenden Diagnose unserer Gesellschaft gegeben hat. Das Buch ist 2016 im Carl Hanser Verlag erschienen, zwischenzeitlich auch als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe Band 10010) erhältlich und unbedingt lesenswert.

Zentrale Aussage ist, dass es uns gut geht, weil es anderen schlecht geht. Glück und Unglück müssen in Tateinheit betrachtet werden. So schreibt der Autor hinsichtlich der Ziele, die er mit dem Buch verfolgt:
"Ebendiese Doppelgeschichte soll hier in den Blick genommen werden. Es geht um den Einblick in Zusammenhänge, die Einsicht in Abhängigkeiten, in globale Beziehungsstrukturen und Wechselwirkungen. Es geht um die andere Seite der westlichen Moderne, um ihr 'dunkles Gesicht', um ihre Verankerung in den Strukturen und Mechanismen kolonialer Herrschaft über den Rest der Welt. Es geht um Reichtumsproduktion auf Kosten und um Wohlstandsgenuss zu Lasten anderer, um die Auslagerung der Kosten und Lasten des 'Fortschritts'. Und es geht noch um eine weitere, dritte Geschichte: um die Abwehr des Wissens um ebendiese Doppelgeschichte, um deren Verdrängung aus unserem Bewusstsein, um ihre Tilgung aus den gesellschaftlichen Erzählungen individuellen und kollektiven 'Erfolgs'. Wer von unserem Wohlstand hierzulande redet, dürfte von den damit verbundenen, verwobenen, ja ursächlich zusammenhängenden Nöten anderer Menschen andernorts nicht schweigen. Genau das aber ist es, was ununterbrochen geschieht." (S. 17)
Im weiteren Verlauf des Textes wird Lessenich noch deutlicher, wenn er schreibt: "Gegen ebenjenes Vergessen aber richtet sich dieses Buch" (S. 24). Es geht darum, die Mechanismen und Strukturen darzustellen, die zu der perversen "internationalen Arbeitsteilung" geführt haben, die sich so beschreiben lässt:
"Wir haben uns aufs Gewinnen spezialisiert - und die anderen aufs Verlieren festgelegt." (S. 25)
Die Anzeichen mehren sich, dass Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Weltmaßstab immer mehr Menschen Unbehagen bereitet.
"Diesem einstweilen noch unterschwelligen, aber - so die Vermutung - zunehmend um sich greifenden Unbehagen an der Externalisierungsgesellschaft und ihrem Preis will das vorliegende Buch Ausdruck und Auftrieb geben." (S. 29)
Es geht Lessenich also um "eine Gegenwartssoziologie der Externalisierungsgesellschaft" (S. 50), wobei er diesen zentralen Begriff entlang der drei zentralen Kategorien von Macht, Ausbeutung und Habitus folgendermaßen definiert:
"In der Externalisierungsgesellschaft besteht Macht in der Chance, die Kosten der eigenen Lebensführung auf andere abzuwälzen - und diese Chance ist strukturell ungleich verteilt. Sie ist dies, weil es bestimmten sozialen Kollektiven gelungen ist, sich Möglichkeiten zur Externalisierung anzueignen und sie zugleich anderen vorzuenthalten. Diese anderen werden von den machtvollen Positionen aus ausgebeutet, insofern sie vorrangig die Kosten der Externalisierung zu tragen haben, von den Profiten derselben aber dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Sozial wirksam und gesellschaftlich stabilisiert werden Machtungleichgewicht und Ausbeutungsdynamik in der Externalisierungsgesellschaft durch einen spezifischen Habitus derjenigen, die aus machtvollen Positionen heraus ausbeuterisch handeln: Externalisierung wird für sie zu einer sozialen Praxis, die sie als möglich, üblich und legitim wahrnehmen und daher wie selbstverständlich vollziehen." (S. 62f., eigene Hervorhebung)
Auf den Seiten 179/180 bilanziert der Autor seine Analyse. In zwei Anläufen habe er zu ergründen versucht, wie es sich mit Wohlstand und "Übelstand" verhält:
"Zunächst wurde gezeigt, wie die gesamte (...) Lebensführung in den reichen Gesellschaften des globalen Nordens auf einem schon seit langem praktizierten, großangelegten System ungleichen Tauschs beruht: In weiter Ferne, an den vielen Peripherien der kapitalistischen Weltökonomie, werden Arbeiten erbracht, Ressourcen gefördert, Giftstoffe freigesetzt, Abfälle gelagert, Landstriche verwüstet, Sozialräume zerstört, Menschen getötet - für uns, für die Menschen in den Zentren des Wohlstands, für die Ermöglichung und Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards, ihrer Lebenschancen, ihres Lebensstils." (S. 179f.)
Der zweite Schritt besteht darin, das Mobilitätsregime dieser globalen Formation in den Blick zu nehmen. Hier kommt Lessenich zu folgender Einschätzung:
"Sodann wurde in einem zweiten Schritt nachgezeichnet, wie sich diese Zentren des Wohlstands von der sie nährenden und entlastenden Außenwelt abschließen, oder genauer: wie sie 'fremde' Lebenswelten als ein 'Außen' konstruieren, auf das sie zur Sicherung ihrer Lebensweise zugreifen können, ohne selbst jedoch von diesem in ihrer Integrität berührt zu werden. Die Beziehungen zwischen Zentren und Peripherien sind nach dem Prinzip der Halbdurchlässigkeit gestaltet: Während nach 'außen' viel geht, soll nur wenig nach 'innen' gelangen. Die globale Mobilitätskluft zugunsten des globalen Nordens ist dafür ein treffendes Beispiel: Die eine Hälfte der Welt bereist kollektiv die andere, eröffnet dieser aber nur einen höchst selektiven Zugang zu ihrem eigenen Wirtschafts- und Sozialraum. Wie die Lebens- sind auch die Bewegungschancen offensichtlich global teilbar - und effektiv geteilt. Was den einen möglich ist, bleibt den anderen verwehrt: Das nennt sich dann das Zeitalter der 'Globalisierung'." (S. 180)
In dieser Analyse bestand das Hauptanliegen des Buches. Hinzu kam das Ziel, mit "der Schweigespirale des Wohlstandskapitalismus" (S. 192) zu brechen. Was mögliche Reaktionen auf die dargestellte schreiende Ungerechtigkeit betrifft, beschränkt sich Lessenich auf einige Andeutungen zur "radikalen institutionellen Reform der Externalisierungsgesellschaft" (S. 195):
"...von einer mit den Privilegien der Zentrumsökonomien brechenden Revision des Welthandelsregimes, einer effektiven Besteuerung weltweiter Finanztransaktionen und einem Umbau der reichen Volkswirtschaften in Postwachstumsökonomien bis hin zu einem Sozialvertrag zur Verzögerung des Klimawandels (...) und einer transnationalen Rechtspolitik, die globale soziale Rechte wirkungsvoll verankert. Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, liefe eine solche Reform auf eine konsequente Politik der doppelten Umverteilung hinaus: im nationalgesellschaftlichen wie im weltgesellschaftlichen Maßstab, von oben nach unten und von 'innen' nach 'außen'." (S. 195)

Dienstag, 13. Juni 2017

"Guter Kunde, böser Kunde - Über das Für und Wider «ethischen» Konsums"

https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Argumente/lux_argu_13_GuterKunde-BoeserKunde.pdf - Die Rosa Luxemburg Stiftung hat einen Reader herausgebracht, bei dem aus kapitalismuskritischer Perspektive die gängigen Argumente für nachhaltigen Konsum "überprüft" werden. Dazu schreiben sie:
"Vieles deutet darauf hin, dass die Idee der «Konsumentenmacht» gescheitert ist, schließlich ist der Kapitalismus in den letzten Jahren kaum nachhaltiger und gerechter geworden. Woran liegt’s? Nur am falschen Bewusstsein? Worin besteht die Macht von «König Kunde» und wie weit reicht sie tatsächlich? Was können Einzelne mit ihrem verantwortungsvollen Einkauf beitragen und was braucht es, um die Welt nicht nur zu verändern, sondern doch noch zu retten? Diese Fragen sollen im Folgenden anhand einiger beliebter Behauptungen beleuchtet werden."

Donnerstag, 8. Juni 2017

Zeit Online: Serie zur Konsumgesellschaft

Heute ist auf Zeit Online ein ausführlicher und lesenswerter Artikel von Nils Markwardt erschienen, der sich sehr gut eignet, um die Thematik der vergangenen Sitzung(en), die Charakteristika der Konsumgesellschaft, nachzubereiten. Der Beitrag mit dem Titel "Wir sind Konsumnation" bildet den Auftakt zu einer ganzen Serie zum Thema, die mit "Kaufen, kaufen, kaufen" überschrieben ist. Man darf auf die künftigen Beiträge gespannt sein...

Dienstag, 6. Juni 2017

Lessenich: Analyse der Externalisierungsgesellschaft

"Neben uns die Sintflut" ist der eindrückliche Titel (Untertitel: "Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis"), den der Soziologe Stephan Lessenich seiner treffenden Diagnose unserer Gesellschaft gegeben hat. Das Buch ist 2016 im Carl Hanser Verlag erschienen, zwischenzeitlich auch als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe Band 10010) erhältlich und unbedingt lesenswert.

Zentrale Aussage ist, dass es uns gut geht, weil es anderen schlecht geht. Glück und Unglück müssen in Tateinheit betrachtet werden. So schreibt der Autor hinsichtlich der Ziele, die er mit dem Buch verfolgt:
"Ebendiese Doppelgeschichte soll hier in den Blick genommen werden. Es geht um den Einblick in Zusammenhänge, die Einsicht in Abhängigkeiten, in globale Beziehungsstrukturen und Wechselwirkungen. Es geht um die andere Seite der westlichen Moderne, um ihr 'dunkles Gesicht', um ihre Verankerung in den Strukturen und Mechanismen kolonialer Herrschaft über den Rest der Welt. Es geht um Reichtumsproduktion auf Kosten und um Wohlstandsgenuss zu Lasten anderer, um die Auslagerung der Kosten und Lasten des 'Fortschritts'. Und es geht noch um eine weitere, dritte Geschichte: um die Abwehr des Wissens um ebendiese Doppelgeschichte, um deren Verdrängung aus unserem Bewusstsein, um ihre Tilgung aus den gesellschaftlichen Erzählungen individuellen und kollektiven 'Erfolgs'. Wer von unserem Wohlstand hierzulande redet, dürfte von den damit verbundenen, verwobenen, ja ursächlich zusammenhängenden Nöten anderer Menschen andernorts nicht schweigen. Genau das aber ist es, was ununterbrochen geschieht." (S. 17)
Im weiteren Verlauf des Textes wird Lessenich noch deutlicher, wenn er schreibt: "Gegen ebenjenes Vergessen aber richtet sich dieses Buch" (S. 24). Es geht darum, die Mechanismen und Strukturen darzustellen, die zu der perversen "internationalen Arbeitsteilung" geführt haben, die sich so beschreiben lässt:
"Wir haben uns aufs Gewinnen spezialisiert - und die anderen aufs Verlieren festgelegt." (S. 25)
Die Anzeichen mehren sich, dass Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Weltmaßstab immer mehr Menschen Unbehagen bereitet.
"Diesem einstweilen noch unterschwelligen, aber - so die Vermutung - zunehmend um sich greifenden Unbehagen an der Externalisierungsgesellschaft und ihrem Preis will das vorliegende Buch Ausdruck und Auftrieb geben." (S. 29)
Es geht Lessenich also um "eine Gegenwartssoziologie der Externalisierungsgesellschaft" (S. 50), wobei er diesen zentralen Begriff entlang der drei zentralen Kategorien von Macht, Ausbeutung und Habitus folgendermaßen definiert:
"In der Externalisierungsgesellschaft besteht Macht in der Chance, die Kosten der eigenen Lebensführung auf andere abzuwälzen - und diese Chance ist strukturell ungleich verteilt. Sie ist dies, weil es bestimmten sozialen Kollektiven gelungen ist, sich Möglichkeiten zur Externalisierung anzueignen und sie zugleich anderen vorzuenthalten. Diese anderen werden von den machtvollen Positionen aus ausgebeutet, insofern sie vorrangig die Kosten der Externalisierung zu tragen haben, von den Profiten derselben aber dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Sozial wirksam und gesellschaftlich stabilisiert werden Machtungleichgewicht und Ausbeutungsdynamik in der Externalisierungsgesellschaft durch einen spezifischen Habitus derjenigen, die aus machtvollen Positionen heraus ausbeuterisch handeln: Externalisierung wird für sie zu einer sozialen Praxis, die sie als möglich, üblich und legitim wahrnehmen und daher wie selbstverständlich vollziehen." (S. 62f., eigene Hervorhebung)
Auf den Seiten 179/180 bilanziert der Autor seine Analyse. In zwei Anläufen habe er zu ergründen versucht, wie es sich mit Wohlstand und "Übelstand" verhält:
"Zunächst wurde gezeigt, wie die gesamte (...) Lebensführung in den reichen Gesellschaften des globalen Nordens auf einem schon seit langem praktizierten, großangelegten System ungleichen Tauschs beruht: In weiter Ferne, an den vielen Peripherien der kapitalistischen Weltökonomie, werden Arbeiten erbracht, Ressourcen gefördert, Giftstoffe freigesetzt, Abfälle gelagert, Landstriche verwüstet, Sozialräume zerstört, Menschen getötet - für uns, für die Menschen in den Zentren des Wohlstands, für die Ermöglichung und Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards, ihrer Lebenschancen, ihres Lebensstils." (S. 179f.)
Der zweite Schritt besteht darin, das Mobilitätsregime dieser globalen Formation in den Blick zu nehmen. Hier kommt Lessenich zu folgender Einschätzung:
"Sodann wurde in einem zweiten Schritt nachgezeichnet, wie sich diese Zentren des Wohlstands von der sie nährenden und entlastenden Außenwelt abschließen, oder genauer: wie sie 'fremde' Lebenswelten als ein 'Außen' konstruieren, auf das sie zur Sicherung ihrer Lebensweise zugreifen können, ohne selbst jedoch von diesem in ihrer Integrität berührt zu werden. Die Beziehungen zwischen Zentren und Peripherien sind nach dem Prinzip der Halbdurchlässigkeit gestaltet: Während nach 'außen' viel geht, soll nur wenig nach 'innen' gelangen. Die globale Mobilitätskluft zugunsten des globalen Nordens ist dafür ein treffendes Beispiel: Die eine Hälfte der Welt bereist kollektiv die andere, eröffnet dieser aber nur einen höchst selektiven Zugang zu ihrem eigenen Wirtschafts- und Sozialraum. Wie die Lebens- sind auch die Bewegungschancen offensichtlich global teilbar - und effektiv geteilt. Was den einen möglich ist, bleibt den anderen verwehrt: Das nennt sich dann das Zeitalter der 'Globalisierung'." (S. 180)
In dieser Analyse bestand das Hauptanliegen des Buches. Hinzu kam das Ziel, mit "der Schweigespirale des Wohlstandskapitalismus" (S. 192) zu brechen. Was mögliche Reaktionen auf die dargestellte schreiende Ungerechtigkeit betrifft, beschränkt sich Lessenich auf einige Andeutungen zur "radikalen institutionellen Reform der Externalisierungsgesellschaft" (S. 195):
"...von einer mit den Privilegien der Zentrumsökonomien brechenden Revision des Welthandelsregimes, einer effektiven Besteuerung weltweiter Finanztransaktionen und einem Umbau der reichen Volkswirtschaften in Postwachstumsökonomien bis hin zu einem Sozialvertrag zur Verzögerung des Klimawandels (...) und einer transnationalen Rechtspolitik, die globale soziale Rechte wirkungsvoll verankert. Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, liefe eine solche Reform auf eine konsequente Politik der doppelten Umverteilung hinaus: im nationalgesellschaftlichen wie im weltgesellschaftlichen Maßstab, von oben nach unten und von 'innen' nach 'außen'." (S. 195)

Mittwoch, 15. März 2017

Naomi Klein: Kapitalismus und Klimawandel

Naomi Klein, eine der führenden Denkerinnen der (damals so genannten) Anti-Globalisierungs-Bewegung und Autorin des einflussreichen Buches "No Logo!", hat ein neues Buch veröffentlicht, das auch auf deutsch erschienen ist: "Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima".

Der englische Originaltitel "This Changes Everything" verweist noch deutlicher auf das zentrale Thema, nämlich die immer offener zutage tretende Unmöglichkeit, den Klimawandel im Rahmen der vorherrschenden Wirtschaftsweise (wachstumsorientierter Kapitalismus) zu bekämpfen oder auch nur zu begrenzen. In einer Rezension auf dem Blog der LSE (London School of Economics and Political Science) heißt es:
Naomi Klein in her new book This Changes Everything presents a new way of looking at two major problems: disaster capitalism and climate change. Klein’s argument is that, while the majority of people think climate change is a threat, “we have not done the things that are necessary to lower emissions because those things fundamentally conflict with deregulated capitalism” which is the “reigning ideology” of our time (p. 18). At the heart of the book Klein is supplying society with a challenge: are we on the right path, are we doing the right things for ourselves and for the future, and is this the best we can be? Arguably her core message is one of social and environmental justice: “the solution to global warming is not to fix the world, but to fix ourselves” (p. 279).