Dienstag, 18. April 2023

Leben über die Verhältnisse anderer: Die Externalisierungsgesellschaft

„Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.“ (Eduardo Galeano, 1973)

Stephan Lessenich (2016) bezeichnet Externalisieren als Vorgang der Verlagerung. Im politischen Kontext bedeutet dies konkret: hochindustrialisierte, wohlhabende Gesellschaften lagern unangenehme negative Effekte in weniger wohlhabende Regionen der Welt aus (ebd., S. 24). Dabei ist diese Auslagerung kein willkürliches Nebenprodukt politischer Maßnahmen hochentwickelter Nationen: sie wird viel mehr willentlich und systematisch in Folge der Konsumgesellschaft einkalkuliert, um kostengünstiges und massenhaftes Produzieren weiterhin zu ermöglichen.

Konkret: Externalisierung geht auf Kosten und zu Lasten anderer. So kann insbesondere der Globale Norden als große Externalisierungsgesellschaft bezeichnet werden. Von Niedriglohnarbeit über Müllentsorgung bis hin zur Landnutzung und Luftverschmutzung – die Auslagerung in weniger wohlhabende Regionen der Erde ist keineswegs neu, sondern geht auf die lange Historie des Wohlstandskapitalismus im Globalen Norden zurück.

Der von Lessenich als „ungleicher ökologischer Tausch“ bezeichnete Umstand regt zum Nachdenken an: All die positiven, mit vielen Annehmlichkeiten verbundenen Effekte der kapitalistischen Kolonialisierung hängen damit zusammen, dass anderen Menschen diese Annehmlichkeiten systematisch und bewusst vorenthalten werden: seinen landwirtschaftlichen Flächenbedarf exportiert Deutschland, beispielsweise zum Anbau von Soja, in Agrargesellschaften, die ihre eigenen Flächen so maßgeblich für Exportprodukte statt den Eigenbedarf nutzen (Lessenich, 2016, S. 83).

So zeigt Lessenich auf, dass „drei Viertel der jährlich 200 Millionen Tonnen weltweit geernteter Sojabohen“ als Futter für Massentierhaltung in Europa, Nordamerika und China genutzt werden (Lessenich, 2016, S. 85). Diese Zahl verdeutlicht einmal mehr, dass das „ecological footprint/ environmental degradation paradox“, also der ökologische Fußabdruck der Industrienationen, darauf aufbaut, die eigene Umweltbilanz nur augenscheinlich sauber zu halten.

Aktuelle klimapolitischen Herausforderungen zeigen, dass die Externalisierung nicht vor Effekten der Rückkoppelung schützen wird: der Trugschluss, durch Abwälzung negative, unliebsame Effekte bewusst aus dem Globalen Norden auslagern und somit „wegdenken“ zu können, wird brüchig mit der Erkenntnis: die Klimakrise wird kein Nullsummenspiel sein. Die Frage ist wohl vielmehr, wie der politischen Herausforderung begegnet werden kann, während die Externalisierungsgesellschaft längst mit selbstzerstörerischen Tendenzen begonnen hat? 

Quelle

Lessenich, S. (2016). Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

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