Mittwoch, 19. April 2023

Externalisierungsgesellschaft: Postkolonial und verwerflich?

Unter Externalisierungsgesellschaft verstehen wir das Prinzip der kapitalistischen, wachstumsorientierten globalen Wirtschaftsordnung unserer Zeit, Kosten und Lasten unseres ökonomischen Handelns in andere Teile der Welt zu verlagern, anstatt diese unmittelbar an ihrem Entstehungsort zu behandeln. Doch wer externalisiert hier eigentlich und wer bekommt die negativen Folgen davon zu spüren?

Stephan Lessenich sagt: "Uns geht es gut, weil es anderen schlecht geht". Eine These wie ein Vorschlaghammer, die - sollte sie der Wahrheit entsprechen - uns vor Augen führt, dass wir in einer zutiefst ungleichen, unfairen und damit unmoralischen postkolonialen Gesellschaftsform leben, die wir aus ethischen Gründen nicht weiter aufrechterhalten dürften. Doch schauen wir uns die Situation einmal genauer an.

Zunächst springt ins Auge, dass wir bis zu einem gewissen Grad auf Kosten anderer leben. Wir exportieren unseren Müll, wir erlassen so strenge Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen, dass bestimmte Industrien schon vor Jahrzehnten in die Dritte Welt abgewandert sind. Man denke nur an die Gerbereien, die - wie auch weite Teile der Stahlindustrie und nahezu die gesamte Textilindustrie - aus den Industriestaaten nach Asien abgewandert sind. Von dort kommen immer wieder Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung. 

Aber es ist nicht alles düster. Auch andere Aspekte müssen bedacht werden. Zum Beispiel haben wir auch unsere Energiegewinnung weitestgehend externalisiert. Statt Kohle ist Öl und Gas jetzt wichtig. Auch andere Formen der Gewinnung von Rohstoffen fällt unter diese Kategorie. Viele Länder sind dadurch extrem reich geworden, sogar reicher als wir selbst.

Auch haben sich durch Externalisierung viele Länder wie z.B. China in atemberaubendem Tempo zu großen und mächtigen Industrienationen entwickelt. Vor 40 Jahren lebte noch fast die Hälfte der Menschheit in extremer Armut, heute ist das noch jeder Zehnte. Externalisierung hat also auch ihre hellen Seiten, gerade für die ehemaligen Kolonien, die unter europäischer Herrschaft gelitten haben. Sie bekommen so endlich einen Teil vom Kuchen ab. Wir sind auf sie angewiesen, was ihnen endlich ein Gewicht verleiht, das sie vorher nie hatten. 

Trotzdem haben wir großen Schaden in der Dritten Welt angerichtet, wir exportieren immer noch eschreckende Mengen Müll in Länder, in denen er nicht sachgerecht entsorgt werden kann. Wir müssen für faire Arbeitsbedingungen in diesen Ländern sorgen und für Umwelt- und Klimaschutz auf der internationalen Bühne eintreten. Kurz gesagt: die öko-soziale Marktwirtschaft mit anderen teilen.

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