Mittwoch, 18. März 2020

Freiwillige CO2-Kompensation - (k)ein Trugschluss

Alltägliche Konsum- und Verhaltensfragen werden immer mehr zu einer Gewissensfrage im Rahmen der Frage, wie wir als Gesellschaft durch inzwischen auch aufkommenden sozialen Druck ökonomisch konform leben wollen bzw. sollten. Exemplarisch dafür steht der Neologismus „Flugscham“, welcher es bis in den Duden geschafft hat. Dieser beschreibt ein „schlechtes Gewissen, das Klima beim Reisen mit dem Flugzeug (vor allem durch den hohen CO2-Ausstoß) zu belasten.“ (Duden 2020)

Genau an diesem Punkt knüpfen Kritiker der freiwilligen Klimakompensation an und bezeichnen diese als modernen Ablasshandel, welcher primär dem Gewissen und eben nicht in ausreichendem und angemessenem Maße dem Schutz des Klimas dient. Bei aller öffentlichen Kritik verzeichnen die Anbieter jedoch in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg an Kunden. Führende bundesweite Nachrichtenportale wie der „Spiegel“ und die „Welt“ sprechen, angelehnt an die schwedische Klimaschutzaktivistin, schon von einem „Greta-Effekt“, welcher immer mehr Geld in die Kassen der Anbieter spült (vgl. Fritz 2019, S. 1; Hecking 2019, S. 1).

Der folgende Blogeintrag hinterfragt das Angebot von freiwilliger Klimakompensation kritisch und zeigt nach einer Einführung zur Funktionsweise neben den Chancen auch mögliche Risiken auf, welche bis hin zu einer Verzögerung der Transformation in Richtung einer klimaneutralen Gesellschaft führen können, und das obwohl gerade die Kompensation von Treibhausgasen für vermeintliche Klimaneutralität steht, wo doch die ausgestoßenen Emissionen parallel an anderer Stelle im selben Maß eingespart werden.


Funktionsweise freiwilliger CO2-Kompensationszahlungen am Beispiel von atmosfair

Das Grundprinzip der Kompensation von Treibhausgasen ist, dass es für die klimatische Entwicklung nicht entscheidend ist, an welcher Stelle des Planeten diese ausgestoßen bzw. vermieden werden. Dem Prinzip zu Folge lassen sich also an Ort X verursachte Emissionen an Ort Y einsparen. Somit wurden die Emissionen an Ort X „kompensiert“. (vgl. Wolters, Becker 2015, S. 40)

Dieses Grundprinzip wird nun anhand eines Praxisbeispiels der CO2-Kompensation einer Flugreise (eine Person) von Frankfurt (Main) nach Madrid und auch wieder zurück beim Anbieter atmosfair, welcher sich auf Flugreisen spezialisiert hat, veranschaulicht: In einem ersten Schritt wird die klimawirksame Emission einer Aktivität, welche in diesem Fall die Flugreise ist, berechnet. Grundsätzlich kommt aber jede Art von emissionsausstoßender Aktivität in Betracht: Bahnreisen, Autofahrten, Kreuzfahrten, Heizenergie, Stromverbrauch und viele weitere.

Die Berechnung der klimatischen Auswirkungen, also die Masse an ausgestoßenen Treibhausgasen, erfolgt direkt auf der atmosfair-Website. Dies ist bei allen mir bekannten Anbietern der Fall. So muss der Kunde nur noch den Ab- und Zielflughafen, die Sitzklasse und gegebenenfalls die Airline angeben, und die Berechnung wird in der Folge automatisch durchgeführt.

Der exemplarisch ausgewählte Hin- und Rückflug (Frankfurt – Madrid) in der Economy Klasse mit der Lufthansa hat eine Klimawirkung von 517 kg CO2, und es ist laut atmosfair ein berechneter Kompensationsbetrag von 12 € nötig, um die Emissionen an anderer Stelle einsparen zu können. Die eigentliche Kompensation von Treibhausgasen findet dann im zweiten Schritt statt: Der Kunde muss nun nur noch ein bzw. mehrere Klimaschutzprojekt(e), welche unterstützt werden sollen, auswählen, ehe er das Zertifikat mit Abschluss des Zahlungsvorgangs ausgestellt bekommt. Mögliche Klimaschutzprojekte sind hier zum Beispiel der Bau von Biogasanlagen in Nepal oder auch die Ausstattung ländlicher Haushalte in Ruanda mit effizienteren Öfen. Grundsätzlich geht es bei allen Projekten um eine punktuelle Verbesserung der Infrastruktur in Entwicklungsländern. 

Berechnung der klimawirksamen Emissionen und des Kompensationsbetrags

Atmosfair greift zur Berechnung der ausgestoßenen Emissionen eines Fluges auf unabhängige Forschungsprojekte bzw. Datenquellen, welche jährlich aktualisiert werden, zurück (unter anderem auch auf das Umweltbundesamt), sodass auf keinerlei Daten der Fluggesellschaften selbst zurückgegriffen werden muss und eine Abhängigkeit in dieser Richtung ausgeschlossen werden kann (vgl. ohne Verfasser 2016, S. 4). Hierzu fließt eine Vielzahl von Faktoren in die Berechnung mit ein:

Zunächst wird die sogenannte Großkreisdistanz, die kürzeste Verbindung auf dem Globus zwischen dem Ab- und Zielflughafen inklusive eines standardisierten Zuschlags für Umwege oder Warteschleifen erfasst. Darüber hinaus wird mithilfe sogenannter Flugprofile, welche den zweidimensionalen Verlauf eines Fluges modellieren, softwareunterstützt der Treibstoffverbrauch unter Berücksichtigung der verschiedenen Flugphasen berechnet.

Weitere Faktoren für den Treibstoffverbrauch, welche auch noch in die Berechnung miteinbezogen werden, sind der Flugzeug- bzw. Triebwerkstyp, die Auslastung, der Bodenbetrieb eines Flughafens und auch die meteorologischen Bedingungen der spezifischen Flugstrecke, da zum Beispiel Winde eine entscheidende Rolle spielen. Nicht minder wichtig ist dann noch die Buchungsklasse, da ein First-Class-Sitz natürlich weitaus mehr (zum Teil mehr als doppelt so viel!) Platz im Rumpf des Flugzeugs einnimmt. Natürlich ist auch dies abhängig vom Flugzeugtyp und der operierenden Airline.

All die genannten Faktoren werden zur Berechnung der Menge der CO2-Emissionen pro Passagier hinzugezogen (vgl. ebd., S. 6-13). Beim Verbrennen des Kerosins in den Triebwerken entstehen neben dem CO2 auch Methan und Lachgas, welche einen zusätzlichen Treibhauseffekt hervorrufen und die Erde somit weiter aufheizen. Darüber hinaus werden auch noch Partikel, Wasserdampf, Schwefel- und Stickoxide emittiert, die unter anderem auch für die Bildung von Kondensstreifen verantwortlich sind. In der Summe haben diese sogenannten Nicht-CO2-Effekte eine aufheizende Wirkung.

Die Gesamtklimawirkung aller Abgase ist dann noch von der Reiseflughöhe abhängig, weswegen die oben genannten Flugprofile essenziell sind. Denn „die Gesamtklimawirkung aller Abgase eines Flugzeugs liegt in Reiseflughöhe etwa um den Faktor zwei bis drei höher als die der reinen CO2-Emissionen.“ (Bopst et al. 2019, S.16) Atmosfair berücksichtigt auch diesen Parameter und multipliziert vereinfacht die über 9000 Meter ausgestoßenen Emissionen mit dem Faktor 3 und berücksichtigt somit auch die Nicht-CO2-Effekte (vgl. ohne Verfasser 2016, S. 17).

Somit setzt sich der finanzielle Kompensationsbeitrag aus zwei Bausteinen zusammen. Zum einen aus den klimawirksamen Emissionen einer bestimmten Aktivität, in diesem Fallbeispiel eine Flugreise, und zum anderen den Kosten, welche benötigt werden, um die gleiche Menge in einem Klimaprojekt an anderer Stelle wieder einzusparen. Atmosfair benötigt laut eigenen Angaben 23 €, um eine Tonne CO2 in Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern einzusparen (vgl. Schultz et al. 2015, S. 15).

Die Preise der unterschiedlichen Anbieter variieren, und es lässt sich somit kein fester Preis für Emissionen feststellen. Grundsätzlich sind die Zertifikatspreise abhängig von unterschiedlichsten Kriterien. Laut Umweltbundesamt umfasst dies die Menge an ausgestoßenen Treibhausgasen, „Qualitätsstandards, Herkunftsland, Förderung sozialer Aspekte und nachhaltige Entwicklung im Herkunftsland, Projekttyp und Projektgröße“. (Wolters et al. 2015, S. 59)

Insbesondere die Qualitätsstandards, von welchen es unzählige gibt, weisen große Preisunterschiede auf und sind sowohl in der Masse als auch von den jeweiligen inhaltlichen Vorgaben dem Verbraucher nicht unbedingt erschließbar. So beginnen zum Beispiel die Preise pro Tonne zu kompensierendem CO2 bei dem deutschen Anbieter „Klimamanufaktur“ auch schon bei 5 Euro, während atmosfair und „Klima-Kollekte“ jeweils 23 Euro veranschlagen (vgl. ohne Verfasser 2018, S. 32f). 

Wann ist Kompensieren sinnvoll?

Kann nun jegliches klimaschädigende Handeln mit wenigen Mausklicks und einem gewissen Budget egalisiert werden und können wir unseren Lebensstil ungebremst fortführen? So einfach ist das nicht, denn auch hier sind sich das Umweltbundesamt und die Anbieter einig, da Kompensation und Reduktion niemals in Konkurrenz zueinander stehen sollten. Vielmehr sollte Kompensation als eine Ergänzung zur Reduktion gesehen werden.

Somit kommt CO2-Kompensation niemals an erster Stelle beim klimabewussten Handeln. Zunächst einmal muss der erste Schritt immer der sein, den eigenen Fußabdruck so weit, wie es nur möglich ist, zu reduzieren. Dies geschieht primär durch die Reduzierung bzw. im besten Fall grundsätzliche Vermeidung von klimawirksamen Aktivitäten. Somit ist die CO2-Kompensation niemals als isoliertes Mittel zur Reduktion von globalen Emissionen zu betrachten, sondern immer als Teil eines Dreiklangs:

VERMEIDEN – REDUZIEREN – KOMPENSIEREN (vgl. Wolters et al. 2018, S. 10).

Dies bedeutet, dass klimafreundliches Handeln im Sinne von Reduktion und Vermeidung sogar eine Grundvoraussetzung für die Sinnhaftigkeit von freiwilliger CO2-Kompensation ist und dementsprechend auch nicht alles kompensiert werden soll: So macht es lediglich Sinn, Aktivitäten zu kompensieren, für welche es noch keine Alternative gibt und die somit unvermeidbar sind. Der tägliche Konsum von Fleisch und das Betreiben einer Ölheizung in den eigenen vier Wänden gehören also nicht dazu und sind folglich nicht sinnvoll kompensierbar. Alternativlos ist dagegen beispielsweise die Nutzung eines privaten PKWs in einer ländlichen Gegend mit fehlendem ÖPNV-System. 

„A Fine is a Price” – sozialpsychologischer Aspekt von Strafzahlungen

Werden Strafen verhängt, seien diese finanzieller oder andere Art, wird kaum die Wirkung in Frage gestellt. Die Diskussion über eine verhängte Strafe reduziert sich meist darauf, ob diese denn in einem angemessenen Verhältnis zum begangenem Fehlverhalten, zum Beispiel einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat, steht. Die weitverbreitete Annahme, dass Strafen allgemein zur Reduzierung von jenem Verhalten, welches zum Verhängen einer Strafe geführt hat, wird nicht hinterfragt.

Die Hypothese, dass die Einführung einer finanziellen Strafe, welche keine weiteren Veränderungen mit sich bringt, das Auftreten des zur Strafe führenden Verhaltens grundsätzlich reduziere, überprüften Gneezy und Rustichini eindrucksvoll in ihrer Feldstudie „A Fine is a Price“. Die Studie erfasste 1998 an zehn exemplarisch ausgewählten Kindertagesstätten im israelischen Haifa Verspätungen von Eltern beim Abholen der Kinder, weswegen die dort arbeitenden Erzieher warten bzw. länger arbeiten mussten.

Zum einen wurde die Entwicklung der Anzahl von zu spät kommenden Eltern ohne anfallende Zahlungen in Form von Strafen dokumentiert als auch die Entwicklung in Kindertagesstätten, welche Strafen für das verspätete Erscheinen erhoben. Der Testzeitraum erstreckte sich über 20 Wochen und nach fünf Wochen wurde in sechs der zehn Kindertagesstätten eine Strafe für das zu späte Abholen der Kinder eingeführt. Sollten Eltern nun mehr als zehn Minuten Verspätung haben, mussten sie eine Strafzahlung in Höhe von zehn israelischen Schekeln an die Kindertagesstätte tätigen (vgl. Gneezy, Rustichini 2000, S. 5f).

Mit dem Einführen der oben genannten Strafe bestätigte sich nicht die Hypothese, dass Strafen die Häufigkeit eines unerwünschten Verhaltens grundsätzlich reduzieren. Ganz im Gegenteil erhöhten sich in den ersten zwei bis drei Wochen nach der Einführung sogar die Anzahl zu spät kommender Eltern, bis sie sich schließlich auf einem höheren Niveau, im Vergleich zu vor der Bekanntmachung der von nun an zu erwartenden Strafe, einpendelte. Nach der Einführungsphase verdoppelten sich die Fälle zu spät kommender Eltern beinahe. Auch nachdem die Strafe in den letzten vier der 20 Wochen der Feldstudie wieder zurückgenommen worden war, nahm die Zahl der zu spät kommenden Eltern nicht ab, sondern blieb - im Vergleich zu vorher - stabil auf dem circa doppelt so hohen Niveau (vgl. ebd., S. 7f).

Eine mögliche Erklärung von Gneezy und Rustichini für die doch überraschende Entwicklung der Feldstudie, welche die anfängliche Hypothese widerlegte, ist, dass das Einführen von Strafen, in diesem Fall einer Geldbuße, die Wahrnehmung der Umwelt bzw. dem eigenen Handeln darin grundlegend verändert (vgl. ebd., S. 3). Sie sprechen von sogenannten unvollständigen Verträgen zwischen dem Akteur und der Umwelt, in diesem Modellversuch ist damit die Kindertagesstätte gemeint.

Ohne Einführen einer Strafe müssen die Eltern die Konsequenzen eines zu späten Erscheinens am Mittag beim Abholen der eigenen Kinder antizipieren, da diese nicht vertraglich festgehalten sind. Eine nicht ausgesprochene Vereinbarung von Seiten der Kindertagesstätte wäre zum Beispiel: „Wir kümmern uns um ihre Kinder auch nach Ende der Öffnungszeiten und erheben keine Gebühren, aber es sollte nur in Ausnahmefälle vorkommen und nicht die Regel werden. Falls dies zu oft passiert, müssen wir die Regelung gegebenenfalls anpassen.“

In der Folge holen die Eltern so selten wie möglich verspätet ihre Kinder ab, um mögliche, ihnen unbekannte Konsequenzen so gut wie möglich auszuschließen. Mit dem nun festgelegten Bußgeld gibt es zwar nun erstmals Konsequenzen, aber die unbekannte Variable des sogenannten unvollständigen Vertrags entfällt. Und so wissen die Eltern, dass die eingeführte Strafe, welche relativ mild ausfällt und weit weniger schmerzhaft ist als die zuvor unbekannte antizipierte Folge, die schlimmste Konsequenz ihres Fehlverhaltens ist.

Letztendlich testen die Eltern in den ersten Wochen nach der Einführung, ob es weitere Reaktionen seitens der Kindertagesstätte gibt, ehe sich die Rate des Zu-spät-Kommens auf einem beinahe doppelt so hohen Niveau eingependelt hat, da es bei der milden Geldbuße blieb und scheinbar keine weiteren Konsequenzen bzw. Strafen drohten (vgl. ebd., S. 10f).

Auf den ersten Blick scheint es so, als habe eine sozialpsychologische Studie wie „A Fine is a Price“ keine bzw. kaum Verknüpfungspunkte mit der klimatischen Entwicklung oder, genauer gesagt, mit der Entwicklung von klimawirksamen Verhalten. Jedoch kann unser Verhältnis zur globalen klimatischen Veränderung durchaus auch in den Worten von Gneezy und Rustichini als ein unvollständiger Vertrag begriffen werden.

Genau wie in dem oben beschriebenen Beispiel, den Kindertagesstätten, welche keine Gebühren erheben und somit mögliche Konsequenzen den Eltern unklar bleiben, ist unser Verhältnis und unsere Auswirkung auf die globalen klimatischen Bedingungen nicht zu hundert Prozent bestimmbar. Inzwischen ist es zwar möglich, immer genauer durch Klimamodelle abzuschätzen, welche Folgen uns sowohl global als auch regional durch die immer weiter voranschreitende Klimaveränderung erwarten, jedoch ist natürlich kein Wissenschaftler dazu in der Lage, in die Zukunft zu blicken und die genauen Effekte der Entwicklung darzulegen.

Diese Modelle leisten unter anderem auch in der Politik einen großen Beitrag in der Entscheidungsfindung, wie man gut an der Pariser Klimakonferenz feststellen konnte, da sie eine quantitative Abschätzung der uns bevorstehenden Klimaveränderung erbringen. Was diese Klimamodelle allerdings nicht leisten können, ist die Auswirkung einzelner Aktivitäten von Individuen darzustellen.

Somit ist dem Einzelnen, mit Ausnahme der selbsternannten Klimawandelskeptikern, zwar bewusst, dass der eigene Lebensstil und insbesondere bestimmte Aktivitäten wie Flugreisen klimawirksam sind und somit auch eine Reihe von Folgen unterstützen werden bzw. bereits unterstützt haben. Allerdings ist niemand dazu in der Lage, die Auswirkung einzelner Aktivitäten konkret zu formulieren.

Man kann sich zum Beispiel lediglich mit geringer Abweichung die Emission von klimawirksamen Treibhausgasen einzelner Aktivitäten berechnen lassen, wie es bereits oben dargestellt wurde. Welche exakten Auswirkungen die einzelnen Emissionen der Aktivitäten allerdings mit sich bringen, ist im globalen Kontext aber nicht wirklich greifbar und das theoretische Konstrukt eines Vertrages zwischen Individuum und den globalen Folgen des eigenen Handels bleibt somit unvollständig.

Überträgt man Gneezys und Rustichinis modellhafte Erklärung nun auf die Thematik von Flugreisen, minimiert der Konsument die Nutzung dieser auf Grund des Wissens, dass diese sehr wohl klimatische Veränderungen und daraus folgende Schäden mit sich bringen, auch wenn diese nicht hundertprozentig klar sind. Denn es ist allen bewusst, dass diese Schäden sehr wohl schmerzhaft sind, auch wenn sie nicht alle bestimmbar sind.

Mit der Möglichkeit, die Folgen einer Aktivität oder Dienstleistung durch einen freiwillig auf sich genommenen finanziellen Zusatzbeitrag zu kompensieren, wird dieser Faktor allerdings ausgelöscht. Dem Konsumenten wird ein genauer Preis beziffert, welcher nötig ist, um die eigene Klimawirkung zu kompensieren bzw. auszugleichen. Dadurch fällt der Faktor einer nicht ganz gewissen Konsequenz des eigenen Handelns, welche dieses gegebenenfalls beeinflusst und reguliert, weg, und es ist durchaus möglich, dass das Verhalten, zum Beispiel die Nutzung von Flugreisen, durch Klimakompensation sogar zunehmen kann. 

Ein psychologischer Rebound-Effekt?

Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass freiwillige Klimakompensation gegebenenfalls auch zu einer Verstärkung oder Häufung von klimawirksamem und durchaus vermeidbarem Verhalten führen kann, zeigen auch die Erkenntnisse über die sogenannten Rebound-Effekte in ganz unterschiedlichen Bereichen. Allgemein beschreiben Rebound-Effekte das Phänomen, dass eine Verbesserung der Energieeffizienz von Produkten, Dienstleistungen oder Aktivitäten nicht das erwartete niedrigere Niveau, welches aus ingenieurwissenschaftlichen Berechnungen hervorgeht, auf Grund von Verhaltensänderungen in Folge der erhöhten Energieeffizienz erreichen.

Diese Verhaltensänderungen, das heißt die Mehrnutzung, dämpfen somit das Potenzial der gesteigerten Effizienz (vgl. Peters et al. 2012, S. 1). Oft werden Rebound-Effekte aus einem rein ökonomischen Blickwinkel betrachtet. Diese beschreiben die Verhaltensanpassung bzw. Nutzungssteigerung in Folge einer Reduzierung der relativen Kosten: Kauft man sich zum Beispiel ein neues Auto mit einem Verbrennungsmotor, welcher einen geringeren Spritverbrauch aufweist, sinken damit auch die Ausgaben an der Zapfsäule.

Der Rebound-Effekt aus einer rein ökonomischen Sichtweise beschreibt nun, dass die Strecke an zurückgelegten Kilometer auf Grund der niedrigeren Kosten pro Kilometer zunimmt. Daraus folgt, dass die theoretisch mögliche Energieeinsparung natürlich nicht ihr Potenzial erreicht. Offensichtlich ist hierbei, dass diese modellhafte Beschreibung alle anderen Faktoren der Betriebskosten eines neuen Autos zur Vereinfachung außer Acht lässt (vgl. ebd., S. 2).

Das oben genannte Beispiel eines Rebound-Effekts lässt sich natürlich nicht auf freiwillige Klimakompensation übertragen, da die relativen Kosten eines Produktes oder einer Dienstleistung durch diese zunehmen und es nach der Theorie der ökonomischen Rebound-Effekte somit auch nicht zu einer Mehrnutzung kommt. Dieses ökonomische Beispiel dient somit lediglich zum Verständnis von Rebound-Effekten im Allgemeinen.

Es ist allerdings nicht ausreichend, Rebound-Effekte auf eine ökonomische Sichtweise zu beschränken. Es kann angenommen werden, dass auch persönliche und soziale Normen das Wahrnehmen einer Problemsituation, also auch die Emission von Treibhausgasen, und die eigene Wirksamkeit in der Folge von der Nutzung von effizienteren Technologien beeinflusst werden und zu einem gesteigerten Gebrauch führen können (vgl. ebd., S. 54-56). Somit müssen Rebound-Effekte auch aus einer psychologischen und soziologischen Betrachtungsweise herangezogen werden.

Eine Fallstudie des Fraunhofer Instituts aus dem Jahre 2012 lässt unter anderem Rückschlüsse auf eine kausale Verbindung zwischen der Energieeffizienz und der Schwächung persönlicher Normen, also der „internalisierte[n] Norm, etwas zur Lösung eines Problems beizutragen im Sinne einer persönlichen moralischen Überzeugung“ (ebd., S. 35), zu. So beschreibt zum Beispiel ein Teilnehmer der Fallstudie sein Nutzungsverhalten mit einem energieeffizienten Auto im Vergleich zu einem weniger effizienten wie folgt:

„Man fährt ein bisschen unbeschwerter, macht sich nicht so viele Gedanken und macht vielleicht auch mal eine Fahrt, die man davor nicht gemacht hätte.“ (ebd., S. 35) In diesem Fall führt also auch die Steigerung der Energieeffizienz zu einer vermehrten Nutzung, aber nicht wie bei dem bereits oben beschriebenen Beispiel aus finanziellen Ersparnissen, sondern auf Grund der Abschwächung der persönlichen Norm und der eintretenden Zufriedenheit mit dem Besitz eines energieeffizienten Produkts. Dieses Beispiel beschreibt somit einen psychologischen Rebound-Effekt.

Neben der persönlichen Norm hat die Nutzung von energieeffizienten Produkten oder Dienstleistungen auch Einfluss auf die Wahrnehmung der Erwartungen anderer hinsichtlich eines ökologischen Lebensstils: So beschreibt ein weiterer Teilnehmer der Fallstudie des Fraunhofer Instituts, dass der gesellschaftliche Druck, sich umweltkonform zu verhalten und somit auch keine unnötigen Autofahrten zu machen, mit neuer energieeffizienter Technologie wegfällt, obwohl es weiterhin durch das Ausstoßen von Emissionen sehr wohl klimawirksam ist (vgl. ebd., S. 41f).

Allgemein werden also bei energieeffizienteren Technologien, die Emissionen im Vergleich zu anderen zum Teil einsparen, geringere umweltschädliche Auswirkungen wahrgenommen. Diese veränderte Wahrnehmung kann dann in der Folge zu einer Legitimation einer vermehrten Nutzung dieser Technologien führen, auch wenn diese vermehrte Nutzung dann eventuell sogar wieder genauso schädlich ist wie die Nutzung der veralteten Technologie zuvor.

Das Phänomen des „Moral Licensing“ beschreibt das Selbsterteilen einer „moralischen Erlaubnis“ für fragwürdiges und schädliches Verhalten aller Art, dies umfasst natürlich auch klimaschädliches Verhalten mit der Begründung, dass eine gute Tat vorausgeht bzw. einhergeht (vgl. Merrit et al. 2010, S. 344). Parallel dazu gibt es auch Annahmen, dass analog zur klassischen ökonomischen Buchführung auch ökologische Buchführung betrieben wird, welche die Umweltauswirkung des eigenen Handelns festhält. Diese Buchführung berechtigt einen dann auch im Falle von vorangegangenem umweltfreundlichem Handeln, seien es Verzicht oder auch der Umstieg auf energieeffizientere Technologien, zu klimawirksamen Verhalten (vgl. Peters et al. 2012, S. 7).

Aus diesen Erkenntnissen folgt, dass Umweltschutzmaßnahmen in Form von Energieeffizienzmaßnahmen und somit auch Emissionseinsparungen zu einem weniger sparsamen Verhalten führen können und die Nutzung von klimawirksamen Produkten und Dienstleistungen sogar zunehmen könnten. Wie bereits erwähnt, macht es keinen Sinn, ökonomische Rebound-Effekte auf die Thematik der freiwilligen Klimakompensation zu übertragen, da sich durch diese der Preis einer jeden klimawirksamen Aktivität erhöht.

Es gilt allerdings, wie oben dargestellt wurde, durchaus handfeste Anhaltspunkte psychologischer und soziologischer Rebound-Effekte zur Einordnung von freiwilliger Klimakompensation heranzuziehen: Ähnlich wie bei einer erhöhten Energieeffizienz durch technologischen Fortschritt nimmt ein Flugreisender, der auf eine freiwillige Klimakompensation zurückgreift, wahr, dass sein Flug im Vergleich zu einem Flug ohne Kompensation Emissionen an anderer Stelle einspart und somit moralisch vertretbarer erscheint.

Die Freiwilligkeit der Kompensation umfasst hierbei die vorausgehende bzw. parallel laufende gute Tat beim Modell des „Moral Licensing“, welche schädigendes Verhalten, also den Flug, vermeintlich legitimiert und in einem besseren Licht erscheinen lässt. Zusammenfassend kann also die freiwillige Klimakompensation eines Fluges, angelehnt an die Thematik der Energieeffizienz, als „emissionseffizienter“ beschrieben werden und durchaus auch einen psychologischen und soziologischen Rebound-Effekt mit sich bringen.

In diesem Fall erhöht sich auf Grund der Möglichkeit bzw. der Inanspruchnahme von freiwilliger Klimakompensation die Anzahl der durchgeführten Flugreisen, was wiederum dem Ziel einer weniger klimaschädlichen Gesellschaft entgegenwirken würde. Im Allgemeinen könnte dann die freiwillige Klimakompensation zu einem Festhalten am stetig zunehmenden Konsum führen, was wiederum unter keinen Umständen mit der Transformation hin zu einer umweltfreundlichen Gesellschaft zu vereinbaren ist. 

Ein unüberschaubarer Markt?

Bereits oben wurden die Problematik und die Gründe dargestellt, dass die verschiedenen Anbieter große Unterschiede bei der Bepreisung von CO2-Kompensation veranschlagen. Daraus folgt, dass der Verbraucher von der Masse an Angeboten, speziell in Form der unterschiedlichen Qualitätsstandards, am Markt beinahe erschlagen wird und es ihm zunehmend schwerfällt, diese einzuordnen.

Schon seit längerer Zeit gibt es vermehrt Stimmen in der Öffentlichkeit, welche staatliche Gütesiegel fordern, um ein Maß an Mindestqualität und die Markttransparenz sicherzustellen (vgl. Wolters, Becker 2015, S. 42). Des Weiteren ist es grundsätzlich in Frage zu stellen, inwiefern nicht-gemeinnützige und profitorientierte Anbieter, und diese Anbieter sind immer noch in einer relativen großen Anzahl vertreten, am Markt agieren dürfen, da dies nicht im Sinne der unterstützten Klimaschutzprojekte sein kann. In den meisten Fällen ist es für den Kunden nämlich auf den ersten Blick nicht zu erschließen, ob ein Anbieter profitorientiert ist oder nicht. Auch hierfür wäre ein staatliches Siegel sinnvoll, sofern es diese Komponente berücksichtigen würde. 

Resümee – Chance und Risiko zugleich?

Die Möglichkeit freiwilliger Klimakompensation und der Unterstützung beim Aufbau einer klimafreundlichen Infrastruktur in Entwicklungsländern bietet jedem die Möglichkeit, sich am globalen Klimaschutz mittels weniger Mausklicks zu beteiligen. Genau hier bieten sich sowohl Möglichkeiten als auch Risiken: Der Markt ist, wie soeben beschrieben, dem Verbraucher gegenüber nicht immer transparent und die Möglichkeit, freiwillige Klimakompensation binnen weniger Minuten zu betreiben, birgt auch die Gefahr, dass viele Nutzer kaum nachvollziehen können, inwiefern das Geld später auch sinnvoll eingesetzt wird, da es scheinbar dazu verleitet, sich mit dem Kaufabschluss „sauber“ zu fühlen und in der Folge gegebenenfalls wieder etwas fahrlässiger mit der allgegenwärtigen Thematik Klimaschutz umzugehen. Denn das Risiko von Rebound-Effekten ist kaum von der Hand zu weisen.

Genau dieser Rebound-Effekt widerspricht aber den Grundsätzen der freiwilligen Klimakompensation. Denn diese sollte nur Teil des Dreiklangs „VERMEIDEN – REDUZIEREN – KOMPENSIEREN“ sein und niemals isoliert angewendet werden. Nun besteht aber die Gefahr, dass die freiwillige Klimakompensation vom Verbraucher nicht nur als isoliertes Klimaschutzinstrument gesehen werden kann, sondern dass es sogar die beiden ersten Punkte des Dreiklangs, die Vermeidung und die Reduzierung von klimawirksamen Aktivitäten und Produkten, sogar abschwächen könnte.

Dies wäre allerdings fatal, da speziell in den Industriestaaten die Vermeidung und Reduzierung von klimawirksamen Aktivitäten bzw. der Konsum von klimawirksamen Produkten weiterhin an Bedeutung gewinnen muss, um sich dem Ziel einer nicht-klimaschädlichen Gesellschaft anzunähern, denn genau diese Staaten sind weiterhin mit Abstand für den größten Teil der globalen Treibhausgasemission verantwortlich.

Literatur

Printmedien:
  • Gneezy, Uri/Rustichini, Aldo (2000): A Fine is a Price. In: The Journal of Legal Studies 29(1), S. 1-17.
  • Merrit, Anna C./Effron, Daniel A./Monin, Benoît (2010): Moral Self-Licensing: When Being Good Frees Us to be Bad. In: Social and Personality Psychology Compass 4(5), S. 344-357.
  • Ohne Verfasser (2018): Finanztest 2019: 90 Tests und Reports, Stiftung Warentest: Berlin.
  • Wolters, Stephan/Becker, Romy (2015): Freiwillige Klimakompensation als grünes Produkt? In: Ökologisches Wirtschaften 30(2), S. 40-43.
Internetquellen:

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