Montag, 11. Mai 2020

Das gute Leben (II): Vortrag von Hartmut Rosa zu Resonanz



Der folgende, kollaborativ im Rahmen des coronabedingten Online-Semesters verfasste Text fasst wichtige Aspekte des Vortrags "Resonanz. Über die Soziologie des guten Lebens" von Hartmut Rosa zusammen. Seiner Kernthese nach befinden wir uns auf dem Weg in die Beschleunigungsfalle. Um diesen Weg zu stoppen, sei es notwendig, über “das gute Leben” zu sprechen. Der folgende Text orientiert sich an den Gliederungspunkten des Vortrags vom 27.02.2017.

I. Das Weltverhältnis der Moderne

a) strukturell: Dynamische Stabilisierung

Die moderne Gesellschaft kann sich nur dynamisch stabilisieren, was bedeutet, dass sie strukturell auf Wachstum (= Steigerungsversprechen), Beschleunigung und Innovation angewiesen ist, um sich zu erhalten und zu reproduzieren. Das bedeutet: “Wir brauchen Wachstum, um den status quo zu erhalten.” Klassisches Beispiel ist der Kapitalismus: Geld wird nur investiert, wenn man sich einen Mehrwert verspricht (= Wachstumstreiber). Das gilt mittlerweile aber in allen Bereichen (Wissenschaft, Kunst, Politik ...)

b) kulturell: Reichweitenvergrößerung

Es gilt das Prinzip der Weltreichweitenvergrößerung: “Handle jederzeit so, dass Deine Weltreichweite größer wird!” (= "kategorischer Imperativ der Moderne"). Ziel und Antrieb ist also immer die Steigerung der “Weltreichweite”, die Ausdehnung des Erreichbaren. Die Aussicht auf “mehr Welt” motiviert uns bei fast allen Entscheidungen (Triple-A Formel von Rosa: make more world available, attainable, achievable). Das “Zaubermittel” schlechthin dafür ist Geld: Geld kann die Welt verfügbar und erreichbar machen. Weitere Beispiele, die Rosa im Vortrag nennt, betreffen Mobilität (Fahrrad > Moped > Auto) oder das Smartphone (Musik, Freunde, Weltwissen in der Hosentasche).

II. Die Nebenfolgen: Der Fehler im System

a) strukturell: Desynchronisation

“Viel mehr, viel schneller” ist das, was uns antreibt. Dieses System erhält sich nur durch Steigerung (permanentes Wachsen, Beschleunigen, Innovieren …). ABER: Nicht alles lässt sich im selben Maß beschleunigen! Wer oder was zu langsam ist, wird abgehängt. Folglich kommt es zu Krisen:
Öko-Krise: Die Natur ist zu langsam, kommt nicht hinterher, regeneriert sich nicht schnell genug angesichts unseren Verbrauchs; Zerstörung der Natur statt ihre “Aneignung”.
Demokratie-Krise: Die Demokratie mit ihren Aushandlungsprozessen ist zu langsam (für die Wirtschaft, aber auch für die Medien).
Wirtschaftskrisen: Im Bereich der Wirtschaft kommt es gleich zu mehreren Desynchronisationen, am augenfälligsten zwischen ultraschnellen Finanzmärkten und der Realökonomie.

b) kulturell: Entfremdung

Psycho-Krise: Burn-Out; Welt wird unlesbar, sie weicht zurück (“Weltverlust”); Überstimulation führt zu Gefühllosigkeit: Vielzahl an Erlebnissen und Erfahrungen, aber sie berühren und verändern den Menschen nicht (mehr); die Welt steht dem Menschen feindlich/gleichgültig gegenüber; Weltverlust als Kollateralschaden der Moderne.
Grundlegende Ambivalenz der Modernisierung: zunehmende Rationalisierung, gleichzeitig “Entzauberung der Welt” (Max Weber).
Der Versuch, sich die Welt verfügbar, erreichbar und zugänglich zu machen und zu halten, bringt die Kehrseite einer schweigenden Welt und deren Entzauberung mit sich.
Alternative Begriffe: "Entfremdung" (Marx), "das Absurde" (Camus), "Verdinglichung" (Lukasz), "Isolation" (Fromm), "Plasiertheit" (Simmel), ...

III. Ein alternatives Weltverhältnis

a) strukturell: Adaptive Stabilisierung

Lösung ist nicht "Entschleunigung" oder irgendwie statisch, es geht vielmehr darum, nur dann zu beschleunigen, wenn etwas geändert werden muss, z.B. um den Hunger zu bekämpfen oder möglichst schnell einen Impfstoff zu finden, aber nicht Beschleunigung, um den status quo zu erhalten.

b) kulturell: Resonanz

Resonanz ist Rosas Gegenbegriff für ein Weltverhältnis, das nicht auf Steigerung und Reichweitenvergrößerung beruht, sondern auf einer anderen Art des In-der-Welt-Seins. Es muss oder sollte nämlich möglich sein, in Kontakt mit Welt und Menschen zu kommen, also ein anderes Weltverhältnis zu entwickeln! Was ist Resonanz? Nach Rosa gilt:
  • Resonanz ist mehr als Anerkennung,
  • Resonanz ist das Andere der Entfremdung,
  • Resonanz ist das Metronombeispiel,
  • Resonanz liegt zwischen Dissonanz und Konsonanz,
  • Resonanz ist nicht dasselbe wie Harmonie oder Gleichklang,
  • letztlich: Resonanz ist das, was ein gutes Leben erst möglich macht.
Kernmerkmale der Resonanz:
  • man wird von etwas berührt, erreicht, affiziert...
    (BERÜHRUNG)
  • man antwortet darauf und man schafft es, die andere Seite (die einen vorher berührt hat) ebenfalls zu erreichen und zu berühren
    (ANTWORT)
  • man verändert sich, man ist, nachdem einen etwas berührt hat, nicht mehr dieselbe Person
    (TRANSFORMATION)
  • das ist nicht planbar oder systematisch herstellbar, es kann nicht erzwungen und nicht gesteigert werden, damit auch immer ein Element der Unsicherheit und des Risikos: man lässt sich auf etwas ein, ohne zu wissen, was am Ende herauskommt
    (UNVERFÜGBARKEIT)
  • Rahmenbedingungen sind wichtig; Resonanz hat Voraussetzungen, ist nur möglich unter bestimmten Bedingungen oder Verhältnissen
    (RESONANZRAUM)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen