Mittwoch, 11. Oktober 2017

Haben Solidarität und soziale Bindungen in der Konsumgesellschaft eine Chance? - "Leben als Konsum" von Zygmunt Bauman

„Ich shoppe, also bin ich..." - Ein treffendes Zitat aus dem Klappentext von Zygmunt Baumans Buch über die Gesellschaft, in der wir uns befinden. Er beschreibt den Wandel der Gesellschaft von Produzenten hin zu einer Gesellschaft von Konsumenten und untersucht die Auswirkungen von Haltungen und Verhaltensmustern unserer Gesellschaft, geprägt durch den uns umgebenden Konsum, in verschiedenen Aspekten des sozialen Lebens.

Politik und Demokratie, soziale Spaltungen und Schichtungen, Gemeinschaften und Partnerschaften, Identitätsbildung sowie die Produktion und der Gebrauch von Wissen und Wertorientierung scheinen im ersten Moment nicht miteinander verbunden, Bauman zeigt aber die einzelnen Verkettungen der Bereiche detailliert auf.

Obwohl der leider Anfang dieses Jahres im Alter von 91 Jahren verstorbene Zygmunt Bauman das Buch "Leben als Konsum" ("Consuming Life" im englischen Original) bereits vor 10 Jahren veröffentlicht hat, hat es bis heute rein gar nichts an Aktualität und Aussagekraft eingebüßt.

Bauman war die moralische Stimme, die sich für die Globalisierungsverlierer, die Armen und Enteigneten dieser Welt einsetzte, die durch die Raster der Konsumgesellschaft gefallen waren. Er galt als einer der produktivsten und prominentesten Soziologen Europas und zeichnete sich als Kritiker aus, der immer wieder Einfluss auf den gesellschaftspolitischen Diskurs der Konsumgesellschaft ausübte. Bereits in den 90er- Jahren setzte seine Kritik an der Konsumgesellschaft an, und er prägte Begriffe wie z.B. die flüchtige Moderne.

Eben diese flüchtige Moderne, die schnell und radikal ist, sieht Bauman als Grundlage der Konsumgesellschaft. Existenzielle Ängste und Verunsicherung, ausgelöst durch sich verflüchtigende soziale Strukturen und Beziehungen, noch bevor aus ihnen stützende Formen werden können, zeigen sich die Auswirkungen des schnellen Genusses der Konsumgesellschaft bis in unsere intimsten Bereiche des Lebens.


Bauman verspricht keine Lösungen oder Anweisungen, sondern nur, die Umbrüche und die daraus resultierende Ungewissheit kontrovers und möglichst umfangreich zu beleuchten. "Für Bauman war die Moderne kein eindeutiger Fortschrittsprozess".

Laut Bauman geben wir den Errungenschaften der Moderne nicht mehr die Möglichkeit, sich zu etwas Dauerhaftem zu entwickeln, weshalb er die Metapher der „Liquidität“, aus seinem Buch "Liquid Modernity" wählt. Er beschreibt diese Auswahl mit der in Enzyklopädien hinterlegten Definition des sich dauerhaft verändernden Erscheinungsbildes einer Flüssigkeit, welches immer nur für einen Moment gleich bleibt und sich sofort wieder ändert, ebenso wie unsere Gesellschaft, die dauerhaft im Fluss ist.

Für Bauman ist aus einem Ideal des solidarischen Gemeinwesens und einem funktionierenden Sozialstaat ein Wettbewerb aus „Einzelkämpfern“ geworden, die sich der Selbstoptimierung und dem Konsum zuwenden, und einem Staat, der durch die „flüchtigen Zeiten“ dazu ermutigt ist, immer weitere Funktionen an den Markt abzugeben. Dieser Verlust an Legitimität des Staates treibt den Staat zur Neudefinition seiner ureigensten Aufgaben, welche er in der strafrechtlichen Intervention wahrnimmt. 

Der so praktizierte Sicherheitsstaat, der seine Bürger nicht mehr vor dem sozialen Abstieg schützt, hat auch weitreichende Folgen für seine Bürger, die nun mehr und mehr den globalen Kräften des Marktes ausgeliefert sind. Gegen diese kann sich der Bürger kaum schützen, da er nur einen marginalen Einfluss nehmen kann und sich sein Einfluss durch Deregulierung immer weiter vermindert. 

Die Solidarität der Menschen untereinander, wie sie in Gewerkschaften zum Tragen kam, wird sukzessive abgebaut und somit gesellschaftliche Solidarität zunehmend unattraktiver, ausgelöst durch den Wettbewerb des Marktes. Die gesellschaftliche Kurzatmigkeit bietet keine Strukturen mehr an, sondern bildet ein Netzwerk aus sehr variablen Verbindungen, die aber meist nur temporärer Natur sind. Es werden also Verunsicherung und Ungewissheit genährt. 

Konsumismus kontra Konsum

Die These von Colin Campbell, die Bauman verwendet und innerhalb des Abschnittes in seinem Buch behandelt, beinhaltet einen folgenreichen Umbruch, der als „konsumistische Revolution“ bezeichnet wird. Dieser Umbruch gilt als Übergang weg vom schlichten Konsum hin zu einem Konsum, der
 „…, für das Leben der meisten Menschen "besonders wichtig, wenn nicht sogar entscheidend" wurde, "der eigentliche Daseinszweck" und als "unsere Fähigkeit, zu "wollen", zu "begehren" und zu "ersehnen" und vor allem die Fähigkeit, diese Emotionen immer wieder zu erleben, tatsächlich zur Grundlage der Wirtschaft" und des menschlichen Zusammenseins wurde.“ (S.38)
Die Macht des Konsums und seine Rolle für das Leben der meisten Menschen nahmen schlagartig zu. Diese Entwicklung versucht Bauman durch „Idealtypen“ zu analysieren. Die in der Soziologie verwendeten „Idealtypen“ sind konstruierte Begriffe, ähnlich physikalischer Reaktionen, die im absolut leeren Raum errechnet wurden und real nie so auftreten, die absichtlich nur einzelne der sie definierenden Aspekte hervorheben und andere ausblenden. Diese „reinen Idealtypen“ dürfen allerdings zu keinem Zeitpunkt mit „realen Phänomenen“ verwechselt werden, sondern dienen nur zu deren Analyse. Wenn also im Folgenden von Konsumismus, Konsumgesellschaft, Konsumkultur etc. die Rede ist, so sind eben die von Bauman gewählten Idealtypen gemeint.

Was unterscheidet Konsumismus vom Konsum?

Der Konsum ist vorrangig ein Merkmal und eine Beschäftigung einzelner Menschen, der Konsumismus wird von Bauman als ein Attribut der Gesellschaft beschrieben, welche den Konsum als Dreh- und Angelpunkt nimmt - vergleichbar mit der Arbeit in der Gesellschaft von Produzenten davor. Durch diese Abstraktion des Konsums zu einer externen Kraft, die die Gesellschaft bewegt und antreibt, kann diese Kraft eine „Gesellschaft von Konsumenten“ hervorbringen.

Die Abgrenzung zwischen der „Gesellschaft von Konsumenten“ und der „Gesellschaft von Produzenten“ lässt sich bereits in den Gütern erkennen, die begehrt werden. In der „festen“ Phase der Moderne wurde ein verlässliches, haltbares Umfeld gesucht und somit wurden viele raumgreifende Objekte angeschafft, die durch ihre Sperrigkeit eine gesicherte Zukunft suggerierten, die gleichermaßen persönlichen Komfort, Macht und Status auf Dauer gewähren sollten und demnach nicht zum Konsum gedacht waren. Sie sollten vor Schaden und Zersetzung bewahrt bleiben. Das Streben nach der Sicherheit stigmatisierte den Konsum als etwas, das von „Leichtsinn oder gar Sünde“ (S.43) geprägt war.

Im Wandel zu einer „Gesellschaft von Konsumenten“ musste dieses Streben nach Sicherheit zu einer Ursache von Störungen und Fehlfunktionen werden, um den Weg von der Befriedigung von Bedürfnissen zu einer ständigen Zunahme und Intensivierung von Wünschen zu ermöglichen. Diese Zunahme und Intensivierung benötigt einen sofortigen Gebrauch und eine Ersetzung der Objekte und fördert die Unstillbarkeit der Wünsche. Bauman beruft sich hier auf Don Slaters „inhärente Obsoleszens“, also das „Veraltet“- sein der Objekte im Moment des Erwerbs. 
„Neue Bedürfnisse bedürfen neuer Waren, neue Waren bedürfen neuer Bedürfnisse und Wünsche.“ (S.45)
Der sofortige Konsum und die daraus resultierende sofortige Entsorgung fügen sich wunderbar in die „flüchtige Moderne“ ein, in der nicht mehr die Dauerhaftigkeit den Status definiert, sondern die Fähigkeit, flüchtige Chancen im Vorbeigehen zu ergreifen und ein hohes Maß an Mobilität zu wahren, die sperrigen Besitztümer wären also mehr Ballast als Zugewinn und taugen nur noch für den Müllplatz. 

Der ideale Konsument
„(Er) lebt von einem Augenblick zum nächsten (…). Sein Verhalten ist impulsiv, entweder, weil er nicht die Disziplin aufbringen kann, eine gegenwärtige Befriedigung einer zukünftigen zu opfern oder weil er gar keinen Sinn für Zukunft hat. Vorausschauendes Handeln ist ihm daher völlig fremd; was er nicht sofort konsumieren kann, hat für ihn keinerlei Wert“ (S. 175 nach  Ken Auletta])
Kürzer und genauer kann man den typischen Vertreter der Konsumgesellschaft nicht charakterisieren. Bei dem Zitat handelt es sich allerdings um die Charakterisierung des Verhaltens eines typischen Vertreters der sogenannten Unterschicht.

Der idealtypische Konsument hat einen unstillbaren Durst nach Konsum, der nicht zu stillen ist und den er auch nicht zu stillen anstrebt. Sobald er sich ein Objekt angeeignet und auch nur sehr temporär genutzt hat, strebt er direkt ein weiteres, neueres Objekt an und wird das alte entsorgen, auch wenn dieses noch vollkommen funktionsfähig ist. Der ideale Konsument wird allem, was er kauft und konsumiert, so schnell überdrüssig wie ein durstiger Mensch, der das Glas Wasser leer trinkt und im nächsten Moment, da er seinen Durst gestillt hat, sich etwas zu essen holt. 

Die Gesellschaft von Konsumenten

Die von Sicherheit, Gehorsam und Regelkonformität geprägte „Gesellschaft von Produzenten“ sprach ihre männlichen Mitglieder vornehmlich als Soldaten und die weiblichen Mitglieder vornehmlich als Zulieferer von Dienstleistungen an. Diese zugewiesenen Positionen wurden von der Gesellschaft als unanfechtbar betrachtet und die Mitglieder hatten sich damit abzufinden. Sich dem „Primat der Arbeit“ zu unterwerfen und die fortwährenden Mühen zu erdulden, die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschieben, wurden eifrig gelehrt. Der Körper war das oberste Gut der Arbeiter und Soldaten, wohingegen ihr Geist „deaktiviert“ werden sollte. Sie sollten den Anforderungen in Fabrikhallen oder Schlachtfeldern gemäß erzogen werden und da war der körperliche Faktor dem geistigen weit überlegen.

Wer diese Eigenschaften nicht vorwies und durch den Eignungstest als Soldat/Produzent fiel, galt fortan als „anormal“ oder „Invalide“, wurde zu einem zu therapierenden Objekt, um wieder in Form zu kommen, um der Gesellschaft dienen zu können. Es blieb also eine Chance auf Rückkehr in die Gesellschaft bestehen.

In der „Gesellschaft von Konsumenten“ hingegen wird bereits von frühester Kindheit an ein anderer Weg eingeschlagen. Der Anpassungsdruck der Gesellschaft wirkt sich vornehmlich auf die Handhabung des Geistes aus. Es werden einheitliche Trainingsstrategien für Jungen und Mädchen zugleich gewählt, da jeder ein „Konsument aus Berufung“(S.74) werden soll, der dies zugleich als Menschenrecht und als universelle Menschenpflicht versteht. 

Die Konsumgesellschaft nimmt keinerlei Alters-, Geschlechts-, Klassen- oder Rassenunterscheidungen vor. Es werden, so Bauman, auch die Ärmeren in der Peripherie dazu gedrängt, das wenige Geld, was sie zur Verfügung haben, für sinnlose Güter zu verwenden, um die gesellschaftliche Erniedrigung abzuwenden und der Exklusion auszuweichen.

Die Exklusion aus der „Gesellschaft von Konsumenten“ ist in der Tat deutlich weitreichender als noch in der „Gesellschaft von Produzenten“, aber hierzu in dem Abschnitt „Kollateralschäden der Konsumgesellschaft“ später mehr.

Den Mitgliedern der Gesellschaft werden dauerhaft Ratschläge erteilt, mit welchen Produkten sie sich auszustatten haben, um ihre gewünschte gesellschaftliche Position zu erreichen oder diese zu behalten.

Im gleichen Zug wird suggeriert, unzulänglich oder minderwertig zu sein, sollte man dem Aufruf nicht direkt Folge leisten. Diese individuell zu bewältigende Aufgabe, eine Auswahl zu treffen und einen für sich zugeschnittenen Weg zu nehmen, beinhaltet auch die individuellen Anstrengungen, die unternommen werden, in der Handhabung des eigenen Körpers. 

Dies unterscheidet sich wiederum grundlegend von der „Gesellschaft von Produzenten. Der Körper wird nicht mehr als höchstes Gut angesehen, sondern der Geist, um sich in den Einkaufszentren und Geschäften zurechtzufinden. Dem Körper wird nun eine andere Rolle zugeschrieben, die ihn nicht in den gesellschaftlichen, aber den persönlichen Fokus rückt: jedes Mitglied der „Gesellschaft von Konsumenten“ ist sowohl Konsument als auch selbst ein Konsumgut. 

Kultur des Konsumismus
Der Raum, den flüchtig-moderne Konsumenten brauchen, für den sie, so der Rat von allen Seiten, kämpfen und den sie mit Zähnen und Klauen verteidigen sollen, kann nur dadurch errungen werden, dass man andere Menschen aus ihm hinausbefördert – vor allem jene Art von Menschen, die fürsorglich sind und/oder die es nötig haben könnten, dass man für sie sorgt (S. 69).
Haben zwischenmenschliche Beziehungen in der Konsumgesellschaft noch Platz? 

Der Mensch als Konsument und als sich dauerhaft darstellende Ware sträubt sich, so Bauman, geradezu gegen persönliche Bindungen. Dies wirkt sich ungemein auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Bestand die Menschheit früher noch aus Gruppen mit einer überschaubaren Anzahl an Menschen, welche sich persönlich kannten, ist heute jede noch so flüchtige Bekanntschaft eine Chance, ein Potential, sich zu verändern, sich zu verwirklichen und dadurch den eigenen Warenwert zu steigern.

Um eine langfristige zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen, muss Zeit investiert werden; Zeit, die sich die Menschen nicht leisten können in ihrem ewigen Streben, besser zu werden, mehr zu haben und attraktiv zu sein. So suggeriert die Werbung, dass sie die Lösung des Problems, welches über Jahrhunderte keines war, bereits gefunden hat.

Diverse Dating-Apps und Agenturen versprechen zu jeder Tages- und Nachtzeit, den einen perfekten Partner parat zu halten, er sei nur ein paar Klicks entfernt. Die Zeit, die es bisher benötigte, und die angsteinflößende persönliche Begegnung verlieren also in immensem Maß an Kraft, zugleich wird der Prozess des Menschen zur Ware stark weitergetrieben. Die Apps und Agenturen fordern uns auf, Profile anzulegen und uns von unserer besten Seite zu zeigen. Wir sollen uns also wie eine Ware in der Wurst- und Fleischtheke in der Metzgerei um die Ecke zur Schau stellen und dann ausgewählt werden.

Der flüchtig-moderne Konsument folgt genau diesem Versprechen, legt sich ein Profil an und mustert notfalls stundenlang die Profile seiner „potentiellen großen Liebe“. Jedes Bild, jedes Posting und jede Nachricht werden intensiv analysiert, um sich beim „Kauf“, also einem Treffen und einem „Sich-aufeinander-Einlassen“ möglichst sicher sein zu können, DIE BESTE Ware gekauft zu haben.

Kommt es also dann tatsächlich zu einem Treffen, stellen die beiden Parteien erstaunt fest, dass nicht nur sie ihre Ware betrachten, sondern die Ware auch zurückschaut. Diese unangenehme Situation lässt sich in der bereits erwähnten Metzgereitheke gut beschreiben. Stellen Sie sich nur einmal vor, Ihr Steak, das Sie gerade für das Abendessen kaufen möchten, blickt Sie auf einmal skeptisch an, mustert Sie und - sollten Sie es auswählen - könnte es immer noch ablehnen, weil Sie ihm nicht gefallen. Wir sind also gleichzeitig Ware und Konsument, diese Diskrepanz stellt viele Menschen vor beinahe unlösbare Probleme.

Es werden also zwischenmenschliche Beziehungen zu etwas Käuflichem, leider - oder wohl eher zum Glück - halten sich unsere Gefühle und unser daran angeschlossenes Verhalten nicht an die Prinzipien der Logik oder des Marktes.

„Der Konsumismus zielt darauf ab, die emotionale Umkehrung von Arbeit und Familie aufrechtzuerhalten. Arbeiter, die durchschnittlich drei Stunden pro Tag (die Hälfte ihrer Freizeit) vor dem Fernseher dem Bombardement mit Werbespots ausgesetzt sind, werden dazu gebracht zu glauben, dass sie mehr Dinge „brauchen“. 
Um Geld zu verdienen, arbeiten sie länger. Und weil sie so wenig zu Hause sind, machen sie ihre Abwesenheit mit Geschenken wett, die Geld kosten. Sie verdinglichen ihre Liebe. Und so dreht sich der Kreis immer weiter.“ (S.157 nach A.R.Hochschild)
Je konsequenter und erfolgreicher sie dem suggerierten Weg der Werbebotschaften folgen, desto weniger Gelegenheit bleibt für mitfühlendes Verständnis und notwendige Konfrontationen. Vielmehr wählen viele heutzutage lieber den Weg, die Kommunikation zu beenden, zu fliehen und alle Brücken hinter sich abzubrechen, als sich der Situation zu stellen. Das zum Teil langwierige und kraftraubende Auflösen von Meinungsverschiedenheiten bzw. Missverständnissen nimmt mehr und mehr ab.

Diese Abwendung von der liebevollen Fürsorge füreinander befeuert die „verdinglichte Liebe“ erst recht: als Ruhepause der Konflikte. In Zeiten, in denen die
„…Zahl der Anlässe für Streit, der Menschen, die Groll hegen und besänftigt werden müssen, und der Meinungsverschiedenheiten, die nach einer Lösung schreien, immer dringender gebraucht werden“ (S.158),
wenden sich laut Hochschild die hochqualifizierten Arbeitskräfte verstärkt der Arbeit zu, da ihnen hier ein Ersatz für die traute Heimeligkeit geboten wird, die weniger qualifizierten Arbeiter wenden sich dahingegen eher Trinkgesellen von der Eckkneipe, Gangs oder ähnlichen Gruppen zu. 

Die prometheische Scham als Motor des Körperkults

Ein Kaprizieren auf das Körperliche lässt sich seit Aufkommen der Konsumgesellschaft leicht beobachten. Doch woher kommt der Antrieb für eine solche Strömung? Um sich selbst als möglichst attraktive Ware darzustellen zu können, wenden die Menschen diverse Mittel an. Sie gehen ins Fitnessstudio, ins Sonnenstudio, halten Diäten oder lassen sich sogar (schönheits-)operieren.

Die prometheische Scham, welche durch den Vergleich mit den nahezu perfekten, von Menschenhand geschaffenen Objekten und der offensichtlichen Unvollkommenheit des eigenen Körpers entsteht, treibt Menschen zu immer extremeren Schritten im Konsum dieser verändernden Maßnahmen.

Nimmt man die von Bauman beschriebene pointilistische Zeit - also eine Zeit, nicht zusammenhängend als Strahl, sondern als Ansammlung unzähliger einzelner Momente – hinzu, so ergibt sich für die Menschen die Möglichkeit, sich in jedem dieser Momente neu zu erfinden und neu zu definieren.
"Wenn Sie nicht rundum zufrieden sind, können Sie die Ware zurückbringen." (S.147).
Slogans wie dieser zeigen das oberste Prinzip der Strategie des Konsumlebens und fördern den Körperkult ungemein.

Jede neue Identität nimmt dem begrenzten Leben ein wenig seines bedrückenden Charakters, da man sich mehr und mehr Leben zulegt. Jede dieser neuen Identitäten ist nicht weiter weg als das nächste Einkaufszentrum und somit zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens erreichbar.

Die anfängliche Anwendung jedes Mittels impliziert den Folgekonsum, so bieten Fitnessstudios Jahresabonnements, Sonnenstudios Kundenkarten und selbst Firmen für Schönheitsoperationen bieten inzwischen Mengenrabatte und Kundenkarten für Wiederholungs(täter)kunden. 

Kollateralschäden des Konsumismus

Zu den Kollateralschäden der Konsumgesellschaft gehören Menschen, die der "underclass", einem Begriff, der in den letzten Jahren geläufig wurde, zugeordnet werden können. Dies zeigt eine Veränderung in der Sichtweise von Gesellschaft auf.

Die einst verbreiteten Begriffe "Arbeiterklasse" oder "lower class" gehörten einer Sichtweise auf Gesellschaft an, in der sich die einzelnen Klassen noch bedingten und sich ergänzten und die Menschen einer Klasse in Bewegung waren und nur temporär in einer Klasse verweilten. Die Personen der "lower class" waren also jene am unteren Ende der Leiter, konnten jedoch mit Glück und Fleiß ihrer untergeordneten Stellung entkommen, in Grundzügen entspricht dies dem „American Dream“.

Der Begriff der "underclass" hingegen impliziert eine Gesellschaft, „…die alles andere als gastfreundlich ist und in der keineswegs alle ihren Platz haben, eine Gesellschaft, die sich stattdessen der Mahnung Carl Schmitts erinnert, dass das entscheidende Kennzeichen der Souveränität das Vorrecht ist, Menschen auszuschließen und damit eine Kategorie von Menschen zu bilden, der man die Anwendung des Gesetzes verweigert.“ Der Begriff beschreibt demnach Menschen, die aus der gesamten Klassenhierarchie ausgeschlossen sind, die keinen sinnvollen Beitrag zum Leben der anderen leisten, denen grundsätzlich nicht zu helfen ist und die daher wenig Chance und keine Notwendigkeit auf Wiederaufnahme haben.

Bauman erinnert hier an die Sprache im Nationalsozialismus für die Juden, welche damals als „Rasse ohne Rasse“ aber als Parasit der „richtigen“ und aller anderen Rassen galten. Gleichzeitig wird eine Assoziation mit der "underworld", dem Hades und dem Tod gezogen. Es zeigt sich also: Der Begriff ist außerordentlich geschickt gewählt, um subtil die Abneigung gegenüber ihren Mitgliedern auszudrücken. Doch wer sind in der Konsumgesellschaft die Mitglieder dieser "underclass"? Es sind nach Herbert J. Gans, welcher von Bauman zitiert wird, 
„… junge Frauen, [die] ohne Absicherung durch eine Ehe Kinder bekommen und Sozialhilfeempfängerinnen werden. Zu dieser nach dem Verhalten definierten underclass gehören außerdem Obdachlose, Bettler und Almosenempfänger, mittellose Alkohol- und Dorgenabhängige sowie Straßenkriminelle.“ 
Und durch die Dehnbarkeit des Begriffs werden oftmals Arme aus „sozialen Brennpunkten“, illegale Einwanderer und Mitglieder von Jugendgangs der "underclass" zugerechnet.

Doch was hat diese auf den ersten Blick wahllose, völlig heterogene Gruppenzusammensetzung gemein, was verbindet eine alleinerziehende junge Mutter mit einem drogenabhängigen Schulabbrecher oder einem illegalen Einwanderer?

All diese Menschen fallen aus dem Raster der Konsumgesellschaft, da ihnen die Möglichkeiten für eine aktive Teilhabe fehlen. In einer Gesellschaft, in der sich Individuen gänzlich über ihren Marktwert identifizieren, fallen Menschen, die keinen Marktwert besitzen, aus der Gesellschaft selbst heraus. Sie konsumieren zu wenig bzw. bieten zu wenig Potential und Wille zu konsumieren, da ihnen meist die finanziellen Mittel fehlen. Daher spricht ihnen die Konsumgesellschaft auch in Entscheidungen keine vollwertige Stimme zu, wodurch sie an ihrer Situation auch nichts ändern können. Sie werden als „gescheiterte Konsumenten" (S.161) angesehen.

Die Art und Weise, wie diese Personen wahrgenommen werden, leitet sich aus der stigmatisierten Darstellung der "underclass" ab. Es werden bestimmte Gefahren, für die sie angeblich stehen, aufgezeigt und somit suggeriert, dass alle anderen Mitglieder der Gesellschaft von Konsumenten besser dran wären, wenn die „Schmarotzer“ aus der Gesellschaft ausscheiden. Somit wird eine Konzentration diffuser Ängste auf ein spezifisches Ziel ermöglicht, was beruhigend wirkt, da dieses Ziel greifbar und konkret ist.

Eben dieser Ausschluss aus der Konsumgesellschaft, so Bauman, ist eine der wenigen Ausnahmen des Dauerhaften innerhalb der flüchtige Moderne. 

Fazit

Bauman versucht, aus einer Vielzahl von Blickwinkeln die Veränderungen der letzten Jahrzehnte und deren Auswirkungen auf unser Zusammenleben zu beschreiben. Diese umfassende Darstellung der Realität und die Schlüsse, die er daraus zieht, sind zu Teilen verheerend und nicht immer leicht verständlich bzw. zugänglich formuliert. Er legt jedoch sehr gut die oftmals nicht wahrgenommenen Prozesse, die innerhalb einer Gesellschaft ablaufen und unser aller Leben beeinflussen, deutlich dar und regt so zum reflektierten und kontroversen Nachdenken an.

In einer sich dauerhaft verändernden und aktuell zu einer „Postwachstums-Gesellschaft“ sich verändernden Welt ist eine Rückbesinnung auf Solidarität und persönliche Beziehungen unumgänglich, um die Gefahren der Konsumgesellschaft zu minimieren und eine Exklusion ihrer Mitglieder zu verhindern. Ein Mensch darf nicht aufgrund seiner (mangelnden) Kaufkraft bzw. Konsumfähigkeit ausgeschlossen werden, sondern die Person selbst muss wieder mehr zählen.

Die Rückbesinnung und Entschleunigung unseres Lebens scheint da als eine der Möglichkeiten. Wenn sich das Leben nicht mehr so rasant und flüchtig gestaltet, bleiben wieder Zeit für Familie, Freunde und weitere persönliche Bindungen. Dies bietet den Raum, um diese auch zu dauerhaften, tieferen und sinntreibenden Beziehungen zu entwickeln und daraus Kraft zu ziehen.

Das wiederum mindert den Drang, durch Objekte, welche mit dem erarbeiteten Kapital gekauft werden, die Schuldgefühle zu mindern. So scheint dies ein Ausweg aus der Konsumspirale zu sein – korrelierend mit dem Prinzip der Suffizienz, nach dem wir uns mit dem zufrieden geben, was wir erreicht haben/besitzen und so ein höheres Maß an Glück erreichen als im dauerhaften Streben nach „Mehr“.

Ich hoffe, meine Ausführungen regen den einen oder anderen zum Lesen dieses oder eines der anderen Bücher von Zygmunt Bauman oder zum Nachdenken generell an. Ich kann inzwischen gut verstehen, weshalb Herr Müller bei der Themenbesprechung meinte: „Ein sehr gutes Buch des leider verstorbenen Zygmunt Bauman“. Danke auch an Sie, Herr Müller, für diesen Themenvorschlag, der zwar anstrengend, aber auf jeden Fall eine große Bereicherung war. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen