Freitag, 15. Juli 2022

Anpassen an den Klimawandel: schwimmende Städte


Kennt heute noch jemand den von Kritikern eher negativ aufgenommen Spielfilm „Waterworld“ von 1995 mit Kevin Costner in der Hauptrolle? Die Polkappen sind geschmolzen, festen Boden gibt es nicht mehr aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels, alle leben auf improvisierten, aus Müll zusammengebastelten Plattformen, die im Meer schwimmen. Trinkwasser und Erde werden zu den teuersten Ressourcen, für die gemordet und geplündert wird, die einzige Hoffnung ist der Mythos Dryland, das letzte Stück fester Boden, den alle finden wollen. Auch wenn der Film in vielen Punkten versagt, so muss man doch anerkennen, dass die Idee von schwimmenden Plattformen als Lebensraum durchaus seinen Reiz hat. Und heute, 2022, ist das nicht mehr nur eine verrückte Vorstellung, auch nicht nur ein grobes Konzept, es ist bereits Realität dank eines Prototyps in der südkoreanischen Metropole Busan.

Idee der schwimmenden Stadt

In erstaunlich kurzer Zeit hat sich die Idee zum Prototyp weiterentwickeln können: 2019 fand die erste Round Table Sitzung des UN-Programms UN-Habitat, ein Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen, statt. Das Problem ist offensichtlich: mehr und mehr Menschen, Städte, sogar ganze Nationen sind vom Anstieg des Meeresspiegels sowie zunehmenden Naturkatastrophen in Küstengebieten gefährdet. 9 der 10 größten Städte weltweit sind einem starken Risiko ausgesetzt und mehr als eine halbe Milliarde Menschen sehen sich heute schon den zunehmenden Problemen ausgesetzt. Der Gedanke stand stets im Raum, die Flucht in die Höhe zu suchen, also höher gelegene Regionen als Zuflucht zu wählen vor Überschwemmungen und anderen lebensbedrohlichen Katastrophen. Doch nun wird auch der Idee nachgegangen, das Wasser als Wohnraum zu erschließen.

Das Projekt der blue technology Firma Oceanix soll genau das ermöglichen. In Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an Menschen und Organisationen aus aller Welt und mithilfe der UN wird das Ziel verfolgt, schwimmende Plattformen als eigenständige, sich selbst komplett versorgende und vor allem klimaneutrale Städte zu errichten. Damit soll nicht nur auf Klimakatastrophen reagiert werden, man erhofft sich auch, soziale Ungleichheit reduzieren zu können, indem man mehr Wohnraum zur Verfügung stellen kann, um die ständig steigenden Kosten in Großstädten aufhalten zu können.

Technologie

Die Plattformen erinnern an ein Wabensystem, viele einzelne dreieckige Plattformen, die miteinander in Verbindung stehen. Dabei gibt es auch eine klare Struktur, so befinden sich beispielsweise auf einer Plattform die Wohnräume, eine andere dient als Forschungs- und Wissenschaftsbereich, jede Plattform bekommt einen eigenen Zweck.

Die benötigte Energie wird komplett autark gewonnen und ausschließlich durch erneuerbare Energie abgedeckt. Hierfür wird Solar-, Wind- und Wasserenergie genutzt. Frisches, sauberes Trinkwasser wird durch ein komplexes Recycling- und Filtersystem gewährleistet. Auch das Abfallsystem funktioniert durch einen geschlossenen Recycling-Kreislauf, indem Abfall zur dafür zuständigen Plattform transportiert wird. Die Neighbourhoods stellen damit komplett autarke, in sich geschlossene Systeme dar. Die Lebensmittelversorgung soll durch pflanzenbasierte Nahrung bewerkstelligt werden, die ebenfalls autark angebaut wird. Auch die Frage der Mobilität ist nicht ungeklärt, so ersetzen Boote die bisherigen Verkehrsmittel, hierbei wird auf eine öffentliche Infrastruktur gesetzt.

Die wohl faszinierendste Technologie ist aber die Konstruktion selbst: das Meer selbst soll beim Aufbau helfen. Die unter dem Wasser befindlichen Teile der Konstruktion aus Metall werden mit Gleichstrom versehen, wodurch sich Mineralien aus dem Wasser an der Konstruktion absetzen. Das führt zu einer Art Kalkstein-Kruste, die die Plattform umgibt. Dadurch wird die Widerstandsfähigkeit erhöht und das Material vor Verschleiß geschützt, wobei sich die Kalksteinschicht ständig selbst erneuert und mit der Zeit widerstandsfähiger wird. Dieses Verfahren wurde in den 1970er Jahren von Wolf Hilbertz entdeckt und weiterentwickelt und findet seitdem weltweit erfolgreich Anwendung, um künstliche Korallenriffe zu bilden.

Prototyp

Die Metropole Busan, welche fortlaufend den Weg zur klimaneutralen Stadt sucht, wurde als Standort ausgewählt für den ersten Prototyp der „floating cities“. 6 Hektar groß mit Platz für 12.000 Menschen, bestehend aus aktuell 3 großen Plattformen mit dem Bestreben, die Stadt auszuweiten. Das beschreibt kurz und bündig den aktuellen Stand des Prototyps in Busan und bisher scheint sich das Konzept zu bewähren. Mit der Unterstützung der UN scheint hier das Potenzial zu liegen, diese Idee global umzusetzen.

Zusammenfassung

Die „floating cities“ werden den Klimawandel nicht aufhalten, und es hat einen bitteren Beigeschmack, Maßnahmen zu treffen, die nur auf die Symptome reagieren, anstatt die Ursachen anzupacken. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass es sich hierbei nur um eine Anpassungsmaßnahme handelt, die die eigentliche Aufgabe nicht ersetzt, den vom Menschen beschleunigten Klimawandel zu stoppen. Dennoch könnte das Konzept vor allem dafür dienen, viele Menschenleben zu bewahren und jenen eine Heimat bieten zu können, die unmittelbar vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sind. Viele Versprechen stehen derzeit im Raum, so sollen die Plattformen jeglichen Naturkatstrophen widerstehen können, die Kosten für die Städte sollen sich laut Aussage eines Mitgründers von Oceanix auf 200 Millionen US-Dollar belaufen. Ob diese Versprechen gehalten werden können, wird sich zeigen, doch das Konzept scheint nach aktuellem Stand sehr erfolgversprechend.

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