Samstag, 13. April 2019

Kleinprojekt „Nachhaltigkeit im E-Center Besigheim“

„Als ich ungefähr 8 Jahre alt war, hörte ich zum ersten Mal vom Klimawandel und von der globalen Erwärmung. Offenbar hatten das Menschen durch ihre Lebensweise verursacht. Mir wurde gesagt ich solle das Licht ausmachen, um Energie zu sparen, und Papier wiederverwenden, um Ressourcen zu sparen. Ich erinnerte mich daran, dass ich es sehr seltsam fand, dass Menschen, die eine Tierart von vielen sind, dazu fähig sind, das Erdklima zu verändern. Denn, wenn wir es wären, und es tatsächlich geschah, dann würden wir doch über nichts Anderes mehr sprechen. Im Fernsehen würde es nur darum gehen. Schlagzeilen, Radio und Zeitungen - wir würden von nichts Anderem hören und lesen, so als wäre ein Weltkrieg ausgebrochen. Aber niemand sprach darüber.“ (Thunberg, G., TEDxStockholm, 2018)
Und genau diese Fragen stellte ich mir Woche für Woche, als ich Hunderten von Menschen am Wochenende ihre Lebensmittel verkaufte. Warum spricht hier niemand davon, dass wir an unserem Lebensstil etwas ändern müssen? Warum kauft der Großteil der Menschen weiterhin genauso ein, als wüssten sie nicht, dass das Thema Erderwärmung bzw. Klimawandel uns alle etwas angeht und wir nur etwas verändern können, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Warum sehen die meisten Menschen, die mit gutem Gewissen weiter ihre Mandarinen in Plastiktüten einpacken, obwohl drei Meter weiter eine Papiertüte liegt, diesen Strang nicht? Wollen sie ihn nicht sehen? Sind die zu faul, ihn zu sehen? Haben sie Angst, ihn zu sehen?

All diese Fragen wollte ich beantwortet haben und deshalb entschied ich mich, für ein Wochenende nicht an der Kasse zu sitzen. Ich wollte weg von dem Ort, an dem sich die Menschen schon entschieden haben, was sie aufs Band legen, hin zu dem Ort, an dem man – so glaubte ich – noch etwas beeinflussten konnte.

Ich fing also an, mir Gedanken zu machen, wie ich das Ganze darstellen könnte. Bewusst war mir dabei, dass das Thema viel zu groß ist, um es auf einen Informationsstand zu reduzieren. Deshalb entschied ich mich, das Thema Nachhaltigkeit nur auf den Alltag herunterzubrechen. Ich entwarf einen Flyer, auf dem lediglich einfache und leicht umsetzbare Tipps für den Alltag notiert waren. Zudem bestellte ich mehr Obst- und Gemüsenetze sowie Transportdosen für die Wurst-, Käse- und Fleischtheke und druckte Saisonkalender von dem Obst und Gemüse aus, welches man in unserem Markt kaufen kann.

Der Plan stand, die Einwilligung von meinem Chef hatte ich und dann ging es los. Geplant hatte ich, diesen Informationsstand an einem Freitag und einem Samstag von 10-15 Uhr in der Obst - und Gemüseabteilung unseres Marktes aufzubauen.

Ergebnisse und Erkenntnisse des Kleinprojekts

Und ja, das waren sehr eindrucksvolle 10 Stunden! Gleich vorweg kann ich sagen: Es hat niemanden interessiert.

Ich habe viele Antworten bekommen, mit denen ich so niemals gerechnet hätte, und das hat mich zum Nachdenken angestoßen. Bevor ich nun anführen möchte, an was das liegen könnte und was wir daran ändern könnten, möchte ich ein paar Aussagen, die Kunden getätigt haben, hier festhalten, um deutlich zu machen, dass wir als Generation, die scheinbar eine andere Sicht auf die Dinge hat, anders handeln können.

So unterhielt ich mich beispielsweise ein paar Minuten mit einem Herrn über das Thema Nachhaltigkeit. Er war ganz begeistert von der Idee und erzählte mir stolz, dass er versuche, im Alltag darauf zu achten. Das Gespräch war nach ein paar Minuten zuende und er setzte seinen Einkauf fort. Nach fünf Minuten kam er wieder und meinte, es sei doch unnötig, den Orangensaft in einer Plastikflasche zu kaufen, man könne sich die Orangen auch selber auspressen. Dann lief er zu dem Regal, in dem der Orangensaft stand – in dem Moment dachte ich: „Oh das Gespräch hat wohl echt was geholfen – stellt er jetzt echt die Flaschen wieder zurück?!“ Zu früh gefreut – er lud sich noch zwei weitere ein und grinste mich beim Vorbeilaufen an.

Ein weiterer Kunde fragte mich, was Nachhaltigkeit denn überhaupt bedeuten würde, er hätte das noch nie gehört. Beim Versuch, es ihm zu erklären, unterbrach er mich und meinte, das würden er und seine Frau zu Hause eh schon alles machen. Aber meistens kamen Aussagen wie: „Das hat sowieso keinen Sinn, wenn nur ich das mache.“ Oder: „Dafür bin ich nun wirklich schon zu alt.“ Aber auch: „Das ist mir alles zu aufwendig, sollen sich doch erstmal die Amis und die Saudis um ihre Lebensart kümmern, bevor ich etwas an mir ändern kann.“

Zudem wollte ich noch eine Umfrage machen, um diese Hausarbeit mit ein paar Zahlen zu unterlegen. Ich dachte, in 10 Stunden 100 Bögen, das sei realistisch. Tatsächlich habe ich nur 51 Kunden dazu ermutigen können, sich die zwei Minuten zu nehmen. Die meisten willigten auch nur ein, weil es ja für mein Studium sei. Meine Ergebnisse werde ich im weiteren Verlauf immer wieder mit einfließen lassen.
„Wenn das Verbrennen fossiler Brennstoffe so schädlich wäre, dass es unsere Existenz bedroht, wie können wir dann so weitermachen wie bisher? Warum gibt es keine Beschränkungen? Warum wurde es nicht verboten? Für mich ergab das überhaupt keinen Sinn. Es war zu unwirklich.“ (Thunberg, G., TEDxStockholm, 2018)
Und genau die Gedanken, die Greta Thunberg in diesem TED Talk beschreibt, hatte ich nach diesen 10 Stunden auch. Warum? Ich stellte den Glauben an die Menschheit in Frage und konnte einfach nicht verstehen, wie man so egoistisch handeln kann. Und so kam die Frage für diese Hausarbeit zustande: Warum handeln Menschen entgegen aller Rationalität und Realität? Dabei bin ich mir sicher, dass die meisten Kunden über den Klimawandel und die Erderwärmung Bescheid wissen und auch merken, dass die Winter immer wärmer werden. Und trotzdem machen sie weiter, wie sie es gewohnt sind.
„Warum also reduzieren wir unsere Emissionen nicht? Warum steigen sie stattdessen immer noch? Verursachen wir absichtlich ein Massenaussterben? Sind wir böse?“ (Thunberg, G., TEDxStockholm, 2018) 
Das große Warum

Erster Versuch einer Erklärung:
„Nein, sicher nicht. Menschen machen weiter, weil ein Großteil keine Ahnung vor den Folgen unseres Alltagslebens hat. Sie wissen nicht, dass ein schneller Wandel notwendig ist. Wir alle denken, wir wüssten es, und wir alle denken, jeder wüsste es, aber so ist es nicht. Wie könnten wir das auch? Wenn es wirklich eine Krise gäbe, die durch unsere Emissionen verursacht würde, müsste man wenigstens einige Anzeichen sehen. Nicht nur überflutete Städte, zehntausende Tote und ganze Länder voller Trümmer aus abgerissenen Gebäuden. Man würde Beschränkungen sehen. Aber nein – und niemand spricht darüber! […] Wenn ich 100 Jahre alt werde, werde ich im Jahr 2103 leben. Wenn Sie heute über die Zukunft nachdenken, denken Sie nicht über das Jahr 2050 hinaus. Im besten Fall habe ich dann nicht einmal die Hälfte meines Lebens hinter mir. Was geschieht danach? Im Jahr 2078 feiere ich meinen 75. Geburtstag. Wenn ich Kinder oder Enkelkinder habe, verbringen sie vielleicht den Tag mit mir. Vielleicht fragen sie mich nach Ihnen, den Menschen, die im Jahr 2018 lebten. Vielleicht fragen sie mich, warum Sie nichts taten, als Ihnen noch Zeit dafür blieb. Was wir jetzt tun oder nicht tun, betrifft mein ganzes Leben und das Leben meiner Kinder und Enkelkinder. Was wir jetzt tun oder nicht tun, können ich und meine Generation in Zukunft nicht ungeschehen machen.“ (Thunberg, G., TEDxStockholm, 2018)
Das sind aussagekräftige Formulierungen, die es mich noch weniger verstehen lassen. Im Buch „Vier fürs Klima“ wird beschrieben, wie eine 4-köpfige Familie ein Jahr lang versucht, so klimafreundlich zu leben, wie es ihnen möglich ist. Und auch sie stoßen immer wieder auf diese Erkenntnisse, und so gibt der Vater der Familie einen Gedankenanstoß, den ich gerne anführen möchte:
"[…] jeder Mensch […] hat eine konkrete moralische Verantwortung für andere Menschen. Er fühlt sich für die Mitmenschen in seiner Umgebung verantwortlich und handelt in der Regel auch danach. Denn jeder würde ein Kleinkind, das in einem seichten Teich zu ertrinken droht, retten, wenn niemand anderer zur Hilfe kommt […]. Das Beispiel von dem Kind und dem Teich […] stammt vom australischen Philosophen Peter Singer. Dieser sagt, dass sich moralische Verantwortung heute aber nicht mehr nur wie früher auf den unmittelbaren Nahbereich, die heimische Nachbarschaft, beschränken lässt. […] Da die Welt zu einem globalen Dorf geworden ist, sind wir mit allen anderen Menschen auf der Welt verbunden – sei es durch Wirtschafts- und Handels- oder durch politische Abkommen – und hätten deshalb auch allen Menschen gegenüber eine konkrete Verantwortung […].“ (Pinzler, Wessel, 2018, 147)
Und so habe jeder Konsument, beispielsweise einer Mango, eine globale Verantwortung. Diese Verantwortung scheint aber offensichtlich zu verschwinden, wenn man die Mangos im Angebot hinterhergeschmissen bekommt. Haben wir dieses Gefühl der Verantwortung anderen gegenüber überhaupt noch?

Als Gegenthese möchte ich das „Gute Samariter-Experiment“, welches 1973 von den Psychologen John Darley und C. Daniel Batson durchgeführt wurde, anführen. Es verdeutlicht den ausgesprochen geringen Stellenwert, den Moralität in Entscheidungssituationen hat. Für das Experiment wurden Theologiestudenten dazu veranlasst, unter Zeitdruck eine Predigt zum Gleichnis vom Guten Samariter zu verfassen. Die Rede sollte anschließend in einem anderen Gebäude aufgezeichnet werden.

Nach einer gewissen Zeit wurde den Studenten mitgeteilt, dass man im Studio schon auf sie warten würde. Die Probanden liefen nun schnell in das andere Gebäude, vor dem eine Person mit einem (vorgespielten) Asthmaanfall liegt. Nur 16 von den 40 Probanden blieben stehen und halfen der Person. Darley und Batson erklärten das Ergebnis so, dass sich die Wahrnehmung der Probanden durch den Stress und die abzugebende Aufgabe verengte und deshalb 24 von den 40 Studierenden angaben, die Person noch nicht einmal wahrgenommen zu haben.

Die partikulare Vernunft

Wie soll nun bei der heutigen Lebensart, die auf Zeitdruck basiert, wahrgenommen werden, dass es Menschen gibt, die, um bei der Mango zu bleiben, unter schrecklichen Bedingungen arbeiten müssen, damit jede zweite Woche in unserem Markt die Mango für einen Euro zu erwerben ist? Wir haben weder Menschen vor uns liegen, die uns erzählen, unter welchen schrecklichen Bedingungen sie arbeiten müssen, wenn wir die Mango in den Einkaufskorb legen, noch wird uns von der Industrie die Wahrheit vorgesetzt.

Ich bin mir also nicht sicher, ob das Kind, welches in den Teich gefallen ist, tatsächlich von jedem Menschen gerettet werden würde. Aber sicher bin ich mir nach diesem Projekt, dass es die wenigsten Menschen interessiert, wie viel CO2 dafür verbraucht worden ist, dass sie ihre Mango morgens in ihr Müsli schneiden können. Sie interessieren sich nicht mehr dafür, weil es zu anstrengend sein würde, sich Gedanken über das gesamte „Globale Dorf“ machen zu müssen.

Es ist einfacherer, sich nur Gedanken über sich selber zu machen, da man bei dem unüberschaubaren Rest kaum zu einem nennenswerten Ergebnis kommt. Harald Welzer spricht hier von der sogenannten partikularen Vernunft.
„Das ist zweifellos eine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, allerdings eine, die die Umwelt mehr schädigt, als hätte sie nicht stattgefunden. Analoge Rationalitätskalkükle finden sich immer, wenn Menschen wissen, dass ihr Verhalten mittel- oder langfristig schädlich ist (und sich später sogar gegen sie selbst richten wird), aber trotzdem Gründe haben, sich gegen dieses Wissen zu verhalten.“ (Welzer, Leggewie, 2016, 79).
„Die Ökonomie nennt solches rational-irrationale Verhalten „Diskontierung zukünftiger Gewinne“: Man nimmt zur Erzielung eines kurzfristigen Gewinns die Schädigung einer Ressource in Kauf, […]. Diskontierung heißt in diesem Fall von umweltschädlichem Verhalten allerdings, Kredite bei der Umwelt aufzunehmen und die Verrechnung kommender Generationen zu überlassen. (Welzer, Leggewie, 2016, 80).
Aber mit welchem Recht nehmen wir und das raus? Wer sind wir, dass wir uns über die nachkommenden Generationen stellen dürfen und sie dazu zwingen, unsere „Kredite“ zahlen zu müssen? 

Kognitive Dissonanz
„In jedem Fall ist die Rätselfrage, wieso Menschen gegen besseres Wissen handeln, mit der einfacheren Antwort zu lösen, dass sie ihrem Handeln keine universelle Rationalität zugrunde legen, sondern dass immer partikulare Irrationalitäten bestimmend dafür sind, welche Entscheidungen jemand in einer gegebenen Situation fällt und welche Lösungsstrategien er wählt.“ (Welzer, Leggewie, 2016, 81).
Aber ist das die ganze Erklärung dafür, warum sich so viele Menschen hilflos bei diesem Thema vorkommen? 20 der 50 Teilnehmer an meiner Umfrage gaben an, dass sie sich im Bereich der Nachhaltigkeit in vielen Bereichen deutlich überfordert fühlen und manche mit einem latenten schlechtem Gewissen vor den Regalen der Supermärkte stehen und zwischen Bio- und Regional- und Fairtrade-Produkten hin und her schwenken. Dass sie den normalen Salat kaufen, weil er so viel billiger sei, dann aber als Entlastung die Biotomaten dazulegen. Dass ihnen ihre Fliegerei ein blödes Gefühl mache, sie dann aber doch zugreifen, spätestens wenn sie die Flugpreise von den Billig-Airlines sehen. Verglichen mit einem normalen Bahnticket sind die Billigflieger einfach unschlagbar.

Der norwegische Psychologe Per Espen Stoknes, der seit vielen Jahren genau dieses Phänomen, warum die Menschen zwar immer mehr über den Klimawandel wissen, warum es ihnen aber zugleich so schwerfällt, das Problem ernst zu nehmen und entsprechen zu handeln, untersucht (vgl. Pinzler, Wessel, 2018, 181), führt als Schlüsselbegriff die kognitive Dissonanz an.

Beim ersten Lesen denkt man sich, was hat das genau mit unserer Klimaerwärmung zu tun und wie genau lässt sich damit meine Frage beantworten. Aber wenn man etwas genauer darüber nachdenkt, beschreibt Stoknes hier den beeindruckenden Mechanismus des Selbstbetrugs, dem wir unterliegen. Man versteht nun schlagartig, warum wir zwar immer mehr wissen, uns aber trotz all der Fakten so schwer damit tun, unser Leben klimafreundlicher zu gestalten (vgl. Pinzler, Wessel, 2018, 181).

Aber was genau bedeutet kognitive Dissonanz nun? Es ist das Verhalten, welches im Wiederspruch zum Wissen steht. Der Mensch relativiert sein Verhalten, so Stoknes, mit folgenden Strategien: Zum einen reden Menschen ihr Verhalten klein. Dabei vergleichen sie sich oft mit anderen Nationen oder Kulturen. Es kommen also Aussagen zustande wie: „So schlimm ist unsere Lebensweise für den Klimawandel nun auch nicht, die Amerikaner oder gar die Saudis sind doch viel schlimmer.“ – Fällt Ihnen etwas auf? Genau diese Aussage hat tatsächlich ein Kunde bei meinem Kleinprojekt als Reaktion auf meinen Nachhaltigkeitsstand fallen lassen.

Des Weiteren relativieren wir oft die Probleme. Immer wieder liest man, dass Menschen nicht an den Klimawandel „glauben“. Sie behaupten, dass es doch immer schon heiße Perioden in der Erdgeschichte gab, und behaupten deshalb, dass die Wissenschaftler die Lage etwas dramatisieren. Die Tatsache, dass wir, der „reiche Norden“, hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich sind und der „arme Süden“ die Konsequenzen beispielsweise durch Naturkatastrophen trägt, untermauert die Aussagen solcher Menschen natürlich. Sie sind sich über ihre Handlungen nicht im Klaren, da sie die Konsequenzen davon nicht tragen müssen.

Zudem spricht Stoknes von der Strategie des Entlastens. Menschen wiegen das eine mit dem anderen auf. Und so kommen sie zu dem Entschluss, dass sie ja schon Ökostrom beziehen und die Biogurken kaufen. Deshalb hätten sie auch das Recht, nach Thailand in den Urlaub zu fliegen. Die letzte Strategie ist das Leugnen. Ein bekannter Mann, den wir alle mit dieser Strategie in Verbindung bringen, ist Donald Trump, der Präsident der Vereinigten Staaten. Er ist der Meinung, dass der Klimawandel nur eine Erfindung der Wissenschaft ist. Es seien sich immer noch nicht alle einig, ob es ihn tatsächlich gibt.

Ich persönlich würde aus meinen Erfahrungen nun noch eine Strategie ergänzen. Und zwar die der Ablehnung. Ich höre beispielsweise von Freunden immer wieder, dass ihr Verhalten belächelt oder gar abgewertet wird. Auch aus meiner Erfahrung kann ich diese Aussage unterstreichen. Es braucht schon ein gesundes Selbstbewusstsein, um sich hier positionieren zu können und nicht gleich als „Ökofreak“ abgestempelt zu werden. Stoknes findet folgende Worte, um all diese Strategien unter dem Begriff kognitive Dissonanz zu erklären:
„Die Vorstellung […], dass die Motive für Handlungen ihre Ursache in der Persönlichkeitsstruktur von Menschen haben und dass Einstellungen handlungsleitend sind, ist nicht sehr realistisch: Denn um den unterschiedlichsten sozialen Situationen, wechselnden Anforderungen und vielen Rollenerwartungen entsprechen zu können, muss man sich flexibel zwischen seinem Selbstbild und seinen situationsspezifischen Entscheidungen und Handlungen hin- und her bewegen können.“ (Stoknes, 2015, 61 ff.)
Stoknes führt hier das Beispiel des Rauchens an, um die Mechanismen und deren Folgen deutlich zu machen. Dies möchte ich nun darlegen, um die doch recht komplexen Erklärungen an einem Beispiel zu verdeutlichen. Die meisten Menschen, die täglich rauchen, wissen ganz genau, dass der Zigarettenkonsum ihrer Gesundheit schadet. Und trotzdem rauchen sie Tag für Tag. Dabei ist genau das eigentlich recht unlogisch: Welcher halbwegs rationale Mensch wird sich schon wissentlich selbst vergiften? Der Raucher wendet nun folgende Strategien an, um – abgesehen davon, dass es sich beim Rauchen um eine Sucht handelt – sein bizarres Verhalten zu erklären:

Zum einen redet er seinen Konsum klein, indem er anführt, er würde doch gar nicht so viel rauchen. Des Weiteren relativiert er die Erkenntnisse der Wissenschaft, indem er behauptet, dass die Ergebnisse von Studien gar nicht so eindeutig seien, in welchem Zusammenhang das Rauchen und die Gesundheit des Menschen steht. Zudem rechnet er sein Verhalten auf. Er mache doch regelmäßig Sport und würde sich gesund ernähren, dann sei das bisschen Rauchen doch gar nicht so schlimm. Und zum Schluss leugnet er, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der Gesundheit gebe.

Die Rollendistanz

Man spricht hier laut dem Sozialpsychologen Erving Goffman von der sogenannten „Rollendistanz“. Dies sei eine zentrale Kompetenz von Menschen, die in modernen Gesellschaften leben (vgl. Goffman, 1973, 263). Aufgrund der hohen Anzahl an Anforderungen, die der Mensch im heutigen Zeitalter und in unserer modernen Gesellschaft zu erfüllen hat, ist die Idee, dass Menschen unabhängig von bestimmten Situationen immer derselben Moral und Strategie folgen also nicht kompatibel. Harald Welzer bringt das mit einem Satz ganz gut auf den Punkt.
„Pointiert könnte man daher sagen, dass es viel mehr die Handlungen sind, die die Personen bestimmen, als dass es die Person wäre, die die Handlung bestimmt.“ (Welzer, Leggewie, 2016, 75).

Die fundamentalen Attributionsfehler und die Dissonanzreduktion

Oft ist mir auch bei den Aussagen der Kunden aufgefallen, dass sie Bezug auf andere Dinge nehmen und sich somit rechtfertigen. Die Psychologie spricht hier vom sogenannten fundamentalen Attributionsfehler. So erklären wir das Zustandekommen unserer Handlungen fast immer mit den Umständen anderer Dinge.

Das belegen nicht nur meine Erfahrung, die ich bei meinem Kleinprojekt in Bezug auf Nachhaltigkeit im Alltag gemacht habe, sondern auch das „Gute-Samariter-Experiment“, welches ich zu Beginn meiner Arbeit erwähnt habe. Die 24 Probanden, die die Person, die auf dem Boden lag, „übersahen“, rechtfertigten sich im Anschluss damit, dass sie eine wichtige Abgabe hatten und zu diesem Termin nicht zu spät kommen duften. Sie erklärten also das Zustandekommen ihrer eigenen Handlungen, indem sie Bezug auf die Umstände nahmen.

Man sieht, dass die Moral, über die wir verfügen und die uns mit Orientierung in Bezug auf richtiges oder falsches Handeln ausstattet, in der Regel nicht handlungsleitend wirkt, sondern uns eine Richtschnur dafür liefert, welche Begründungen dafür geeignet ist, eine falsche Handlung mit einem richtigen Bewusstsein zur Deckung zu bringen. Wissen und Handlung wird also in Übereinstimmung gebracht, um das schlechte Gewissen klein zu halten. Die Psychologie spricht hier von der sogenannten Dissonanzreduktion.

Zusammenfassend

… kann man also folgendes festhalten: „Wenn Menschen eine Diskrepanz zwischen ihren Erwartungen und der Realität erleben, die sich praktisch nicht beseitigen lässt, erzeugt das ein tiefes Unbehagen und damit das dringende Bedürfnis, die Dissonanz zu beseitigen oder wenigstens zu reduzieren. Daher wird die Wahrnehmung der Wirklichkeit angepasst, weshalb Raucher Lungenkrebsstatistiken für überbewertet halten […]“ (Welzer, Leggewie, 2016, 78) oder Kunden des E-Centers in Besigheim kaum Interesse daran gezeigt habe, wenn ihnen jemand versucht, Nachhaltigkeit im Alltag an die Hand zu geben.

Man kann (also) zu den bereits genannten Strategien der Dissonanzreduktion greifen, oder man kann sagen, dass jede Menge andere Akteure existieren, denen man die Schuld an der Misere zuschreiben kann: Die Industrie, die Politik, die Amis, die Saudis, die Reichen, … Alle sind um Mehrung ihres Wohlstandes bemüht, um den Preis, der zu zahlen ist, dürfen sich die anderen kümmern. Wir bekommen davon ja immerhin nichts mit, deshalb ist unser Verhalten auch in Ordnung, wie es ist.

Wie können wir trotzdem ein Vorbild sein?

Ok, nun wissen wir, dass unsere Wahrnehmung uns täuschen kann und dass wir Meister darin sind, uns aus Dingen herausreden zu können. Ich für meinen Teil finde das eine logische Erklärung, die uns die Psychologie hier gibt, aber keineswegs sollte das eine Rechtfertigung dafür sein, dass wir uns so verhalten, wie wir es im Moment (noch) tun.

Bewusst möchte in nun keine großen Modelle ansprechen, wie beispielsweise das der „Zukunftsbank Europa“ kurz ZBE, die für die Umweltpolitik ähnlich agiert wie die Europäische Zentralbank für den Finanzsektor. Ich könnte es. Aber wie man deutlich an den Ergebnissen meines Kleinprojekts gesehen hat, wäre das der fünfte Schritt vor dem ersten. Wir können es uns nicht erlauben, den Kopf in den Sand zu stecken – und gewiss, ich war kurz davor.
„Wir sollten uns daran erinnern, dass wir alle Mittel in der Hand haben, um die Probleme zu lösen: Wir haben das Wissen, wir haben die Technik, wir haben das Geld. Was uns fehlt, ist der Wille und die Entschlossenheit, jetzt zu handeln. Um diesen Willen zu stärken und durchzusetzen, brauchen wir Institutionen und Regeln, mit deren Hilfe eine nachhaltige Politik in Europa möglich gemacht wird.“ (Pötter, 2010. 14)
Hier waren die Teilnehmer an meiner Umfrage und ich uns das erste Mal einig. Denn 50 von 51 Teilnehmern waren der Meinung, dass die Politik anfangen sollte, etwas zu ändern, und vor allem mit Regeln härter durchgreifen sollte. Auf freiwilliger Basis würde sich nicht viel tun, so eine Kundin, die meine Umfrage ausfüllte, es müsse von der Politik Regeln geben, die deutlich machen, wie wir uns zu verhalten haben, sonst würde nicht viel passieren.

Die meisten vermeintlichen Problemlösungen haben eines gemeinsam: Sie verlängern die bisherige Praxis der technischen oder politischen Normalität. Nötig ist aber eine neue Sichtweise. Es geht nicht mehr um „höher, schneller, weiter“, sondern um „weniger, langsamer und kleiner“. Es geht um Einschränkungen unseres überschießenden Wachstums an Ressourcenverbrauch und Ansprüchen.

Und dabei ist wichtig, wie man diese Einschränkungen definiert. Verzicht hat auch seine Vorteile. Diese müssen, meiner Meinung nach, vor allem von der Wirtschaft deutlich gemacht werden. Allerdings würde das gegen das Prinzip des Kapitalismus streben. Und nun sind wir bei dem Kern der Aussage. Meiner Meinung nach - und auch 35 Teilnehmer meiner Umfrage waren dieser Meinung - muss der Kapitalismus weichen, um Nachhaltigkeit zum Hauptziel der heutigen, modernen Gesellschaft zu machen.

Es müsste vermittelt werden, dass es nicht notwendig ist, jede Saison fünf neue Kleidungsstücke zu erwerben, oder Vorräte in der Küche zu haben, die für das nächste halbe Jahr ausreichen würden. Wir brauchen auch keine sieben Kosmetikartikel, um unsere Haut in ein schönes Licht zu rücken. Zudem können wir wieder anfangen, uns Dinge mit Nachbarn zu teilen, die man nur alle sechs Wochen benötigt. Wir sollten anfangen, als Gesellschaft wieder etwas enger aneinander zu rücken und nicht mehr nur noch an uns zu denken. Wenn ich schon bei den Nachbarn bin, noch folgender Gedankenanstoß, wie man mit wenig Worten viel bewegen kann.
„Wer immer sieht, wie alle Nachbarn mit dem Auto zum Bäcker fahren, wird meinen, dass es ohnehin nichts bringt, wenn er selbst dafür auf den Drahtesel steigt. Wenn es aber alle machen, es offensiv beworben und politisch gefördert wird, können die Deutschen – wie vor ihnen schon die Niederländer und die Dänen – zu begeisterten Radfahrern werden.“ (Pötter, 2010, 69).
Es geht also darum anzufangen. Egal bei was. Und es geht darum, leise anzufangen. Mit Taten statt mit Worten. Mit Worten und Aktionen setzt man andere unter Druck, man ruft in ihnen schnell das schlechte Gewissen hervor und sorgt so dafür, dass das Gegenüber sich angegriffen fühlt und dichtmacht. Wenn man allerdings mit Taten voranschreitet und einfach das macht, was man für richtig hält, und davon überzeugt ist, macht man andere dadurch aufmerksam. Und glaubt mir, es ist ein schönes Gefühl, wenn man merkt, dass die Schwester sich plötzlich für biologische und regionale Lebensmittel interessiert und der Freund anfängt, darauf zu achten, beim Lebensmitteleinkauf kaum noch in Plastik verpackte Lebensmittel zu kaufen.

Und auch die Teilnehmer an meiner Umfrage waren der Meinung, es sei für jeden möglich, einerseits das Obst und Gemüse entweder lose in den Einkaufswagen zu legen oder in Baumwollbeutel zu packen, anstatt die Plastik- bzw. Papiertüte zu nehmen. Außerdem gaben 27 der 50 Teilnehmer an, dass sie jedem ans Herz legen können, die Einkaufstaschen wiederzuverwenden. Als letzten Tipp, den viele nannten, hielten es 16 Teilhemer für besonders wichtig, sich immer wieder zu informieren und nicht alle Schlagzeilen gleich zu glauben. Die Teilnehmer an meiner Umfrage waren sich also auch einig, dass es einfach ist, mit kleinen Dingen die ersten Schritte zu machen. Man muss sie nur machen!

Zum Abschluss meiner Arbeit möchte ich nun nochmal ein Zitat von Greta Thunberg anführen, die es schafft, mit wenig Worten das Wichtige auf den Punkt zu bringen:
„Ja wir brauchen Hoffnung, sicher brauchen wir sie. Aber noch mehr als Hoffnung brauchen wir Taten. Sobald wir handeln, ist die Hoffnung überall. Statt also nach Hoffnung zu suchen, suchen Sie nach Handlungsmöglichkeiten. Dann, und nur dann, wird Hoffnung kommen. […] Wir können die Welt nicht retten, indem wir die Regeln einhalten, denn die Regeln müssen geändert werden. Alles muss sich ändern. Und es muss heute beginnen.“ (Thunberg, G., TEDxStockholm, 2018) 

Literaturverzeichnis
  • Berg, P. (2016): Endliche Welt, unendliches Geld. Das wahre Dilemma der Nachhaltigkeit. München: oekom verlag.
  • Goffman, E. (1973): Rollendistanz. In: Heinz Steinert (Hg.), Symbolische Interaktion. Stuttgart: Springer. Seite 260-279.
  • Gore, A. (2006): Eine unbequeme Wahrheit. Die drohende Klimakatastrophe und was wir dagegen tun können. München: Riemann Verlag.
  • Lohner, H., Paul, N., Presting, I. (2013): Projekt Zukunft. Was hat Nachhaltigkeit mit uns zu tun? Bad Homburg v.d.h.: VAS.
  • Pinzler, P., Wessel, G. (2018): Vier fürs Klima. Wie unsere Familie versucht, CO2-neutral zuleben. München: Droemer Verlag.
  • Pötter, B. (2010): Ausweg Ökodiktatur? Wie unsere Demokratie an der Umweltkrise scheitert. München: oekom verlag.
  • Senge, P., Smith, B., Kruschwitz, N., Laur, J., Schley, S. (2011): Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.
  • Stoknes, P. E. (2015): What We Think About When We Try Not To Think About Global Warming. White River Junction: Chelsea Green Publishing.
  • Thunberg, G. (2018): School strike for climate - save the world by changing the rules | Greta Thunberg | TEDxStockholm, abgerufen von: https://www.youtube.com/watch?time_continue=668&v=EAmmUIEsN9A

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