Sonntag, 14. April 2019

Die ökologische Krise aus der Perspektive von Vittorio Hösle

"Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen
Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen,
Wie man schneller sägen könnte, und fuhren
Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen,
Schüttelten die Köpfe beim Sägen und
Sägten weiter." (Bertolt Brecht, Exil, III)
(zit. nach Hösle 1994, 43)

Mit diesem Zitat beschreibt Vittorio Hösle den kollektiven Wettlauf der ersten Welt in die ökologische Katastrophe. Der Mensch hat durch technischen Fortschritt eine ungeheure Macht gewonnen und dabei vergessen, an die Folgen zu denken. Der Mensch muss "[...] für den Raubbau an der Natur verantwortlich gemacht werden." (Hösle 1994, 43)

In dieser Arbeit wird die Sichtweise des deutsch-italienischen, in Amerika lebenden Philosophen auf die aktuelle ökologische Krise dargestellt. Doch warum beschäftigt sich ein Philosoph mit dieser Frage? Die Philosophie erscheint auf den ersten Blick nicht als die Wissenschaft, mit der das Problem gelöst werden kann. Doch sie kann wertvolle Impulse liefern. Das ist unter anderem Thema der historischen Abhandlung, wie es zur ökologischen Krise kam. Zu Hösles Lösungsansatz gehört ein grundlegender Paradigmenwechsel. Auch dieser ist ein Aspekt der vorliegenden Arbeit. Wie kann und muss die Politik die Rahmenbedingungen ändern, damit die ökologische Katastrophe verhindert werden kann?


Philosophischer Ansatz

Die ökologische Krise ist derzeit das drängendste Problem der Menschheit, stellte Hösle schon 1990 fest. Das 20. Jahrhundert war die Epoche der Wirtschaft und des Wachstums – mit den bekannten Folgen. Hösle beklagt, dass im Zeitalter der Wissenschaft, des Fortschritts und der Technisierung Einsichten wie diese nicht gehört werden. Einsicht und Weisheit sind Sache der Philosophie, daher setzt er sich mit diesen Fragen auseinander. (vgl. Hösle, 1994, 43)

Wichtig in dem Zusammenhang ist das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Der Mensch selbst ist Teil der Natur und von ihr hervorgebracht. Durch Forschung und Wissenschaft hat er es geschafft, die Gesetze der Natur zu durchschauen. In der Antike wurden Mensch und Natur noch als Einheit gesehen. Mit der Aufklärung hat der Mensch begonnen sich über die Natur zu stellen und sie zu beherrschen. In Naturwissenschaft und Technik war lange Zeit der Machbarkeitswahn die treibende Kraft. Der Mensch hat sich der Natur überlegen gefühlt und alles daran gesetzt, sie zu beherrschen. (vgl. Hösle 1994, 37)

Schon Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) hat die Frage gestellt, ob jede Entwicklung als Fortschritt gesehen werden kann. Vielmehr müssen die Folgen moralisch bewerten werden. (vgl. Hösle 1999, 44) In der heutigen Zeit ist das Problem, dass so viele Menschen am technischen Fortschritt teilhaben und das Ganze zu einem ökologischen Problem wurde. Dabei sind die Schwellen- und Entwicklungsländer derzeit noch weitgehend außen vor. Aber auch sie wollen unseren Lebensstandard. Technisch wäre das heute kein Problem, und die Wirtschaft würde sich über das Wachstum freuen. Aber weitere Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung etc. wären die Folge und die müssen ja verringert werden. (vgl. Hösle 1994, 44)

Hier kommt wieder die Philosophie ins Spiel: Die Frage „Ist das machbar?“ muss ergänzt werden um „Ist es sinnvoll, dies zu machen?“. Diese Erkenntnis geht auf Immanuel Kant (1724 – 1804) und dessen „Kritik der reinen Vernunft “ zurück. Er sagt, die Frage was ethisch richtig ist, kann nicht aus der Natur beantwortet werden, sondern nur mit der Vernunft des Menschen. (vgl. Hösle 1994, 69ff.) Wir müssen wieder lernen zu sagen: „Es ist genug“. „Unbestreitbar ist, daß die moderne Technik dem Menschen das Leben erleichtert hat – sie nimmt ihm z.B. zunehmend Arbeit ab [...]." (Hösle 1994, 60)

Paradigmenwechsel

Gesellschaftliche Akzeptanz

Das größte Problem ist es, diesen neuen Gedanken in der Gesellschaft zu etablieren. Denn "es ist vielmehr eine moralische Last, anerkennen zu müssen, daß die eigene Lebensführung bisher objektiv falsch war, und daß man sich gegen diese Einsicht mit allen Kräften wehrt, ist aus allen Epochen moralischer Paradigmenwechsel bekannt." (Hösle 1994, 84) Wie man aus der Geschichte weiß, sind junge Menschen häufiger die treibende Kraft für einen Paradigmenwechsel. (vgl. Hösle 1994, 85)

Um Firmen zu erweitern, wird beispielsweise in Deutschland täglich eine Fläche von 100 Fußballfeldern versiegelt. Dadurch steigt die Hochwassergefahr, der Grundwasserpegel sinkt. Die Tier- und Pflanzenwelt hat mit der Versiegelung auch zu kämpfen. Aber das wirtschaftliche Wachstum ist vorerst gesichert. (vgl. Handelsblatt dpa 2015)

Die Folgen weltweit sind noch weitaus gravierender. Die Klimaerwärmung führt dazu, dass Pole schmelzen, der Meeresspiegel steigt. Immer häufigere Dürren und Unwetter sind Fluchtursachen. Daher ist es dringend notwendig, sofort effektive Maßnahmen zu ergreifen, um den Klimawandel zu stoppen. Dafür braucht es eine Gesellschaft mit anderen Wertvorstellungen.

Ziel muss es sein, „[…] Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen einander in der moralischen Qualität übertreffen wollen.“ (Hösle 2001, 22) Wenn Handeln im Sinne der Umwelt eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz als finanzieller Wohlstand hat, wäre das ein Anfang. Durch Belebung asketischer Ideale sollen sich neue Werte etablieren. Der Reiche, der unnötigerweise Auto statt Eisenbahn fährt um sein Selbstwertgefühl zu steigern, soll nicht beneidet werden, er muss bemitleidet werden. (vgl. Hösle 1994, 111) 

Die Welt unter Zeitdruck

Ökologische Krisen sind in der Menschheitsgeschichte nichts Neues. „Schon der Urmensch hat zum Aussterben mancher Arten […]“ (Hösle 2001, 16) beigetragen. In der Antike wurden ganze Wälder abgeholzt. Das Problem ist allerdings, dass die moderne Gesellschaft „dank“ technischer Errungenschaften seit der industriellen Revolution die Umwelt so effizient und schnell ausbeutet wie noch keine vor ihr. (vgl. Hösle 2001, 16)

Es gibt Umweltschützer, die sagen, es sei 5 vor 12, andere sagen, es sei bereits kurz nach 12. Auf jeden Fall ist es höchste Zeit, der Klimaerwärmung Einhalt zu gebieten. So wie die Menschheit in der Ersten Welt heute lebt, bereitet sie ihren eigenen Untergang vor. „Würden alle Bewohner dieses Planeten soviel Energie verschwenden, soviel Müll produzieren, soviele Schadstoffe in die Atmosphäre ausstoßen wie die Bevölkerung der Ersten Welt, wären die Katastrophen, auf die wir zutaumeln, schon längst eingetreten.“ (Hösle 1994, 25)

Um die Lebensgrundlage kommender Generationen nicht zu zerstören, muss die Rettung der Umwelt heute oberste Priorität haben. Im Sinne des Gemeinwohles darf es keine irreversiblen Naturzerstörungen geben. Im Unterschied zu den politischen Akteuren versteht Hösle darunter vor allem das Wohl künftiger Generationen. Denn das Leben kommender Generationen ist ein höheres Gut als wirtschaftlich-soziales Wohlergehen der gegenwärtigen Generation. (vgl. Hösle 1994, 104) Hösle beklagt, dass künftige Generationen keine Lobby haben.

Es müssen also neue moralische Werte an die Stelle wirtschaftlicher Optimierung treten. Oberstes Ziel allen Tuns muss es sein, kommenden Generationen eine Welt zu hinterlassen, in der sie leben können. Manche Menschen haben zwar die Einstellung, dass sie die Folgen des Klimawandels nicht mehr erleben und deshalb an ihrem Tun nichts ändern müssen. Das ist aber nicht der Fall, das wird jeder verantwortungsbewusste Mensch, der an seine Kinder oder Enkelkinder denkt, so sehen. Die Geduld der Erde geht zu Ende. (vgl. Hösle 1994, 25) 

Was muss der Staat tun? 

Nachhaltigkeit in der Marktwirtschaft

Der Staat lässt der Wirtschaft ihre Autonomie, muss aber Rahmenbedingungen schaffen, so dass der Eigennutz nicht zu allgemeinen negativen sozialen Entwicklungen in der breiten Bevölkerung führt. Er greift lediglich korrigierend in die Wirtschaft ein. (vgl. Hösle 1994, 103) Ziel muss es sein, dass sich das Gemeinwohl gut entwickelt. Man muss also eine nachhaltige Ökonomie erschaffen. Das Eigeninteresse muss verfolgt werden können, ohne dass kommende Generationen dadurch ihre Rechte verlieren. Die Rahmenbedingung hierzu müssen vernünftig geregelt werden. (vgl. Hösle 2001, 33)

Heute gilt das Wachstum des Bruttosozialprodukts als wichtigster Wert, der über Erfolg bzw. Nicht-Erfolg einer Regierung entscheidet. Aber es ist es ein Irrtum zu glauben, dass quantitatives Wachstum automatisch mehr Wohlstand bedeutet. Denn quantitatives Wachstum generiert nicht automatisch einen größeren Wohlstand bzw. eine glücklichere Bevölkerung. Es gibt Szenarien, wo das Bruttosozialprodukt ansteigt, aber Teile der Bevölkerung leiden müssen. Ein Verkehrsunfall beispielsweise verursacht Kosten, steigert das Bruttosozialprodukt, aber schadet den Beteiligten. (vgl. Hösle 1994, 105)

In diesem Zusammenhang entwickelt Hösle den Begriff der defensiven Kosten. Diese lassen das Bruttosozialprodukt ansteigen und fallen bei der Beseitigung von Schäden an. Bei Umweltkatastrophen, die durch den Klimawandel entstanden sind, fallen defensive Kosten in unsäglicher Höhe an.

Hier schlägt Hösle die Anwendung des Verursacherprinzips vor. „Wer die Umwelt zerstört oder belastet, soll dafür zahlen“ (Hösle 1994, 105) Konkret schlägt Hösle vor: Wer Erde zubetoniert, Müll verursacht, Schadstoffe ausstößt, muss Steuern bzw. Strafe zahlen. Man soll sich zweimal überlegen, ob die Umwelt wirklich geschädigt werden muss und ob man sich die Strafe auch leisten kann. Prävention statt Therapie, wie in der Medizin. Das Übel muss an der Wurzel angepackt werden. (vgl. Hösle 1994, 108)

Erst wenn die Umweltschäden, die das Auto verursacht, auf Hersteller und Autofahrer abgewälzt werden, werden mehr Menschen auf öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Die Mineralölsteuer ist schon jetzt ein finanzpolitisches Mittel, mit dem die verursachten Kosten auf die Verursacher umgelegt werden. Allerdings sollte das Geld laut Hösle nicht für den Bau neuer Straßen, sondern für Aufforstung verwendet werden, um dadurch den Treibhauseffekt zu mildern. (vgl. Hösle 1994, 109)

Ein weiterer Vorschlag von Hösle ist es, durch ein System von Umweltsteuern ein egoistisches Motiv zu schaffen. Da die Unternehmen ihren Gewinn maximieren wollen, produzieren sie umweltfreundlich und nachhaltig und gehen so sparsam wie möglich mit den natürlichen Ressourcen um. (vgl. Hösle 1994, 105) Sie tun dies entweder aus intrinsischer Überzeugung oder weil sie es sich finanziell nicht leisten können, die Umweltzerstörung zu ignorieren.

Die finanziellen Mehrkosten, die durch Umweltzerstörung verursacht werden, bezahlt bislang der Konsument. (vgl. Hösle 1994, 107) Die Umweltsteuer soll aber nicht einfach eine Steuererhöhung sein, sondern dazu dienen, den Umweltverbrauch zu senken. Andere Steuerarten müssten gleichzeitig gesenkt werden. (vgl. Hösle 2001, 32) 

Probleme bei der Umsetzung

„Eine Steuerreform scheint das aussichtsreichste Mittel zu sein, um die Umweltzerstörung einzudämmen.“ (Hösle 1994, 109) Diese lässt sich unterteilen in zwei Prinzipien: Neue Steuern müssen durch Steuererleichterungen auf anderen Gebieten kompensiert werden, um die Produktion nicht zu beeinträchtigen. Lohn- und Einkommenssteuer in Deutschland sind laut Hösle ohnehin zu hoch, was negative Folgen für die Schaffung von Arbeitsplätzen hat.

Das gegenwärtige Steuersystem sieht Hösle als Ursache für die Umweltzerstörung. Um Anpassungsschwierigkeiten zu vermeiden, soll die Umgestaltung nicht zu abrupt geschehen, man soll aber damit sofort beginnen. Staatliche Subventionen für unrentable Wirtschaftszweige, die zusätzlich die Umwelt belasten, müssen eingestellt werden. (vgl. Hösle 1994, 109)

Dem Argument, diese Reform koste viele Arbeitsplätze, hält Hösle entgegen, dass das Lebensrecht künftiger Generationen ein höheres Gut und ein wichtigeres Recht sei, als das der derzeit lebenden Menschen auf einen Arbeitsplatz und dem daraus resultierenden Wohlstand. Außerdem geht er davon aus, dass bei gesunden Rahmenbedingungen zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen. (vgl. Hösle 1994, 110)

„[…] die Aufgabe des Staates sollte sich darauf beschränken, Hilfe bei der Umschulung der Arbeitskräfte zu leisten, er sollte ferner die Bildung einer Klasse dynamischer Unternehmer fördern, die neue Arbeitsplätze in ökologieverträglichen Wirtschaftszweigen schafft. “ (Hösle 1994, 110) 

Internationale Zusammenarbeit

Ein ernsthaftes Problem sieht Hösle darin, dass eine solche Steuerreform nicht nur von einem Land durchgesetzt werden kann. Angenommen, ein Land würde die Vorreiterrolle übernehmen, würden für die Unternehmen dieses Landes gravierende Wettbewerbsnachteile entstehen. Also müssen zwischenstaatliche Verträge dafür sorgen, dass für alle Handelspartner ähnliche ökonomische und ökologische Rahmenbedingungen gelten. (vgl. Hösle 1994, 111)

Hier verweist Hösle auf Carl Schmitts (1888 – 1985) Freund-Feind-Theorie. Durch den Paradigmenwechsel kann es zu einer neuen Freund-Feind-Formation kommen. Ehemals sich feindlich gesinnte Länder können sich annähern und zu Freunden entwickeln, wenn sie gleiche Interessen haben. (vgl. Hösle 1994, 34f) In der Folge schließen sich unterschiedlichste Länder zusammen, um den gemeinsamen Feind, die ökologische Krise, zu besiegen.

Verschiedenste Länder, Kulturen, Religionen und Weltansichten müssen gemeinsam einen Lösungsansatz finden und diesen auch umsetzen. Reichere Länder sollen mit gutem Beispiel vorangehen. Besonders wichtig ist, dass Länder, in denen sich gerade Marktmechanismen entwickeln, diese von Anfang an ökologieverträglich gestaltet werden. (vgl. Hösle 1994, 112)

In internationalen Verträgen muss geregelt werden, wie sich die Vereinten Nationen bei Umweltstandards, vor allem hinsichtlich Ressourcenverbrauch und Emissionen einigen. (vgl. Hösle 2001, 35) 

Traditionelle Tugenden

Hösle ist der Überzeugung, dass Ökologie und Ökonomie kompatibel sind. Umwelt und Wirtschaft dürfen nicht einander entgegensetzt werden. Es braucht neue Umwelttechnologien und auch viel Kapital, um die Umweltprobleme zu lösen. Wirtschaftliches Handeln besteht darin, mit möglichst geringem Aufwand das bestmögliche Resultat zu erzielen und dadurch nachhaltig zu handeln.

Effizienz und Sparsamkeit sind traditionelle ökonomische Tugenden, zugleich aber auch ökologische. Das Einsparen und Recycling von Ressourcen etc. nützt der Wirtschaft und der Umwelt. Mit zunehmendem Umweltbewusstsein der Bevölkerung werden die Konsumenten auf umweltverträgliche Produkte umsteigen. Durch die Ökosteuer werden diese auch günstiger. Langfristig lassen sich mit umweltverträglichen Produkten gute Geschäfte machen. (vgl. Hösle 1994, 111ff) 

Ökologisch-soziale Marktwirtschaft

Auf volkswirtschaftlicher Ebene sind Umweltsteuern nötig, auf betriebswirtschaftlicher Ebene müssen Unternehmen eine neue Selbstdefinition, eine neue Kultur und Werte entwickeln. Unternehmen, die auf umweltverträgliche Produkte setzen, lösen das Problem an der Quelle. Die ökologisch-soziale Marktwirtschaft verlangt nach einem neuen Unternehmer-Typ. Anders als bisherige Manager denkt er nicht primär an kurzfristige Gewinne, sondern stellt sein wirtschaftliches Handeln in einen moralischen Kontext. Moralisch vertretbare Unternehmerentscheidungen müssen wirtschaftlich, sozial, demokratisch und ökologisch sein. Das Streben nach Profit muss mit diesen drei Erfordernissen kompatibel sein (vgl. Hösle 1994, 107)

Dementsprechend muss der neue Unternehmer ausgebildet sein, er muss nicht nur in seinem Spezialgebiet, sondern auch in Natur- und Sozialwissenschaften über ein fundiertes Grundwissen verfügen. „Ihm wird das Maß – die Quantität, die zur Qualität wird – wichtiger sein als das Immer-Mehr; er wird die Zerstörung menschlicher Dimensionen auch dann ablehnen, wenn sie Profit verspricht.“ (Hösle 1994, 120) Auch die Mitarbeiter müssen die sozialen und ökonomischen Kosten ihres Handelns kennen und bewerten. Für die Unternehmen muss eine Ökologiebilanz verpflichtend eingeführt werden. 

Politische Konsequenzen

Der soziale und demokratische Rechtsstaat muss ein ökologischer Staat sein. Seine wichtigste Aufgabe ist die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen. Bis die neuen Werte Fuß gefasst haben, ist es ein schwerer Weg. (vgl. Hösle 1994, 123) Bis auf weiteres ist „[…] mit starken Widerständen gegen die Änderung der gegenwärtigen Rahmenbedingungen zu rechnen.“ (Hösle 1994, 123) Der Staat muss eine neue Moral vorleben und neue Werte setzen. Hösle beschreibt verschiedene politische Schritte zum ökologischen sozialen Rechtsstaat.

Politische Institutionen

Der Schutz der Umwelt im Interesse kommender Generationen muss in alle Verfassungen der Welt aufgenommen werden. (vgl. Hösle 2001, 34) Ein dem Sicherheitsrat entsprechender Umweltrat der Vereinten Nationen soll internationale Standards zum Ressourcenverbrauch und für Emissionen verbindlich festlegen. (vgl. Hösle 2001, 35)

Unter den politischen Institutionen muss das Umweltministerium aufgewertet werden. Es muss wichtiger sein als das Außen-, Innen-, Wirtschafts- und Finanzministerium. „[…] Die Zerstörung der natürlichen Ressourcen ist noch unverantwortlicher als die Staatsverschuldung […]“. (Hösle 1994, 130) Deswegen fordert Hösle ein Vetorecht für den Umweltminister. Die Umweltpolitik wird der Hauptbestandteil der Innen- und vor allem der Außenpolitik sein müssen. (vgl. Hösle 1994, 129f) 

Rechtliche Grundlagen

Es braucht eine unabhängige Lobby für künftige Generationen und die Natur. Ein grundlegendes Prinzip der Demokratie ist, dass Menschen, die von einer Entscheidung betroffen sind, diese selbst fällen. Bei Umweltfragen, also Fragen, die auch künftige Generationen betrifft, ist das nicht möglich. Also muss eine Institution geschaffen werden, die die Rechte kommender Generationen vertritt. Hösle fordert ein staatsrechtliches Pendant zur zivilrechtlichen Figur des Vormunds. Mitglieder der Institution müssen ausgewiesene Fachleute in überlebensrelevanten Disziplinen sein - parteiunabhängig, nicht direkt gewählt, sondern vom Staatspräsidenten oder Verfassungsgericht ernannt. (vgl. Hösle 1994, 131)

„[…] Die klassische Zweiteilung der Rechtswelt in Person und Sachen [muss, d. Verf.] korrigiert werden […].“ (Hösle 1994, 124) Die Umwelt, d.h. das natürliche Kapital, muss per Gesetz unantastbar sein. Derzeit sind Personen und Eigentum juristische Größen, das muss auch für die Natur und Ökosysteme gelten. Wald und Meer sind beispielsweise notwendige regenerierbare Ressourcen, die nicht vernichtet werden dürfen.

Hösle meint, dass nur ihre Früchte genutzt werden dürfen, das natürliche Kapital selbst nicht. Wenn die Natur als juristische Person angesehen werden soll, muss auch das Umweltstrafrecht verschärft und erweitert werden. Eingriffe in fremdes Eigentum sind dann erlaubt, wenn sie menschliches Leben retten. Dadurch wären Aktionen von Greenpeace nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich legitimiert. (vgl. Hösle 1994, 124f)

Es müssen Prioritäten gesetzt werden. „Der Treibhauseffekt und die weltweiten Bodenverluste durch Erosion sind ernstere Probleme als etwa die Erhaltung einer bestimmten Schmetterlingsart […].“ (Hösle 1994, 143) Das Maß der Dinge ist die Verpflichtung gegenüber den nachfolgenden Generationen. „Die Menschen in hundert Jahren können schwerlich Sanktionen verhängen für Schäden, die wir ihnen heute zufügen.“ (Hösle 2001, 18)

Ökodiktatur

Solange sich der Wertewandel in der Mehrheit der Gesellschaft nicht durchgesetzt hat, wird in keiner Demokratie eine Partei an die Macht kommen, die dieses radikalökologische Programm verfolgt. Hier stellt Hösle das demokratische Mehrheitsprinzip in Frage:

Eine demokratische Entscheidung ist nicht immer richtig, weil sie von einer Mehrheit getroffen wird. Sie ist richtig oder falsch aufgrund sachlicher Argumente. Die Qualität einer Demokratie richtet sich nach ihrer Fähigkeit, sachliche Probleme zu lösen. (vgl. Hösle 1994, 144) Der häufigste Einwand ist, dass eine Ökodiktatur ein Übel sei. „[…] gewiß wird sie ein entsetzliches Übel sein, aber sie wird unweigerlich eintreten, wenn es die Demokratie nicht schafft, das ökologische Problem zu lösen.“ (Hösle 1994, 144) Wo moralische Argumente nicht weiterhelfen, werden Umweltkatastrophen unangenehmere Lehrmeister sein. 

Leben im Ökostaat

Kleine Schritte sind notwendig und wichtig. Nationale Alleingänge reichen allerdings nicht aus, um das Weltklima zu stabilisieren und die Verdünnung der Ozonschicht aufzuhalten. Die Umweltpolitik wird Hauptbestandteil der Außenpolitik sein müssen, so wie es derzeit die Wirtschaft ist. (vgl. Hösle 1994, 135)

Lokales und globales Handeln müssen einander ergänzen. In einer umweltgerechten Stadt sollen die Menschen lernen, sich auf globaler Ebene zu engagieren. Probleme dürfen nicht verdrängt und örtlich verlagert werden. Sie müssen aktiv angegangen werden. Außerdem soll eine dezentrale Energieversorgung installiert werden. Nur so ist es möglich, verantwortungsbewusst zu handeln. Müll beispielsweise muss vor Ort entsorgt und darf nicht in Dritte-Welt-Länder exportiert werden. Die negativen Auswirkungen des Konsums müssen ständig sichtbar sein. Es muss ein Anreiz entstehen, diese zu vermeiden.

Um den Autoverkehr zu reduzieren, ist eine Neuverteilung von Wohnen und Arbeiten nötig. (vgl. Hösle 1994, 133f) Vor allem in der konventionellen Landwirtschaft ist ein grundlegender Wandel nötig. „Es ist bedrückend, daß diejenige Sphäre menschlichen Wirtschaftens, die ihrem Wesen nach am meisten mit der Natur zu tun hat, zu einem der größten Umweltverschmutzer geworden ist […].“ (Hösle 1994, 134)

Da das ökologische Problem ein Problem der ganzen Welt ist, lässt es sich natürlich nicht ohne die Dritte Welt lösen. Das Schicksal der Dritten Welt darf uns nicht gleichgültig sein! „Das Drängen immer größerer Menschenmassen zu den Segnungen des Kapitalismus wird sich verstärken. Und wir haben nicht das Recht, uns darüber zu empören, solange wir nicht selbst unseren Lebensstil ändern und einschränken“. (Hösle 1994, 137)

Außerdem muss klar sein, dass für westliche Unternehmen, die sich in Dritte-Welt-Ländern ansiedeln, dieselben ökologischen Standards gelten wie in der Ersten Welt. „Ein Marshallplan zur Rettung der Umwelt (der an streng kontrollierte Auflagen gebunden sein muß) ist unerläßlich.“ (Hösle 1999, 141) Diese Pflicht folgt einerseits aus der Mitschuld an der aktuellen Situation, andererseits aus Eigeninteresse. (vgl. Hösle 1994, 139f) Eine Welle von Armutsflüchtlingen kann nur so aufgehalten werden. Grundsätzlich braucht man die „Herstellung gesunder sozialer Verhältnisse als Grundlage in der Dritten Welt […]“ (Hösle 1994, 142) für die Rettung der Umwelt. 

Fazit

Es ist erschütternd, dass Vittorio Hösle schon vor mehr als 25 Jahren festgestellt hat, es sei 5 vor 12, und der Klimawandel noch nicht annähernd gestoppt ist. Wie man heute an den Flüchtlingsströmen aus Afrika sieht, lag Hösle mit seinen Prognosen nicht falsch. Zahlreiche Klimakonferenzen haben an der fortschreitenden Erderwärmung nichts geändert. Auch wenn der Klimawandel von tagesaktuellen Nachrichten verdrängt wird, hat er allergrößte Beachtung verdient.

Solange Politiker gewählt werden wollen und ein amerikanischer Präsident den Klimawandel leugnet, ist es noch ein weiter Weg bis zum Wertewandel, wie ihn Hösle fordert. Die älteste und quantitativ größte demokratische Gesellschaft der westlichen Welt hat sich einen Präsidenten gewählt, der den menschengemachten Klimawandel in Frage stellt. Angesichts dessen scheint Hösles Feststellung berechtigt, dass eine demokratische Entscheidung nicht automatisch richtig ist, weil sie von einer Mehrheit getroffen wird. Sie ist richtig oder falsch aufgrund sachlicher Argumente.

Ich denke, dass wir zumindest vorübergehend eine Ökodiktatur brauchen, damit sich weltweit neue Werte durchsetzen. Aktuell sind die Wirtschaft und das ständige Wachstum das wichtigste Ziel überhaupt. Ich stimme Hösles Forderungen zu. Wir brauchen ökologieverträgliche Rahmenbedingungen, die weltweit verbindlich gelten. „Wir sitzen alle im selben Boot […] und wenn wir anfangen uns unkontrolliert zu zanken, […] wird das Boot gewiß kentern“. (Hösle 1994, 137)

Ergänzend zu Hösle schlage ich noch weitere Regularien vor. Hösle möchte die Subventionierung umweltunfreundlicher Unternehmen einstellen. Der Treibstoff für Flugzeuge darf nicht mehr bezuschusst werden. Fliegen würde dadurch deutlich teurer werden und der Luftverkehr würde drastisch reduziert werden. Zusätzlich würde ich noch die Emissionsgrenzwerte so regeln, dass sie nicht veräußerbar sind. Man soll keine Geschäfte auf Kosten nachfolgender Generationen machen dürfen.

Auch nur kleine umweltfreundliche Veränderungen des Lebensstils tragen zu einer Verbesserung bei. Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Diese angeblich indianische Weisheit wird seit den 1980er Jahren von den Grünen zitiert. Aktuell knüpft die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg (16) mit ihrer Bewegung „Fridays For Future“ an diesen Slogan an. Die kommende Generation verschafft sich Gehör. Das lässt hoffen.

Quellenverzeichnis
  • Di Blasi, Luca / Goebel, Bernd / Hösle, Vittorio (2001): Nachhaltigkeit in der Ökologie. Wege in eine zukunftsfähige Welt. Beck´sche Reihe, Verlag C.H. Beck: München
  • dpa (2015) Deutschland betoniert täglich riesige Flächen zu URL: https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/aus-aller-welt/bodenatlas-deutschlandbetoniert-taeglich-riesige-flaechen-zu/11202210.html?ticket=ST-1373552-bc54LFfUZrDSTfZqz2Nd-ap5 [Stand: 10.03.2019]
  • Hösle, Vittorio (1994): Philosophie der ökologischen Krise. Moskauer Vorträge. Beck´sche Reihe, Verlag C.H. Beck: München, 2. Auflage
  • Hösle, Vittorio (1999): Die Philosophie und die Wissenschaften. Verlag C.H. Beck: München

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