Sonntag, 27. Juni 2021

Lösungsansätze: Nachhaltigkeit, Postwachstums- und Gemeinwohl-Ökonomie

Bislang haben wir uns drei Lösungsansätze für die grundlegenden Probleme unserer Gesellschaften angeschaut, die auf vielfältige Weise zusammenhängen und Überschneidungen aufweisen:

  • Das Konzept der Nachhaltigkeit bzw. der nachhaltigen Entwicklung,
  • die Postwachstumsökonomie bzw. -gesellschaft und
  • die Gemeinwohl-Ökonomie.
In diesem Text versuche ich eine kleine Zwischenbilanz zu den drei Konzepten:

Nachhaltigkeit / nachhaltige Entwicklung

Die am häufigsten gebrauchte Definition von "nachhaltiger Entwicklung" stammt von Lester Brown, dem Gründer des Worldwatch Institute. Sie wurde in dem Bericht "Our Common Future" der Brundtland-Kommission aufgegriffen:
"Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs."
[World Commission on Environment and Development (WCED), Our Common Future, Oxford 1987, p. 43]
Diese Definition von "nachhaltiger Entwicklung" wird zwar allgemein akzeptiert, aber sie sagt nicht viel aus. Fritjof Capra schlägt deshalb folgende Operationalisierung vor:
"Der Schlüssel zu einer funktionsfähigen Definition von ökologischer Nachhaltigkeit ist die Einsicht, dass wir nachhaltige menschliche Gemeinschaften nicht von Grund auf erfinden müssen, sondern sie nach dem Vorbild der Ökosysteme der Natur nachbilden können, die ja nachhaltige Gemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen sind. Wie wir gesehen haben, ist die herausragendste Eigenschaft des Erdhaushalts seine immanente Fähigkeit, Leben zu erhalten. Daher ist eine nachhaltige menschliche Gemeinschaft so beschaffen, dass ihre Lebensweisen ebenso wie ihre unternehmerischen, wirtschaftlichen und physikalischen Strukturen und Technologien die immanente Fähigkeit der Natur, Leben zu erhalten, nicht stören. Nachhaltige Gemeinschaften entwickeln ihre Lebensmuster im Laufe der Zeit in ständiger Interaktion mit anderen menschlichen und nichtmenschlichen lebenden Systemen. Nachhaltigkeit bedeutet somit nicht, dass die Dinge sich nicht verändern. Sie ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess der Koevolution."
[aus: Fritjof Capra, Verborgene Zusammenhänge. Vernetzt denken und handeln - in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, Bern u.a. 2002, S. 298]
"Nachhaltige Entwicklung" als Widerspruch in sich

Ursprünglich war Nachhaltigkeit das neue Leitbild, das Ziel, die regulative Idee. Unmerklich hat sich die Terminologie (und nicht nur sie) verschoben. Wenn nicht gleich von green economy die Rede ist, dann spricht man von "nachhaltiger Entwicklung".

"Nachhaltigkeit ja - nachhaltige Entwicklung nein", so lautet die Kritik an der mittlerweile allgegenwärtigen Kombination der beiden Konzepte Nachhaltigkeit und Entwicklung. Grund für die Ablehnung der Kombination sind Vorbehalte gegenüber dem Konzept "Entwicklung". Es mit Nachhaltigkeit kombinieren zu wollen, bedeute einen Widerspruch in sich. Während Nachhaltigkeit zur neuen ökologischen Weltsicht gehöre, entstamme der Entwicklungsbegriff der überholten mechanistischen Weltsicht (eine Gegenüberstellung der beiden Weltsichten findet sich hier).

"Darüber hinaus", so Wolfgang Sachs, Wissenschaftler am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie (www.wupperinst.org), "wurde mit der Verknüpfung von 'nachhaltig' und 'Entwicklung' ein Terrain sprachlicher Ambivalenz geschaffen. Das neue Konzept verschob auf subtile Weise den geometrischen Ort der Nachhaltigkeit von der Natur auf Entwicklung; während sich zuvor 'nachhaltig' auf erneuerbare Ressourcen bezogen hatte, bezieht es sich jetzt auf Entwicklung. Mit dieser Verschiebung änderte sich die Wahrnehmung; die Bedeutung von Nachhaltigkeit verlagerte sich von Naturschutz auf Entwicklungsschutz. Angesichts der Tatsache, dass Entwicklung konzeptionell zu einer leeren Hülse geworden war, war das, was nachhaltig bleiben sollte, unklar und strittig. Daher sind in den folgenden Jahren alle Arten von politischen Akteuren, selbst glühende Verfechter des Wirtschaftswachstums in der Lage gewesen, ihre Absichten in den Begriff 'nachhaltige Entwicklung' zu kleiden. Der Begriff wurde somit bald selbst-referentiell, wie eine von der Weltbank angebotene Definition treffend bestätigt: 'Was ist nachhaltig? Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die anhält.'"
[aus: Wolfgang Sachs, Nach uns die Zukunft. Der globale Konflikt um Gerechtigkeit und Ökologie, Frankfurt/Main 2002, S. 65]

Will man trotz dieser Kritik auf die etablierte Kombination "nachhaltige Entwicklung" nicht verzichten, kann man nicht umhin, den Entwicklungsbegriff näher zu bestimmen und vom überholten Entwicklungsbegriff der Modernisierungstheorie abzugrenzen. Anregungen hierzu gibt das folgende Schaubild:



Postwachstumsökonomie

In der APuZ-Ausgabe 19-20/2017 zu Karl Marx und "Das Kapital" findet sich ein lesenswerter Beitrag von Niko Paech zur Postwachstumsökonomik, die er auf Seite 44 so definiert:
"Die Postwachstumsökonomik kann als ökologisch orientierte Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften bezeichnet werden. Als Lehr- und Forschungsprogramm richtet sie den Blick auf drei basale Fragestellungen. Erstens: Welche Begründungszusammenhänge lassen erkennen, dass ein weiteres Wachstum des Bruttoinlandsproduktes keine Option für die Gestaltung moderner Industriegesellschaften sein kann? Zweitens: Was sind die Ursachen dafür, dass moderne, auf industrieller Fremdversorgung basierende Volkswirtschaften einem Wachstumszwang unterliegen? Drittens: Was sind die Merkmale einer Ökonomie, deren industrieller Output mit der Einhaltung ökologischer Grenzen harmoniert und insbesondere nicht mehr wächst (Postwachstumsökonomie)?"
Diese reduktive Ökonomie ist das Resultat einer fünffachen Selbstbegrenzung (S. 45-46), die sich mit den folgenden Begriffen verbindet:
  • Suffizienz
  • Subsistenz
  • Regionalökonomie
  • Umbau der restlichen Industrie
  • Institutionelle Maßnahmen
Deutschlandfunk Nova hat in der Reihe "Hörsaal" einen Vortrag von Niko Paech vom September 2019 als Podcast veröffentlicht, der vieles von dem aufgreift, um was es in unserem Seminar zu Nachhaltigkeit und Postwachstum geht. Titel des Vortrags ist "Nachhaltigkeit, Wachstum und globale Gerechtigkeit". Anhören lohnt sich...

Gemeinwohl-Ökonomie

Zu den Grundinformationen zur Gemeinwohl-Ökonomie hatten wir folgende Materialien genutzt:

Zusammengenommen erhält man damit einen sehr guten Einblick, worum es der Gemeinwohl-Ökonomie geht und wo sie die wichtigsten Stellschrauben verortet. Wie das ganz konkret aussehen kann, beschreibt ein Artikel auf Krautreporter:

  • Janina Martens: Gemeinwohlökonomie: Auf dieser Baustelle könnte die Wirtschaft der Zukunft entstehen, Krautreporter 19.01.2021 (Link)

Es wäre schön, wenn der eine oder die andere von Ihnen zu diesem hochinteressanten und erfolgreichen Ansatz noch etwas im Blog ergänzen würde... 


3 Kommentare:

  1. Für mich setzt das Hofgut Brachenreuthe die Gemeinwohl-Ökonomie beispielhaft um. Die Kinder und Jugendliche aus dem zugehörigen Internat erleben den natürlichen Kreislauf hautnah, sodass nicht selten beim Mittagessen über den Ursprung der Speisen gesprochen wird. Dabei begegnen die Kinder den Nahrungsmitteln mit besonderem Respekt und den Tieren am Hof mit Verantwortungsbewusstsein. Neben der Fleisch- und Eierproduktion, die auch dem Verkauf dient, werden im „Garten“ zusätzlich Gemüse und Obst angebaut, was im Internat verarbeitet wird. Dementsprechend lernen die Kinder und Jugendlichen hier schnell, nicht nur mit einigen weiteren Kindern die Gemeinschaftsräume zu teilen, sondern auch mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Da die Erzieher*innen zu großen Teilen in Brachenreuthe wohnen, herrscht auch hier ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Brachenreuthe schafft es so ein Miteinander auf verschiedenen Ebenen herzustellen, wodurch das gemeinwohlorientierte Handeln automatisch erfolgt. Leider schafft sie dies nur im sehr kleine Rahmen, versucht ihren Beitrag aber durch den Verkauf von Produkten auch nach außen hin zu tragen. Wenn mehr Einrichtungen, wie Brachenreuthe, Wert auf nachhaltige Landwirtschaft legen würden, wären wir der Gemeinwohlorientierten-Ökologie schon ein ganzes Stück näher…

    https://www.wir-bodensee.bio/hofportrais/hofgut-brachenreuthe

    https://camphill-schulgemeinschaften.de/standorte/brachenreuthe/

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    1. Hallo Nele,

      vielen Dank für deinen Beitrag und den Hinweis - für mich ist dieses Konzept neu und ich finde es sehr gut! Die Kinder und Jugendlichen lernen von Anfang an einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln und erleben ein Gemeinschaftsgefühl, welches es in dieser Art fast nicht mehr gibt.
      Schade, dass es dieses Konzept nur in einem kleinen Rahmen gibt!

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  2. Bei meiner Recherche bin ich auf die Wildnisschule "Wir - Kinder der Erde" gestoßen. Diese Organisation bietet Schulungen, Seminare und Reisen in Verbindung mit der Wildnispädagogik an.
    Zudem ist es eine zertifizierte Wildnisschule, die eine nachhaltige Entwicklung und nachhaltiges Wirtschaften im Blick hat und eine Gemeinwohl - Bilanz erstellt.

    Ich denke diese Schule ist ein Vorbild für viele weitere Schulen, welche vor allem Kinder und Jugendliche anziehen und einen nachhaltigen Umgang mit der Natur schulen.

    Weitere Informationen gibt es hier:
    https://www.kinder-der-erde.de/

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