Montag, 18. März 2019

Welche neuen, ergänzenden Aspekte bringen feministische Ansätze im Bereich Kampf gegen Klimawandel ein?

Was meinen wir, wenn wir vom „guten Leben“ sprechen? Ein gutes Leben für uns selbst? Ein gutes Leben für privilegierte Bevölkerungsgruppen? Oder meinen wir ein gutes Leben für alle, wie es Martha Nussbaum (vgl. 1999: 7) fordert, deren Fähigkeitenansatz in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf Klima- und Geschlechtergerechtigkeit betrachtet wird. Gelebte Realitäten, auch in Bezug auf Klima- und Geschlechtergerechtigkeit, sehen im Gegensatz zu Nussbaums Forderung ganz anders aus. Im Lila Podcast hat Susanne Klingner mit Katharina Wiegmann über das Thema gesprochen.



Wie hängen nun die Kategorien Klima und Gender zusammen? Zu Anfang soll im vorliegenden Blogbeitrag dieser Frage nachgegangen werden.

Wechselwirkung von Klima und Gender

Das Interview mit Ndivile Mokoena von "GenderCC Südafrika" gibt eine gute Einführung in die Thematik.



Nach Smith et al. (2015: 451) ist Gender einer der häufigsten Faktoren, die in Verbindung mit Vulnerabilität in Bezug auf Folgen des Klimawandels genannt werden. Unter „Gender“ wird die soziale Konstruktion von Geschlecht verstanden. Auch UN Women (2018) bestätigt in einem Bericht, dass Frauen einerseits stärker von Armut, Klimawandel und Ernährungsunsicherheit betroffen sind und auf der anderen Seite Gendergerechtigkeit einen erheblichen Beitrag zur Effektivität von Klimapolitik und Klimaschutz leisten kann. Dies gilt sowohl für den globalen Süden als auch für den globalen Norden.

Die Verbindung von Klima und Gender wird erst seit kurzem, auch den globalen Norden betreffend, wahrgenommen (vgl. Alber et al.: 41). In der Arbeit wird die Kategorie „Frau“ mit Sternchen gedacht, um auf die soziale Konstruktion aufmerksam zu machen und um die Kategorie für Menschen zu öffnen, die sich dieser zuordnen möchten und/oder ebenfalls unter patriarchalen Strukturen leiden.


Betroffenheit von Frauen durch Folgen des Klimawandels

Der Sachstandsbericht des IPCC verweist auf einige Studien, welche die erhöhte Vulnerabilität von Frauen gegenüber Folgen des Klimawandels auf vergleichsweise schlechteren Zugang zu sozialen und ökonomischen Ressourcen und sozial konstruierte Geschlechterunterschiede zurückführen (vgl. Vincent et al. 2014: 105f.).

Beispielsweise starben bei einem Tsunami in Südostasien in manchen Gegenden vier Mal so viele Frauen wie Männer. Gründe hierfür waren, dass Frauen vergleichsweise selten schwimmen konnten, sich im Gegensatz zu Männern zum Zeitpunkt der Katastrophe vermehrt zu Hause aufhielten und dadurch zu spät gewarnt wurden und dass sie bei der Flucht für Kinder und ältere Familienangehörige verantwortlich waren.

Im globalen Süden arbeiten Frauen vermehrt in der Landwirtschaft und sind daher stärker mit Folgen des Klimawandels wie Dürren konfrontiert. Auch übernehmen sie häufiger Care-Arbeiten während und nach Klimakatastrophen und bleiben bei klimabedingter Migration öfter zurück. (vgl. Ehrenhauser 2016) Auch Dominelli (2013: 1) zeigt, dass nach Extremwettersituationen, auch in westlichen Ländern, häufig Frauen aufgerufen werden, die Lücken in Care-Services zu schließen.

Die genannten Beispiele geben einen Einblick, wie stark tradierte Rollenverhältnisse und sozial konstruierte Geschlechterunterschiede auch heute noch das Leben und die Chancen einzelner Personen beeinflussen und warum die Berücksichtigung von Gender, Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit für Klimagerechtigkeit und Klimaschutz essenziell sind. Des Weiteren stellt sich die Frage, inwiefern Geschlechtergerechtigkeit zum Klimaschutz beitragen kann.

Beitrag von Geschlechtergerechtigkeit zu Klimagerechtigkeit

Im Klimazwischenbericht legt „GenderCC– Women for Climate Justice“ anschaulich dar, welche Relevanz der Einbezug von Gender für eine erfolgreiche Klimapolitik hat. Unterschiedliche Studien zeigen, dass Frauen ein höheres Risikobewusstsein für den anthropogenen Klimawandel aufweisen und weniger dazu tendieren, diesen zu leugnen (vgl. Röhr et al. 2017: 83). Gründe hierfür können eine geringere Orientierung an sozialer Dominanz, weniger konservative Einstellungen oder geschlechterspezifische Rollenzuweisungen und Sozialisation sein (vgl. ebd.: 22).

Einflussreiche Teile der Gesellschaft stehen Gender und Klima einzeln und in Verbindung vergleichsweise kritisch gegenüber (vgl. ebd.: 83). Das heißt diejenigen, die am stärksten von Ressourcenausbeutung und dem anthropogenen Klimawandel profitieren und diesen stark beeinflussen, wehren sich gegen die Annahme, dass es einen solchen menschengemachten Klimawandel gibt. Wozu können diese Erkenntnisse nützen? Beispielsweise können Strategien entwickelt werden, welche die Anerkennung der menschlichen Gründe für Klimawandel und die Akzeptanz für die Notwendigkeit von Veränderungen steigern (vgl. ebd.).

Weitere Studien zeigen eine Korrelation zwischen Geschlechtergerechtigkeit und Klimaschutzmaßnahmen. Als gendersensibel bewertete Gemeinden wurden auch im Hinblick auf ihre Klimapolitik positiver eingeschätzt. Darauf könnten allerdings auch Faktoren, die nicht untersucht wurden, eingewirkt haben, wie z.B. die vergleichsweise fortschrittliche Haltung dieser Kommunen. (vgl. ebd.) Trotzdem lässt sich sagen, dass Geschlechtergerechtigkeit und Klimaschutz zusammenhängen.

Des Weiteren wird vermutet, dass „eine ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern an Entscheidungen zu mehr Gerechtigkeit führt“ (ebd.). Beispielsweise besteht eine positive Korrelation zwischen dem Anteil von Frauen im Vorstand und der freiwilligen Berichterstattung über die Treibhausgasemissionen von Unternehmen (vgl. Liao et al. 2015: 412f.). Unternehmen mit einem hohen Anteil an weiblichen Angestellten wirtschaften klimafreundlicher (vgl. Ciocirlan und Pettersson 2012: 49).

Frauen müssen sowohl gestärkt werden, um gerechtere Klimapolitik zu erreichen, als auch besonders geschützt werden aufgrund der erhöhten Vulnerabilität gegenüber Folgen des Klimawandels. Die adäquate Unterstützung ist abhängig von der Region und dem sozialen Milieu, in dem sich die Menschen befinden. Im nächsten Abschnitt soll überprüft werden, ob und wie diese Erkenntnisse in der Wissenschaft, Politik und Praxis vorhanden sind.

Klima und Gender in Wissenschaft, Politik und Praxis

Wie finden die bisher dargelegten Erkenntnisse Eingang in Wissenschaft, Politik und Praxis? Weder die Klimarahmenkonferenz (1992) noch das Kyoto-Protokoll (1997) stellen einen Bezug zu Gender oder Frauen her. Seit 2012 sind „Gender und Klima“ allerdings fester Bestandteil der Tagesordnung der Vertragsstaatenkonferenzen und auch im Pariser Klimaabkommen ist Gender verankert und völkerrechtlich verbindlich. Allerdings bleibt offen, wie gesellschaftlichen und strukturellen Treibern von Ungleichheiten begegnet werden soll. (vgl. Alber etal. 2018: 40)

Des Weiteren findet bislang keine systematische Überprüfung der Relevanz von Gleichstellung in umwelt- und klimapolitischen Gesetzen und Maßnahmen statt (vgl. ebd.: 45). Es gibt sowohl in der internationalen Politik als auch in der Wissenschaft eine wachsende Anerkennung, dass Klimawandel und Gender zusammenhängen (Röhr und Alber 2018: 112), allerdings werden strukturelle Bedingungen und Machtverhältnisse nur selten thematisiert. Klimapolitik kann Geschlechtergerechtigkeit und Abbau von Hierarchien fördern und dadurch gleichsam ihre Wirksamkeit verbessern. Diese Erkenntnis wird allerdings kaum genutzt. (vgl. Alber et al. 2018: 47)

Von (Umwelt)feminist*Innen wird kritisiert, dass Klimawandel sehr naturwissenschaftlich, somit stereotyp androgen, diskutiert wird. Dies hat zur Folge, dass soziale Bestandteile, darunter auch geschlechterspezifische Auswirkungen, wenig Eingang finden. (vgl. Ehrenhauser 2016) Laut Klimazwischenbericht von Gender CC finden sich Fragen sozialer Gerechtigkeit und reproduktiver Arbeit in Programmen wie der „Green Economy“ kaum wieder (vgl. Röhr et al. 2017: 72). Auch Kuhl (2012: 6) zeigte, dass Androzentrismus teils unreflektiert in den Green New Deal übernommen wurde, indem reproduktive Arbeit vernachlässigt und die Verantwortung des Staates für soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit verkürzt behandelt wurde.

Wenn Klimaschutz- und Klimaanpassungspolitik den Einbezug von Gender weiterhin ignorieren, droht die Gefahr, dass die Maßnahmen Ungleichheiten weiter verstärken (vgl. Röhr et al. 2017: 32). Folglich muss das Thema interdisziplinärer behandelt werden. Was kann bezüglich den genannten Mängeln durch feministische Ansätze, wie Nussbaums Fähigkeitenansatz, verbessert werden? Um diese Frage zu beantworten, soll im Folgenden der Ansatz in Kürze dargelegt werden, um dann die Besonderheiten und ergänzenden Aspekte herauszuarbeiten.

Der Fähigkeitenansatz Martha Nussbaums als feministischer Gegenentwurf

Klimawandel ist, wie der vorangegangene Teil der Arbeit zeigt, eine Frage sozialer Ungleichheit und eine Frage der (Geschlechter-)Gerechtigkeit. Daher scheint Martha Nussbaums Fähigkeitenansatz, welcher eine grundlegende Theorie der sozialen Gerechtigkeit entwickelt (vgl. Nussbaum 2015: 28) und nach dem guten Leben für alle fragt, an dieser Stelle passend.

Martha Nussbaums Fähigkeitenansatz ist ein Zugang, mit dem Vergleiche der Lebensqualität angestellt werden können (vgl. ebd.: 27). Dabei wird nach tief verwurzelter gesellschaftlicher Ungerechtigkeit, vor allem nach Fähigkeitsversagen im Ergebnis von Diskriminierung (vgl. ebd.: 28), gefragt. Wie die angeführten Beispiele zeigen, erleiden viele Frauen Fähigkeitsversagen aufgrund der sozialen Konstruktion von Geschlecht, der mangelnden Einbeziehung von reproduktiver Arbeit in Klimapolitik und deren Maßnahmen sowie schlechteren Zugang zu sozialen und ökonomischen Ressourcen. Herkömmliche Ansätze fragen oft allein nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) zur Messung von Lebensqualität (vgl. ebd.: 7) und lassen somit soziale Fragen außer Acht. Der Fähigkeitenansatz hingegen fragt danach, was die Menschen wirklich befähigt sind zu tun und zu sein (vgl. ebd.: 8). Mahbub ul Haq schreibt hierzu:
Der wirkliche Reichtum einer Nation sind ihre Menschen. Das Entwicklungsziel besteht darin, ein Umfeld zu schaffen, das Menschen die Möglichkeit eröffnet, sich eines langen, gesunden und schöpferischen Lebens zu erfreuen. Im Streben nach materiellem und finanziellem Reichtum wird diese einfache, aber einflussreiche Wahrheit allzu oft vergessen. (ebd.: 11)
Indem der Ansatz nach Menschen und ihren Fähigkeiten fragt, kann er den Zugang zu Ressourcen, sozialen Komponenten sowie subtilen Hindernissen, die die Fähigkeiten von Menschen einschränken, untersuchen. Der Ansatz verpflichtet sich, die Selbstbestimmung der Menschen zu respektieren (vgl. ebd.: 27), indem er Fähigkeiten und nicht Tätigkeiten als politische Ziele festsetzt. Somit respektiert er die Wahlfreiheit der Menschen, diese Fähigkeiten (nicht) zu nutzen (vgl. ebd.: 34) und ist nicht mit dem Vorwurf des Paternalismus konfrontiert.

Nussbaum geht davon aus, dass ein gutes Leben an zentralen, grundlegenden menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften hängt, die kulturübergreifend elementar sind. Deshalb listet sie zehn Fähigkeiten auf, die allerdings nicht definitiv sind und deren Umsetzung von kulturellen Gegebenheiten abhängt. (vgl. Muraca und von Egan-Krieger 2013: 23) Diese werden im Folgenden dargestellt.

Zentrale Fähigkeiten

Fähigkeiten sind eine Reihe von Chancen zu wählen und handeln. Diese werden auch von impliziten und expliziten Zwängen determiniert. Sie sind die Gesamtheit der Wahl- und Handlungsmöglichkeiten, die einem Menschen in einer spezifischen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage zur Verfügung stehen. (vgl. Nussbaum 2015: 29) Die aufgelisteten Fähigkeiten stellen die Schwelle des guten menschlichen Lebens dar und gehen über das bloße Funktionieren hinaus (vgl. Beck 2009: 13).

Die Achtung der menschlichen Würde verlangt, Menschen über diese Schwelle an Fähigkeiten in den zehn Bereichen zu heben (vgl. Nussbaum 2015: 43f.). Wichtig ist, sowohl die Entwicklung interner Fähigkeiten wie Gesundheit, Wissen und Wahrnehmung zu stützen und gleichzeitig Gegebenheiten zu schaffen, unter denen Menschen mit diesen Fähigkeiten wirken können (vgl. ebd.: 29f.). Somit impliziert die Theorie grundlegende politische Ansprüche, die ein jeder Mensch aufgrund seines Menschseins hat (vgl. ebd.: S. 68) und die in der folgenden Liste zentraler Fähigkeiten zusammengefasst werden (vgl. ebd.: 28).
  • Leben: Die Fähigkeit, ein Menschenleben normaler Dauer zu leben. 
  • Körperliche Gesundheit: Die Fähigkeit, sich einer guten, reproduktiven Gesundheit, einschließlich ausreichender Ernährung und angemessener Unterkunft, erfreuen zu können. 
  • Körperliche Unversehrtheit: Die Fähigkeit zur Mobilität, zum Schutz vor Gewalt (einschließlich sexueller und häuslicher Gewalt) und zur sexuellen und reproduktiven Autonomie. 
  • Sinne, Vorstellungskraft, Denken: Die Fähigkeit, die Sinne zu benutzen, zur Vorstellungskraft, zu denken und zu argumentieren (dies schließt hinreichende Bildung ein). 
  • Gefühle: Die Fähigkeit, Bindungen außerhalb des eigenen Selbst zu entwickeln, die zu lieben, die uns lieben, also Liebe, Trauer, Sehnsucht, Dankbarkeit und Zorn erfahren zu können.
  • Praktische Vernunft: Die Fähigkeit, eine Vorstellung vom Guten zu entwickeln und kritisch über die eigene Lebensplanung zu reflektieren. 
  • Zugehörigkeit: Die Fähigkeit (A) sich an vielfältigen Formen gesellschaftlicher Interaktion beteiligen zu können und zur Empathie (B) über gesellschaftliche Grundlagen der Selbstachtung und über gleiche Würde zu verfügen (dies impliziert Regelungen, die Diskriminierung aufgrund von Ethnizität, Geschlecht usw. ausschließen). 
  • Andere Gattungen: Die Fähigkeit, rücksichtsvoll und in Beziehung mit Tieren, Pflanzen und Natur zu leben. 
  • Spiel: Die Fähigkeit zu lachen, spielen und zur Muße. 
  • Kontrolle über die eigene Umwelt: Die Fähigkeit (A) sich effektiv an politischen Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen, zu beteiligen; Schutz der Rede- und Versammlungsfreiheit. (B) über materielles Eigentum verfügen zu können, gleiche Eigentumsrechte und Beschäftigungsmöglichkeiten zu besitzen; Schutz vor unberechtigter Durchsuchung und Beschlagnahme. (vgl. ebd.: 41f.)
Die Fähigkeiten der Zugehörigkeit und praktischen Vernunft sind zentral, weil sie die anderen durchdringen (vgl. ebd.: 46f.). Die zehn Fähigkeiten allen Bürger*innen zugänglich zu machen, ist notwendige Bedingung gesellschaftlicher Gerechtigkeit (vgl. ebd.: 48).

Beim Betrachten der Fähigkeiten fällt auf, dass sozialen Komponenten besondere Anerkennung entgegengebracht wird. Der Fähigkeitenansatz thematisiert sowohl die Beziehung zwischen Menschen als auch die Beziehung von Menschen zu Tieren und Pflanzen. Daher können sowohl strukturelle, innergesellschaftliche Machverhältnisse zwischen Menschen als auch Machtverhältnisse des Menschen gegenüber nicht-menschlichen Wesen und der nicht-menschlichen Natur reflektiert werden.

Jede Person wird als Zweck an sich betrachtet (vgl. ebd.: 43), somit kann über die Fähigkeiten und Benachteiligungen von einzelnen Personen oder Bevölkerungsgruppen reflektiert werden. Der Blickwinkel ist also kein verkürzt naturwissenschaftlicher, sondern vor allem ein sozialer. Dies ermöglicht gesellschaftliche Diskriminierungen, wie geschlechtsspezifische Benachteiligung und daraus folgendes Fähigkeitsversagen, zu thematisieren.

Es stellt sich die Frage, wie diese Fähigkeiten bemessen werden können. Der Human Development Index (HDI) misst die Lebenserwartung, den Bildungsstand und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in einem Land. Der Gender Development Index (GDI) hebt geschlechtsspezifische Missstände des HDI auf und der Frauenbeteiligungsindex, (Gender Empowerment Measure, GEM), der den Zugang von Frauen zu Führungspositionen in Wirtschaft und Politik misst, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Machtpositionen in Wirtschaft und Politik. (vgl. ebd.: 66)

Muster schwacher Handlungsbereitschaft können auf subtile Hindernisse hinweisen, welche die Fähigkeit zum politischen Handeln beeinflussen (vgl. ebd.: 67). Die Ergänzung des HDI durch den GDI und GEM zeigt, dass der Fähigkeitenansatz Ungerechtigkeiten in Bezug auf Gender im Fokus hat, daher wird im Folgenden genauer dargelegt, welche feministischen Komponenten Nussbaums Ansatz aufweist.

Nussbaums Philosophie hinsichtlich ihrer feministischen Komponenten

Frauen sind weltweit zwar unterschiedlich, jedoch in vieler Hinsicht aufgrund vorherrschender patriarchal geprägter Strukturen benachteiligt, was ein erhebliches Gerechtigkeitsproblem darstellt (vgl. Nussbaum 2015: 146). Martha Nussbaum befürwortet den praktischen Feminismus, der sich auf konkrete Lebensbedingungen und Handlungsmöglichkeiten von Frauen bezieht. Dabei ist ein politischer Impuls des Feminismus und feministischer Theorie wichtig (vgl. Beck 2009: 73).

Sie ist Gleichheitsfeministin, nimmt also an, dass die Gemeinsamkeiten der Menschen, sowohl zwischen Männern und Frauen, als auch zwischen Frauen in unterschiedlichen Lebenskontexten, gegenüber den Differenzen überwiegen (vgl. ebd.: 48). Allerdings haben Frauen aufgrund struktureller Benachteiligung Fähigkeiten in manchen Bereichen weiterentwickelt und andere vernachlässigt (vgl. ebd.: 48f.).

Diese Erkenntnis lenkt das Augenmerk auf strukturelle Machtverhältnisse und Diskriminierung in einer Gesellschaft und damit einhergehendes Fähigkeitsversagen von Frauen. Arbeits- und Aufgabenteilung, die an traditioneller Rollenverteilung festhält, verhärtet Stereotype, die mit der Abwertung und Unterdrückung der Frau in Verbindung stehen. Tätigkeitsbereiche und Eigenschaften, die "weiblich" konnotiert sind, werden gesellschaftlich nicht als gleichwertig erachtet wie die, welche als „männlich“ gelten.

Wenn Menschen sich auf Tätigkeiten entsprechend der Geschlechterrolle beschränken, werden Fähigkeiten nicht allseitig entwickelt. (vgl. ebd.: 50) Wenn Gleichheit erlangt werden soll, kann nicht einfach eine Gleichverteilung von Grundgütern vorgenommen werden. Vielmehr muss erkannt werden, wozu die Güter die Menschen befähigen und ob Ungleichheiten daraus resultieren. (vgl. Nussbaum 1999: 18) Gleichheit ist also mit der Freiheit, welche Bedingung autonomer Lebensplanung ist, verbunden. Es können also Differenzen bezüglich der Lebensumstände von Menschen berücksichtigt werden. (vgl. Beck 2009: 75)

Beispielsweise der unterschiedliche Zugang zu sozialen und ökonomischen Ressourcen als Faktor für erhöhte Vulnerabilität von Frauen gegenüber Folgen des Klimawandels. Da sich solche Differenzen bezüglich Gender durch soziale und kulturelle Ungleichheiten reproduzieren, kann die Notwenigkeit positiver Diskriminierung auf der Basis von Gleichheit durch den Fähigkeitenansatz begründet werden.

Das heißt, sozial verursachten Unterschieden muss mit passenden strukturellen Veränderungen begegnet werden (vgl. ebd.), zum Beispiel durch die Beschränkung von Freiheiten, die den Gleichheits- und Freiheitsansprüchen sowie Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen nachteilig sind (vgl. Nussbaum 2015: 77). Eine strukturelle Veränderung die unternommen werden kann, ist ein Umdenken bezüglich des vorherrschenden Verständnisses von Rationalität. Dies führt zu der Frage, wie Rationalität dann gedacht werden soll. 

Feministischer Rationalitätsbegriff

Dürfen Gefühle in politischen Entscheidungen eine Rolle spielen? Eine solche Überlegung scheint, angesichts des heutigen Verständnisses von nüchtern abwägender Rationalität, die Gefühle als weiblich ansieht und abwertet, als völliges Tabu. Gefühle gelten als unvernünftig (vgl. Nussbaum 1999: 132), bedrohen das Urteilsvermögen (vgl. ebd.: 137) und bedeuten das "Eingeständnis von Bedürftigkeit" (ebd.: 150), während „der gute Mensch [...] sich durch völlige Selbstgenügsamkeit [auszeichnet]“ (ebd.: 139).

Philosophische Traditionen wie der Utilitarismus fordern distanziertes, nüchternes, abwägendes Denken (vgl. ebd.: 132) sowie Selbstgenügsamkeit und Distanz anstelle von Gefühlen (vgl. ebd.: 151). Doch hat nicht dieses Rationalitätsverständnis und die Selbstgenügsamkeit uns angesichts großer Ungerechtigkeiten wegschauen lassen, Distanziertheit erzeugt und dazu beigetragen, soziale Dimensionen und die Bedeutung reproduktiver Arbeit zu vernachlässigen und somit zu der Krise beigetragen? Wird es nicht Zeit, uns einzugestehen, dass wir für ein gutes und gerechtes Leben für alle, eine intakte Beziehung zu der äußeren Umwelt und anderen Menschen benötigen?

Nussbaums Arbeiten vertreten den Grundsatz, dass Achtung und Mitgefühl notwendige Bedingungen gesellschaftlichen Zusammenlebens sind (vgl. ebd.: 23). Sie räumt Gefühlen im Bereich der Erkenntnis einen wichtigen Platz ein und formuliert einen feministischen Rationalitätsbegriff, der den Gegensatz von Emotionalität und Rationalität auflöst, der stark mit der Unterdrückung der Frau und der Unterwerfung der Umwelt verbunden ist.

Auch in der klassischen Vertragstheorie kann Demokratie erst dort anfangen, wo die Natur aufhört, indem der „Naturzustand“ verlassen wird. Somit werden Natur und Demokratie zu Gegensätzen. (vgl. Holland-Cunz 2014: 71) Die Behauptung, Frauen seien gefühlsbetonter als Männer, basiert auf der Sozialisierung und den Lebensweisen, die Frauen vorwiegend mit privaten und Männer vorwiegend mit öffentlichen Handlungsbereichen assoziiert (vgl. Beck 2009: 5). Durch diese sozial konstruierten Unterschiede wird Frauen auch heute noch Fürsorge-Arbeit zugewiesen, die, wie die genannten Beispiele gezeigt haben, ein Grund für erhöhte Vulnerabilität gegenüber Folgen des Klimawandels ist.

Martha Nussbaum sieht Gefühle „als intelligente und differenzierte Persönlichkeitselemente, die eng mit Wahrnehmung und Urteilsvermögen zusammenhängen“ (Nussbaum 1999: 136) und gemeinsam mit Wertvorstellungen erlernt werden (vgl. ebd.: 139). Gefühle betrachten den Wert und das Leiden eines Menschen also nicht unparteiisch (vgl. ebd.: 141) und sind „Weisen die Welt zu sehen“ (ebd.: 149). Sie sind eng mit Überzeugungen bezüglich eines Gegenstands verknüpft (vgl. ebd.: 146). Folglich gäbe es ohne Gefühle keine Urteile, sondern nur Ich-Zustände (vgl. ebd.: 155f.).
„Ein Intellekt ohne Emotionen ist [...] wertblind; ihm fehlt der Sinn für die Bedeutung und den Wert von Menschen, der in den Gefühlen innewohnenden Urteilen enthalten ist“ (ebd.: 157).
Was folgt daraus für Klima- und Geschlechtergerechtigkeit? Auch Ungerechtigkeiten, das Klima und Gender betreffend, brauchen Aufmerksamkeit für den Wert von einzelnen Menschen und nicht-menschlichen Wesen. Dies kann durch eine Dekonstruktion der Dualismen Emotionalität/Rationalität sowie Öffentlich/Privat geschehen. Gleichzeitig wird dadurch die Wichtigkeit von Fürsorge-Tätigkeiten betont, die in der Politik, die sich mit Klima beschäftigt, oft vernachlässigt werden.

Martha Nussbaums Herangehensweise kann im Gegensatz zu Positionen, die auf Selbstgenügsamkeit beruhen, erklären, warum Wohltätigkeit und Fürsorge von Bedeutung sind (vgl. ebd.: 153). Aus der Idee der Verletzbarkeit menschlichen Lebens und der Bedeutung äußerer Güter für das Wohlergehen scheint es eine natürliche Reaktion, von der Notlage eines Menschen, der einem ähnlich ist, überzeugt zu sein (vgl. ebd.: 154).

Ein Mensch, welcher zu Empathie fähig ist, kann weiter und tiefer blicken als ein Mensch, der in Zahlen und Funktionen, also distanziert denkt (vgl. ebd.: 157). Er kann Bedürfnisse von weit entfernten Menschen und anderen Wesen wahrnehmen und darauf reagieren, weil Gefühle den Gegenständen ihrer Vorstellung besondere Lebendigkeit und Wert verleihen (vgl. ebd.: 161). Aus diesem Wert, der anderen zugemessen wird, kann Tatkraft entstehen (vgl. ebd.: 162f.), welche in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und Klimagerechtigkeit dringend gebraucht wird.

Gefühle erweitern das Wahrnehmungsvermögen und stärken die Empfänglichkeit für die Schwere von Situationen. Während viele ethische Konzeptionen Wünsche und Begehren als vorzeitig, animalisch und unvernünftigen Teil der Persönlichkeit ansehen, betrachtet Nussbaum Wünsche als intelligenten Aspekt der Persönlichkeit, der Informationen über das Gute erschließt (vgl. Nussbaum 2015: 88). Nussbaum fordert eine Vorstellung von Rationalität, die Gefühle einschließt.

Eine Lebenseinstellung, die mit der Unterdrückung und Abwertung der Frau in Verbindung steht, ist tatsächlich von großer Bedeutung für die Konzeption eines "guten Lebens". (vgl. Beck 2009: 60) Ein Gesellschaftssystem ohne klassische Trennung von Tätigkeitsbereichen bereichert das Leben von Menschen. Da Emotionen erlernt sind, ist ein anderes gesellschaftliches System denkbar, in welchem alle Geschlechter alle Tätigkeiten als Menschen und nicht Angehörige des Geschlechts ausüben. (vgl. ebd.)

Frauen leiden durch die klassische Rollenverteilung und soziale Konstruktion von Geschlecht stärker unter den Folgen des Klimawandels. Das dargelegte Gesellschaftssystem könnte so auch in diesem Bereich Abhilfe verschaffen. Die gesellschaftliche Zuschreibung der gefühlsbetonten Frau, die sie in den häuslichen Bereich gedrängt haben (vgl. Nussbaum 1999: 135), da Gefühle nur in diesem Bereich als wertvoll erachtet werden (vgl. ebd.: 141), führt zur Notwendigkeit, die Aspekte der Fürsorge näher zu beleuchten.

Aspekte der Fürsorge

Die Sektoren der Reproduktion und Natur sind konstitutiv für das Bestehen der Gesellschaft, werden allerdings durch die Gesellschaftsstruktur des kapitalistischen Patriarchats ausgebeutet. Das System lebt von der Aneignung unbezahlter Arbeit und vermeintlich kostenlosen Ressourcen, wodurch sich Natur- und Geschlechterverhältnisse verzahnen (vgl. Holland-Cunz 2014: 14f.).

Die Perspektive der Fürsorge wird in androzentrischer Forschung und Politik häufig vernachlässigt (vgl. Beck 2009: 55). Es ist zu sehen, dass diese Perspektive auch in der Umweltpolitik, wie anfangs dargelegt, unterbelichtet ist. Der Fähigkeitenansatz kann diesen Aspekten Bedeutung verschaffen. Liebe und Fürsorge sowie mitfühlendes Verstehen bilden den Kern ethischen Lebens (vgl. ebd.: 52).

Die Trennung von Rationalität und Emotionalität entspricht auch der des öffentlichen und privaten Raums (vgl. ebd.: 54). Dies betrifft wiederum die Vulnerabilität von Frauen gegenüber Folgen des Klimawandels und Disparität in Machtpositionen. Das anfängliche Beispiel des Tsunami, durch den mehr Frauen starben, weil sie unter anderem häufiger im häuslichen Bereich waren und Care-Arbeiten verrichteten, untermauert diese Aussage.

Solche relevanten Themen müssen in den Diskurs des öffentlichen Raums gelangen (vgl. ebd.: 64). Fürsorge-Tätigkeiten müssen also folglich gleiche gesellschaftliche Wertschätzung wie Rationalität erhalten, da sie konstitutiv für das Bestehen der Gesellschaft und das System sind. Herkömmliche Einkommensmaßstäbe beziehen sich nicht auf Haushalte, was dazu führt, dass geschlechterspezifische Voreingenommenheit bezüglich der Ernährung und Gesundheitsfürsorge bestärkt werden (vgl. Nussbaum 2015: 143).

Der Fähigkeitenansatz fordert, dass in Berechnungen des Einkommens der Wert unbezahlter Hausarbeit miteinbezogen wird, was ein Schlüsselproblem der Benachteiligung von Frauen, die vermehrt in diesem Bereich tätig sind, darstellt (vgl. ebd.: 144). Das Altern und das Kindesalter benötigen in starkem Maß menschliche Fürsorge sowie Pflegearbeit und betreffen fast jede Familie einer Gesellschaft (vgl. ebd.: 150). Es muss aus feministischer Sicht daher neu über Pflegearbeit nachgedacht werden, da diese häufig von Frauen geleistet wird und daher eine Quelle geschlechterspezifischer Ungleichheit bildet.

Frauen sind durch häusliche Arbeit oft in anderen Lebensbereichen eingeschränkt (vgl. ebd.: 151), was zu weiterer Benachteiligung und Vulnerabilität auch im Bereich der Betroffenheit durch Folgen des Klimawandels und Einschränkungen im Bereich politischer Partizipation führt. Die Tatsache, dass im klassischen Liberalismus die Familie aus Fragen der Gerechtigkeit ausgeklammert wurde, da diese als „Privatsphäre“ deklariert wurde, obwohl das diametral zu den verfochtenen Idealen gleicher Freiheit und Chancen steht, zeigt die feudale Hierarchie (vgl. ebd.: 146), die einen feministischen Gegenentwurf braucht.

Die Sichtweise der Armut als Fähigkeitsversagen, die in Nussbaums Ansatz Eingang findet, macht auf Verteilungsungleichheiten innerhalb der Familie aufmerksam (vgl. ebd.: 143f.). Diesen Problemen des Fähigkeitsversagens aufgrund von Diskriminierung muss durch die Bereitstellung spezifischer Güter begegnet werden (vgl. ebd.: 144), beispielsweise geringere Hürden beim Zugang zu sozialen und ökonomischen Ressourcen, bessere Altersvorsorge und Kinderversorgung, flexiblere Arbeitsstellen und mehr Möglichkeiten zur kollektiven Regelung von Care-Tätigkeiten.

Klimawandel ist nicht nur ein naturwissenschaftliches Problem, sondern vor allem auch eine globale, feministische und soziale Angelegenheit der Gerechtigkeit. Auch von globaler Gerechtigkeit sind wir heute noch weit entfernt. 

Globale Gerechtigkeit

Aus der Perspektive der Gerechtigkeit ist es nicht zumutbar, dass basale Lebenschancen von Geschlecht, Ethnie und Klasse abhängen und entscheidende Chancen durch den Zufall, in eine bestimmte Nation geboren zu werden, bestimmt werden (vgl. Nussbaum 2015: 116). Die grundlegende Idee menschlicher Gleichheit und die Aufmerksamkeit für Verpflichtungen jenseits der Landesgrenzen fehlte Aristoteles (vgl. ebd.: 129). Die Idee menschlicher Würde und deren grenzenloser gleicher Wert kann als wesentlicher Beitrag des Stoizismus zum Fähigkeitenansatz gesehen werden (vgl. ebd.: 130). Doch Differenzen zwischen Nationen werden ebenso größer wie soziale Ungleichheiten die bereits vor der Geburt eines Menschen bestehen, da die Ernährung der Mutter eine der Hauptquellen unterschiedlicher Lebenschancen bildet (vgl. ebd.: 116f.).

Die Merkmale unserer Weltordnung erfordern zwingende Umverteilung. Reiche Nationen und Unternehmen kontrollieren die Weltwirtschaft zu ihren Gunsten, ärmere Nationen leiden darunter. (vgl. ebd.: 117) Auch Individuen sind in unterschiedlicher Weise Teil dieser unfairen Weltwirtschaft, die entfernte Leben betrifft (vgl. ebd.: 118). Die eigene Nation, aber auch Regierungen der reicheren Nationen, multinationale Unternehmen, internationale Behörden und NGOs sind bezüglich der Ansprüche auf angemessenen Lebensstandard der Bürger weltweit in die Pflicht zu nehmen (vgl. ebd.).

Lebensstandard kann allerdings nicht verkürzt als Einkommen verstanden werden. Einkommen kann Fähigkeiten nicht ersetzen, denn es kann auch Schwierigkeiten geben, Einkommen in Handeln zu übersetzen. Daher ist dieses Mittel zum Zweck. Der Zweck an sich sind die Fähigkeiten. (vgl. ebd.: 143) Die ganze Welt ist kollektiv verpflichtet, die Ansprüche der Bürger weltweit zu sichern (vgl. ebd.: 165). Die Kollektivstruktur der verschiedenen Institutionen weltweit hat aufgezeigte Ungerechtigkeiten verschuldet und muss daher geändert werden (vgl. ebd.: 166).

Der Ansatz weist also der Regierung und praktischen Politik die Aufgabe zu, Lebensqualität zu sichern (vgl. ebd.: 28). Somit wird dem Staat Verantwortung für soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit zugewiesen. Nicht nur Frauen und ärmere Bevölkerungsgruppen leiden unter herrschenden Strukturen. Wer hat noch Ansprüche auf Fähigkeiten?

Martha Nussbaums Philosophie hinsichtlich ihrer ökologischen Ausrichtung

Bei der Auflistung der zentralen Fähigkeiten fällt bereits auf, dass Pflanzen und Tiere einbezogen werden. Der Punkt „Andere Gattungen“ beschreibt, dass zum guten Leben die Fähigkeit gehört, rücksichtsvoll in Beziehung mit Tieren, Pflanzen und der Natur zu leben (vgl. Nussbaum 2015: 42) und diese als Zweck und Teile der Beziehung anzusehen (vgl. ebd.: 157). Dies macht auf die Verantwortung der Menschen gegenüber anderen Entitäten aufmerksam. 

Nicht-menschliche Wesen

Nach Martha Nussbaum (2015: 91f.) sind Fragen der Gerechtigkeit nicht nur an menschliche Wesen, sondern allein an das Vorhandensein von Empfindungsvermögen in Verbindung mit einem Handeln oder Streben geknüpft. Nicht-menschliche Wesen sind somit Adressaten von Gerechtigkeit und im Besitz von Würde, welche Achtung und Unterstützung durch Gesetze und Institutionen benötigt.

Somit werden Regierung und Institutionen nicht nur für die Wahrung der Fähigkeiten menschlicher, sondern auch der nicht-menschlicher Wesen in die Pflicht genommen. Nussbaum legt unterschiedliche Standpunkte jenseits der Ansicht, dass nur die Fähigkeiten von Menschen zählen, dar (vgl. ebd.: 156). Für die vorliegende Thematik geeignete Standpunkte werden im Folgenden dargelegt:
  • Menschlichen Fähigkeiten gilt das Hauptaugenmerk; da aber Menschen Beziehungen mit nicht-menschlichen Geschöpfen eingehen, sollte die Beschreibung des zu befördernden Ziels diese Geschöpfe vielleicht ebenfalls umfassen, also nicht einfach als Mittel, sondern als Teilnehmer an aus sich selbst heraus wertvollen Beziehungen (ebd.: 156f.).
  • Die Fähigkeiten aller empfindungsfähigen Wesen zählen als Zwecke an sich und alle diese Wesen sollten Fähigkeiten erwerben, die einen festgesetzten Schwellenwert übersteigen (ebd.: 157). 
  • Die Fähigkeiten aller lebenden Organismen, einschließlich der Pflanzen, sollten zählen, und zwar als Einzelwesen, nicht als Teile von Ökosystemen. (ebd.) 
  • Als Zwecke an sich zählen die Fähigkeiten von Ökosystemen (insbesondere von Ökosystemen, aber auch von Gattungen). (ebd.)
In Bezug auf die Fähigkeiten von Tieren scheint der zweite Standpunkt von Bedeutung, da dieser einschließt, dass auch Tiere einen Schwellenwert übersteigen sollten, was wiederum mit sich bringt, dass auch der Lebensraum der Tiere erhalten werden muss. Dies bringt Verpflichtungen gegenüber der Natur und dem Umweltschutz mit sich. Zum Beispiel führt die Erderwärmung zum Schwinden von Lebensraum oder wertvollen Nahrungsquellen. Dadurch werden Tiere in grundlegenden Fähigkeiten beschnitten.

Gerechtigkeit ist mit der Vorstellung erfahrenen Leids verknüpft, welches Tieren widerfahren kann (vgl. ebd.: 157). Somit ist der Fähigkeitenansatz geeignet, um das Unrecht, welches Tieren von Menschen zugefügt wird, zu thematisieren (vgl. ebd.: 158). Zum Beispiel ist es vom Gerechtigkeitsstandpunkt aus falsch, Wesen unter leidvollen Bedingungen, die gerade noch lebenswert sind, leben zu lassen, wie es die Lebensmittelwirtschaft tut (vgl. ebd.: 159). Wenn es um Tiere geht, wird der Akzent von der Entscheidungsfreiheit auf das Tätigsein gelegt (vgl. ebd.: 160).

Der Fähigkeitenansatz verpflichtet uns, die Würde von Tieren und Menschen zu erhalten, was auch die Erhaltung einer Umweltqualität impliziert. Auch die Umweltqualität und das Bestehen der Ökosysteme, welche im Folgenden behandelt werden, sind für Geschlechter- und Klimagerechtigkeit, genau wie Gerechtigkeit gegenüber Tieren und deren Fähigkeiten, konstitutiv.

Nicht-menschliche Natur und Ökosysteme

Die aufgezeigten Standpunkte weisen auf die Bedeutsamkeit der Umweltqualität im Fähigkeitenansatz hin. Für menschliches und tierisches Wohlergehen, sind die Qualität der Umwelt und der gute Zustand von Ökosystemen von großer Bedeutung. (vgl. Nussbaum 2015: 162) Besonders gewichtig wird dies, wenn in die Gerechtigkeitskonzeption das Wohl zukünftiger Generationen einbezogen wird (vgl. ebd.).

Die Nicht-Einbeziehung von unterschiedlichen Kategorien (bspw. Gender) in die Umweltökonomik birgt enorme Risiken für betroffene Bevölkerungsgruppen und deren Fähigkeiten. Die Einbeziehung ist daher konstitutiv für ein gutes Leben für alle. (vgl. ebd.) Im Umgang mit Umweltqualität ist der Fähigkeitenansatz aufgrund seiner differenzierten Betrachtung der unterschiedlichen, wechselseitigen Auswirkungen auf verschiedene Aspekte von Leben geeignet (vgl. ebd.: 162f.).

Somit können Kategorien in Verbindungen gebracht werden, die auf den ersten Blick nicht von großer Relevanz erscheinen. Dies betrifft auch die Verbindung der Kategorien Klima und Gender. Für Nussbaum haben Individuen an sich einen Wert. Größere Systeme sind wertvoll, weil sie das Leben der Individuen befördern. (vgl. ebd.: 163) Abschließend werden die Besonderheiten des Ansatzes und seine Vorzüge in Bezug auf Klima- und Gendergerechtigkeit zusammengefügt.

Fazit und Transfer zur Anwendung in Klimapolitik

Der Fähigkeitenansatz erfasst die komplexe Wechselwirkung zwischen vielen einzelnen Elementen, die ein gutes Leben ausmachen, einschließlich der Interaktion mit der nicht-menschlichen Umwelt, die eine Rolle spielt. Er macht auf Geschlechtergerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Klimagerechtigkeit aufmerksam, indem all diese Komponenten berücksichtigt werden. Der Ansatz bildet eine Grundlage, um auch bezüglich Klimapolitik ethisch aus einer Gerechtigkeitsperspektive zu reflektieren und Ungerechtigkeiten, die durch Anpassungsmaßnahmen und klimapolitische Gesetze verschärft werden, ausfindig zu machen.

Es muss gefragt werden, welche Auswirkungen die klimapolitischen Regelungen auf Fähigkeiten der einzelnen Personen haben und was getan werden muss, um Fähigkeiten durch klimapolitische Regelungen zu fördern und nicht zu beeinträchtigen. Beispielsweise leiden unter dem Dieselfahrverbot in Stuttgart Menschen, die zu wenig Geld haben, um sich ein neues Auto zu leisten. Diejenigen, die sich neue Autos leisten können, werden überhaupt nicht damit konfrontiert. Solche Gesetze müssen aus ethischen und sozialen Standpunkten der Gerechtigkeit und in Bezug auf die Folgen, die sie nach sich ziehen, reflektiert werden.

Der Ansatz kann strukturelle Bedingungen von Benachteiligung und Machtverhältnisse differenziert thematisieren. Er bildet einen Gegenentwurf, der Klimawandel nicht naturwissenschaftlich, also nicht stereotyp androgen, diskutiert. Soziale Bestandteile, darunter auch geschlechterspezifische Auswirkungen und Beziehungen zwischen Menschen und der nicht-menschlichen Natur finden Eingang in den Ansatz. Soziale Gerechtigkeit und der Wert reproduktiver Arbeit und Fürsorgearbeit werden durch die Auflösung der Dichotomien Emotionalität/Rationalität sowie öffentlich/privat anerkannt. Dem Staat wird Verantwortung für soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit zugewiesen, da hieraus Fähigkeitsversagen von Individuen resultiert.

Fähigkeiten von Frauen und benachteiligten Bevölkerungsgruppen müssen gestärkt werden, um mehr Parität in Machtpositionen zu erreichen und um die Vulnerabilität gegenüber Folgen von Klimawandel zu verringern und die Klimapolitik effektiver und gerechter zu gestalten. Subversive Arten der Benachteiligung können durch Fähigkeitsversagen lokalisiert werden und knappe Ressourcen müssen verwendet werden, um diesen entgegenzuwirken (vgl. Nussbaum 2015: 102f.).

Gruppenbezogene Ausgrenzung und Stigmatisierung, die oft mit Formen der Machtlosigkeit verknüpft sind, müssen mit der Schaffung von Fähigkeiten und gruppenspezifischen Abhilfen bekämpft werden (vgl. ebd.: 103). Der Fähigkeitenansatz verspricht eine neue Sicht auf die Verschränkung von Problemen, die bisher als getrennt voneinander betrachtet wurden (vgl. ebd.: 143) und somit mehr Interdisziplinarität. So kann die Forderung nach mehr Geschlechtergerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit mit der Verantwortung gegenüber nicht-menschlichen Wesen und Umwelt verknüpft werden.

Fähigkeiten von Frauen zu stärken, verschafft eine bessere Verhandlungsposition und Möglichkeiten, politisch zu intervenieren und sich zu vernetzen. Der Ansatz berücksichtigt, dass verschiedene Menschen unterschiedliche Mengen an Ressourcen benötigen, um gleiche Wahl- und Handlungsmöglichkeiten zu erreichen. Besonders relevant ist dies in Bezug auf verschiedene soziale Ausgangspositionen, welche zu weiterer Benachteiligung führen (vgl. ebd.: 183). Dies muss in Gesetzen und Politik, die sich dem Klima zuwenden, berücksichtigt werden, um gleiche Fähigkeiten und Lebensqualität zu ermöglichen.

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