Ein Beitrag von Fabian Schrezenmeir
Als die Welt 1972 den Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ in Händen hielt, war das ein Schockmoment. Zum ersten Mal wurde einer breiten Öffentlichkeit klar, dass es planetare Grenzen gibt und dass moderne Industriegesellschaften diese rücksichtslos überschreiten. Der Bericht erschien zu einer Zeit, in der Flüsse stanken, Pestizide in Lebensmitteln landeten, die Luft voller Schadstoffe war und Atomkraftwerke als Zukunftstechnologie galten. Umweltzerstörung war plötzlich kein lokales Ärgernis mehr, sondern ein globales Risiko.
Nach dem Club-of-Rome-Bericht begann eine neue Phase. Umweltpolitik wurde in vielen westlichen Ländern ein eigenständiges Politikfeld. Filter wurden auf Schornsteine gesetzt, eine Vielzahl schädlicher Stoffe wie DDT oder später FCKW verboten. Gleichzeitig entstand eine breite gesellschaftliche Umweltbewegung. In Deutschland mündete sie 1980 in die Gründung der Grünen.
Die Ölkrisen von 1973 und 1979 verstärkten dieses Bewusstsein. Plötzlich mussten Industriegesellschaften Energie sparen, Tempolimits wurden eingeführt, Sonntage autofrei, Weihnachtsbeleuchtungen abgeschaltet. Politiker sprachen offen davon, dass der verschwenderische Lebensstil an ein Ende kommen müsse. Doch sobald der Ölpreis wieder fiel, ließ auch die Bereitschaft zum Wandel nach.
Während einige westliche Länder in den 1980ern erneuerbare Energien förderten, blieb die Bundesrepublik zögerlich. Zwar wurde ein Umweltministerium geschaffen und das Grundgesetz später um ein Staatsziel Umweltschutz ergänzt, aber ein konsequenter Umstieg auf erneuerbare Energien scheiterte. Die Technologie war vorhanden, aber die Prioritäten lagen weiterhin bei fossiler Energie, oft im Gleichklang mit starken wirtschaftlichen Interessen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges schien der Weg frei für globale Umweltpolitik. 1992 fand in Rio der UN-Erdgipfel statt, bei dem Nachhaltigkeit als internationales Leitprinzip festgeschrieben wurde. Die Idee war optimistisch. Wirtschaftswachstum und Umweltschutz sollten sich miteinander versöhnen lassen durch Technik, Effizienz und CO₂-Bepreisung.
Auch in Deutschland begann unter Rot-Grün (1998–2005) eine ambitionierte Phase. Erneuerbare Energien wurden gefördert, eine Ökosteuer eingeführt, Naturschutzrechte gestärkt. Deutschland wurde zum Vorreiter, allerdings nur für kurze Zeit. Mit Regierungswechseln schwand der politische Mut, viele Reformen wurden abgeschwächt oder gestoppt.
Während politische Gipfel und Umweltkonferenzen sich häuften, stiegen die globalen Emissionen weiter – schneller als je zuvor. Hedwig Richter und Bernd Ulrich sprechen von einer „Beschlussosphäre“, einem Politikstil, der Probleme benennt, Abkommen unterschreibt, aber kaum grundlegende Veränderungen durchsetzt. Vorbilder hierfür gibt es genug. Klimagipfel scheiterten, Ziele wurden verschoben und Maßnahmen verwässert.
Gleichzeitig arbeiteten fossile Industrien aktiv gegen Klimaschutz. Ölkonzerne wie Exxon wussten früh um die Risiken ihrer Emissionen und investierten gezielt in Desinformation. Staaten, die wirtschaftlich stark vom Export fossiler Energien abhängig sind, blockierten Fortschritt zusätzlich.
Mit dem Pariser Klimaabkommen erreichte die Umweltpolitik einen historischen Moment. 197 Staaten verpflichteten sich erstmals, die Erderwärmung auf „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen. Es war ein Zeichen globaler Einigkeit, getragen vom Verständnis, dass die Menschheit am ökologischen Abgrund steht. Doch die Frage bleibt. War Paris der Beginn einer echten Wende oder ein weiterer symbolischer Akt in der langen Kette unzureichender Beschlüsse?
Blickt man von 1972 bis 2015 zurück, zeigt sich ein Muster. Das Wissen war früh da, die technischen Möglichkeiten ebenfalls, doch die politische Umsetzung blieb lückenhaft, langsam und widersprüchlich. Die Umweltpolitik hat in diesen Jahrzehnten viel erkannt und viel beschlossen, aber viel zu wenig verändert. Sie hat die ökologische Krise nicht verursacht, aber zu spät und zu zögerlich auf sie reagiert. Und die Zeit, die verloren ging, macht die Herausforderungen heute größer denn je.
Literatur: Hedwig Richter / Bernd Ulrich (2024): Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit, Kiepenheuer & Witsch - Kapitel "Schock und Traum (1972-2015)", S. 51-71.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen