Montag, 3. November 2025

Bedingungsloses Grundeinkommen und das gute Leben

Ein Beitrag von Helena Grammer 

Höher, weiter, schneller, mehr … das weltweit dominierende System des Kapitalismus ist auf dauerhaftes Wachstum, Gewinn und daraus resultierendem Wohlstand ausgerichtet. Inzwischen ist lange bekannt, dass es so wie wir wirtschaften, so wie wir leben nicht lange weitergehen kann. Vor allem der menschengemachte Klimawandel führt dazu, dass unser Lebensstandard immer schwieriger zu steigern ist. Das Versprechen der Moderne, dass es der kommenden Generation besser geht, scheint verloren.

Die Anleitung zu einem neu definierten „guten Leben“ oder jedenfalls den Impuls für eine Anleitung finden wir in den Ideen von Hartmut Rosa zur„Resonanz“ (siehe vorheriger Beitrag hier im Blog). Er beschreibt Resonanz als eine wechselseitige, lebendige Beziehung zwischen Mensch und Welt, in der wir uns berühren lassen und darauf reagieren beziehungsweise antworten können. Resonanz bedeutet dabei nicht Kontrolle oder Harmonie, sondern ein offenes Antwortverhältnis, das nur unter Bedingungen von Zeit, Achtsamkeit und Offenheit entstehen kann, aber unverfügbar bleibt.

Was dem entgegensteht, ist laut Rosa die Logik der Beschleunigung, durch die unsere Gesellschaft dynamisch stabilisiert und angetrieben wird. Resonanz soll also der Gegenentwurf zur aus dieser Beschleunigung resultierenden Entfremdung sein und eine Grundlage des „guten Lebens“ bilden, das sich nicht im Haben, sondern im In-Beziehung-Sein erfüllt.

Wenn nun Resonanz das Ziel ist, um gut zu leben, so ist die Handlungsanweisung für politische Entscheidungsträger, die daraus resultiert, es der Bevölkerung zu vereinfachen und sich Fragen zu widmen, die klären, wie Menschen Zeit, Ruhe und Sicherheit finden, um in echte Beziehungen zur Welt (und zueinander) treten zu können.

Ein schon lange diskutierter, vielversprechender Ansatz ist dabei das bedingungslose Grundeinkommen: Ein Konzept, das jedem eine ausreichende Grundsicherung zukommen lässt, um von Existenzängsten zu befreien. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte also einen gesellschaftlichen Resonanzraum schaffen, und zwar dadurch, dass es die materielle Sicherheit, die notwendig ist, um den permanenten Druck zu durchbrechen, herstellt, so dass Sorgen vor finanziellem Ruin und sozialem Abstieg abgemildert werden können.

Wer nicht mehr aus Angst handelt, gewinnt Zeit und Freiheit, kann Tätigkeiten nachgehen, die als sinnstiftend empfunden werden, Beziehungen pflegen und sich mit der Welt verbunden fühlen. Das Verständnis von Mensch, Arbeit und Umwelt soll sich umgestalten: weg von der Logik, die „höher, weiter, schneller, mehr“ verlangt, hin zu einer Kultur der Achtsamkeit und des In-Beziehung-Seins. Zwar entsteht Resonanz dadurch nicht automatisch, aber die Bedingungen, unter denen sie möglich werden kann, werden deutlich verbessert und sind geprägt von Entschleunigung, Selbstbestimmung und sozialer Teilhabe.

Doch so überzeugend diese Vorstellung auch klingt, bleibt unsicher, ob das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich halten kann, was es verspricht. Es ist nicht garantiert, dass eine finanzielle Absicherung automatisch zu mehr Resonanz führt. Sie kann zwar Sorgen und Ängste mildern, ersetzt aber keine Haltung der Offenheit oder Achtsamkeit, die Resonanz erst ermöglicht. Resonanz ist nicht plan- oder garantierbar. Zudem besteht die Gefahr, dass ein solches Grundeinkommen innerhalb der von Rose skizzierten Wachstumslogik nur als Mittel zur Steigerung von Konsum und Stabilisierung des Marktes dient. Auch sozialpolitisch bleibt unklar, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich mehr Teilhabe und Gemeinschaft schafft oder ob es nur neue Formen von Vereinzelung und Passivität, gar Faulheit in unserer Gesellschaft hervorbringt.

Damit Resonanz wirklich entstehen kann, müsste das Grundeinkommen also Teil eines umfassenden kulturellen Wandels sein, der hin zu einer Gesellschaft führt, die Beziehungen, Zeit und Sinn höher bewertet als Leistung, Profit und Konsum. Nur wenn dieser Wandel gelingt, kann das bedingungslose Grundeinkommen mehr sein als ein wirtschaftliches Experiment, nämlich ein Schritt hin zu einer Gesellschaft, in der Menschen wieder in lebendige Beziehungen zur Welt treten können und „gutes Leben“ nicht länger aus dem Streben nach „höher, weiter, schneller, mehr“ besteht. Wo ein „gutes Leben“ Verbundenheit, Achtsamkeit und die Fähigkeit, auf einen Impuls der Welt zu antworten, bedeutet.

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