2 Begriffliche Grundlagen
2.1 Nachhaltigkeit
Obwohl der Nachhaltigkeitsbegriff heutzutage in aller Munde ist, existiert kein einheitliches Verständnis des Nachhaltigkeitskonzepts (vgl. Pufé 2014: 16). Bereits vor der Kenntnis des Terminus lassen sich jedoch nachhaltige Denkmuster nachweisen (vgl. Grober 2001: 4). Im Rahmen des Holzmangels im 18. Jahrhundert forderte der damalige Oberberghauptmann Carl von Carlowitz, nicht mehr Holz zu schlagen als nachwächst (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012: 18f.). Der Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffs war damit primär durch ressourcenökonomisches Denken bestimmt (vgl. ebd.: 18f.).
Darüber hinaus war der Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ (Brundtland-Bericht) der Kommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1987 für das Nachhaltigkeitsverständnis prägend (vgl. ebd.: 23f.).
Demnach ist nachhaltige Entwicklung „eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ (BMUV 2017).
Im Gegensatz zur Nachhaltigkeit, die auf einen Zustand verweist, betont diese am weitesten anerkannte Definition mit dem Begriff „nachhaltige Entwicklung“ den dynamischen, prozesshaften Charakter (vgl. Pufé 2017: 42f.). Zudem rückt dieses Verständnis mit der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit sowie globalen Ausrichtung zentrale Nachhaltigkeitsprinzipien in den Vordergrund (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012: 24). Darüber hinaus ist zu betonen, dass es sich beim Nachhaltigkeitsbegriff um ein normatives Leitbild handelt (vgl. Pufé 2014: 20).
Diese zentralen Definitionen von Nachhaltigkeit bilden den Ausgangspunkt für die drei wichtigsten Nachhaltigkeitsmodelle: das Drei-Säulen-Modell, das Schnittmengen- oder Dreiklangmodell und das Nachhaltigkeitsdreieck. Die Gemeinsamkeit dieser Modelle besteht in der Untergliederung der Nachhaltigkeit in eine ökologische, ökonomische und soziale Dimension. Das Nachhaltigkeitsdreieck verdeutlicht dabei mit seinem gleichseitigen Aufbau die theoretisch gleiche Gewichtung aller drei Dimensionen. In der Praxis wird jedoch häufig der ökonomischen Dimension ein höherer Stellenwert zugeschrieben (vgl. Pufé 2017: 110–113).
Pufé rückt darüber hinaus mit dem Suffizienz-, Konsistenz- und Effizienzprinzip wesentliche Elemente von Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiger Entwicklung in das Blickfeld. Das Suffizienzprinzip stützt sich dabei auf ein verändertes Lebensmodell, das sich durch einen verminderten Ressourcen- und Umweltverbrauch charakterisiert. Um aus dem Kreislauf des Wachstums auszubrechen, sollte weniger produziert und konsumiert werden. Dies geht mit Reduzierung und Verzicht einher. Das Konsistenzprinzip legt seinen Schwerpunkt auf die Integration menschlicher bzw. wirtschaftlicher Aktivitäten in die Natur. So sollen sich Produktionsvorgänge bspw. an den geschlossenen Kreisläufen der Natur orientieren. Das Effizienzprinzip stellt hingegen die Erhöhung der Ressourcenproduktivität und Wirtschaftlichkeit, meist mittels technischem Fortschritt, in den Vordergrund (vgl. ebd.: 123–127).
2.2 Ökodorf
Die wohl bekannteste Ökodorf-Definition stammt von Robert Gilman aus dem Jahr 1991:
[…] [W]e will define an eco-village as a human-scale, full-featured settlement, in which human activities are harmlessly integrated into the natural world, in a way that is supportive of healthy human development and can successfully continued into the indefinite future. (Gilman 1991: 10)
Entsprechend sollten sich Ökodörfer durch die folgenden fünf Kernaspekte auszeichnen:
- „A human-scale“: Die Größe von Ökodörfern wird maßgeblich durch zwei Aspekte beeinflusst. Zum einen sollten sich die Mitglieder untereinander kennen und zum anderen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Entwicklung des Ökodorfes haben. Auf Grundlage dieser Kriterien beläuft sich die Obergrenze laut Gilman zumeist auf 500 Mitglieder.
- „Full-featured settlement“: Indem Ökodörfer auf eine proportionale Art und Weise alle Bestandteile menschlichen Lebens (z. B. Wohnen, Nahrungsversorgung, Produktion, Sozialleben, Handel) vereinen, stellen sie eine Art Mikrokosmos der gesamten Gesellschaft dar. Jedoch ist Gilman der Auffassung, dass Ökodörfer hierfür nicht vollständig autark oder isoliert agieren müssen.
- „In which human activities are harmlessly integrated into the natural world”: Innerhalb von Ökodörfern herrscht Gleichberechtigung zwischen den Menschen und anderen Lebewesen. Entsprechend des Konsistenzprinzips gliedert sich der Mensch in die Natur ein, anstatt diese zu beherrschen. Auch die zyklische Nutzung von Ressourcen ist hierfür essenziell. Dieser Kernaspekt rechtfertigt den Wortbaustein „Öko“ im Ökodorf.
- „In a way that is supportive of healthy development”: Ökodörfer fördern eine gesunde Entwicklung des Individuums und der Gemeinschaft auf physischer, psychischer und spiritueller Ebene.
- „And that can be successfully continued into the indefinite future”: Damit sich Ökodörfer in die Zukunft fortführen lassen, bedarf es einer nachhaltigen Lebensweise (vgl. Gilman 1991: 10–14).
Auf dieser Basis kommt Gilman zu der Einschätzung, dass ein Ökodorf sowohl ein ländlich gelegenes Dorf als auch eine (vor-)städtische Nachbarschaft, aber keine eigenständige Stadt sein kann. Eine Stadt aus mehreren Ökodörfern wäre jedoch denkbar (vgl. ebd.: 10–14). Zu beachten ist, dass Gilmans Ökodorf-Definition eine normative Ausrichtung - nach der Devise „so sollte es gemacht werden“ - kennzeichnet (vgl. Andreas 2015: 81). Mit diesen fünf Kriterien wird somit ein Ideal beschrieben, dem bislang kein Ökodorf in Gänze entspricht (vgl. Gilman 1991: 14).
Übereinstimmungen lassen sich mit Svenssons Definition von Ökodörfern vorfinden. So definiert sie Ökodörfer als „Gemeinschaften von Menschen, die danach streben, ein nachhaltiges Leben in Harmonie miteinander, mit anderen Lebewesen und mit der Erde zu führen“, und nimmt damit zentrale Aspekte von Gilmans Definition auf (Svensson 2007: 16). Gemeinschaft leitet sich hierbei vom lateinischen Begriff „communis“ ab und bezeichnet eine am selben Ort lebende Gruppe von Menschen, die gemeinsame Interessen und Werte teilt (vgl. GEN o. D.-b).
Des Weiteren charakterisieren sich Ökodörfer über eine individuelle Gewichtung ökologischer, gemeinschaftlicher/sozialer, kultureller/spiritueller und ökonomischer Aspekte (vgl. Svensson 2007: 16–20). Hieraus resultieren verschiedene Arten von Ökodörfern (vgl. ebd.: 16f.), wodurch kein Ökodorf vollständig einem anderen entspricht (vgl. Lambing 2014a: 48). Diese individuelle Schwerpunktsetzung wird durch Faktoren wie bspw. die Geschichte der Gemeinschaft, rechtliche Rahmenbedingungen oder soziales und ökonomisches Setting beeinflusst (vgl. ebd.: 48).
In Anlehnung an Gilman definiert Lambing (2014a: 6–10) Ökodörfer als eine Form von sozialökologischen Gemeinschaften. Unter diesem Terminus versteht er nachhaltig orientierte, intentionale Gemeinschaften (vgl. Lambing 2014a: 6–8). Somit sollen Ökodörfer zum einen eine nachhaltige Orientierung aufweisen und zum anderen in einem bewussten und absichtsvollen Akt gegründet worden sein (vgl. ebd.: 8f.).
Während sich Lambing allein auf intentionale Gemeinschaften bezieht, lässt sich aktuell die Tendenz zu einer Begriffserweiterung beobachten (vgl. ebd.: 10). Neben Ökosiedlungen, Cohousing-Projekten und Bioenergiedörfern werden nun auch nachhaltig ausgerichtete traditionelle Gemeinschaften in nicht-europäischen Ländern zunehmend als Ökodörfer bezeichnet (vgl. ebd.: 10).
Jackson (2004: 25) sieht Ökodörfer als Teil der Antiglobalisierungsbewegung, die jedoch zusätzlich zum Protest gegen den Status quo eine alternative Lebensweise präsentieren. Zu einem ähnlichen Entschluss kommt Lambing, weshalb er Ökodörfer als soziale Innovationen bezeichnet, die durch ihre Lebensweise versuchen, Lösungen für gesamtgesellschaftliche Probleme zu entwickeln (vgl. Lambing 2014a: 6). Eine weitere Schlüsselrolle bei der Definition nimmt das Global Ecovillage Network (GEN) ein, das Ökodörfer folgendermaßen beschreibt:
An ecovillage is an intentional, traditional or urban community that is consciously designed through locally owned participatory processes in all four dimensions of sustainability (social, culture, ecology and economy) to regenerate social and natural environments. (GEN o. D.-a)
Diese Definition ist sehr weit gefasst und inkludiert auch traditionelle Gemeinschaften. Trotz der vielen verschiedenen Arten von Ökodörfern, sind diese durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet. So verfolgen bspw. alle Ökodörfer, ähnlich wie bei Svenssons Definition, einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz, der die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit vereint (vgl. GEN o. D.-a).
3 Lebensweise in Ökodörfern
Sämtliche Definitionen aus dem vorherigen Kapitel verweisen auf die in Ökodörfern vorzufindende nachhaltige Lebensweise, die laut Svensson und GEN im Rahmen der vier Nachhaltigkeitsdimensionen praktiziert wird. In diesem Kapitel soll das Augenmerk auf diesen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz gelegt werden.
3.1 Das Global Ecovillage Network
Das Global Ecovillage Network (GEN) wurde 1995 gegründet und setzt sich aus verschiedenen regionalen Unterorganisationen zusammen (vgl. Veciana 2015). GEN Deutschland wurde schließlich im Jahr 2014 gegründet (vgl. ebd.). Das GEN eröffnet die Möglichkeit des Austauschs von Wissen zwischen zahlreichen Gemeinschaften und Ökodörfern (vgl. Freundeskreis Ökodorf e.V. 2017: 120). Im Rahmen von Bildungsprogrammen des GEN werden diese Informationen bezüglich nachhaltiger Lebensstile geteilt (vgl. ebd.: 120). Darüber hinaus kooperiert das GEN auch auf politischer Ebene (vgl. ebd.: 120f.).
3.2 Vier Dimensionen der Nachhaltigkeit nach GEN
Die angeführten Definitionen von Ökodörfern kennzeichnen diese durch einen ganzheitlich nachhaltigen Lebensstil, der die vier Dimensionen des Nachhaltigkeitskonzepts nach GEN berücksichtigt (vgl. GEN o. D.-a). Dieses im Jahr 2005 veröffentlichte Modell ergänzt die klassische Dreiteilung der Nachhaltigkeit um eine kulturelle Dimension und zeigt somit die wichtigsten Bereiche auf, die bei der Umsetzung eines nachhaltigen Lebensstils zu beachten sind (vgl. GEN o. D.-c). Die ganzheitliche Ausrichtung des Modells betont, dass eine Berücksichtigung aller Dimensionen für die Regeneration der sozialen und natürlichen Umwelt notwendig ist (vgl. GEN o. D.-a). Darüber hinaus bildet das Konzept eine Grundlage für Lern-, Reflexions- und Forschungsprozesse (vgl. GEN o. D.-c).
Die vier Dimensionen stehen zudem im Einklang mit den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (vgl. GEN 2018: 6). Jede Dimension setzt sich hierbei aus sechs Prinzipien zusammen, welche um weitere acht Prinzipien ergänzt werden (vgl. GEN o. D.-c). Diese acht Prinzipien liegen allen vier Dimensionen zugrunde und sind Teil der ganzheitlichen Ausrichtung (vgl. ebd.). Alle 32 Prinzipien auszuführen, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, weshalb die vier Dimensionen im Folgenden lediglich grob skizziert werden.
In der sozialen Dimension spielt die Förderung von Vielfalt und Zusammenhalt eine zentrale Rolle. Hierfür bedarf es einer gemeinschaftlichen Förderung von Kommunikations- und Konfliktlösungsfähigkeiten. Auch Möglichkeiten zur Einflussnahme, gemäß dem ersten Prinzip nach Gilman, und die Gewährleistung von Transparenz lassen sich in dieser Dimension verorten (vgl. ebd.).
Im Zentrum der ökologischen Dimension steht die Verbindung des Menschen zur Natur. Je nach Gewichtung dieser Dimension reichen die Zielvorstellungen bspw. von dem einfachen Vorsatz, Energie zu sparen, bis hin zur Entscheidung, sich vollständig mit ökologischen Nahrungsmitteln selbst zu versorgen. Eine ökologisch nachhaltige Lebensweise kennzeichnet sich bspw. durch den Schutz und die Förderung der Biodiversität, ökologisches Bauen, Nutzung erneuerbarer Energien sowie ein ökologisches Abfallmanagement (vgl. Svensson 2007: 17f.).
Auch in der kulturellen Dimension spielt die Stärkung der Naturverbindung und nachhaltiger Lebensstile eine bedeutsame Rolle. Des Weiteren geht es hierbei um die Förderung von Achtsamkeit und persönlichem Wachstum, bspw. durch Formen des kreativen Ausdrucks wie Tanz oder Kunst (vgl. GEN 2018: 8).
Die ökonomische Dimension beabsichtigt, Konzepte von Wohlstand, Arbeit und Fortschritt zu transformieren (vgl. ebd.: 10). Dies kann sich vom Aufbau lokaler Beschäftigungsmöglichkeiten bis hin zur Entwicklung alternativer ökonomischer Systeme, wie z. B. die Etablierung einer Schenkökonomie, die in Verbindung mit sozialen Parametern und Werten steht, erstrecken (vgl. Svensson 2007: 19).
Die für alle Dimensionen gültigen Prinzipien vereinen sich im ganzheitlichen Ansatz, der sich vor allem durch Zusammenarbeit auszeichnet. Entsprechend ist eine gemeinschaftliche Beteiligung an den zukunftsfähigen Gestaltungsprozessen grundlegend. Darüber hinaus gilt es, Stärken und Schwächen zu identifizieren und daraufhin eine Schwerpunktsetzung vorzunehmen (vgl. GEN 2018: 11).
Somit kann festgehalten werden, dass sich Ökodörfer durch eine nachhaltige Lebensweise auszeichnen, ohne dabei den alleinigen Fokus auf die ökologische Dimension zu legen. Vielmehr entfaltet sich ein ganzheitlicher Ansatz, der auch die soziale, kulturelle und ökonomische Dimension im Rahmen einer je individuellen Schwerpunktsetzung berücksichtigt.
4 Ökodörfer als Modelle
Svensson (2007: 16) kommt zu dem Schluss, dass Ökodörfer „ein breit anwendbares Modell für die Planung und Neugestaltung menschlicher Siedlungen im 21. Jahrhundert“ repräsentieren. Zu welchen Herausforderungen es bei der Gründung von Ökodörfern kommt und ob Ökodörfer tatsächlich dem Anspruch eines Modells genügen und damit ein Transfer in die Gesellschaft möglich ist, wird im Folgenden näher untersucht.
4.1 Herausforderungen bei der Gründung von Ökodörfern
Gilman identifiziert sechs Herausforderungsbereiche, die bei der Gründung von Ökodörfern zu beachten sind. Folgende Abbildung charakterisiert das Verhältnis, in dem diese sechs Herausforderungsbereiche zueinander stehen. Hieraus wird ersichtlich, dass die einzelnen Herausforderungen aufeinander aufbauen. Eine Ausnahme bildet die sog. „whole system challenge“. Anstatt anderen Herausforderungen zugrunde zu liegen, umfasst diese alle spezifischeren Herausforderungsbereiche (vgl. Gilman 1991: 10–14).
Bio-system challenge: Um den Aspekt der Integration menschlicher Aktivitäten in die Natur zu erfüllen, muss ein Ökodorf umweltfreundliche Wege finden, um natürliche Lebensräume zu erhalten, Lebensmittel zu produzieren und Abfälle zu recyceln (vgl. ebd.: 10–14).
Built-environment challenge: Darüber hinaus sollte bei der Erbauung eines Ökodorfes auf umweltfreundliche Materialien zurückgegriffen werden. Um dem Anspruch auf eine gesunde menschliche Entwicklung gerecht zu werden, sollten die Gebäude zudem eine Balance zwischen privatem und öffentlichem Raum aufweisen sowie gemeinschaftliche Interaktionen und Aktivitäten fördern (vgl. ebd.: 10–14).
Economic system challenge: Eine weitere Herausforderung bildet die Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, die dem Anspruch von Fairness und Nichtausbeutung anderer genügt. In Bezug auf das Wirtschaftssystem sollten somit Überlegungen zu sinnvollen Alternativen oder Ergänzungen zur Geldwirtschaft angestellt werden (vgl. ebd.: 10–14).
Governance challenge: Des Weiteren bedarf es der Entwicklung von Strukturen, die Prozesse der Entscheidungsfindung, Konfliktlösung und Implementation von Entscheidungen regeln (vgl. ebd.: 10–14).
„Glue“ challenge: Grundlage für all diese Herausforderungen ist eine Basis an gemeinsamen Werten und Visionen, die die Gemeinschaft, wie ein Klebstoff, zusammenhält. Diese zunächst zu entdecken und anschließend weiterzuentwickeln, stellt eine weitere Herausforderung dar (vgl. ebd.: 10–14).
Whole-system challenge: Die Gründung eines Ökodorfes erfordert zudem Veränderungen in vielen verschiedenen Lebensbereichen. Hierbei wird oft der Anschein erweckt, dass all diese Veränderungen zur gleichen Zeit vollzogen werden müssen. Dies würde jedoch zu einer starken Beanspruchung von emotionalen und finanziellen Ressourcen und im schlimmsten Fall zum Scheitern führen. So betont Gilman, dass der Wunsch nach einem möglichst schnellen Vollzug aller Änderungen einer der zentralen Gründe für das Scheitern von nachhaltigen Gemeinschaften sei. Um diesem Prozess entgegenzusteuern, sollte die Entwicklung von Ökodörfern in einem nachhaltigen Tempo stattfinden (vgl. ebd.: 10–14).
4.2 Übertragbarkeit des Modells von Ökodörfern
Häufig bezeichnen sich Ökodörfer selbst als Modelle für eine nachhaltige Lebensweise oder werden als solche betitelt (vgl. Lambing 2014a: 66). Auf Grundlage dieses Modellanspruchs stellt sich die Frage nach der Möglichkeit eines gesellschaftlichen Transfers dieser Lebensweise (vgl. Andreas 2015: 167).
Jene Frage der Übertragbarkeit in die breite Bevölkerung behandelte u.a. eine Veranstaltungsreihe zur Erforschung und Diskussion nachhaltig ausgerichteter intentionaler Gemeinschaften. Diese basiert auf einem Kooperationsprojekt zwischen GEN Europe und dem Wirtschaftsverband European Business Council for Sustainable Energy (e5) aus dem Jahr 2013. Der Großteil der folgenden Erkenntnisse stammt dabei aus der Studie „Ökologische Lebensstil-Avantgarden“ von Lambing aus dem Jahr 2014, die die Ergebnisse der Veranstaltungsreihe reflektiert (vgl. Lambing 2014a: 7f.).
Diskrepanz der Lebensweisen
Eine zentrale Herausforderung bei der Übertragung spielt die bestehende Diskrepanz der beiden Lebensstile. Würfel (2012: 15) beschreibt in diesem Zusammenhang die "Mainstream"-Kultur als eine „Kultur des Individualismus“. Sowohl individuelles Arbeiten als auch Wohnen sind im Rahmen eines urbanen Lebensstils beliebt (vgl. Lambing 2014a: 100). Das Leben in Ökodörfern erscheint, aufgrund seiner Ganzheitlichkeit und Radikalität, dagegen unattraktiv (vgl. ebd.: 100f.). Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass der Großteil der Bevölkerung sich für eine solche Lebensweise entscheiden würde (vgl. ebd.: 101). Lambing kommt diesbezüglich zu folgender Einschätzung:
„Solange der individuelle Leidensdruck nicht sonderlich hoch ist, werden sich auf Suffizienz orientierte […] Lebensstile nur dann gezielt verbreiten, wenn alternative Lebensweisen erstens als reale Optionen bekannt sind und zweitens als attraktiv gelten“ (ebd.: 6).
Dabei erfüllen als attraktiv geltende Lebensstile nach Lambing die Vorstellungen eines guten Lebens (vgl. ebd.: 6).
Anschlussfähigkeit von Innovationen
Häufig werden Ökodörfer auch als „Verdichtungszentren von sozialen und technologischen Innovationen eines nachhaltigen Lebens“ bezeichnet (Lambing 2014b: 6). Zahlreiche nachhaltige Konzepte, wie bspw. der Strohballenbau oder die Komposttoilette im Ökodorf Sieben Linden, bilden die Grundlage für die Betrachtung von Ökodörfern als technologische Modelle (vgl. Lambing 2014a: 66; ebd.: 80).
Diesen technischen Innovationen liegen zumeist Low-Tech-Lösungen zugrunde, weshalb sie im Vergleich zu konventionellen Lösungen weniger materielle und finanzielle Ressourcen erfordern (vgl. ebd.: 66). Das GEN gelangt daher zu der Einschätzung, dass viele dieser in Ökodörfern entwickelten Innovationen übertragen werden können (vgl. GEN o. D.-a).
Bei der Übertragung solcher Konzepte spielen jedoch neben finanziellen Aspekten auch soziale Aspekte eine maßgebliche Rolle. So weist Lambing darauf hin, dass diese technischen Innovationen häufig mit Kulturtechniken verbunden sind und somit eine soziale Anpassung erfordern. Bspw. ist die Benutzung einer Komposttoilette zunächst merkwürdig und verlangt eine Anpassung alltäglicher Gewohnheiten (vgl. Lambing 2014a: 66f.).
Administrative Schwierigkeiten
Die Verbreitung von sozialen und technologischen Innovationen, die in Ökodörfern entwickelt und erprobt wurden, wird zudem durch administrative Barrieren erschwert. Sowohl diverse Bauvorschriften als auch Regeln für Abwasser- und Müllmanagement oder zur Gründung von Schulen beeinträchtigen die Entwicklung und Übertragung nachhaltiger Lösungskonzepte (vgl. Lambing 2014b: 8).
Flächenproblematik
Um alle wichtigen Lebensbereiche im Ökodorf zu vereinen, spielt der Flächenbedarf eine wesentliche Rolle. Das Ideal der Selbstversorgung kann bspw. nur mit ausreichender landwirtschaftlicher Fläche realisiert werden. Auch für die Entwicklung, Erprobung und Anpassung von Innovationen wird Platz benötigt (vgl. Lambing 2014a: 66). Der aktuelle Platzmangel stellt daher eine weitere Hürde für die Realisierung des beschriebenen Lebensstils dar, weshalb eine Entzerrung von Ballungsräumen für eine gesamtgesellschaftliche Übertragung unerlässlich wäre.
Basierend auf den skizzierten Aspekten gelangt Lambing (2014b: 9) im Rahmen seiner Studie zu der Erkenntnis, dass sozialökologische Gemeinschaften, und damit auch Ökodörfer, zum einen als „Hebammen für neue Technologien und Sozialpraktiken“ und zum anderen als „Leuchtturmprojekte“ fungieren. Anstatt sich als Modell zu bezeichnen, sehen sich Ökodörfer somit vielmehr als „Impulsgeber und Ideenträger“ (ebd.: 9).
Dennoch können Ökodörfer als „Erzähler und Gegenstand von Ermutigungsgeschichten [auf]treten, deren Kern lautet, dass ein Traum von einem sozial ausgeglichenen, ökologisch sanften Lebensstil zumindest ansatzweise Realität werden kann“ (ebd.: 9f.). Bereits neue Formen gemeinschaftlichen Wohnens, wie bspw. Cohousing-Siedlungen, zeigen, dass eine Übertragung der Lebensweise in deutlich abgeschwächter Form stattgefunden hat (vgl. Lambing 2014a: 115; Lambing 2014b: 7).
Auch Svensson verweist auf die Etablierung sog. „Mainstream-Ökodörfer“, die sich durch eine Balance aus ökodörflichen Charakteristika und gängigen Lebensweisen kennzeichnen (vgl. Svensson 2007: 16f.). Ob diese jedoch den Aspekt einer ganzheitlich nachhaltigen Ausrichtung erfüllen, bleibt offen.
4.3 Handlungsempfehlungen zur Stärkung von Ökodörfern
Anknüpfend an die vorausgehenden Problematiken, die eine Verbreitung von Ökodörfern erschweren, gibt Lambing (2014b: 12–16) Handlungsempfehlungen zur Stärkung von Ökodörfern, die an Bund, Länder, Kommunen und andere öffentliche Institutionen (Stiftungen, NGOs) gerichtet sind. Um die Entwicklung und Verbreitung technischer Nachhaltigkeitskonzepte aus Ökodörfern zu fördern, ist bspw. ein Abbau von administrativen Hürden unerlässlich (vgl. ebd.: 14). Dies kann in Form von Ausnahmeregelungen für Baumaßnahmen oder für den Einsatz technischer Konzepte ermöglicht werden (vgl. ebd.: 14). Des Weiteren sollte die in Ökodörfern stattfindende wissenschaftliche Forschung sowie Dokumentation und Verbreitung technischer und sozialer Innovationen stärker unterstützt werden (vgl. ebd.: 15).
Eine entscheidende Rolle für die Verbreitung von Kernpunkten der ökodörflichen Lebensweise spielt zudem die institutionelle Einbindung von Ökodörfern (vgl. ebd.: 16). So können wesentliche Erkenntnisse durch Kooperationen mit staatlichen Institutionen in nachhaltige Entwicklungsprogramme einfließen (vgl. ebd.: 16). Daneben empfiehlt Lambing u.a. die Beseitigung steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Nachteile, die Etablierung kommunalpolitischer Gesprächskreise und die Stärkung der digitalen Vernetzung (ebd.: 14–16).
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass Ökodörfer dem Anspruch eines Modells nicht gänzlich genügen und vielmehr als Impulsgeber und Ideenträger bzw. als Inspirationsquelle für eine ganzheitlich nachhaltige Lebensweise fungieren. Dennoch eröffnen sie ein beträchtliches Potential für eine gesamtgesellschaftliche, nachhaltige Entwicklung, weshalb der Abbau von Barrieren durch die politische Ebene unabdingbar ist.
5 Beispiel: Ökodorf Sieben Linden
Gegenstand dieses Kapitels bildet das Ökodorf Sieben Linden, eines von aktuell 16 Ökodörfern in Deutschland (vgl. Würfel et al. 2019). Im Folgenden wird in einem ersten Schritt die Lebensweise näher untersucht und im Anschluss auf das Selbstverständnis der Ökodorfbewohner*innen, als Modell zu gelten, eingegangen.
5.1 Übersicht
Das ländlich gelegene Ökodorf Sieben Linden wurde im Jahr 1997 gegründet und befindet sich in der Gemeinde Beetzendorf (Ortsteil Poppau) im Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt (vgl. Freundeskreis Ökodorf e.V. 2017: 1). Das Ökodorf umfasst ca. 100 Hektar Land, davon sind ca. 65 Hektar Wald, ca. 25 Hektar Acker, ca. 6 Hektar Garten und ca. 6 Hektar Baugebiet (vgl. ebd.: 11). Sieben Linden kann darüber hinaus als intentionale Gemeinschaft bezeichnet werden (vgl. Würfel 2012: 11; Andreas 2015: 82).
2019 wurde das Ökodorf von 140 Mitgliedern (55 Frauen, 45 Männer, 40 Kinder) bewohnt (vgl. Würfel et al. 2019: 214). Die Altersspanne reicht von 0 bis 80 Jahre (vgl. ÖSL o. D.-b). Hiervon arbeiten 75 Personen innerhalb der Gemeinschaft und 30 in gemeinschaftseigenen Betrieben (vgl. Würfel et al. 2019: 214). Weitere Mitglieder sind erwünscht (vgl. ebd.: 215).
5.2 Lebensweise in Sieben Linden
Obwohl im Ökodorf Sieben Linden viele verschiedene Menschen leben, eint alle der Versuch einer nachhaltigen Ausrichtung ihrer Lebensweise (vgl. Würfel 2012: 12). Auf dieser Grundlage bezeichnet sich Sieben Linden als ein ganzheitliches Gemeinschaftsprojekt, das sich durch ein Zusammenspiel der vier Dimensionen der Nachhaltigkeit kennzeichnet (vgl. ÖSL o. D.-a).
Im Folgenden wird die Lebensweise im Ökodorf Sieben Linden entlang des Vier-Dimensionen-Modells nach GEN (vgl. Kap. 3.2) näher untersucht. Zu beachten ist jedoch, dass folgende Darstellung nicht den gesamten Lebensstil vorstellen kann, sondern lediglich für die jeweilige Dimension repräsentative Aspekte anführt.
Soziale Dimension
„Gemeinschaftlich zu leben und gleichzeitig die Bedürfnisse und Besonderheiten jedes Menschen zu achten und zu würdigen“, ist sowohl Vision als auch Herausforderung der Bewohner*innen Sieben Lindens (ÖSL o. D.-b). Diverse Kommunikationskonzepte, wie bspw. die „menschliche Runde“, spielen hierfür eine zentrale Rolle (vgl. ÖSL o. D.-c). Diese monatlich stattfindende „menschliche Runde“ vereint verschiedene Kommunikationsmethoden, wie Achtsamkeitsübungen, Meditationen, Fishbowl-Diskussionen oder das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (vgl. ebd.). Hierfür bieten u.a. die Gemeinschaftsgebäude Platz, in denen daneben auch zu Festen, gemeinsamen Mahlzeiten oder Kinobesuchen eingeladen wird (vgl. ÖSL o. D.-b).
Auch die Transparenz von Entscheidungsverfahren ist für ein harmonisches, gemeinschaftliches Miteinander von Bedeutung. Entscheidungen wurden so zu Beginn im Konsens getroffen, bevor schließlich im Jahr 2008 ein „Rätesystem“ entwickelt wurde. Je nach Bereich steht demnach einem der sieben Räte, die in einem jährlichen Rhythmus gewählt werden, die Entscheidungsgewalt zu. Lediglich über bestimmte Themen, wie bspw. Mitgliedserweiterungen, wird in einem abgestuften Konsenssystem entschieden. Die Gewährleistung von Transparenz erfolgt daneben durch schriftliche Protokolle (vgl. ÖSL o. D.-d).
Außerdem spielt der gleichberechtigte Zugang zu Bildung in der sozialen Dimension eine zentrale Rolle (vgl. GEN 2018: 7). So existiert neben dem dorfeigenen Kindergarten die aus dem Ökodorf-Projekt entstandene „Freie Schule Altmark“, eine Grundschule, die im 24 Kilometer entfernten Depekolk liegt (vgl. ÖSL o. D.–e).
Ökologische Dimension
Die ökologische Dimension nimmt in Sieben Linden eine zentrale Stellung ein (vgl. Freundeskreis Ökodorf e. V. 2017: 86). „Ziel […] ist es, den ökologischen Fußabdruck […] in allen Lebensbereichen zu reduzieren“ (ÖSL o. D.-f). Dies ist dem Ökodorf schon in beträchtlichem Umfang gelungen. So ergab eine Studie der Universität Turin aus dem Jahr 2014, dass der ökologische Fußabdruck Sieben Lindens lediglich ca. 27 Prozent des deutschen Bundesdurchschnitts beträgt (vgl. ÖSL o. D.-g).
Einen erheblichen Beitrag leisten hierfür die möglichst geschlossenen Energie- und Materialkreisläufe (vgl. ÖSL o. D.-f). Mit Hilfe von Solarenergie werden 65 Prozent des im Dorf benötigten Stroms, der im Vergleich zum Bundesdurchschnitt nur etwa ein Viertel beträgt, selbst generiert (vgl. ÖSL o. D.-h).
Auch in Bezug auf den Wasserverbrauch liegt Sieben Linden bei ca. der Hälfte des Bundesdurchschnitts. Dieses Ergebnis wird vor allem durch die Bewässerung des Gartenbetriebs mittels eigener Brunnen und Regentonnen sowie durch den Einsatz von Komposttoiletten erzielt. In einem Kreislauf wird verschmutztes Abwasser anschließend in einer Pflanzenkläranlage gereinigt und teilweise zur Gartenbewässerung wiederverwendet (vgl. ÖSL o. D.-i).
Primär ist das Ökodorf Sieben Linden jedoch für seine ökologische Bauweise bekannt. Vor allem der Strohballenbau gilt als Markenzeichen (vgl. Freundeskreis Ökodorf e. V. 2017: 90). Mit Hilfe von natürlichen Baustoffen, wie Holz, Stroh und Lehm, wurden insgesamt 16 Öko- und Niedrigenergiehäuser, davon 14 Strohballenhäuser, erbaut (vgl. ÖSL o. D.-i). Die Baustoffe stammen zum Großteil aus der näheren Umgebung (vgl. ebd.). Das Holz sogar zum Teil aus dem eigenen Waldgebiet (vgl. ebd.). Sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb sparen die Strohballenhäuser Energie (vgl. ebd.). „Ein strohgedämmtes Gebäude kann somit allein für die Erstellung eines konventionellen Hauses gebaut sowie weitere 69 Jahre mit Wärme versorgt werden“ (ebd.).
Des Weiteren stellt die Selbstversorgung für die Bewohner*innen Sieben Lindens zwar ein hohes Ideal dar, jedoch wird die Ansicht vertreten, dass durch die Verbreitung ihrer nachhaltigen Ideen und Konzepte, bspw. durch das Internet oder Seminare, ein größerer Beitrag zum ökologischen Wandel geleistet werden kann (vgl. Würfel et al. 2019: 215). Dennoch wird der Großteil des Gemüsebedarfs durch den eigenen Anbau gedeckt (vgl. ÖSL o. D.-j). Daneben stammen alle weiteren Lebensmittel für die gemeinsame Versorgung aus kontrolliertem ökologischem Anbau (vgl. ebd.).
Trotz der erkennbar guten Ausbildung der ökologischen Dimension ist, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, eine weitere Reduzierung von CO2-Emissionen notwendig. Einsparpotential eröffnen hierbei vor allem die Bereiche Mobilität und Ernährung (vgl. ÖSL o. D.-g).
Kulturelle Dimension
Sowohl die Entwicklung einer Kultur des Miteinanders als auch eine der Achtsamkeit spielt in Sieben Linden eine wichtige Rolle. Neben dem gegenseitigen Respekt und der Achtung anderer Lebewesen geht es vor allem darum, Verschiedenheiten zu akzeptieren. Diese Kultur des Miteinanders wird durch kulturelle Elemente wie bspw. gemeinsames Singen, gemeinschaftliche Rituale oder Malerei gestärkt (vgl. ÖSL o. D.-k).
Ökonomische Dimension
Sieben Linden ist durch eine genossenschaftliche Struktur gekennzeichnet, d.h. durch gemeinschaftliche Finanzierung des Landes und der Infrastruktur (vgl. ÖSL o. D.-l). Abgesehen davon sind alle für die Finanzierung ihres Lebensunterhalts selbst verantwortlich (vgl. ÖSL o. D.-m). Allerdings eröffnen dorfeigene Unternehmen, wie bspw. der Lebensmittelladen „Naturwaren e.V.“, der Waldkindergarten oder der Rohkostversand „Raw Living“, Arbeitsplätze (vgl. ebd.).
Auch selbstständige Tätigkeiten, z.B. als Handwerker*in oder Seminarleiter*in, sind möglich (vgl. ebd.). Mit der gemeinsamen Haushaltskasse und der gemeinsamen Finanzierung der Lebensmittelversorgung der Kinder lässt sich dennoch eine solidarische Ausrichtung der Wirtschaftsweise erkennen (vgl. ÖSL o. D. -n). Trotzdem ist festzuhalten, dass die ökonomische Dimension in Sieben Linden die am wenigsten entwickelte Dimension darstellt (vgl. Wagner 2013: 99).
5.3 Selbstverständnis des Ökodorfes Sieben Linden
Im Jahr 2009 befragten Andreas und Wagner die Bewohner*innen Sieben Lindens, inwieweit sie das Ökodorf als Modell- und Forschungsprojekt verstehen. Ausgangspunkt bildete die Annahme, dass ein Modell ,von‘ und ,für‘ etwas sei (vgl. Andreas 2015: 168). Im Folgenden werden auf dieser Grundlage jedoch lediglich die Perspektiven der Bewohner*innen in Bezug auf „Sieben Linden als Modell“ dargestellt.
Ähnlich wie Lambing zweifelten mehrere Bewohner*innen daran, gesamtgesellschaftlich reproduzierbare Konzepte für eine nachhaltige Lebensweise zu entwickeln und damit dem Modellanspruch zu genügen (vgl. ebd.: 168f.). Zwar würden sie diese entwerfen und vorleben, aber ein Transfer sei auf Grund unterschiedlicher Ausgangspositionen nicht immer realisierbar (vgl. ebd.: 169). So sei Sieben Linden bspw. nicht für alle sozialen Kontexte repräsentativ (vgl. Andreas/Wagner 2012: 139).
Einige Bewohner*innen verglichen Sieben Linden eher mit einem Steinbruch, von dem konkrete Fragmente, wie bspw. Komposttoiletten oder Strohballenbau, entnommen und anschließend übertragen werden könnten. Hierbei weist Andreas jedoch auf soziale und rechtliche Barrieren hin, die eine Übertragung erschweren (vgl. Andreas 2015: 169f.).
Andere bezeichneten Sieben Linden hingegen als einen Ort der Inspiration, „der zwar nicht als hundertprozentig zu übertragendes Modell detailgerecht nachgebildet werden soll, sondern zu eine [sic] Übertragung von ,inneren Prinzipien‘“ anregen solle (Wagner 2013: 104). Sieben Linden wurde darüber hinaus auch als Modell für neue Lebensmuster und damit als Ort für die Erprobung neuer (Lebens-)Konzepte beschrieben (vgl. Andreas/Wagner 2012: 141).
Abweichend hiervon identifizierten manche Bewohner*innen Sieben Linden dennoch als Modell (vgl. Andreas 2015: 173). In dem Punkt, dass Ökodörfer jedoch keine Musterdörfer im Sinne einer Blaupause seien, waren sich alle einig (vgl. ebd.: 169). Da der Modellbegriff jedoch häufig jenen Anspruch der Übertragbarkeit impliziere, kamen die Bewohner*innen zu dem Entschluss, Sieben Linden auf ihrer Website und ihren Broschüren nicht länger als Modellprojekt zu bezeichnen (vgl. ebd.: 170). Diese Maßnahme stelle jedoch nicht zur Debatte, dass einzelne Konzepte weiterhin übertragbar seien:
Even so, internally there remains a certain awareness that specific aspects of eco-village life are transferable and that, as an inspirational place for living and learning, the village as a whole has a research character, above all for the residents themselves. (Kommerell, J. in Andreas/Wagner 2012: 147)
6 Fazit
Abschließend ist festzuhalten, dass Ökodörfer Menschen vereinen, die in Gemeinschaft auf eine sozial, ökologisch, kulturell und ökonomisch nachhaltige Weise leben. Diese ganzheitlich nachhaltige Lebensweise kennzeichnet auch das Ökodorf Sieben Linden, das mit diversen sozialen sowie technischen Konzepten versucht, Lösungen für gesamtgesellschaftliche Probleme zu entwickeln und somit einen nachhaltigen Weg in die Zukunft zu ebnen.
Zur Realisierung eines nachhaltigen Lebensstils gehört für die Bewohner*innen jedoch nicht nur die Entwicklung neuer Technologien. Auch Verzicht und die Eingliederung menschlicher Aktivitäten in die Natur sind wichtige Grundpfeiler, wodurch zentrale Strategien der Nachhaltigkeit aufgegriffen werden.
Für diese nachhaltige Lebensweise sah sich Sieben Linden lange Zeit als Modell oder wurde als solches bezeichnet. Der damit einhergehende Anspruch, Übertragbarkeit zu gewährleisten, kann jedoch aufgrund verschiedener Hürden nicht erfüllt werden. Neben den unterschiedlichen Lebensvorstellungen gehören hierzu u.a. notwendige soziale Anpassungen sowie administrative Barrieren. Ökodörfer stellen somit keine Blaupause für eine nachhaltige Lebensweise, die 1:1 auf die gesamte Bevölkerung übertragbar ist, dar.
Anstatt als Modelle fungieren Ökodörfer eher als Steinbruch, von dem konkrete Konzepte entnommen und nach individueller Anpassung in einem anderen Kontext eingesetzt werden können. Somit sind Ökodörfer vielmehr ganzheitliche Impulsgeber und Ideenträger für einen nachhaltigen Lebensstil, der andere inspirieren und ermutigen soll.
Literatur
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