1. Einleitung
Im Jahr 2011 hat Christian Felber mit der Gemeinwohl-Ökonomie (nachfolgend GWÖ) ein Konzept vorgelegt, das nicht nur ein Zielbild einer nachhaltigen Welt mit Win-Win-Momenten für dessen Bewohner UND den Planeten bietet, sondern als „Bottom-Up“-Bewegung konkrete Veränderung möglich macht. Seitdem ist viel passiert: Es entstand eine Bewegung, der sich Firmen, Kommunen und ganze Regionen angeschlossen haben, die GWÖ wurde öffentlich kritisch wie wohlwollend diskutiert und fand bereits auf EU-Ebene positive Beachtung.
Nun stellt sich die Frage, wo die GWÖ heute steht und welches Veränderungspotential sie in die teilnehmenden Firmen hineinzubringen vermag. Der nachfolgende Beitrag widmet sich daher der Frage: Welche Auswirkungen hat die GWÖ auf die Firmen, die sich bilanzieren lassen? Die Erkenntnisse und Ergebnisse basieren auf dem Beispiel der Novatec Consulting GmbH (nachfolgend „Novatec“), einer Firma mit 300 MitarbeiterInnen, die IT-Dienstleistungen für die Branchen Automotive, Versicherungen und Manufacturing anbietet.
Novatec hat sich ab 2018 als erste größere Firma aus ihrer Branche auf den Weg gemacht, eine GWÖ-Bilanzierung zu erstellen. Seit Juni 2020 liegt eine erste Gemeinwohl-Bilanz inklusive Gemeinwohl-Bericht vor. Anhand dieses Berichts und eines Interviews mit der Geschäftsführerin Rita Ehses wird die obenstehende Frage beantwortet.
Dafür erfolgt zunächst eine Einführung in die Entstehung und das Konzept der GWÖ. Danach wird die Novatec und deren Weg zu einer ersten Gemeinwohl-Bilanz vorgestellt sowie die daraus resultierenden Auswirkungen anhand eines Interviews mit der Geschäftsführerin erörtert. Abschließend wird im Fazit die dieser Arbeit zugrundeliegende Frage beantwortet und es werden Herausforderungen für die GWÖ aufgezeigt.
2. Gemeinwohl-Ökonomie
2.1 Einführung in das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie
Auf Grundlage von Christian Felbers Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ hat sich im Jahr 2008 eine UnternehmerInnengruppe auf den Weg gemacht, Alternativen zum aktuellen Wirtschaftssystem zu eruieren. Daraus entstand in mehreren Jahren Arbeit die Gemeinwohl-Matrix in ihrer ersten Version: Das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie war geboren (Vgl. Knapper, Khardbhih, & Jotter, 2022). Im Jahr 2010 erschien dann die erste Auflage des gleichnamigen Buches, ebenfalls unter der Autorenschaft von Christian Felber. Im Zuge dessen wurde das gesamte Konzept in die Öffentlichkeit getragen.
Mehrere Unternehmen schlossen sich der Bewegung an und erklärten sich bereit, eine erste Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen. In den folgenden Jahren gewann die Bewegung viele weitere UnterstützerInnen: Privatpersonen bekundeten ihre Unterstützung durch die Forderung, die GWÖ gesetzlich verbindlich zu etablieren, BotschafterInnen nutzten Einfluss und Reichweite, um das Konzept der GWÖ in Gesellschaft und Politik bekannt zu machen und weitere Firmen schlossen sich an und ließen sich bilanzieren (vgl. ebd.).
Ab dem Jahr 2013 schlossen sich dann sogar erste Regionen, Banken und Hochschulen der GWÖ-Bewegung an, im Jahr darauf entstand die erste Gemeinwohl-Gemeinde. Die Gemeinwohl-Matrix als Kernstück der Gemeinwohlbewegung wurde über die ersten Jahre kontinuierlich in ihrer Anwendung geprüft und in jährlichen Aktualisierungen verbessert, bis 2017 mit der Matrix 5.0 die aktuell gültige Version der Matrix vorlag. Unterdessen ist die GWÖ-Bewegung nicht nur international zunehmend bekannt geworden, sondern hat zusammen mit ihren UnterstützerInnen und den bilanzierten Firmen auch zahlreiche Preise gewonnen (Vgl. Knapper, Khardbhih, & Jotter, 2022). Doch was ist die GWÖ, welches Konzept ist ihr inhärent und welches Ziel verfolgt die Bewegung?
Auf der Basis seiner jahrelangen Kritik an den wirtschaftlichen und ökologischen Gegebenheiten entstand die GWÖ als ein Gegenvorschlag dazu. Felber kritisiert grundsätzlich die entstandenen Strukturen der Zweckentfremdung von Geld und Besitz weg von einem Mittel für ein gutes Leben und hin zu einem Selbstzweck. Diese Strukturen wurden unter dem Deckmantel der Alternativlosigkeit etabliert und führten letztendlich nicht nur zu einer zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung bei gleichzeitigem, immer weiter zunehmendem Materialismus, sondern auch zu den verschiedenen Krisen des Kapitalismus, welche laut Felber immer sichtbarer werden. Darunter zählt er die Finanzkrise, aber auch „Finanzblasen, Arbeitslosigkeit, Verteilungskrise, Klimakrise, Energiekrise, Hungerkrise, Konsumkrise, Sinnkrise, Wertekrise und Demokratiekrise“ (Felber, 2012, S. 9).
Mit der Gemeinwohl-Ökonomie stellt Felber einen Lösungsansatz dazu vor. Dabei soll nicht mehr der Finanzgewinn Sinn und Zweck des Wirtschaftens einer Firma sein, sondern der Nutzen für das Gemeinwohl, der sich konkret für die verschiedenen Berührungsgruppen aufzeigen lässt. Damit will die GWÖ zum einen in der Wirtschaft dieselben Werte etablieren, die auch für das gemeinschaftliche Zusammenleben relevant sind, das sind laut Felber „Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen“ (ebd., S. 12).
Zum anderen sollen die Inhalte der jeweiligen Verfassungen auch für die Wirtschaft relevant werden, indem sie auch in der Wirtschaft konsequente Anwendung finden. Dies sieht Felber in den aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten, in der Erfolg an der Durchsetzung gegenüber der Konkurrenz und am Finanzgewinn bzw. BIP gemessen wird, nicht gegeben. Vielmehr spricht er von einer „Entseelung der wissenschaftlichen Ökonomie“ (ebd., S. 13), da bei der Verwendung dieser Erfolgsindikatoren entstandene Kosten, wie beispielsweise die Ausbeutung von Menschen oder langfristige Schädigungen der Umwelt, ausgeklammert werden sowie keine Darstellung eines reellen Nutzens für die Gesellschaft erfolgt (vgl. ebd., S. 12 ff.).
Die Wirtschaft soll dagegen wieder an reellen Nutzwertindikatoren gemessen werden. Dabei bildet die GWÖ mit der Gemeinwohl-Matrix als einer umfassenden Darstellung für die verschiedenen Dimensionen des menschlichen Zusammenlebens und Wirtschaftens ein weitaus detaillierteres und differenzierteres Bild, als es der BIP für ganze Volkswirtschaften und der Finanzgewinn für einzelne Unternehmen vermögen. Die Gemeinwohl-Matrix vereint konkret die zuvor genannten Werte und Berührungsgruppen und misst und bewertet die Unternehmen daran. Dies geschieht hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwohl und damit bezüglich ihres echten Nutzens (vgl. Felber, 2018, S. 29 ff.).
Für die Notwendigkeit der Etablierung der GWÖ beruft sich Felber nicht nur auf die Mängel des aktuellen Wirtschaftssystems, sondern auch auf die bereits vorhandene Verwendung des Gemeinwohl-Gedankens in verschiedenen Verfassungen weltweit, so beispielsweise auch in Bayern. Darin wird beschrieben, dass Eigentum nicht nur verpflichtet, sondern dem Gemeinwohl dienen solle (vgl. Felber, 2012, S. 10). Darüber hinaus beruft sich die GWÖ auf die Menschenrechte und besonders auf die Menschenwürde als höchstem Wert für das Zusammenleben überhaupt:
„Aus dem gleichen Wert aller Menschen erwächst unsere Gleichheit in dem Sinne, dass in einer Demokratie alle Menschen die gleichen Freiheiten, Rechte und Chancen genießen sollen. Und nur wenn tatsächlich alle die gleichen Freiheiten genießen, ist die Bedingung gegeben, dass alle auch wirklich frei sein können: Menschenwürde ist die Begründung und Voraussetzung für Freiheit.“ (Felber, 2018, S. 15).
Gerade deshalb ist die GWÖ ein Konzept, welches das Wohl aller Menschen im Blick behält, da sich dies aus der unveräußerlichen Menschenwürde heraus global und nicht nur national ergibt. Aus der Menschenwürde leitet Felber wiederum ab, dass Übervorteilung des Gegenübers unvereinbar mit deren Achtung sei. Denn in dem Moment, in dem man sich einen Vorteil zum Nachteil eines anderen Menschen verschafft, wird dessen Würde missachtet. Dies ist jedoch gängige Praxis im System des „freien Markts“ (vgl. ebd., S. 14 ff.).
Als Alternative führt Felber mit der GWÖ das zentrale Motiv „Kooperation statt Konkurrenz“ ein, welche die Menschenwürde achtet. Zudem führt Felber an, dass Kooperation weitaus motivierender und effizienter als Wettbewerb und Übervorteilung ist, da sie der intrinsischen Motivation entspringt. Denn Arbeit – entsprechend der Werte und Normen unseres Miteinanders – führt laut Felber nicht dazu, dass man immer besser als andere sein will, sondern vielmehr sinnvolle Arbeit verrichten und gut darin sein will. Kooperation ist laut Felber nicht nur die effizientere und damit bessere Art der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens, sondern entspricht darüber hinaus auch unserem menschlichen Wesen (vgl. ebd., S. 19 ff.).
Um einen solchen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel zu erreichen, nimmt Felber eine Fokussierung auf die Unternehmen vor, die seiner Meinung nach im vorgegebenen Rahmen der zusammenlebenden Menschen (Gesellschaft) agieren sollten und nicht außerhalb dessen (vgl. ebd., S. 12 ff.). Dafür muss die Fokussierung auf den Finanzgewinn einem zunehmenden Fokus auf Kooperation und Gemeinwohlorientierung weichen sowie unternehmerischer Erfolg eine neue Bedeutung erhalten. Dies leistet die Gemeinwohl-Matrix, die im Folgenden genauer erläutert werden soll.
2.2 Gemeinwohl-Matrix
Die Gemeinwohl-Matrix stellt das Kernstück der GWÖ dar. Auf der einen Seite ist sie so komplex und ausführlich, dass ganze Vereine, Unternehmen oder Kommunen daran und damit bilanziert werden können. Auf der anderen Seite ist sie transparent und simpel in ihrem Aufbau und somit für alle Menschen verständlich (vgl. Felber, 2018, S. 36 ff.). Die Matrix wurde in Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen, die sich bilanzieren ließen, und den Gemeinwohl-Matrix-RedakteurInnen reflektiert und Jahr für Jahr weiterentwickelt.
Mit der Gemeinwohl-Matrix 5.0 liegt nun die fünfte Version vor, die seit 2017 zur Gemeinwohl-Bilanzierung der Unternehmen genutzt wird und seitdem keine Revisionen mehr erfahren hat. Sie stellt die vorerst finale Version dar, die das Ziel der GWÖ-Begründer erfüllt: Die Matrix ist in allen Branchen anwendbar, sie ist verständlich und eindeutig formuliert und damit universell anwendbar. Mit der Gemeinwohl-Matrix 5.0 verfolgt die GWÖ-Bewegung das Ziel, diese schlussendlich auch vom Gesetzgeber final überprüfen und validieren zu lassen, damit sie idealerweise auch rechtlich verankert werden kann und dadurch verbindlich eingeführt wird (vgl. ebd. S. 36 ff.).
- Menschenwürde,
- Solidarität und Gerechtigkeit
- ökologische Nachhaltigkeit,
- Transparenz und Mitentscheidung (Vgl. ebd., S. 36 ff.)
- LieferantInnen,
- EigentümerInnen und FinanzpartnerInnen
- Mitarbeitende,
- KundInnen und Mitunternehmen,
- das gesellschaftliche Umfeld (Vgl. ebd., S. 36 ff.)
Die Schnittflächen von Werten und Berührungsgruppen werden an messbaren Maßstäben geprüft und ein entsprechender Wert - pro Kategorie bis zu 50 Punkte - vergeben. Der Gesamtwert der einzelnen Kategorien bewegt sich in Summe zwischen -3.600 und +1.000 Punkten, wobei die Gewichtung der einzelnen Themen nach verschiedenen unternehmensbezogenen Kriterien variiert. Die Negativ-Punkte können durch Negativaspekte zustandekommen und daher weit mehr ins Gewicht fallen als die Positiv-Punkte (vgl. Blachfellner, et al., 2017, S. 11).
Die Ansprüche an diese „Universalbilanz“ verfolgt eine vollständige Markttransparenz durch die Erfüllung der Anforderungskriterien Partizipative Entwicklung, Ganzheitlichkeit, Messbarkeit/Bewertbarkeit, Vergleichbarkeit, Verständlichkeit, Öffentlichkeit, Externe Prüfung, Verbindlichkeit, Rechtsfolgen und Gesamtmodell (vgl. Felber, 2018, S. 38 ff.).
In Felbers Vision hätte die Gemeinwohl-Bilanz dadurch nicht nur positive Folgen für die KonsumentInnen, sondern auch rechtliche Konsequenzen für die Unternehmen. Da Kooperation und Gemeinwohlfokussierung belohnt werden sollen, würden Unternehmen beispielsweise Steuern in Abhängigkeit davon zu entrichten haben. Das bedeutet konkret: je mehr eine Firma für das Gemeinwohl tut, desto weniger Steuern muss sie zahlen. Etwas vereinfacht formuliert, übernehmen sie damit Teile der bisherigen staatlichen Leistungen für ein gutes, qualitatives und nachhaltiges Zusammenleben, weshalb sie dafür belohnt werden sollen.
Je schlechter ein Unternehmen in der Gemeinwohl-Bilanz abschneidet, je geringer also der Nutzen für das Gemeinwohl ist, desto schlechtere Konditionen und höhere Abgaben hat es zu tragen. Solche Unternehmen sind in Felbers GWÖ-Konzept dadurch immer weniger konkurrenzfähig. Es überleben daher nur die Unternehmen mit Sinn und Nutzen für die Gesellschaft bei gleichzeitiger Rücksichtnahme auf die Umwelt (vgl. ebd., S. 42 ff.).
Um sich im Rahmen der GWÖ bilanzieren zu lassen, bedarf es eines Gemeinwohl-Audit-Prozesses. Dafür wird zunächst die Gemeinwohl-Bilanz intern erstellt und geprüft. Dies geschieht zunächst durch die damit beauftragte Person, die aus der Mitarbeiterschaft des Unternehmens ausgewählt wird. Wenn dieser interne Prozess nach etwaigen Revisionen abgeschlossen ist, wird der Gemeinwohl-Bericht und die vorläufige Gemeinwohl-Bilanz wiederum von einem bzw. einer externen AuditorIn geprüft (vgl. ebd., S. 44 ff.).
Eine solche Prüfung besteht aus unbestimmt vielen Rückmeldungsschleifen, in denen im gemeinsamen Prozess etwa unkonkrete oder geschönte Elemente in der Gemeinwohl-Bilanz korrigiert werden. Anhand des finalen Ergebnisses können die AuditorInnen, immer mindestens zwei pro Unternehmen, die entsprechenden Punktzahlen und ein Endergebnis festlegen. Dieser Prozess findet in regelmäßigem Rhythmus statt. Die externen AuditorInnen werden derzeit vom Unternehmen bezahlt, mittelfristig werden diese Kosten eventuell durch den GWÖ-Verein übernommen. Perspektivisch soll dies eine kostenlose Dienstleistung des Staates werden. Eine Gemeinwohl-Bilanz ist für zwei Jahre gültig (vgl. ebd., S. 188).
Durch die hohen Interdependenzen des Unternehmens verbunden mit den Interessen der Kooperationspartner an einer korrekten Gemeinwohl-Bilanz sowie dem transparenten Umgang mit der Gemeinwohl-Bilanz ist davon auszugehen, dass ein Betrug schnell auffliegen würde. Da ein solcher massive Auswirkungen auf das Unternehmen selbst, aber auch seine zukünftigen Geschäftschancen hätte, hält Felber Fälschungsversuche der Gemeinwohl-Bilanz für unwahrscheinlich. Harte Strafen sollen zudem die AuditorInnen von der Bestechlichkeit abhalten (vgl. Felber, 2012, S. 48 ff.).
Für den Prozess hin zu einer Gemeinwohl-Bilanz inklusive eines Gemeinwohl-Berichts können zudem speziell ausgebildete BeraterInnen hinzugezogen werden. Diese können das Unternehmen im gesamten Prozess bis zum Audit begleiten, diesen begleiten, strukturieren und gestalten sowie darüber hinaus Hilfe bei konkreten Themen wie beispielsweise der Personalentwicklung leisten (vgl. Felber, 2018, S. 186 ff.).
Aufgrund der Ausrichtung der Arbeit wird nachfolgend auf weitere Ausführungen zur GWÖ verzichtet. Weitere, detaillierte Informationen rund um die GWÖ lassen sich auf deren Website und in dem gleichnamigen Buch von Christian Felber finden. Zudem findet sich im nachfolgenden Video nochmal eine Zusammenfassung der Kernaspekte der GWÖ:
Abschließend ist es noch wichtig zu erwähnen, dass eine Gemeinwohl-Bilanzierung Stand heute eine Maßnahme darstellt, der sich Unternehmen auf der Basis der Freiwilligkeit unterziehen. Dies gilt sowohl für die Unterstützung der Bewegung als auch für eine Bilanzierung des Unternehmens.
3. Novatec Consulting GmbH und die GWÖ
3.1 Vorstellung der Novatec Consulting GmbH
Die Novatec Consulting GmbH ist ein IT-Beratungsunternehmen, das für Unternehmen aus den Branchen Automotive, Versicherungen bzw. Finanzdienstleistungen und Manufacturing mit Lösungen in den Bereichen Consulting, Software-Engineering und Training tätig ist (vgl. Novatec Consulting GmbH (Verantw. M. Schuchart), 2022). Das 1996 gegründete Unternehmen beschäftigt über 300 MitarbeiterInnen an acht Standorten in Deutschland und an einem Standort in Spanien. Dies ermöglicht eine regionale Nähe zu den jeweiligen AuftraggeberInnen und Projekten (vgl. ebd.). Zusätzlich betreuen sie über 50 Studierende im Kontext verschiedener Projekte und universitärer Kooperationen (siehe Anhang, S. 1).
Seit jeher wird die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen als ein Schlüssel für ein gutes und produktives Miteinander gesehen. Unter dem Motto „happier way of working“ engagiert sich die Novatec bereits seit vielen Jahren für regelmäßige Weiterbildungen ihrer MitarbeiterInnen und fördert darüber hinaus individuelle Entwicklungsmöglichkeiten. Aber auch Anreize wie Dienstwagen, Firmenfeiern und Teamevents werden angeboten.
Darüber hinaus beschäftigt die Novatec einen „Feel good Manager“, der sich mit einem Zeitumfang von 1,5 Tagen pro Woche um die Anliegen der MitarbeiterInnen kümmert, diese aktiv nach deren Meinung fragt und diese Meinungsbilder mit in die Ebene der Geschäftsführung hineinträgt (vgl. Pfeilsticker, 2022, S. 29). Weitere Mitsprachemöglichkeit bietet zudem ein „internes Vorschlagswesen“, durch das die MitarbeiterInnen Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen haben und dadurch gemeinschaftlich am Unternehmen mitwirken können (vgl. ebd., S. 8).
3.2 Der Weg zur GWÖ
Dem ehemaligen Geschäftsführer der Novatec, Konrad Pfeilsticker, war das Thema Nachhaltigkeit wichtig. Neben seinem privaten Engagement in der Lokalpolitik des Gemeinderats floss dieser Fokus von Anfang an auch in die Novatec (siehe Anhang, S. 2). Nachdem er im Jahr 2018 einen Vortrag über die GWÖ besuchte, entstand der Wunsch, im Unternehmen ein Bewusstsein für die Auswirkungen der Novatec auf das Gemeinwohl sowie die Umwelt zu gewinnen. Daher wuchs auch das Interesse, eine Gemeinwohl-Bilanz für die Novatec zu erstellen.
Neben der Geschäftsführung ließen sich auch die MitarbeiterInnen dafür begeistern, sodass im März 2019 (vgl. Pfeilsticker, 2022, S. 9 & S. 59) der Prozess begann, durch eine erste Gemeinwohl-Bilanz das eigene Unternehmen im Rahmen der GWÖ einordnen zu können. Dafür wurde zunächst in einem kleinen Leitungskreis ein Überblick über den Umfang der Bilanzierung gewonnen. Zudem musste die Arbeitsgruppe einen „methodischen Ansatz zur Beantwortung der Fragen“ (ebd., S. 59) erarbeiten.
Daraufhin wurde die GWÖ einem erweiterten Kreis an Mitarbeitenden vorgestellt und die Zuständigkeit für die Beantwortung der Fragen geklärt. Dieser Prozess dauerte bis Ende Juni 2019. Die gesammelten Antworten wurden in den folgenden Monaten von der externen Beratungsfirma em-faktor geordnet, geprüft und in Rückmeldungsschleifen weiter ausgearbeitet. Im November 2019 erstellte em-faktor eine erste Version des Berichts inklusive weiterer Rückmeldungen. Nach weiteren Revisionsschleifen und Überarbeitungen wurde dieser dann final am 26.06.2020 inklusive der Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht (vgl. ebd., S. 59).
Während sich die Bilanzierung auf das Berichtsjahr 2018 bezieht, bildet der Gemeinwohl-Bericht bereits weitere Entwicklungen aus den Jahren 2019 und 2020 ab. In der Gemeinwohl-Bilanz kommt die Novatec auf ein Ergebnis von 239 von -3.600 bis +1000 möglichen Punkten. Besonders sticht dabei mit einer 70%-Bewertung der Bereich „C1 – Menschenwürde am Arbeitsplatz“ heraus, welcher daher auch von den Auditoren Roland Wiedemeyer und Manfred Kofranek besonders hervorgehoben wurde:
„Bemerkenswert ist das Engagement des Unternehmens in Bezug auf die Mitarbeitenden. Bereits im Erstbericht kann hier ein vorbildliches Verhalten für das Thema Menschenwürde am Arbeitsplatz testiert werden.“ (Novatec Consulting GmbH (Verantw. M. Schuchart), 2022).
3.3 Gemeinwohl-Bilanz und Gemeinwohl-Bericht
Dass die Novatec ein Unternehmen ist, das nicht nur laut ihrer Website Wert auf Mitarbeiterzufriedenheit legt, wird bereits an der Funktionsbeschreibung der Geschäftsführungsstelle von Rita Ehses deutlich: „People, Culture und Organisation und Sales und Marketing“ (siehe Anhang, S. 1). Aber auch die Stelle des „Feel good Managers“, welche sich um die Belange und Stimmen der Belegschaft kümmert und so einen Dialog mit den leitenden Angestellten am Leben erhält, oder die Möglichkeit der Mitsprachemöglichkeiten für die MitarbeiterInnen zeigen dies auf.
Darüber hinaus betont Rita Ehses im Interview das hohe generelle Bewusstsein der MitarbeiterInnen – und das nicht nur für soziale, sondern auch für ökologische Themen. So tragen sie Themen wie Nachhaltigkeit und die GWÖ laut Ehses gemeinschaftlich mit und bringen diese Themen im Unternehmen gemeinsam weiter voran (siehe Anhang, S. 2).
Damit bringt die Novatec bereits eine GWÖ-affine Grundeinstellung mit. Dies kann als Grund gesehen werden, warum sich die Novatec schlussendlich für eine Bilanzierung entschied. Dennoch war der Entschluss zur Bilanzierung inklusive nachfolgendem Zertifizierungsprozess gewissermaßen ein idealistischer, denn Aufwand und Nutzen waren zunächst nicht absehbar.
Für den Prozess der Bilanzierung und Berichtserstellung beauftragte Novatec mit em-faktor ein externes Beratungsunternehmen, das bereits Vorerfahrung mit der GWÖ hat und somit die Prozesse effizient gestalten konnte. Hinzu kamen Kosten in Form des internen Aufwandes sowie der Bezahlung der beiden Auditoren für die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz sowie für die Abnahme des Gemeinwohl-Berichts.
Die Erwartungen bezüglich des Ergebnisses waren aufgrund der schweren Einschätzbarkeit uneinheitlich – zumindest positiv sollte es sein. Mit +239 Punkten wurden diese Erwartungen schließlich erfüllt, was laut Ehses zu durchweg zufriedenen und positiven Reaktionen führte. Die bereits vorhandenen positiven Aspekte – besonders rund um die MitarbeiterInnenzufriedenheit – zahlten entsprechend in das Bilanzergebnis ein, wie Rita Ehses im Interview bestätigte (siehe Anhang, S. 5).
Im Rückblick ist die Gemeinwohl-Bilanzierung nun auch zu einem „USP“ (unique selling point) für die Novatec geworden, welcher einen Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen darstellt. Dies liegt auch daran, dass die Novatec in der IT-Branche eines der ersten Gemeinwohl-bilanzierten Unternehmen überhaupt war. Dies ordnet Rita Ehses auch im Kontext der zunehmenden Bedeutung des Themas Ökologie und soziales Engagement, besonders für die nachfolgenden Generationen, mit hoher Bedeutung für die Novatec ein. So konnte die Firma bereits einen ersten neuen Kollegen aufgrund der Gemeinwohl-Zertifizierung gewinnen, der für seine Unternehmenswahl explizit auf eine Gemeinenwohl-Zertifizierung Wert gelegt hatte (siehe Anhang, S. 4).
Auf der anderen Seite gab es aber auch Themen, die konkret durch die Bilanzierung und die systematische Auseinandersetzung mit Werten und Berührungsgruppen aufgeworfen wurden. Dies sieht Rita Ehses vor allem beim Lieferantenmanagement und in Bezug auf den Fuhrpark des Unternehmens gegeben. Zudem bestellt die Novatec als Ergebnis des GWÖ-Prozesses inzwischen vorzugsweise lokal, national oder kontinental und versucht bewusst, Bestellungen aus Übersee, vor allem aus China, zu vermeiden. Der Fuhrpark wird ebenfalls immer mehr umgestellt: Weg von Verbrenner-Motoren, hin zu Elektro-Motoren oder zumindest hin zu Hybrid-Fahrzeugen (siehe Anhang, S. 4).
Doch auch auf die Kundenauswahl hat die GWÖ Auswirkungen. So wurde beispielsweise als Ergebnis der Auseinandersetzung mit der GWÖ die Policy eingeführt, dass man keine Projekte mehr mit bzw. für die Rüstungsindustrie starten wird. Dabei entstehen allerdings diverse Herausforderungen, da Unternehmen oft unübersichtlich und weitreichend miteinander verknüpft sind und sich hierbei die Frage stellt, wo die Grenzen für die Anwendung einer solchen Regelung zu ziehen sind. Für bestehende Projekte gilt es, diese zu Ende zu bringen und danach keine neuen Projekte mehr zu beginnen (siehe Anhang, S. 7 ff.). Ein weiterer Aspekt, der durch die GWÖ angestoßen wurde, ist der Bezug von grüner Energie an allen Standorten (siehe Anhang, S. 4 & S. 11).
3.4 Ist- und Soll-Stand
Nach der letzten Bilanzierung vom Juni 2020 läuft im Oktober 2022 das aktuelle Testat aus und eine Neubilanzierung steht an. Diese baut auf der ersten Bilanzierung auf und fokussiert sich vor allem darauf, was sich im Vergleich zur letzten Bilanzierung verändert hat. Dieser Prozess der Re-Zertifizierung wird zurzeit von Rita Ehses als Verantwortliche für die GWÖ im Unternehmen neu angestoßen.
Eine Arbeitsgruppe mit MitarbeiterInnen aus den für die Bilanzierung benötigten Abteilungen soll neu gebildet und die Beratungsfirma em-faktor erneut beauftragt werden, um den Prozess zu begleiten (siehe Anhang, S. 9). Für die Re-Zertifizierung soll das Berichtsjahr 2022 verwendet werden, sodass ein Ergebnis frühestens 2023 vorliegen wird. In Zusammenarbeit von Rita Ehses mit der Arbeitsgruppe und em-faktor sollen gemeinsam Themenfelder ermittelt werden, in denen sich effizient Veränderung herbeiführen lässt. Novatec hat sich das Ziel gesetzt, in ihrer nächsten Zertifizierung mindestens 400 Punkte zu erreichen (siehe Anhang, S. 5 ff.).
Laut Ehses sind viele Themenfelder jedoch groß und schwerfällig, sodass Veränderungen als Prozesse betrachtet werden müssen. Als Beispiel führt Ehses den Fuhrpark an, der aufgrund von Leasingverträgen nur mittelfristig veränderbar ist. Durch Lieferschwierigkeiten der Automobilindustrie in den letzten Jahren wurden Veränderungen zusätzlich verlangsamt (siehe Anhang, S. 5 ff.).
Spannend sind aber vor allem die Bereiche, in denen es einen Interessenskonflikt zwischen Berührungsgruppe und GWÖ-Wert gibt (z.B. Beschaffungsmanagement: IPhone vs. FairPhone; siehe Anhang, S. 3). Gerade auch im Kontext des Fachkräftemangels in der Branche sind dies Bereiche, in denen man tendenziell eher zugunsten der Mitarbeitenden als zugunsten der GWÖ entscheidet. Rita Ehses betont hierbei klar die Kosten-/Nutzen-Abwägung für Entscheidungen – im Fall der MitarbeiterInnengewinnung überwiegen die Kosten weiterer GWÖ-Maßnahmen oftmals den Nutzen (siehe Anhang, S. 7 ff.).
Dennoch wird im Unternehmen über zukünftige Regelungen bzgl. CO2-Ausstoß bei Dienstfahrzeugen nachgedacht. Dies zeigt auf der einen Seite den Selbstanspruch der Novatec, aber auch die große Akzeptanz der MitarbeiterInnen für die GWÖ. Das liegt laut Ehses auch an den überwiegend ähnlichen persönlichen Überzeugungen auf Seiten der MitarbeiterInnen, die solche Ansinnen eher unterstützen (siehe Anhang, S. 8).
In Bezug auf LieferantInnen sind Maßnahmen zugunsten des Gemeinwohls besonders herausfordernd und schwer planbar. Dies liegt vor allem an den zur Zeit präsenten Lieferschwierigkeiten. Im Fall der Unverfügbarkeit bei zwingend notwendigen Anschaffungen kann daher nicht immer gemäß den eigenen und den GWÖ-Maßstäben gehandelt werden. Allerdings herrscht laut Ehses eine GWÖ-gemäße Grundeinstellung in der Novatec, sodass sich dies, sobald es möglich ist, wieder ändern wird und man zu GWÖ-entsprechendem Verhalten zurückkehren will (siehe Anhang, S. 8 ff.).
Darüber hinaus wird eine CO2-Bilanzierung für das Unternehmen angestrebt. Dies bezieht sich vor allem auf den Aspekt der Reisetätigkeit, die durch Corona bereits immens abgenommen hat. In diesem erzwungenen Rahmen haben sich die KundInnen bereits mit weniger Präsenz der Novatec-MitarbeiterInnen bei ihnen vor Ort arrangiert und realisiert, dass dies keine negativen Auswirkungen auf die Projekte haben muss. Daher sieht Ehses speziell für dieses Thema eine passende Gelegenheit, um durch eine neue Policy Reisetätigkeiten einzuschränken und mehr öffentliche Verkehrsmittel dafür anzustreben. Darüber hinaus sollen Themen wie Lieferantenmanagement, Lieferketten und Mobilitätsmanagement generell angegangen werden (siehe Anhang, S. 10).
Die finale Themenauswahl, an der konkret gearbeitet werden soll, wird in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit von Rita Ehses, der GWÖ-Arbeitsgruppe und der Beratungsfirma erarbeitet. Dabei werden auch Aspekte aus dem letzten Prozess, wie beispielsweise Entscheidungs- sowie Gehaltstransparenz, mit aufgegriffen (siehe Anhang, S. 7).
3.5 Zukunftsaussichten
Im Interview mit Rita Ehses wird klar, dass das aktuelle Punktesystem der GWÖ einen Anreiz für Unternehmen bietet, sich greifbar weiterzuentwickeln. Aber man hat unter den aktuellen Gegebenheiten keinen direkten Vorteil oder Mehrwert. Daher finden die Zukunftsaussichten in einem beschränkten Rahmen statt: Welche Möglichkeiten zu GWÖ-entsprechenden Veränderungen sind überhaupt vorhanden und was kann man sich als Unternehmen leisten? Der Wunsch und eine generelle Ausrichtung des Unternehmens, zunehmend Gemeinwohl-orientierter zu werden, ist laut Ehses gegeben (siehe Anhang, S. 11).
Darüber hinaus findet Novatec idealerweise durch die zunehmende Präsenz des Themas in Zukunft auch LieferantInnen und KundInnen, die sich ebenfalls dem Gemeinwohl verschrieben haben. Laut Ehses hilft eine solche ähnliche Ausrichtung der Kooperation als Grundlage bzw. „verbindendes Element“ (siehe Anhang, S. 11 ff.).
So resümiert die Geschäftsführerin im Namen der Firma Novatec, dass sich der Prozess gelohnt hat. Zum einen hilft die GWÖ und die Reflektion zu den verschiedenen Themen der Gemeinwohl-Matrix dem systematischen weiteren Ausbau einer bereits vorhandenen Ausrichtung des Unternehmens. Außerdem stellt die Gemeinwohl-Zertifizierung ein Alleinstellungsmerkmal („USP“) dar und hilft dem Unternehmen dabei, aktuellen Anforderungen von Staat und Gesellschaft zu entsprechen.
Hier spricht Ehses konkret das Lieferkettengesetz an, denn dafür stellt die GWÖ eine hilfreiche Zertifizierung dar, die der neuen gesetzlichen Notwendigkeit zur Transparenz in den Lieferketten entgegenkommt. Aber auch bei Ausschreibungen spielen soziale und ökologische Themen zunehmend eine Rolle, sodass Novatec mit der GWÖ auch in die Zukunft investiert hat (siehe Anhang, S. 12).
4. Fazit
Am Beispiel der Firma Novatec lässt sich feststellen, dass eine Bilanzierung zunächst riskant ist, da das Ergebnis und die Bewertungsprozesse nicht genau absehbar sind. Auch bei der Recherche für diese Arbeit konnten keine Informationen zu den exakten objektiven Kriterien gefunden werden, welche die GWÖ zur Bewertung nutzt. Da diese Kriterien jedoch zentral für die universelle, branchen- und firmenübergreifende Gemeinwohl-Bilanzierung sind, ist hier die kritische Anmerkung mangelnder Transparenz angebracht. Dennoch spricht auch dies für ein ehrliches Interesse der Novatec an dem Thema der Gemeinwohl-Ökonomie sowie den unternehmenseigenen Auswirkungen auf das Gemeinwohl.
Novatec hat die für die Bilanzierung wichtigen Aspekte und Werte in überwiegenden Teilen bereits vor der Bilanzierung im Blick gehabt, sodass sie gute Voraussetzungen – besonders im Bereich der Mitbestimmung und Mitgestaltung von Seiten der MitarbeiterInnen – mitgebracht hat. Auf der einen Seite können sich Unternehmen auf diese Weise ihr Engagement in der Bilanz gewissermaßen „gutschreiben“ lassen, was sich in Finanzbilanzen bisher nicht ausdrücken ließ. Auf der anderen Seite erfährt ein Unternehmen durch die Bilanzierung aber auch Wertschätzung und Anerkennung für Bereiche, welche nicht immer zwingend mit ökologischer Unternehmensausrichtung in Einklang stehen.
Zudem wird im Interview deutlich, dass die GWÖ in Zeiten des Fachkräftemangels nur als gemeinschaftlich getragenes Anliegen realistisch umsetzbar ist, da Firmen ihre MitarbeiterInnen oftmals mittels materieller Anreize rekrutieren. Solche materiellen Anreize werden bei der Novatec zusätzlich nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten ausgewählt, die der Ausrichtung des Unternehmens sowie der GWÖ entsprechen.
Hier findet sich allerdings auch eine der Grenzen der GWÖ: MitarbeiterInnen müssen bereit sein, den Weg der GWÖ mitzugehen, da diese das Rückgrat eines Unternehmens bilden. Findet dies nicht statt, besteht die Gefahr einer Abwanderung zu einem Unternehmen, das entsprechende materielle Anreize anbietet. Die Grenze der GWÖ bzw. die Herausforderung für die Gemeinwohl-Unternehmen ist es, ein Umdenken der MitarbeiterInnen im Unternehmen zu bewirken. Das Ziel hierbei ist, über finanzielle bzw. materielle Anreize hinaus ein Bewusstsein für Gemeinwohl-Auswirkungen zu entwickeln und zunehmend Zufriedenheit daraus zu schöpfen. Soweit es sich feststellen ließ, gelingt dies Novatec.
Mehr noch: für Novatec stellt die GWÖ nun, nach der ersten erfolgreichen Bilanzierung, ein Alleinstellungsmerkmal in ihrer Branche dar, was in vielerlei Hinsicht positive Auswirkungen hat. Diese reichen vom Recruiting von neuen MitarbeiterInnen bis hin zur entsprechenden Transparenz, die für KundInnen im Rahmen neuer gesetzlicher und gesellschaftlicher Anforderungen wichtig geworden ist. Zusätzlich erhöht eine Gemeinwohl-Zertifizierung nicht nur generell die Transparenz eines Unternehmens, sondern lässt durch regelmäßige Aktualisierung und Re-Zertifizierungen auch Entwicklungen und Tendenzen sichtbar werden, die zuvor oft unsichtbar blieben.
Resümierend lässt sich daher zu den Auswirkungen der GWÖ auf die Firma Novatec festhalten, dass durch die Auseinandersetzung und Reflektion durchaus Veränderungen stattfinden. Ein Social- bzw. Greenwashing durch GWÖ ließ sich nicht erkennen. Dafür helfen die hohe Transparenz sowie die Art der Zertifizierung: Es handelt sich nicht nur um ein Siegel, welches das Unternehmen hinsichtlich einzelner Aspekte auszeichnet, sondern um eine Bilanzierung mit ganzheitlichem Ansatz, die von einem ausführlichen Bericht und hoher Transparenz begleitet wird. Auch die Hürden der Erstellung einer solchen Bilanz und das hohe Eigenengagement sprechen für die Qualität der Gemeinwohl-Bilanz.
Spannend wird vor allem die nächste Bilanz: Kann Novatec das selbstgesteckte Ziel von 400 Punkten erreichen? Wo haben die Veränderungen stattgefunden? Aus dem Interview geht hervor, dass diese im Bereich der Entscheidungs- und Gehaltstransparenz sowie des Mobilitätsmangements, aber auch in Form einer CO2-Bilanzierung mit Auswirkungen für die Reisetätigkeit und im Bereich des Lieferantenmanagements angelegt sein müssten.
Es wäre nach der Veröffentlichung der neuen Bilanzierung lohnend, anhand dieser festzustellen, inwieweit die GWÖ Novatec befähigt, wirkliche Veränderung hervorzubringen. Veränderungen gemäß ökologischen und sozialen Gesichtspunkten sind Novatec bereits heute wichtig, sodass dies mit Blick auf bereits erfolgte Veränderungen sehr wahrscheinlich gegeben sein wird. Aufgrund dessen lässt sich allerdings auch vermuten, dass Novatec Veränderungen auch ohne die GWÖ unternommen hätte. Die GWÖ stellt somit für Novatec ein Instrument dar, das systematisch verschiedene Entwicklungsthemen eröffnet und es vermag, Veränderungen messbar und sichtbar zu machen. Zudem sind unter der GWÖ Unternehmen mit ähnlichen Ausrichtungen und Intentionen zusammengefasst, sodass dies auch als Orientierungshilfe dienen kann.
Allerdings lassen sich auch Herausforderungen für die GWÖ feststellen. Denn vorerst stellt die GWÖ und deren Bilanzierung und Zertifizierung eine Bewegung dar, die man sich als Unternehmen leisten können muss. Da es keine rechtlichen Verpflichtungen zur Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz gibt, wird diese tendenziell nur von Firmen durchgeführt werden, die sich mit dem Ergebnis positiv auszeichnen können. Denn Firmen haben neben den ehrbaren Gemeinwohl-Interessen immer auch ein Interesse, relevant zu bleiben und Marktvorteile zu erhalten.
Das ist das Paradoxon des jetzigen Standes der GWÖ: Firmen lassen sich auch aus Gründen der Konkurrenz bilanzieren, während die GWÖ gerade gegen Konkurrenz und für Kooperation steht. Dies ist jedoch ein unvermeidbarer Umstand, der – aus Sicht der GWÖ – der Übergangssituation aus dem alten in das neue Wirtschaftssystem geschuldet ist.
Darüber hinaus deutet sich auch eine Gefahr für die GWÖ an: Die Gemeinwohl-Bilanz sollte die Firmen nicht zu schlecht bewerten, wenn Sie diese im Kontext der Freiwilligkeit weiter für ihre Bewegung gewinnen will. Insofern hat die GWÖ durch ihren Wunsch der Etablierung derselben eine gewisse Befangenheit bezüglich der Bilanzierung. Es würde sich für ein Unternehmen mit einem negativen Ergebnis die Frage stellen: „Kann ich da einfach wieder aussteigen und die Bilanz nicht anerkennen?“, „Wird das Ergebnis der Bilanzierung zwangsveröffentlicht bzw. gibt es einen Zwang zur Transparenz?“.
Daher sind Gefahren in zweierlei Richtungen denkbar: Entweder könnte es eine Tendenz geben, dass wohlwollend bzw. zu positiv bewertet wird, oder es lassen sich nur diejenigen Unternehmen bilanzieren, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ein (gutes) positives Ergebnis erreichen. Diesen Herausforderungen wird die GWÖ zukünftig intern begegnen müssen, solange sie nicht gesetzlich verpflichtend eingeführt worden ist.
5. Literatur
- Blachfellner, M., Drosg-Plöckinger, A., Fieber, S., Hofielen, G., Knakrügge, L., Kofranek, M., . . . Teriete, M. (04 2017). Arbeitsbuch zur Gemeinwohl-Bilanz 5.0. Vollbilanz.: Gemeinwohl-Ökonomie. Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft. (Matrix-Entwicklungsteam, Hrsg.) Abgerufen am 14.03.2022 von www.web.ecogood.org: https://web.ecogood.org/media/filer_public/73/da/73dab961-6125-4f69-bf7a-3c8613a90739/gwoe_arbeitsbuch_5_0_vollbilanz.pdf
- Felber, C. (2012). Gemeinwohl-Ökonomie. Erweiterte Neuausgabe. Wien: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag.
- Felber, C. (2018). Gemeinwohl-Ökonomie. Komplett aktualisiert und überarbeitet. München: Piper Verlag GmbH.
- Knapper, B., Khardbhih, H., & Jotter, M. (2022). Entwicklung & Erfolge: Gemeinwohl-Ökonomie. Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft. (Int. Fed. for the Economy for the Common Good e. V, Herausgeber) Abgerufen am 07.03.2022 von https://web.ecogood.org/de/
- Novatec Consulting GmbH (Verantw. M. Schuchart). (2022). Startseite; Unternehmen;Gemeinwohl-Unternehmen: Novatec Consulting GmbH. Abgerufen am 14. 03 2022 von www.novatec-gmbh.de
- Pfeilsticker, K. (2022). Gemeinwohl-Bilanz: Novatec Consulting GmbH. Berichtsjahr 2018. Kompaktbilanz nach Gemeinwohl-Matrix 5.0. (Novatec Consulting GmbH, Hrsg.) Abgerufen am 07.03.2022 von https://www.novatec-gmbh.de/wp-content/uploads/NOVATEC-Gemeinwohlbericht.pdf
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