Donnerstag, 16. März 2017

Reader zur Postwachstumsgesellschaft

Unter dem Titel "Mehr geht nicht!" hat die Zeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" einen Postwachstums-Reader herausgegeben:
"Obwohl der globale Klimawandel immer bedrohlichere Ausmaße annimmt, was immer mehr Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingen wird, scheinen wir unfähig, diesem Menschheitsproblem wirksam zu begegnen. (...) Doch eine wachsende Bewegung will sich mit diesem Fatalismus nicht abfinden. Die Befürworter der Décroissance, des Postwachstums, hinterfragen das westliche Wachstumsmodell radikal – in Theorie und Praxis.Was heißt heute Wohlstand und wie wäre ein Ausstieg aus der Wachstumslogik möglich? Die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ haben sich dieser Fragestellung von Beginn an gewidmet. Dieser Reader versammelt die zentralen Aufsätze der vergangenen Jahre."
Die Beiträge im Reader behandeln so gut wie alle Ansätze, die in der Diskussion sind (von Urban Gardening bis zur Sharing Economy, von Genossenschaften bis zur Green Economy), und sind in fünf Teile untergliedert:
  • Wir konsumieren uns zu Tode
  • Der Krieg gegen die Erde
  • Grünes Wachstum, des Rätsels Lösung?
  • Raus aus der Wachstumsmühle
  • Her mit dem guten Leben

Mittwoch, 15. März 2017

Naomi Klein: Kapitalismus und Klimawandel

Naomi Klein, eine der führenden Denkerinnen der (damals so genannten) Anti-Globalisierungs-Bewegung und Autorin des einflussreichen Buches "No Logo!", hat ein neues Buch veröffentlicht, das auch auf deutsch erschienen ist: "Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima".

Der englische Originaltitel "This Changes Everything" verweist noch deutlicher auf das zentrale Thema, nämlich die immer offener zutage tretende Unmöglichkeit, den Klimawandel im Rahmen der vorherrschenden Wirtschaftsweise (wachstumsorientierter Kapitalismus) zu bekämpfen oder auch nur zu begrenzen. In einer Rezension auf dem Blog der LSE (London School of Economics and Political Science) heißt es:
Naomi Klein in her new book This Changes Everything presents a new way of looking at two major problems: disaster capitalism and climate change. Klein’s argument is that, while the majority of people think climate change is a threat, “we have not done the things that are necessary to lower emissions because those things fundamentally conflict with deregulated capitalism” which is the “reigning ideology” of our time (p. 18). At the heart of the book Klein is supplying society with a challenge: are we on the right path, are we doing the right things for ourselves and for the future, and is this the best we can be? Arguably her core message is one of social and environmental justice: “the solution to global warming is not to fix the world, but to fix ourselves” (p. 279).

Dienstag, 14. März 2017

Erhard Eppler und Niko Paech im Gespräch

Kürzlich ist im oekom Verlag das Buch "Was Sie da vorhaben, wäre ja eine Revolution..." erschienen. Es handelt sich um ein von Christiane Grefe moderiertes Streitgespräch zwischen Erhard Eppler und Niko Paech. Der Verlag beschreibt das Buch in seiner Broschüre denk.stoff folgendermaßen:
"Es muss anders werden, damit es besser wird – aber wie wird es anders? Erhard Eppler und Niko Paech kämpfen seit Jahrzehnten für eine ökologische Wende und sind zentrale Vordenker ihrer jeweiligen Generation. Gerade deshalb streiten sie vortrefflich und leidenschaftlich über den richtigen Weg: Was kann die globalen Krisen noch stoppen? Ist »grünes Wachstum« Fluch oder Segen? Wie gelingt, wie weit reicht die Energiewende? Sind genügsamere Lebensstile in unserer Konsumgesellschaft mehr als eine Utopie? Und wer steht in der Pflicht: die Bürger oder die Politik?"
Zu den beiden Gesprächspartnern schreibt der Verlag:
"Als Politiker und Publizist war Erhard Eppler, der im Dezember 90 Jahre alt wird, einer der ersten, der auf die ökologische Krise und die Notwendigkeit zum Umdenken hingewiesen hat. Sein Buch »Ende oder Wende« (1975) trug wesentlich zur Entstehung und Entwicklung der Umweltbewegung in Deutschland bei. Beeinflusst hat er damals auch Niko Paech, der heute einer der profiliertesten Wachstumskritiker ist und mit seinem Buch »Befreiung vom Überfluss« zum führenden Vordenker der Postwachstumsgesellschaft wurde."
Einen Auszug aus dem Buch kann man bei Zeit Online lesen: "Verzichten oder grün wachsen".

Montag, 13. März 2017

Konsumkultur

Der amerikanische Marketingexperte Victor Lebov brachte in den 1950er Jahren den Kern der Konsumgesellschaft auf den Punkt, wenn er schreibt, dass "unsere ungeheuer produktive Wirtschaft verlangt, dass wir den Konsum zu unserem Lebensstil und den Kauf und die Nutzung von Gütern zu einem Ritual machen, dass wir unsere spirituelle Befriedigung und die Erfüllung unseres Selbst im Konsum suchen."
[zit. nach: Harald Welzer (2013), Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Lizenzausgabe für die bpb, Schriftenreihe Band 1401, Bonn, S. 47f.]

"Intelligent wachsen" und "Global Gardening"

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat Nachhaltigkeit zu einem thematischen Schwerpunkt ihrer Schriftenreihe gemacht. Davon zeugen zahlreiche Veröffentlichungen, die in diesem Blog vorgestellt wurden. Auf zwei weitere, thematisch einschlägige Bücher sei noch hingewiesen:

Ralf Fücks: Intelligent wachsen. Die grüne Revolution (Bestellung für 4,50 €) - Beschreibung auf der bpb-Website:
Geht es weiter wie bisher? Oder zwingen die globalen Herausforderungen nicht eigentlich längst zum Umdenken? Welche Konzepte, welche Ideen weisen in eine Zukunft, in der Innovation, Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit keine Gegensätze mehr sind? Und: Sind sie Utopie oder doch, im Interesse der Menschheit, umsetzbar?
Die Ressourcen der Erde sind endlich. Nur ein Teil der Menschheit profitiert von ihnen und ihre Nutzung kommt vielfach Raubbau gleich. Wie lassen sich die Prosperitätserwartungen, nicht nur in den reichen Staaten, mit den globalen Herausforderungen in ökologischer, ökonomischer, aber auch sozialer Hinsicht in Einklang bringen? Ralf Fücks sieht die Zukunft der Menschheit in einer Ökonomie, die ihre Grundlagen – Boden, Wasser, Luft und Lebewesen – ebenso nachhaltig wie innovativ nutzt. Dies setze, so Fücks, ein Umdenken voraus: Nicht Ausbeutung, kurzfristiger Nutzen und Gewinnmaximierung, sondern langfristig tragbare, effiziente und gerechte Lösungen seien geboten. Nicht nur Produzenten und Konsumenten, zumal hierzulande, sieht Fücks in der Pflicht zum Umdenken. Auch die nationale und internationale Politik müsse den Wandel moderieren, gestalten und verteidigen. Nur dann sei weltweit gerechter, ressourcenkonformer Wohlstand möglich.
Christiane Grefe: Global Gardening. Bioökonomie - Neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft? (Bestellung für 4,50 €) - Beschreibung auf der bpb-Website:
Bioökonomie? Klingt gut, aber wie ist das Verhältnis zwischen Bio und Ökonomie dabei? Bedeutet der Begriff Wirtschaften im Einklang mit den Ressourcen der Erde? Oder tarnt sich hier weiterer Raubbau in neuem Gewand? Christiane Grefe geht diesen Fragen auf den Grund.
Welches Potenzial hat Bioökonomie? Der Begriff weckt Assoziationen intelligenten Wirtschaftens im Einklang mit den Ressourcen der Erde. Zugleich schwingt in ihm die immer raffiniertere, nahezu vollständig profitorientierte Beherrschung von Pflanzen und Tieren, Böden und Gewässern bis in den letzten Winkel der Erde mit. Wer hat welche Interessen und Ziele im Sinn, wenn von Bioökonomie die Rede ist? Welche Werte, Zustände oder Errungenschaften gilt es im Blick zu halten? Welche der so unterschiedlichen wie gegensätzlichen Konzepte der Bioökonomie zielen auf Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit? Welche können den globalen sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen gerecht werden? Welche wären lediglich Raubbau im neuen Gewand? Wer wäre Nutznießer, wer Verlierer? Christiane Grefe lässt viele Akteure auf dem weiten Feld der Bioökonomie zu Wort kommen. Sie nähert sich differenziert und abwägend dem überaus komplexen Geflecht aus Anforderungen, Interessen, Möglichkeiten und Risiken des zukünftigen Wirtschaftens auf der Erde.

Sonntag, 12. März 2017

Lektüreempfehlung: Cheaponomics

"Billig" ist ein ambivalentes Wort: Es kann bedeuten, dass etwas einen niedrigen Preis hat, es kann aber auch heißen (und diese Bedeutung schwingt immer mit), dass etwas von schlechter Qualität oder unlauter ist ("billiger Trick"). Diese Doppelbedeutung hat sich der amerikanische Soziologe Michael Carolan für den Titel seines Buches "Cheaponomics. Warum billig zu teuer ist" zunutze gemacht (Original 2014, deutsche Übersetzung im oekom verlag 2015, Lizenzausgabe für die bpb 2016).

Cheaponomics ist der ambitionierte Versuch einer ganzheitlichen Sicht auf unser Wirtschaftssystem, auf Konsumwahn, Kostensozialisierung und Wegwerfmentalität. Auf der Website der bpb wird das Buch folgendermaßen beschrieben:
"Dumping-Preise auf Elektronikartikel, billige Lebensmittel, Plastiktüten. Was für Konsumenten annehmlich zu sein scheint, verursacht hohe gesellschaftliche und ökologische Kosten. Der Soziologe Michael Carolan zeigt auf, welche Mechanismen hinter der Billig-Ökonomie stecken und wer den wahren Preis für zu günstige Konsumgüter bezahlt. (...) [Er] durchleuchtet die Ökonomie, die hinter dem Billigkonsum steckt. Er kritisiert insbesondere, dass Unternehmen immer mehr Kosten externalisieren und somit letztlich sozialisieren – also der Gesellschaft aufbürden. Waren, so Carolan, könnten deshalb so günstig angeboten werden, weil den wahren Preis andere bezahlen. So zeigt dieses Buch die Schattenseiten der Konsumwelt auf: Rohstoffabbau in Konfliktgebieten, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, verschwenderischer Umgang mit Ressourcen, hoher CO2-Ausstoß, Müllberge und die Verfestigung sozialer Ungleichheit. Dem setzt Carolan ein Verständnis von Wohlstand entgegen, das sich nicht mehr allein an Wachstum, Konsum und Produktivität orientiert."
Von den vielen Rezensionen seien die beiden folgenden empfohlen, die zusammen einen guten Eindruck von dem äußerst lesenswerten Buch vermitteln:

Gut leben statt Wachstum und Entwicklung

Mit der Diskussion um décroissance bzw. Postwachstumsgesellschaft haben wir uns in diesem Blog schon mehrfach befasst. Nun hat die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) das Buch von Barbara Muraca ins Programm aufgenommen. Der schmale Band mit dem Titel "Gut leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums" bietet einen gelungenen Überblick über das Thema und kann hier bestellt werden. Die Beschreibung auf der bpb-Website liest sich folgendermaßen:
"Volkswirtschaften sind an Wettbewerb und Wachstum ausgerichtet. Zugleich mehren sich die Anzeichen, dass zentrale globale Probleme sich ökonomischen Lösungen entziehen: Das gilt für Forderungen nach einem gerechten Umgang mit Gütern ebenso wie für Fragen des Umweltschutzes, der Nachhaltigkeit oder der Partizipation. Welche Wege führen aus der Krise, welche Konzepte versprechen ein gutes Leben für möglichst alle Menschen? Wie weit können, müssen oder wollen wir in bestehende Strukturen eingreifen? Die Philosophin Barbara Muraca verweist auf die weltweite Postwachstumsbewegung und zeigt eine Vielzahl teils utopisch anmutender Stellschrauben der Veränderung auf. Sie lassen sich mit Regionalisierung, Demokratisierung, Entschleunigung, Vergemeinschaftung, mit Nachhaltigkeit und Rückbesinnung umreißen. Das Buch wirft Fragen auf und regt zum Nachdenken an."

Samstag, 11. März 2017

TED Talks von Al Gore zum Klimawandel

Seit vielen Jahren zählt Al Gore weltweit zu den wichtigsten Protagonisten in der Debatte um Klimawandel und Klimaschutz. Bekannt wurde er durch den aufrüttelnden Film und das Buch "Eine unbequeme Wahrheit". Regelmäßig tritt er mit sehenswerten Präsentationen bei TED Konferenzen auf (TED Speaker Al Gore):
  • "Averting the climate crisis" (2006)
  • "New thinking on the climate crisis" (2008)
  • "What comes after An Inconvenient Truth" (2009)
Sein jüngster TED Talk zeigt einerseits auf, wie katastrophal sich die Dinge entwickeln, legt aber andererseits den Schwerpunkt darauf, zu zeigen, dass es Grund zum Optimismus gibt, v.a. wenn man auf die Entwicklung erneuerbarer Energien blickt:

Freitag, 10. März 2017

Zentrale TED Talks zum Klimawandel

Seit vielen Jahren versucht James Hansen, ein führender Klimaforscher, einer breiteren Öffentlichkeit darzulegen, wie dringlich es ist, sofort Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, denn die Fakten sind klar, so betont er immer wieder. Die Prognosen, die er 1981 zusammen mit Kollegen in "Science" veröffentlicht hat, sind zwischenzeitlich alle eingetroffen - "the science is clear":



2013 hat Allan Savory einen außerordentlich bemerkenswerten Vortrag gehalten mit dem Titel: "How to green the world's deserts and reverse climate change". Während es sonst beim Thema Klimawandel wenig Anlass zu Optimismus gibt und sich  Katastrophenszenarien aneinander reihen, zeigt dieser Vortrag eine Perspektive auf, an die man schon gar nicht mehr zu glauben gewagt hat:

Nachhaltiger Warenkorb

Der bekannteste Ratgeber für nachhaltigen Konsum ist „Der Nachhaltige Warenkorb”, der vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (www.nachhaltigkeitsrat.de) erstellt und regelmäßig aktualisiert wird. Dabei handelt es sich um eine knapp 100-seitige Broschüre, die man bestellen oder als pdf herunterladen kann. Außerdem stehen die Informationen auch online unter www.nachhaltiger-warenkorb.de zur Verfügung (mittlerweile auch als App).

Der Einkaufsführer deckt sowohl die täglichen Einkäufe (Lebensmittel, Textilien, Kosmetik etc.) als auch die seltenen Einkäufe (Haushaltsgeräte, TV, PC, Reisen etc.) und großen Anschaffungen (Auto, Möbel, Geldanlage etc.) ab. Ein großer Vorzug besteht auch darin, dass die vielen verschiedenen Label und Siegel einer Prüfung unterzogen und diesbezüglich Empfehlungen ausgesprochen werden, was der Orientierung der Verbraucher sehr dienlich ist.

Donnerstag, 9. März 2017

Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit

Die "Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit" (www.va-bne.de) der Universität Bremen bietet 14 videobasierte Lehrveranstaltungen zu verschiedenen Themen rund um nachhaltige Entwicklung, die kostenfrei belegt und im Selbststudium bearbeitet werden können. Es handelt sich u.a. um folgende Themen:
  • Weltfinanzsystem und Nachhaltigkeit
  • Technik, Energie und Nachhaltigkeit
  • Menschliche Ernährung und ökologische Folgen
  • Weltbevölkerung und weltweite Migration
  • Sustainability Marketing
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung
  • Civic Ecology
  • Nachhaltige Entwicklung
  • Klimaschutz und Klimaanpassung 2.0
  • Nachhaltigkeit und Unternehmensführung

FES Online-Akademie: Nachhaltigkeit

Die Online-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) bietet Materialien zum Selbststudium: Neben Europa und Globalisierung zählt auch Nachhaltigkeit zu den Schwerpunktthemen:
"Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Was kann bzw. muss auf dem Weg zu nachhaltigen Strukturen getan werden? Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema und stellt an Politik und Gesellschaft – lokal, national und international – immense Gestaltungsanforderungen, aber auch -möglichkeiten."
Der entsprechende Abschnitt widmet sich unter anderem folgenden Aspekten:
  • Nachhaltigkeit - was bedeutet das?
  • Querschnittsthema Nachhaltigkeit: Energie, Klima, Ressourcen, Konsum, Landwirtschaft
  • Nachhaltigkeit aus philosophischer Perspektive

Happy Planet Index

Dass es nicht nur blödsinnig, sondern auch gefährlich ist, Fortschritt mit dem BIP (= Bruttoinlandsprodukt) messen zu wollen, war immer wieder Thema hier im Blog. Neben dem Social Progress Index bildet der Happy Planet Index einen alternativen Wohlstandsindex. Die Wirtschaftswoche berichtet unter der Überschrift "Umweltschutz und Glück sind kein Widerspruch" darüber: 
Beim Blick auf die kürzlich vorgestellten Ergebnisse der aktuellen Studie zeigt sich wiederholt ein interessantes Bild: Nicht der fortschrittliche Westen und allen voran die Skandinavier belegen die vorderen Plätze, sondern die Top 10 bestimmen ausschließlich Staaten aus Lateinamerika und dem Asien-Pazifik-Raum. Zum dritten Mal unangefochten an der Spitze: Costa Rica.

Mittwoch, 8. März 2017

Social Progress Index statt BIP

Wie Wohlstand (besser) gemessen werden kann und was das für unser Konzept von "Entwicklung" bedeutet, wurde an dieser Stelle schon mehrfach thematisiert. In einem 15-minütigen TED Talk klärt Michael Green über die Herkunft des nach wie vor dominanten Indikators, des BIP, auf und stellt mit dem "Social Progress Index" einen alternativen Weg vor, um "Fortschritt" zu messen:



Im September 2015 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDG = Sustainable Development Goals) verabschiedet, die bis 2030 erreicht werden sollen (siehe www.globalgoals.org). Sie lösen die Millennium-Entwicklungsziele ab (2001-2015). Michael Green setzt die Global Goals in Beziehung zu seinem Social Progress Index:


Dienstag, 7. März 2017

Schlussbericht der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Die Problematik der Fixierung auf (quantitatives) Wachstum wurde an dieser Stelle immer wieder thematisiert. Einen sehr wichtigen Debattenbeitrag bildet der Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Er kann über die Website der Bundeszentrale für politische Bildung als pdf heruntergeladen werden. Auf dieser Website findet sich folgende Beschreibung:
Die Kommission hatte den Auftrag, den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermitteln, einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator zu entwickeln und die Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt auszuloten. Unter anderem schlägt die Kommission einen neuen Begriff von Wohlstand und eine neue Wohlstandsmessung vor, die neben dem materiellen Wohlstand auch soziale und ökologische Dimensionen von Wohlstand abbildet.

Human Development Index als Alternative zum BIP

Geht es um wirtschaftliche Kennzahlen, dominiert nach wie vor das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und damit die Betonung des Wachstums, unabhängig davon, wie dieses Wachstum zustandekommt. Auch die Ausbeutung von Ressourcen (Wald, Öl etc.) oder die Aufbauarbeiten nach (Umwelt-)Katastrophen wirken sich positiv auf das BIP aus. Orientiert man sich am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, lässt sich mit einer solchen Messgröße wenig anfangen, weswegen das BIP schon immer Zielscheibe von Kritik war.

Seit über 20 Jahren steht mit dem Human Development Index eine weitere Messgröße zur Verfügung, die versucht, den Lebensstandard zu vergleichen:
The Human Development Index (HDI) is a composite statistic used to rank countries by level of "human development", taken as a synonym of the older terms (the standard of living and/or quality of life), and distinguishing "very high human development", "high human development", "medium human development", and "low human development" countries. HDI was devised and launched by Pakistani economist Mahbub ul Haq, followed by Indian economist Amartya Sen in 1990. The HDI is a comparative measure of life expectancy, literacy, education, and standards of living of a country [Wikipedia: Human Development Index].
Jährlich werden Human Development Reports erstellt, die zusammen mit anderen Statistiken auf einer speziellen UNDP-Website zur Verfügung stehen und sich zu einem Referenzdokument der internationalen Debatte entwickelt haben.

Nachhaltigkeit als subversives Konzept

Ulrich Grober zählt seit vielen Jahren zu den führenden Vordenkern, was Implikationen und Umsetzung des Konzepts Nachhaltigkeit betrifft. Zu den wichtigsten deutschsprachigen Büchern zum Thema Nachhaltigkeit gehört seine Monographie "Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs". Das folgende Video bringt einige Kerngedanken zur Sprache:

"Nachhaltige Entwicklung" als Widerspruch in sich

Ursprünglich war Nachhaltigkeit das neue Leitbild, das Ziel, die regulative Idee. Unmerklich hat sich die Terminologie (und nicht nur sie) verschoben. Wenn nicht gleich von green economy die Rede ist, dann spricht man von "nachhaltiger Entwicklung".

"Nachhaltigkeit ja - nachhaltige Entwicklung nein", so lautet die Kritik an der mittlerweile allgegenwärtigen Kombination der beiden Konzepte Nachhaltigkeit und Entwicklung. Grund für die Ablehnung der Kombination sind Vorbehalte gegenüber dem Konzept "Entwicklung". Es mit Nachhaltigkeit kombinieren zu wollen, bedeute einen Widerspruch in sich. Während Nachhaltigkeit zur neuen ökologischen Weltsicht gehöre, entstamme der Entwicklungsbegriff der überholten mechanistischen Weltsicht (eine Gegenüberstellung der beiden Weltsichten findet sich hier).

"Darüber hinaus", so Wolfgang Sachs, Wissenschaftler am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie (www.wupperinst.org), "wurde mit der Verknüpfung von 'nachhaltig' und 'Entwicklung' ein Terrain sprachlicher Ambivalenz geschaffen. Das neue Konzept verschob auf subtile Weise den geometrischen Ort der Nachhaltigkeit von der Natur auf Entwicklung; während sich zuvor 'nachhaltig' auf erneuerbare Ressourcen bezogen hatte, bezieht es sich jetzt auf Entwicklung. Mit dieser Verschiebung änderte sich die Wahrnehmung; die Bedeutung von Nachhaltigkeit verlagerte sich von Naturschutz auf Entwicklungsschutz. Angesichts der Tatsache, dass Entwicklung konzeptionell zu einer leeren Hülse geworden war, war das, was nachhaltig bleiben sollte, unklar und strittig. Daher sind in den folgenden Jahren alle Arten von politischen Akteuren, selbst glühende Verfechter des Wirtschaftswachstums in der Lage gewesen, ihre Absichten in den Begriff 'nachhaltige Entwicklung' zu kleiden. Der Begriff wurde somit bald selbst-referentiell, wie eine von der Weltbank angebotene Definition treffend bestätigt: 'Was ist nachhaltig? Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die anhält.'"
[aus: Wolfgang Sachs, Nach uns die Zukunft. Der globale Konflikt um Gerechtigkeit und Ökologie, Frankfurt/Main 2002, S. 65]

Will man trotz dieser Kritik auf die etablierte Kombination "nachhaltige Entwicklung" nicht verzichten, kann man nicht umhin, den Entwicklungsbegriff näher zu bestimmen und vom überholten Entwicklungsbegriff der Modernisierungstheorie abzugrenzen. Anregungen hierzu gibt das folgende Schaubild:



Nachhaltigkeit als kulturelle Herausforderung

Im vorletzten Beitrag habe ich Ulrich Grober zitiert, der betont, dass Nachhaltigkeit als "zivilisatorischer Entwurf" verstanden werden müsse. Die zunehmende Engführung (Nachhaltigkeit > nachhaltige Entwicklung > green economy) wurde an dieser Stelle schon mehrfach aufgegriffen und kritisiert. Nun hat die bereits einige Male erwähnte Bundeszentrale für politische Bildung ein Dossier veröffentlicht, das den Zusammenhängen von "Bildung für nachhaltige Entwicklung" und "kultureller Bildung" nachzugehen versucht. Nachhaltigkeit als kulturelle Herausforderung also! Die Lektüre der Beiträge des Dossiers lohnt sich. Die BpB schreibt:
"Wie können wir heute so leben, dass auch zukünftige Generationen noch in einer lebenswerten Umgebung aufwachsen? Und wie können wir so leben, dass es nicht auf Kosten von Menschen an anderen Orten der Erde geht? Dies sind die grundsätzlichen Fragen, die in Bildung für nachhaltige Entwicklung gestellt werden. Sie klingen einfach, doch die Lösungsansätze sind komplex, und sie zwingen uns, unsere Konsum- und Lebensgewohnheiten grundsätzlich zu überdenken.
(...) Es gehört zu nachhaltiger Entwicklung, die Balance zwischen Geben und Nehmen zu halten; das Gleichgewicht zwischen Ökologie, Ökonomie, Sozialem und Kultur zu erreichen; unsere Zukunft unter Beteiligung aller Menschen dieser Welt aktiv und nachhaltig mitzugestalten – egal ob arm oder reich, ob alt oder jung, ob weiß oder schwarz, nachhaltige Innovationen zu entwickeln; die Menschenrechte zu wahren; den Schutz von biologischer und kultureller Vielfalt zu gewährleisten und eine gemeinsame Zukunftsvision zu schaffen.
Wie können kulturelle und politische Bildung dazu beitragen, Menschen zu nachhaltigem Denken und Handeln anzuregen? Viele Akteurinnen und Akteure arbeiten bereits sehr engagiert daran: In vielfältigen kulturellen und politischen Bildungs-Projekten, an Hochschulen z.B. in der Lehrerausbildung oder in der Lehrplanentwicklung, in Stiftungen, Schulen, Vereinen und Netzwerken. Die Vielfalt der Ansätze spiegelt sich in den Artikeln, Praxis- und Methodenbeispielen dieses Themenschwerpunkts und auch in den umfangreichen Link-, Literatur- und Projektelisten wider und regt zum Mitmachen an."

Nachhaltigkeit als politischer Grundwert

Das im Zitat angesprochene Wahlplakat von 1979

In einem Aufsatz zeichnet Lothar Probst den Weg des Konzepts der Nachhaltigkeit vom Nischendasein über den Status einer regulativen Leitidee hin zu einem politischen Grundwert nach. Der Aufsatz mit dem Titel "Nachhaltigkeit als politischer Wert" ist in der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" (34-36/2013, S. 48-52) erschienen und steht auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung im Volltext zur Verfügung. Probst schreibt:
"Bemerkenswert ist (...), dass die volkswirtschaftliche Dimension von Nachhaltigkeit erst über den ökologischen Umweg auch von der Ökonomie wieder als handlungsleitendes Prinzip entdeckt wurde. Das hat damit zu tun, dass in den vergangenen Jahrzehnten in wirtschafts- und finanzpolitischen Diskursen ein zentraler Kerngedanke von Nachhaltigkeit stärker an Einfluss gewonnen hat – die Verantwortung für nachkommende Generationen. Die Grünen vermochten es in ihrem ersten Wahlkampf zur Europawahl 1979, diesen Kerngedanken symbolisch in einem Wahlplakat zu bündeln, das heute noch als gelungene visuelle Verkörperung von Nachhaltigkeit gelesen werden kann. Vor dem Hintergrund einer von Kinderhand gemalten Kulisse aus Bäumen, Blumen, Vögeln und einer strahlenden Sonne steht: "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt." Dass diese Botschaft in der Folgezeit einen Resonanzboden fand, lag auch daran, dass sie an die christliche Schöpfungsgeschichte und damit an christliche Werte anschlussfähig war."

Montag, 6. März 2017

Nachhaltigkeit als zivilisatorischer Entwurf

Nachhaltigkeit ist einfach und kompliziert zugleich. Zum einen verstehen wir intuitiv, wovon die Rede ist: "Man darf die Kuh nicht schlachten, von der man morgen wieder Milch haben will," sagt der Volksmund. Zum anderen fällt es uns aber schwer, uns eine wirklich nachhaltige Gesellschaft vorzustellen. Praktisch alles müsste sich ändern, nicht zuletzt wir selbst. In einem nach wie vor lesenswerten Artikel aus dem Jahr 2001 schreibt Ulrich Grober:
"Viel hängt davon ab, ob es gelingt, den Begriff zu schärfen und die Idee zu entfalten, also ihr ganzes Spektrum und ihr volles Potential ins Spiel zu bringen. Nachhaltigkeit ist weit mehr als ein technokratischer Reißbrettentwurf zur intelligenteren Steuerung des Ressourcen-Managements, mehr als ein Begriff aus der Retorte von Club of Rome, Weltbank und UNO. Schubkraft bekommt die Idee, sobald sie als ein neuer zivilisatorischer Entwurf wahrgenommen wird, als ein neuer Entwurf, der allerdings in unseren Traditionen und in der menschlichen Psyche verwurzelt ist. Tradition und Innovation müssen keine Gegensätze sein. Ein gemeinsamer Vorrat an Werten, Ideen und Träumen ist eine wichtige kulturelle Ressource."
[aus: Ulrich Grober, Die Idee der Nachhaltigkeit als zivilisatorischer Entwurf; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 24/2001, S. 3, Online-Version]
Wenn neuerdings verstärkt von green economy die Rede ist, gerät der von Grober (und vielen anderen) formulierte Anspruch des Konzepts Nachhaltigkeit ins Abseits der Debatte. Wir müssen uns und unsere Gewohnheiten nicht ändern, so wird suggeriert, die Wirtschaft erledigt das auf technologische Weise...

Definition von Nachhaltigkeit

Die am häufigsten gebrauchte Definition von "nachhaltiger Entwicklung" stammt von Lester Brown, dem Gründer des Worldwatch Institute. Sie wurde in dem Bericht "Our Common Future" der Brundtland-Kommission aufgegriffen:
"Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs."
[World Commission on Environment and Development (WCED), Our Common Future, Oxford 1987, p. 43]
Diese Definition von "nachhaltiger Entwicklung" wird zwar allgemein akzeptiert, aber sie sagt nicht viel aus. Fritjof Capra schlägt deshalb folgende Operationalisierung vor:
"Der Schlüssel zu einer funktionsfähigen Definition von ökologischer Nachhaltigkeit ist die Einsicht, dass wir nachhaltige menschliche Gemeinschaften nicht von Grund auf erfinden müssen, sondern sie nach dem Vorbild der Ökosysteme der Natur nachbilden können, die ja nachhaltige Gemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen sind. Wie wir gesehen haben, ist die herausragendste Eigenschaft des Erdhaushalts seine immanente Fähigkeit, Leben zu erhalten. Daher ist eine nachhaltige menschliche Gemeinschaft so beschaffen, dass ihre Lebensweisen ebenso wie ihre unternehmerischen, wirtschaftlichen und physikalischen Strukturen und Technologien die immanente Fähigkeit der Natur, Leben zu erhalten, nicht stören. Nachhaltige Gemeinschaften entwickeln ihre Lebensmuster im Laufe der Zeit in ständiger Interaktion mit anderen menschlichen und nichtmenschlichen lebenden Systemen. Nachhaltigkeit bedeutet somit nicht, dass die Dinge sich nicht verändern. Sie ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess der Koevolution."
[aus: Fritjof Capra, Verborgene Zusammenhänge. Vernetzt denken und handeln - in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, Bern u.a. 2002, S. 298]
Mehr zum Thema "Was ist Nachhaltigkeit?" im Online-Lehrbuch auf D@dalos...

Sonntag, 5. März 2017

Wertewandel in der "Wendezeit" (Capra)

Das Jahrzehnt von 2005 bis 2014 wurde von den Vereinten Nationen zur Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" ausgerufen. Einen frühen deutschen Beitrag zu dieser Dekade bildete das kostenlos nutzbare Online-Lehrbuch Nachhaltigkeit, das in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Es gliedert sich in fünf Abschnitte:

1) Was heißt Nachhaltigkeit?
2) Wie handle ich nachhaltig?
3) Wie funktioniert eine Lokale Agenda 21?
4) Wie kann man das Klima schützen?
5) Welche Probleme gibt es auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung?

Der folgende Auszug stammt aus dem 5. Kapitel, das versucht, grundlegende Hindernisse aufzuzeigen, die den Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung behindern. So spricht beispielsweise einiges dafür, dass Nachhaltigkeit und unsere vorherrschende Art zu Wirtschaften hinsichtlich der Ziele und Leitbilder inkompatibel sind. In seinem berühmten Weltbestseller "Die Kunst des Liebens" aus dem Jahr 1956 diagnostiziert der Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm:
"Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren, die immer mehr konsumieren wollen (...). Er braucht Menschen, die sich frei und unabhängig vorkommen und meinen, für sie gebe es keine Autorität, keine Prinzipien und kein Gewissen - und die trotzdem bereit sind, sich kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet, und sich reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufügen (...). Was kommt dabei heraus? Der moderne Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet (...)". Er "überwindet ... seine unbewusste Verzweiflung durch die Routine des Vergnügens (...), außerdem durch die Befriedigung, ständig neue Dinge zu kaufen und diese bald wieder gegen andere auszuwechseln (...). Unser Charakter ist darauf eingestellt, zu tauschen und Dinge in Empfang zu nehmen, zu handeln und zu konsumieren. Alles und jedes - geistige wie materielle Dinge - wird zu Objekten des Tausches und des Konsums." [aus: Erich Fromm, Die Kunst des Liebens, München 2000, S. 100-102]
Mit Blick auf die Wende hin zu einer nachhaltigen Entwicklung stimmt diese Analyse nachdenklich. In der Tat basiert unser wirtschaftliches Denken nach wie vor auf dem "Schneller, höher, weiter, mehr", auf dem Vertrauen darauf, dass sich die Probleme mit mehr Wachstum lösen lassen. Demgegenüber finden neue Wohlstandsmodelle wie das "Langsamer, weniger, besser, schöner" kaum Gehör (siehe "Die Vision vom solaren Zeitalter").

Bewusstseinswandel: Vom mechanistischen Weltbild ...

Erforderlich sei, so der berühmte Physiker und Vordenker einer ganzheitlichen Weltsicht, Fritjof Capra, ein grundlegender Wandel der Weltbilder und Wertvorstellungen. Dieser Wandel habe zwar begonnen, konnte sich aber noch nicht durchsetzen. Im Bereich der Wissenschaft wurde er ausgelöst von den bahnbrechenden Entdeckungen in der Physik Anfang des 20. Jahrhunderts. Im gesellschaftlichen Bereich sieht er eine Vorreiterrolle der weltweiten Ökologie- und Frauenbewegung.

Das Hauptproblem auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung besteht nach Capra darin, dass wir an einem überholten Weltbild festhalten, an einem mechanistischen Bild des Lebens, das auf der Physik Newtons basiert. Dieses überholte Paradigma charakterisiert er in seinem einflussreichen Buch "The Turning Point" (1982) folgendermaßen:
"Das Weltbild oder Paradigma, das jetzt langsam zurücktritt, hat unsere Kultur mehrere hundert Jahre lang beherrscht und hat während dieser Zeit die ganze Welt wesentlich beeinflusst. Es enthält eine Anzahl von Ideen und Wertvorstellungen: darunter die Auffassung, das Universum sei ein mechanisches System, das aus materiellen Grundbausteinen besteht; das Bild des menschlichen Körpers als einer Maschine; die Vorstellung des Lebens in der Gesellschaft als eines ständigen Konkurrenzkampfes um die Existenz; den Glauben an unbegrenzten materiellen Fortschritt durch wirtschaftliches und technisches Wachstum; und - nicht zuletzt! - den Glauben, dass eine Gesellschaft, in der das Weibliche überall dem Männlichen untergeordnet ist, einem grundlegenden Naturgesetz folgt. Alle diese Annahmen haben sich während der letzten Jahrzehnte als sehr begrenzt erwiesen und bedürfen einer radikalen Neuformulierung." [aus: Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Vorwort zur deutschen Taschenbuchausgabe, München 1991, S. IX]
... zum ganzheitlichen Weltbild

Diese Neuformulierung folgt einem neuen Paradigma, einer ganzheitlichen oder ökologischen Weltsicht. Capra verwendet auch den Begriff "systemisches Denken":
"In der Naturwissenschaft bietet nämlich die in den letzten Jahrzehnten entwickelte Theorie lebender Systeme den idealen wissenschaftlichen Rahmen zur Formulierung des neuen ökologischen Denkens (...). Lebende Systeme sind integrierte Ganzheiten, deren Eigenschaften sich nicht auf die kleineren Einheiten reduzieren lassen. Statt auf Grundbausteine konzentriert sich die Systemtheorie auf grundlegende Organisationsprinzipien. Beispiele für Systeme gibt es in der Natur in Hülle und Fülle. Jeder Organismus - von der kleinsten Bakterie über den weiten Bereich der Pflanzen und Tiere bis hin zum Menschen - ist ein integriertes Ganzes und somit ein lebendes System. Dieselben Ganzheitsaspekte zeigen sich auch in sozialen Systemen, zum Beispiel in einer Familie oder einer Gemeinschaft, und ebenso in Ökosystemen, die aus einer Vielzahl von Organismen in ständiger Wechselwirkung mit lebloser Materie bestehen." [aus: Fritjof Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Vorwort zur deutschen Taschenbuchausgabe, München 1991, S. X]
Zentral für die systemische Sicht ist die Erkenntnis, dass das Ganze immer etwas anderes ist als die bloße Summe seiner Teile. In dieser Sicht sind nur diejenigen Maßnahmen akzeptabel, die auch langfristig tragfähig sind, die also die lebenden Systemen nicht schädigen. Insofern bildet dieses neue ökologische Paradigma eine ideale Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung. Umrisse des daraus folgenden Wertewandels zeigt das folgende Schaubild.