''Die Finanzierung des Sozialsystems ist an der Erwerbsgesellschaft angelegt; das Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs, die demografischen Entwicklungen, aber auch die Veränderungen in den Erwerbsbiografien rütteln daher nicht nur an den finanziellen Grundmauern des Systems, sondern verstärken auch die gesellschaftlichen Spannungen zwischen Erwerbstätigen und anderen Mitgliedern der Gesellschaft" (Thimm 2010, S. 43).Anhand dieser Analyse unternimmt Katja Thimm den Versuch, die Ursachen und Hintergründe für die Schräglage des deutschen Sozialstaates zu veranschaulichen und auf die Tragweite der zu erwartenden Konsequenzen hinzuweisen. Neben zahlreichen weiteren fatalen Folgen ist es nicht zuletzt die Altersarmut, die sich angesichts des demografischen Wandels und der stetigen Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen massiv auszubreiten droht (Stapf-Finé 2009, S. 202).
Während über die dringende Reformbedürftigkeit des deutschen Sozialstaats daher weitgehende Einigkeit zu herrschen scheint, divergieren die hierzu vorgeschlagenen Maßnahmen fundamental in Art und Umfang. Einer nicht unerheblichen Beliebtheit erfreut sich in der Debatte um eine Neuordnung des Sozialstaats dabei der Vorschlag, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens anzustreben.
''Unter einem bedingungslosen Grundeinkommen wird meist eine regelmäßige, monatliche Zahlung an alle verstanden, die ohne jegliche Bedingungen und Voraussetzungen gezahlt wird. Typischerweise soll das BGE einen gesellschaftlich festgelegten, akzeptablen Mindestlebensstandard sicherstellen'' (Enste 2019, S.7).Da die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens einen weitgehenden Umbau des bestehenden Steuer- und Transfersystems verlangen würde, muss hinsichtlich dieser Forderung zweifelsohne von der Etablierung einer fundamental neuen Gesellschaftsordnung gesprochen werden (Osterkamp 2015d, S. 243). Nicht zuletzt durch eine Volksabstimmung,die in der Schweiz im Jahre 2016 bezüglich der potenziellen Einführung eines BGE durchgeführt wurde, erfuhr die Thematik ein verstärktes öffentliches und mediales Interesse (Enste 2019, S.7). ''77 Prozent der Befragten haben sich dabei gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen'' (Enste 2019,S.7).
Der vorliegenden Seminararbeit ist es angesichts der zunehmenden Instabilität des deutschen Sozialstaats ein dringendes Anliegen, sich gewissenhaft mit der Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens auseinanderzusetzen. Nachdem zu Beginn ein grundlegender Überblick über besonders populäre Grundeinkommenskonzepte und deren maßgebliche Unterschiede geleistet wird, werden in der Folge sowohl Vorzüge als auch Nachteile einer bedingungslosen Finanzspritze für alle Bürgerinnen und Bürger einer detaillierten Betrachtung unterzogen. Anschließend widmet sich die vorliegende Abhandlung der Frage, ob und inwiefern finanzielle Umstände und gesellschaftliche Stimmungen der Einführung eines BGE entscheidend im Wege stehen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden abschließend nochmals in gebündelter Form aufgeführt und mit einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen versehen.
2. Übersicht über populäre Konzepte
Die gegenwärtige Debatte über das Für und Wider eines bedingungslosen Grundeinkommens suggeriert oftmals, dass das BGE als ein einheitliches, eindeutig definiertes Modell zu verstehen sei. Dabei existiert eine Vielzahl divergierender Konzepte und Ideen, die lediglich unter dem Oberbegriff ''bedingungsloses Grundeinkommen'' firmieren und einer dementsprechend trennscharfen Analyse bedürfen. Ziel dieses Kapitels ist es daher, einen kompakten Überblick über die bedeutendsten BGE-Modelle zu liefern und die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede hierbei darzulegen.
Nahezu allen Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist gemeinsam, dass für einen monatlich auszuzahlenden Betrag plädiert wird, der allen Mitgliedern eines Gemeinwesens zukommen soll. Dieser Betrag soll sich durch einen existenzsichernden und individuellen Charakter auszeichnen, nicht an den Zwang zur Arbeitsaufnahme oder sonstige Gegenleistungen gebunden sein und ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgeschüttet werden (Koch 2018, S. 24).
Zudem soll durch die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens sichergestellt werden, dass die gesellschaftliche Teilhabemöglichkeit der Empfänger gewahrt bleibt (Holzner 2015, S. 186). Modelle, die sich für die einmalige Auszahlung einer höheren Summe, beispielsweise bei Erreichen der Volljährigkeit, aussprechen, existieren ebenfalls, bilden jedoch lediglich eine Minderheitsposition ab (Osterkamp 2015a, S. 9).
Alle relevanten BGE-Konzepte grenzen sich insbesondere durch das Prinzip der Bedingungslosigkeit von der bereits heute gegebenen Grundsicherung ab. Während die Grundsicherung nur bei Bedürftigkeit, unter Berücksichtigung der familiären Situation und im Gegenzug für die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme gewährt wird, würden diese Voraussetzungen bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens restlos entfallen (Thimm 2010, S. 58).
Trotz der genannten Gemeinsamkeiten, die auf nahezu alle bekannten BGE-Modelle zutreffen, muss festgehalten werden, dass zwischen den diversen Ansätzen und Vorschlägen hinsichtlich eines bedingungslosen Grundeinkommens mitunter massive Abweichungen beobachtbar sind. Unterschiede bestehen insbesondere in der konkreten Ausgestaltung der Zahlungen, in der Abstimmung auf bereits bestehende Systeme sozialer Sicherung beziehungsweise deren gänzlicher Ersetzung sowie in der jeweiligen Finanzierung (Holzner 2015, S. 185). Auch die Ziele und Erwartungen, die durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens befriedigt werden sollen, unterscheiden sich in Abhängigkeit von der Weltanschauung und der politischen Positionierung der jeweiligen BGE-Befürworter (Thimm 2010, S. 46).
''Während man am linken Rand die Erlösung des Prekariats aus kapitalistischer Lohnsklaverei und Armut sucht, zielt der rechte Rand auf die Befreiung des Kapitals von den Fesseln der Sozialstaatlichkeit'' (Kreutz 2010, S. 66).Wenn der Versuch unternommen wird, dieses Zitat auf eine grundsätzliche Ebene zu stellen, können zwei zentrale Ansätze unterschieden werden, die gewöhnlich hinter der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen stehen. Es handelt sich hierbei um den wirtschaftsliberalen Ansatz und den linken beziehungsweise emanzipatorischen Ansatz (Haus 2015, S. 39).
Mit dem wirtschaftsliberalen Ansatz, der etwa durch den Gründer der Drogeriemarktkette ''dm'', Götz Werner, vertreten wird, ist insbesondere die Zielsetzung verbunden, zur Flexibilisierung von Märkten beizutragen (Stapf-Finé 2009, S. 203). Dies kann beispielsweise dadurch gelingen, dass die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung, die bislang paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beglichen werden, durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens entfallen würden. Damit wäre eine finanzielle Entlastung von Unternehmen und ein größerer Anreiz, Arbeitssuchende einzustellen, verbunden (Enste 2019, S. 21).
Bürokratieabbau und ein möglichst schlanker Sozialstaat sind die Errungenschaften, für die ein bedingungsloses Grundeinkommen dem wirtschaftsliberalen Ansatz zufolge in erster Linie stehen könnte (Enste 2019, S. 21). Als übergeordnetes Ziel kann demnach die Anregung von Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit gelten (Enste 2019, S.22). Bezüglich des wirtschaftsliberalen Ansatzes wird das bedingungslose Grundeinkommen zudem als Rechtfertigung für die Abschaffung sozialpolitischer Regelungen und tarifvertraglicher Rechte verstanden (Stapf-Finé 2009, S. 203).
Götz Werner, der bereits als prominenter Verfechter des liberalen BGE-Ansatzes vorgestellt wurde, spricht sich für ein monatliches Grundeinkommen von 1000 Euro aus, das durch eine Konsumsteuer von bis zu 50 Prozent finanziert werden soll (Enste 2019, S. 19). Der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, setzt sich unterdessen für ein ''Solidarisches Bürgergeld'' in Höhe von 600 Euro pro Monat ein, das durch eine negative Einkommenssteuer finanziert werden soll. Dabei geht es darum, dass Bürgerinnen und Bürger, die weniger als 18000 Euro im Jahr verdienen, Zuwendungen erhalten sollen. Jene Bürgerinnen und Bürger, die über einen höheren Jahresverdienst verfügen, würden zu Nettozahlern werden (Butterwegge 2017, S. 111). In Kapitel 4.1 wird ein Schlaglicht auf die Tragfähigkeit dieser Finanzierungsvorschläge und alternativer Überlegungen geworfen.
Mit dem linken beziehungsweise emanzipatorischen Ansatz, der beispielsweise von der Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping, vertreten wird, ist dagegen die Hoffnung verbunden, die soziale Ungleichheit in Deutschland eindämmen und Armut bekämpfen zu können (Stapf-Finé 2009, S. 203). Im Gegensatz zu den Vorschlägen wirtschaftsliberaler Vertreter zielt der emanzipatorische Ansatz somit darauf ab, die Bürgerinnen und Bürger von den Aktivitäten des Marktes unabhängig zu machen. Diesem Leitgedanken entspringt die Forderung nach einem möglichst hohen Grundeinkommen (Haus 2015, S. 39). Dem Philosophen Richard David Precht schwebt etwa eine monatliche Zahlung von 1500 Euro vor (Koch 2018, S. 32).
Wenn eine Übersicht über populäre BGE-Konzepte angestrebt werden soll, lohnt es sich außerdem, den Blick auf bereits bestehende Grundeinkommenszahlungen in anderen Staaten zu richten. Im US-Bundesstaat Alaska wurde bereits im Jahre 1982 ein Grundeinkommen eingeführt, das allerdings nicht bedingungslos ist. Um als Empfänger der monatlichen Zahlung in Betracht zu kommen, müssen Bürgerinnen und Bürger seit mindestens einem Kalenderjahr Einwohner Alaskas sein und dürfen keinerlei Vorstrafen haben (Niemann 2015, S. 158). Der monatliche Auszahlungsbetrag stammt aus dem Erlös der Ölreserven, schwankt in erheblichem Maße und ist nicht existenzsichernd (Niemann 2015, S. 158).
Seit dem Jahre 2010 wird auf Antrag, aber ohne Bedürftigkeitsprüfung ein Grundeinkommen im Iran ausbezahlt (Niemann 2015, S. 165). Die monatliche Zahlung ergeht jedoch lediglich an das jeweilige Familienoberhaupt und liegt deutlich unter dem Existenzminimum (Niemann 2015, S. 165). ''Damit ist der Iran bei der Umsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens weiter vorangeschritten als alle anderen Länder der Welt'' (Niemann 2015, S. 165).
Nachdem nun vielfach verdeutlicht worden ist, dass sehr mannigfaltige Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung eines bedingungslosen Grundeinkommens existieren und insbesondere der politische Standpunkt des jeweiligen Befürworters großen Einfluss auf die damit intendierten Zielsetzungen auszuüben vermag, soll im Folgenden analysiert werden, inwiefern von der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nützliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Individuum zu erwarten sind.
3. Sinnhaftigkeit des bedingungslosen Grundeinkommens
In die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens werden diverse Hoffnungen und Erwartungen gesetzt, die im Folgenden vorgestellt werden. Da sich zahlreiche der anschließend präsentierten Einwände unmittelbar auf diese vermeintlichen Vorzüge beziehen, ist eine abschließende Bewertung des bedingungslosen Grundeinkommens erst nach Abwägung aller Vor- und Nachteile sowie der Einbeziehung von Finanzierungsfragen seriös zu leisten. Diese abschließende Bewertung wird im Resümee vorgenommen.
3.1 Vorzüge
Im Hinblick auf die zunehmende Altersarmut und Vermögens- sowie Einkommensunterschiede von erheblichem Ausmaß verbinden insbesondere linke Gruppierungen mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Hoffnung, Armut reduzieren und für eine Verringerung der sozialen Ungleichheit in Deutschland sorgen zu können (Enste 2019, S. 19). Der gegenwärtige deutsche Sozialstaat basiert auf dem Prinzip, dass Bedürftige aktiv die ihnen zustehenden Transferleistungen beantragen. Diese Notwendigkeit führt dazu, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihrem Anspruch auf finanzielle Unterstützungsleistungen aus Scham oder Unwissenheit nicht nachkommen (Reitter 2012, S. 8). Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das allen Mitgliedern des Gemeinwesens unaufgefordert zukäme, könnte dieses Problem umgangen werden.
Das bedingungslose Grundeinkommen kann darüber hinaus als wirksames Instrument zur Ermöglichung von individueller Freiheit und Selbstverwirklichung bewertet werden (Enste 2019, S. 17). Dieser Zugewinn an Freiheit kann sich auf verschiedene Art und Weise Ausdruck verleihen. Zum einen ist mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Hoffnung verbunden, Selbstständigkeit und Unternehmergeist in der Bevölkerung zu fördern (Enste 2019, S. 18).
Viele Menschen, die ernstlich mit dem Gedanken an eine selbstständige Tätigkeit liebäugeln, entscheiden sich letztlich aufgrund der damit verbundenen finanziellen Risiken gegen eine Existenzgründung. Die finanzielle Absicherung, die allen Bürgerinnen und Bürgern durch ein BGE monatlich zukommen würde, würde mutmaßlich dazu führen, dass ein größerer Teil der Menschen den Weg der Selbstständigkeit beschreiten würde.
Ähnliche Erwartungen werden in Bezug auf die verstärkte Ausübung von politischem und sozialem Engagement geäußert. Die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte zur Schaffung eines finanziellen und zeitlichen Freiraums beitragen, der durch eine ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen oder die Aktivität in politischen Organisationen aufgefüllt werden könnte (Enste 2019, S. 18).
Insbesondere in Bezug auf die späte Jugendphase werden enorme Erwartungen in die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gesetzt. Die Adoleszenz ist durch bedeutende Entwicklungsvorgänge geprägt. Die Ablösung vom Elternhaus, die Ausbildung einer eigenen Identität und die berufliche Orientierung stellen diesbezüglich wichtige Weichenstellungen dar. Das Wissen darum, sich auf eine monatliche Geldzahlung verlassen zu können, könnte junge Menschen in diesem essenziellen Lebensabschnitt dazu ermuntern, persönlichen Neigungen zu folgen, eigene Interessen in den Vordergrund zu rücken und die individuellen Fähigkeiten bestmöglich zu entfalten (Liebermann 2009, S. 154). Finanzielle Zwänge würden in dieser Phase der Selbstfindung und gesellschaftlichen Verortung eine wesentlich geringere Rolle spielen.
Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde darüber hinaus für einen massiven Bürokratieabbau und dadurch sinkende Verwaltungskosten sorgen (Haus 2015, S. 51). Der zu erwartende Bürokratieabbau ist darauf zurückzuführen, dass die vielen verschiedenen Sozial- und Transfersysteme, die gegenwärtig noch nebeneinander existieren, wie zum Beispiel die gesetzliche Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung oder das Kindergeld, durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aufgelöst werden würden (Enste 2019, S. 29).
An die Stelle unterschiedlicher Sicherungssysteme, die sich durch unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen und eine unterschiedliche Finanzierung auszeichnen, würde eine einheitliche Zahlung an alle Bürgerinnen und Bürger treten. Diese Vereinheitlichung der verschiedenen Sicherungssysteme wäre als große Vereinfachung des deutschen Sozialstaats aufzufassen. Kosteneinsparungen könnten insbesondere durch den Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung gelingen (Enste 2019, S. 30).
Das Arbeitslosengeld II oder die Grundsicherung im Alter werden gegenwärtig nur dann ausgezahlt, wenn nachweislich eine Bedürftigkeit für diese Zahlung besteht. Durch eine bedingungslose Zahlung an alle Mitglieder der Gesellschaft könnte diese Bedürftigkeitsprüfung, die durch einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand und dementsprechende Kosten gekennzeichnet ist, entfallen. Ein genereller Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung würde notleidenden Menschen zudem die mitunter beschämende und entwürdigende Kontrolle ihrer tatsächlichen Bedürftigkeit ersparen (Haus 2015, S. 51).
Ein besonders gewichtiges Argument für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens besteht darin, dass gesellschaftlich relevante Tätigkeiten abseits der klassischen Erwerbsarbeit, beispielsweise die Kindererziehung oder die Pflege enger Angehöriger, durch eine monatliche Zahlung an jedermann massiv aufgewertet werden würden (Offe 2009, S. 29). Obwohl die Erziehung der nachkommenden Generationen sowie der würdige Umgang mit alten und geschwächten Menschen unentbehrlich für den gelingenden Fortbestand der Gesellschaft sind, findet bislang keine finanzielle Honorierung derartiger Tätigkeiten in Anlehnung an die Erwerbsarbeit statt. ''Allenfalls einige Rentenpunkte werden inzwischen angerechnet für Kindererziehung und Pflege (deutsche-rentenversicherung.de)'' (Fischer 2016, S. 18).
Schätzungen zufolge werden jedoch etwa 50 Prozent mehr Arbeitsstunden innerhalb der Familie oder im Ehrenamt verrichtet als in der klassischen und marktkonformen Erwerbsarbeit (Althaus 2017, S. 18). Eine finanzielle Aufwertung gesellschaftlich relevanter, aber unbezahlter Tätigkeiten ist demnach längst überfällig.
Wenn es darum geht, Kindererziehung, Pflegetätigkeit und Hausarbeit stärker wertzuschätzen, darf schließlich nicht vergessen werden, dass es sich hierbei um Beschäftigungen handelt, die zumeist von Frauen erledigt werden. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte daher auch dazu beitragen, die bestehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufzuweichen und die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu erhöhen (Stapf-Finé 2009, S. 204).
Weiterhin wird angenommen, dass sich die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens dahingehend positiv auswirken kann, dass die Verhandlungsmacht einfacher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern gestärkt wird (Liebermann 2009, S. 156).
''Zum ersten Mal wäre der Arbeitsmarkt tatsächlich ein Markt, in dem Mitarbeiter niemals aus Existenzgründen einen Vertragspartner wählen, niemals eine Entscheidung defensiv treffen müssen'' (Liebermann 2009, S. 156 & 157).Dieser Argumentationsstruktur folgend müssten gesellschaftlich relevante, aber unattraktive Tätigkeitsfelder besser entlohnt und durch humanere Arbeitsbedingungen aufgewertet werden, um noch verlässliche Arbeitskräfte an sich binden zu können (Holzner 2015, S. 186). Eine Optimierung der Beschäftigungssituation vieler Erwerbstätiger könnte demnach die Folge eines bedingungslosen Grundeinkommens sein.
Ein weiterer Vorteil, der mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Verbindung steht, ist die bereits angerissene Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Aufgrund des Umstandes, dass ein BGE zur Abschaffung von bislang existierenden Lohnnebenkosten führen würde, würde sich Arbeit verbilligen. Arbeitgeber wären beispielsweise nicht mehr dazu verpflichtet, Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung zu leisten und könnten daher für die Schaffung eines Arbeitsplatzes mit geringeren Kosten kalkulieren (Althaus 2017, S. 17). Die sinkenden Kosten für die Beschäftigung einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers könnten nun dazu führen, dass Arbeitgeber in die Lage versetzt werden, eine größere Anzahl von Arbeitsplätzen anzubieten (Althaus 2017, S. 17).
Eine besonders häufig geäußerte und überaus populäre Rechtfertigung für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens besteht schließlich in einem Verweis auf die Umbrüche, die die deutsche Gesellschaft im Zuge der digitalen Revolution ereilen werden. Angesichts des technologischen Fortschritts und des dadurch ausgelösten Wandels der Arbeitswelt wird vielfach davon ausgegangen, zukünftig mit Arbeitsplatzknappheit umgehen zu müssen (Haus 2015, S. 48).
Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte dazu beitragen, dass auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die durch die Digitalisierung in die Erwerbslosigkeit abrutschen, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird (Haus 2015, S. 48). Insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wäre es zweifelsohne geboten, Einkommen von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln, um den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten auf einem würdigen Niveau zu fixieren.
In der öffentlichen Debatte und der Forschung kursiert eine Vielzahl von mehr oder minder plausiblen Argumenten für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Von besonders großer Relevanz scheinen die sieben Begründungsstränge zu sein, die aufgeführt wurden:
- Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit,
- Ermöglichung von Freiheit und Selbstverwirklichung,
- Vereinfachung von Verwaltungsabläufen und der damit verbundene Bürokratieabbau,
- Aufwertung bislang unbezahlter Tätigkeiten, beispielsweise der Kindererziehung,
- Stärkung von Arbeitnehmerinteressen,
- Flexibilisierung des Arbeitsmarktes,
- Entkopplung von Arbeit und Einkommen in Zeiten des digitalen Wandels.
3.2 Einwände
Gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird eine Vielzahl von Einwänden erhoben. Oftmals orientieren sich die Gegenstimmen an den bereits vorgestellten Argumenten für das BGE und versuchen diese zu entkräften. Im Folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten Bedenken gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen gegeben werden.
Als Argument gegen ein BGE wird häufig vorgebracht, dass die gesellschaftliche Leistungsethik angesichts einer garantierten Zahlung an alle Bürgerinnen und Bürger erodieren könnte (Fischer 2016, S. 21). Diesbezüglich wird insbesondere eine verminderte Bereitschaft zur Erwerbsarbeit befürchtet (Osterkamp 2015a, S. 17).
Wenn lediglich monetäre Anreize für das Bestreben zur Arbeitsaufnahme maßgeblich wären, träfe diese Prognose mit Sicherheit zu. In diesem Falle würde vor allem die Motivation von Geringverdienern, tagtäglich der Erwerbsarbeit nachzugehen, massiv sinken. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Verrichtung einer Erwerbsarbeit für die meisten Bürgerinnen und Bürger über die bloße Notwendigkeit, finanzielle Bedürfnisse zu befriedigen, hinausgeht. Die große Mehrheit der Menschen versteht ihre Erwerbsarbeit nicht zuletzt als bedeutendes sinnstiftendes Element (Fischer 2016, S. 22). Dementsprechend darf zumindest stark angezweifelt werden, dass es durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu einem massenhaften Ausstieg aus dem Erwerbsleben kommen würde.
Für die Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens spielen darüber hinaus Fragen des Gerechtigkeitsempfindens eine gewichtige Rolle. Indem jedem Mitglied eines Gemeinwesens ein bedingungslosen Grundeinkommen ausgezahlt wird, kommt es zu einer Gleichbehandlung ungleicher Tatbestände (Enste 2019, S. 58). Bürgerinnen und Bürger, die sich in einer sozialen Notsituation befinden, erhalten den exakt gleichen Betrag wie Menschen, die nicht im Mindesten auf ein bedingungsloses Grundeinkommen angewiesen sind.
''Ein Mensch mit körperlicher Behinderung erhält in gleicher Weise ein Grundeinkommen wie ein nicht arbeitswilliger Jugendlicher, der gesund ist und ohne Probleme arbeiten könnte'' (Enste 2019, S. 58).Dass durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens mit erheblichen Streuverlusten zu rechnen ist, da zahlreiche Bürgerinnen und Bürger ohne dringende Notwendigkeit mit einer monatlichen Zahlung bedacht werden, gilt als allgemein anerkannter Einwand (Osterkamp 2015b, S. 135).
Der Umstand, dass eine Gleichbehandlung ungleicher Lebensumstände als ungerecht angesehen werden kann, wird hingegen vielfach durch das Argument zu entkräften versucht, dass auch das gegenwärtige deutsche Gesellschaftssystem enorme Ungerechtigkeiten produziere. Angesichts einer grassierenden Einkommens- und Vermögensungleichheit sowie einer mangelnden Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung handelt es sich hierbei sicherlich um eine zutreffende Analyse. Dennoch muss hinterfragt werden, ob eine Ungerechtigkeit durch eine neuerliche Ungerechtigkeit entschärft werden kann und sollte.
''Was egalitär wirkt, ist höchst elitär: Man kann Milliardären nicht denselben (Grundeinkommens-)Betrag zahlen wie Müllwerkern und Flaschensammlerinnen, ohne die bestehende Verteilungsschieflage zu legitimieren und zu zementieren'' (Butterwegge 2016, S. 119).Neben prinzipiellen Gerechtigkeitseinwänden werfen insbesondere die zu erwartenden Auswirkungen des bedingungslosen Grundeinkommens auf sozioökonomisch unterprivilegierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kritische Fragen auf. Anders als oftmals suggeriert wird, würde die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht zwingend zu einer einseitig verbesserten Verhandlungsposition der Erwerbstätigen gegenüber den Arbeitgebern führen. Vielmehr steht zu befürchten, dass viele Arbeitgeber durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens erst dazu animiert werden würden, gering entlohnte Arbeitsplätze unter unwürdigen Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der Verweis auf die bedingungslose Zahlung, die allen Bürgerinnen und Bürgern monatlich zugute käme, könnte massive Lohnsenkungen für zahlreiche Unternehmen erst salonfähig machen.
''Die Folge wären also niedrigere Löhne, denn Lohnsenkungen würden durch das Grundeinkommen erst zumutbar gemacht. Selbst wenn die Einführung durch Mindestlöhne flankiert würde, würde ein Druck nach unten ausgeübt'' (Stapf-Finé 2009, S. 205).Mutmaßlich hätten die Arbeitgeber durch eine derartige Lohnpolitik keine negativen Konsequenzen bezüglich der Arbeitsbereitschaft der Bevölkerung zu befürchten, da sich Erwerbstätigkeit nicht zuletzt durch eine sinnstiftende Funktion definiert. Dieser bereits angesprochene Aspekt würde aller Voraussicht nach dazu führen, dass die Arbeitgeber angesichts des bedingungslosen Grundeinkommens auch dann noch auf ein ausreichendes Arbeitskräftepotential zurückgreifen könnten, wenn sie die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten massiv absenken würden.
Mitunter wird nicht ausgeschlossen, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zusätzlich dazu instrumentalisiert werden könnte, Arbeitnehmerrechte auszuhöhlen. Alle Regulierungen des Arbeitsmarktes, beispielsweise der Mindestlohn oder der Kündigungsschutz, könnten mit dem Verweis auf die Zahlung eines monatlichen Geldbetrages ad acta gelegt werden. Sollte dies geschehen, wäre das BGE für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr als ein Pyrrhussieg (vgl. Butterwegge 2017, S. 113 & 114).
Das bedingungslose Grundeinkommen könnte weiterhin im Hinblick auf zusätzlichen Unterstützungsbedarf für neue Ungerechtigkeit sorgen. Ein besonders hoher individueller Unterstützungsbedarf, beispielsweise für behinderte Menschen, bliebe auch nach der Einführung eines Grundeinkommens bestehen. Vielfach wird diesbezüglich die Erwartung geäußert, dass diesem Bedarf angesichts der finanziellen Belastungen durch das BGE nicht mehr in ausreichendem Maße nachgekommen werden könnte (Osterkamp 2015a, S. 13).
Des Weiteren ist zu bemängeln, dass das bedingungslose Grundeinkommen allen bekannten Modellen zufolge deutschlandweit in derselben Höhe ausgezahlt werden würde. Angesichts der Tatsache, dass die Lebenshaltungskosten in Abhängigkeit des jeweiligen Wohnortes massiv divergieren, würden dadurch weitere Ungerechtigkeiten verursacht werden (Enste 2019, S. 59). Einer Münchnerin denselben Betrag auszuzahlen wie einem Bewohner der Uckermark ist der Bekämpfung der sozialen Spaltung keineswegs dienlich.
Zudem muss festgehalten werden, dass langfristig vor allem Bildung als Schlüssel zur Minderung von Armut und Ungleichheit angesehen werden muss. Analog zu den befürchteten Kürzungen individuellen Förderbedarfes ist nicht auszuschließen, dass die Investitionen in Bildung hinter der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zurückstehen müssten (Osterkamp 2015b, S. 135).
Insgesamt ist bezüglich des Verhältnisses zwischen einem bedingungslosen Grundeinkommen und der sozialen Ungleichheit zu mutmaßen, dass bereits bestehende Ungerechtigkeiten noch vertieft werden und neue Benachteiligungen entstehen könnten. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass Formen gezielter und spezifischer Umverteilung besser dazu geeignet seien, soziale Missstände in der Gesellschaft zu beheben (Osterkamp 2015a, S. 12 & 13).
Gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird ferner eingewendet, dass hiermit keineswegs eine gänzliche Abkehr von den bislang existierenden Systemen sozialer Sicherung verbunden wäre.
''Die Sozialversicherung vollständig abzuschaffen ist jedoch unmöglich, da die wenigsten Menschen bei Krankheit die Arzt- und Krankenhauskosten selbst aufbringen können'' (Enste 2019, S. 81).Eine ähnliche Problematik würde aus bereits erworbenen Rentenansprüchen erwachsen.
''Wer Beiträge gezahlt hat, hat nämlich einen eigentumsgeschützten Anspruch auf Rente, der nicht einfach annulliert werden kann. Also mit dem Übergang vom Sozialstaat zum Fürsorgestaat geht es nicht so glatt, wie seine Befürworter planen'' (Blüm 2017, S. 29).Der oftmals Ausdruck verliehenen Erwartung, durch die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens einen massiven Bürokratieabbau realisieren zu können, wird derweil eine besonders vehemente Absage erteilt. Neben den bereits aufgeworfenen individuellen Unterstützungsbedarfen müsste weiterhin dafür gesorgt werden, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht doppelt und nicht an Verstorbene ausgezahlt werden würde (Osterkamp 2015b, S. 138). Auch hiermit wäre ein nicht zu verachtender Verwaltungsaufwand verbunden, der der Hoffnung auf einen gänzlichen Abbau der deutschen Sozialstaatsbürokratie entgegensteht.
Auf ebenso große Kritik stößt die Erwartung, die Bürgerinnen und Bürger durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit oder von einem sozialen beziehungsweise politischen Engagement überzeugen zu können. Bezüglich der vermeintlichen Ermöglichung einer selbstständigen Tätigkeit wird insbesondere eingewendet, dass die monatlich vorgesehene Zahlung im Zuge eines bedingungslosen Grundeinkommens viel zu gering sei, um die finanziellen Risiken einer Existenzgründung effektiv aufzufangen (Osterkamp 2015b, S. 137). Darüber hinaus würde die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Streichung sämtlicher steuerlicher Abzugsmöglichkeiten erfordern.
''Zu diesen Abzugsmöglichkeiten gehört aber, dass geschäftliche Verluste steuerlich geltend gemacht werden können. Während ein BGE also tatsächlich das Risiko unternehmerischer Tätigkeit mindert, führt die für die Finanzierung eines BGE notwendige Änderung des Einkommenssteuerrechts zu einer Erhöhung dieses Risikos'' (Osterkamp 2015b, S. 137).Bezüglich eines verstärkten politischen oder sozialen Engagements durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist schlicht und ergreifend anzuzweifeln, dass die Bürgerinnen und Bürger die entstehenden Gestaltungsspielräume mehrheitlich zugunsten einer derartigen Betätigung nutzen würden (Osterkamp 2015b, S. 138).
Besonders umstritten ist auch die These, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens angesichts einer künftigen digitalen Arbeitsplatzknappheit unumgänglich sein wird.
''Die Auswirkung des technischen Fortschritts auf die Gesamtbeschäftigung ist daher längst nicht so eindeutig, wie es von manchen Befürwortern des Grundeinkommens dargestellt wird. Bisher jedenfalls zeichnen sich keine gravierenden Veränderungen in der Arbeitswelt durch die zunehmenden Verbreitung und Vernetzung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien ab'' (Enste 2019, S. 35).In der Tat säen zwei gegensätzliche Trends Zweifel an der Stichhaltigkeit der Warnung vor einem massenhaften Arbeitsplatzverlust. Zum einen lässt der allgegenwärtige Fachkräftemangel erahnen, dass zumindest heute in diversen Branchen kein Mangel an Arbeitsplätzen, sondern vielmehr ein Mangel an Arbeitskräften besteht (Enste 2019, S. 27). Zum anderen sorgt der demografische Wandel zusehends für eine Schrumpfung des zur Verfügung stehenden Arbeitskräftepotentials (Haus 2015, S. 53). Anzunehmen, dass die ohnehin schrumpfende Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter angesichts der Digitalisierung mehrheitlich von einem Arbeitsplatzverlust bedroht ist, mutet zumindest zweifelhaft an. Auch ein Blick auf die Geschichte des technologischen Wandels bestätigt diese Einschätzung.
''Langfristig gesehen haben sich der Wegfall und die Neuschaffung von Arbeitsplätzen ungefähr die Waage gehalten'' (Osterkamp 2015c, S. 214).Nicht zu bestreiten ist demnach, dass technologischer Wandel Arbeitsplatzverluste verursachen kann. Unterschlagen wird jedoch vielfach, dass technologischer Wandel auch zur Schaffung veränderter Arbeitsplätze beitragen kann.
''Nach diesen Überlegungen stellt ein sich langfristig verschärfender struktureller Mangel an Arbeitsplätzen keine sehr plausible Entwicklung dar'' (Osterkamp 2015c, S. 215).Schlussendlich muss ein Blick auf das Verhältnis zwischen einem bedingungslosen Grundeinkommen und Migrationsbewegungen geworfen werden. Diesbezüglich ist zunächst einmal festzuhalten, dass Migrationsbewegungen keineswegs erst durch ein BGE hervorgerufen werden würden, sondern bereits so alt wie die Menschheit selbst sind (Reitter 2012, S. 58). Zudem ist zwingend darauf hinzuweisen, dass Migration in einer globalisierten Welt nicht pauschal als Problem aufgefasst werden kann und darf.
Eine Notwendigkeit zur Bewältigung des bereits angerissenen demografischen Wandels besteht etwa darin, Menschen mit Migrationshintergrund bestmöglich in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Trotzdem ist zu erwarten, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland zu einer spürbar anwachsenden Migrationsbewegung führen würde.
''In der Europäischen Union herrscht Arbeitnehmerfreizügigkeit, weshalb Zuwanderung nicht begrenzt werden kann'' (Enste 2019, S. 87).Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden soll, das seinen Namen verdient, kann der Bezug zugleich nicht an die deutsche Staatsangehörigkeit gekoppelt sein.
''Würde die Auszahlung hingegen an den Aufenthalt gebunden, ist mit verstärktem Migrationsdruck und darauf folgend stärkerer Abschottung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu rechnen'' (Schröder 2016, S. 230).Eine eingehende Beschäftigung mit den Einwänden gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen hat viele der zunächst plausibel wirkenden Vorzüge relativiert. Weder der massenhafte Verlust von Arbeitsplätzen noch die effektive Minderung sozialer Ungleichheit noch die Anregung zu verstärktem selbstständigen, politischen oder sozialen Engagement sind zweifelsfrei belegt. Zudem könnten neue Problematiken wie die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten und weitere Unklarheiten wie der Einfluss des bedingungslosen Grundeinkommens auf Migrationsbewegungen entstehen.
Ohne das abschließende Resümee vorwegnehmen zu wollen, ist bereits jetzt ersichtlich geworden, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens unabsehbare Folgewirkungen auslösen würde. Der immer wieder auftretenden Behauptung, die Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens exakt einschätzen zu können, ist daher mit großem Misstrauen zu begegnen. Die Umschreibung des bedingungslosen Grundeinkommens als ''gewaltiges Sozialexperiment mit zweifelhaftem Ausgang'' erweist sich dementsprechend als durchaus zutreffend (Stapf-Finé 2009, S. 207).
4. Umsetzbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens
Wenn analysiert werden soll, ob und unter welchen Umständen das bedingungslose Grundeinkommen in die Realität umgesetzt werden kann, muss sowohl eine Beschäftigung mit Finanzierungsfragen als auch mit der politisch-gesellschaftlichen Stimmungslage erfolgen. Beiden Notwendigkeiten soll im Folgenden Rechnung getragen werden.
4.1 Finanzierung
Welche Summen für die Finanzierung des Grundeinkommens notwendig wären, variieren in Abhängigkeit von der Art der Berechnungsmethode und der veranschlagten Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens.
''Thomas Straubhaar (2017) beziffert vereinfacht die Kosten für ein BGE in Abhängigkeit von der Höhe auf 576 Milliarden Euro (bei 600 Euro monatlichem BGE) und 1,9 Billionen Euro (bei 2000 Euro BGE monatlich)'' (Enste 2019, S. 82).Anderen Berechnungen zufolge wäre bei einem BGE von monatlich 1000 Euro für circa 82 Millionen Einwohner mit Kosten von etwa 984 Milliarden Euro im Jahr zu rechnen (Koch 2018, S. 75). Angesichts dieser zunächst übermäßig hoch anmutenden Summe muss zu bedenken gegeben werden, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens den Verzicht auf zahlreiche steuer- und abgabenfinanzierte Sozialleistungen ermöglichen würde. Der Staatshaushalt könnte im Zuge dessen beispielsweise durch den Wegfall des Steuerzuschusses für die gesetzliche Rentenversicherung massiv entlastet werden (Koch 2018, S. 26).
Dass die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens durchaus im Bereich des Möglichen läge, wird angesichts der Tatsache, dass im Jahr 2016 918 Milliarden Euro für diverse Sozialleistungen ausgegeben wurden, deutlich (Koch 2018, S. 77). Die Einsparung eines großen Teils dieser Summe könnte ausreichende finanzielle Spielräume eröffnen, um die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu realisieren.
In der öffentlichen Debatte kursiert eine Vielzahl von Vorschlägen zur Finanzierung eines BGE. Einer besonders großen Beliebtheit erfreut sich hierbei die sogenannte Negative Einkommenssteuer.
''Bei diesem Modell wird eine Grundsicherung in Form einer Auszahlung von Steuern (''negative Steuern'') gewährt, die aber mit steigendem Einkommen abnimmt, bis dann oberhalb einer ''Transferschwelle'' die Steuerzahlungen ''positiv'' werden, also an den Staat gezahlt werden müssen. Geprägt hat dieses Modell der US-Ökonom Milton Friedman, der seine Ideen dazu in den 1960er Jahren entwickelte'' (Niemann 2015, S. 158).Der Steuersatz im Zuge der Negativen Einkommenssteuer kann prinzipiell progressiv, regressiv oder einheitlich sein (Koch 2018, S. 84). Angesichts des Umstandes, dass der Steuersatz oberhalb der Transferschwelle hoch genug sein muss, um dadurch die Transferzahlungen, die nicht entfallenden Sozialausgaben und die allgemeinen Staatsausgaben finanzieren zu können, verwundert es allerdings nicht, dass ein vergleichsweise hoher Steuersatz anzustreben wäre (Osterkamp 2015, S. 228).
Die meisten BGE-Varianten, die eine Finanzierung über die Einkommenssteuer favorisieren, sprechen sich daher für einen einheitlichen Steuersatz von 40 %, 50 % oder mehr aus (Osterkamp 2015d, S. 242). Die Transfergrenze könnte beispielsweise auf einem monatlichen Einkommen von 1600 Euro fixiert werden (Reitter 2012, S. 44). Diese Eckdaten ließen eine solide Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens durchaus zu, wenn zugleich Freibeträge abgeschafft und Steuerschlupflöcher geschlossen werden würden (Osterkamp 2015d, S. 242).
Fraglich wäre vielmehr, ob die steuerliche Mehrbelastung, die sich durch die Einführung einer negativen Einkommenssteuer für einige Einkommensgruppen ergeben würde, auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen würde.
''Der größte Unterschied zur aktuellen Situation aber ergibt sich für zu versteuernde Jahreseinkommen von zwischen 13.000 und 44.000 Euro. Hier liegen die Steuersätze heute zwischen 24% und 42%. Einige aus dieser Einkommensgruppe würden nach Einführung eines BGE keine Steuern mehr zahlen müssen, sondern würden Transferempfänger werden. Andere aber – und zwar viele andere – würden erheblich höher belastet werden, als es aktuell der Fall ist'' (Osterkamp 2015d, S. 242).Darüber hinaus sind zwei zweitere Problematiken zu beachten. Zum einen kann zumindest angezweifelt werden, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen seinen Namen verdient hat, wenn Besserverdienenden der jeweilige Betrag über die Steuer wieder entzogen werden würde (Butterwegge 2017, S. 118). Zum anderen wird vielfach kritisiert, dass eine einseitige Besteuerung der Erwerbsarbeit mitunter dazu beitragen könnte, die Motivation zur Arbeitsaufnahme zu hemmen (Koch 2018, S. 86). Zwar wurde in der vorliegenden Seminararbeit bereits mehrfach betont, dass Erwerbstätigkeit auch über einen sinnstiftenden Wert verfügt. Gänzlich auszuschließen ist dennoch nicht, dass ein allzu hoher Steuersatz manchen Arbeitnehmer mit einer beruflichen Zurückhaltung liebäugeln lassen würde.
Neben der Forderung nach einer Negativen Einkommenssteuer existiert eine Reihe weiterer Vorschläge zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Der Gründer der Drogeriemarktkette ''dm'' ,Götz Werner, fordert zur Finanzierung des BGE die Einführung einer Konsumsteuer von 50 Prozent (Enste 2019, S. 19). Von einer Befolgung dieses Vorschlags sollte jedoch Abstand genommen werden, da Geringverdiener durch eine einheitliche Konsumsteuer überproportional belastet werden würden. Der Mangel eines sozialen Ausgleichs disqualifiziert die Konsumsteuer als Möglichkeit zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens (Holzner 2015, S. 196).
Das BGE-Modell, das seit 1982 in Alaska verfolgt wird, beweist, dass auch eine Finanzierung über die Besteuerung von Rohstoffgewinnen möglich ist (Niemann 2015, S. 166). Skepsis bereitet jedoch die Tatsache, dass Rohstoffe endlich und nicht in jedem Land gleichermaßen vorhanden sind (Niemann 2015, S. 166). Insbesondere ein so rohstoffarmes Land wie Deutschland dürfte alsbald in monetäre Nöte geraten, wenn die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens primär durch die Besteuerung von Rohstoffgewinnen vollzogen werden würde. Schließlich wird eine Finanzierung des BGE über eine Finanztransaktionssteuer ins Spiel gebracht.
''Ökonomen fordern, diese Finanztransaktionssteuer mit in die Finanzierung des Grundeinkommens einzubeziehen'' (Koch 2018, S. 92).Bei der Finanztransaktionssteuer handelt es sich jedoch um eine Steuer, die erst noch eingeführt werden müsste. Die Sinnhaftigkeit einer Besteuerung von Finanztransaktionen wird bereits seit vielen Jahren angemahnt, eine konkrete Umsetzung dieses Vorhabens gelang in Deutschland jedoch bislang nicht. Es erscheint insgesamt sinnvoll zu sein, die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommen auf mehrere Säulen zu stellen (Koch 2018, S. 95).
Bezüglich dessen Umsetzbarkeit in monetärer Hinsicht kann festgehalten werden, dass eine Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens durchaus möglich ist. Der Wegfall von bestehenden Sozialleistungen würde den nötigen finanziellen Handlungsspielraum eröffnen, um ein BGE auf einem Fundament verschiedener Finanzierungsarten zu realisieren. Unsicherheit herrscht dagegen in der Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger damit einverstanden wären, zu dessen Finanzierung höhere Beiträge an den Staat abzutreten als zuvor.
''Wenn denn die jeweiligen Nebenwirkungen akzeptiert werden, ist eine Finanzierung immer möglich, wenn denn gewollt'' (Enste 2019, S. 80).
4.2 Politisch-gesellschaftliche Stimmung
Abseits von Fragen der Finanzierung ist zu ergründen, ob die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in der deutschen Gesellschaft und der politischen Landschaft überhaupt auf breite Resonanz stößt.
''Die Chancen, ein BGE politisch durchzusetzen, dürften v.a. davon abhängen, inwieweit die Mehrheit der Bevölkerung dieses Konzept als fair, als gesellschaftlich nützlich und als finanzierbar ansieht'' (Osterkamp 2015a, S. 17).Diesbezüglich ist festzuhalten, dass sich die gesellschaftliche Zustimmung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen in den letzten Jahren zwar erhöht hat, ein BGE jedoch noch immer mehrheitlich abgelehnt wird. Im Mai 2018 sprachen sich 43 % der Deutschen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aus, 53 % lehnten einen derartigen Schritt ab (Koch 2018, S. 18).
Ein noch weitaus negativeres Bild ergibt sich, wenn die Bewertung eines bedingungslosen Grundeinkommens in den relevanten politischen Parteien Deutschlands in den Blick genommen wird. In denjenigen Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, sprechen sich lediglich vereinzelte Stimmen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aus (Offe 2009, S. 34).
Auf die größte Zustimmung trifft ein BGE in der Linkspartei, die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie an einer Bundesregierung beteiligt war (Koch 2018, S. 19). Die größten Zweifel gegenüber einem bedingungslosen Grundeinkommen werden derweil in der CDU gehegt, die seit nunmehr 15 Jahren die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland stellt (Koch 2018, S. 19).
''Die Piratenpartei ist die einzige politische Partei in Deutschland, die ein konsequentes BGE, als ein bedingungsloses, in ihr Parteiprogramm aufgenommen hat'' (Osterkamp 2015a, S. 15).Angesichts der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit der Piratenpartei scheint die dort herrschende Unterstützung für ein BGE kaum mehr als eine bloße Randnotiz zu bleiben. Ungeachtet der Distanziertheit, mit der die politischen Parteien auf die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens reagieren, könnte dessen Einführung durch zwei zusätzliche Barrieren erschwert werden.
Auf den Umstand, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von verschiedenartigen Gruppierungen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Zielvorstellungen eingefordert wird, wurde bereits eingegangen. Es ist diesbezüglich nicht auszuschließen, dass die ideologische Diversität der BGE-Befürworter im Rahmen eines Realisierungsversuches aufbrechen würde (Schröder 2016, S. 227). Wenn jedoch nicht einmal die Unterstützer des ohnehin umstrittenen BGE-Projektes geschlossen für ihr Anliegen eintreten, sondern in separate Interessengruppen zerfallen, erscheint eine Realisierung des Grundeinkommens unmöglich zu sein.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass viele Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens erst langfristig sichtbar werden würden (Schröder 2016, S. 228). Diese Langfristigkeit der erzielten Effekte kollidiert jedoch mit dem Wunsch vieler politischer Mandatsträger, nach dem Ende einer Amtszeit wiedergewählt zu werden. Für manchen Volksvertreter scheint es im Zuge dieses Dilemmas vielversprechender zu sein, kleinteilige Reformen, deren Nutzen rasch sichtbar wird, anzustreben. Ob die potenzielle Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens diesbezüglich zu einem Bewusstseinswandel führen wird, kann zumindest angezweifelt werden.
Bezüglich der politisch-gesellschaftlichen Stimmung gegenüber einem BGE bleibt zu konstatieren, dass gegenwärtig nicht mit der Realisierung des Grundeinkommens zu rechnen ist. Eine zunehmende Prekarisierung der deutschen Gesellschaft, die sich beispielsweise in einer zunehmenden Altersarmut und noch größeren Vermögensunterschieden zwischen wohlhabenden und abgehängten Menschen niederschlagen könnte, könnte die Rufe nach einem bedingungslosen Grundeinkommen jedoch ungleich nachdrücklicher erschallen lassen (Reitter 2012, S. 48).
Dementsprechend setzen die Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens ihre Hoffnungen mehrheitlich in eine aktive und aktiver werdende Zivilgesellschaft (Schröder 2016, S. 228). Erst die Zeit wird zeigen, wie sich bereits heute existierende gesellschaftliche Missstände entwickeln und ob daraus eine erhöhte Popularität der Grundeinkommensidee erwächst.
5. Resümee
Die vorliegende Seminararbeit diente der unvoreingenommenen Analyse des Vorschlags, zum Zwecke der Sanierung des deutschen Sozialstaats ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.
Dass die Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auf die deutsche Gesellschaft mitunter unabsehbar wären, verdeutlichte bereits der Umstand, dass mit der Forderung nach einem BGE stark divergierende Erwartungen und Zielsetzungen verbunden sind. Während liberale Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens insbesondere auf einen massiven Bürokratieabbau und die Entschlackung des Sozialstaates hoffen, erwarten sich linke Befürworter vornehmlich die Milderung von Armut und sozialer Ungleichheit.
Unabhängig von der Vereinnahmung des bedingungslosen Grundeinkommens durch unterschiedliche politische Akteure konnte im Folgenden festgestellt werden, dass das BGE durchaus dazu in der Lage wäre, positive Akzente für breite Teile der Bevölkerung zu erreichen. Von besonders großer Relevanz scheint diesbezüglich der Befund zu sein, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens dazu beitragen könnte, eminent wichtige, aber bislang unbezahlte Tätigkeiten, beispielsweise die Kindererziehung oder private Pflegeaufgaben, aufzuwerten.
Im Anschluss an die zunächst positive Beurteilung eines bedingungslosen Grundeinkommens musste jedoch konstatiert werden, dass sich zahlreiche der darüber hinaus proklamierten Vorzüge als bloßer Papiertiger erweisen könnten. So ist beispielsweise zweifelhaft, ob die finanziellen Freiräume, die ein BGE schaffen könnte, tatsächlich mehrheitlich zum Aufbau einer selbstständigen Existenz oder zur Verwirklichung eines verstärkten politischen beziehungsweise sozialen Engagements genutzt werden würden.
Ebenso ist zu hinterfragen, ob sich die Verhandlungsposition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber den Arbeitgebern durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich verbessern würde oder ob Unternehmen durch ein BGE nicht erst dazu verleitet werden würden, die Belegschaft mit Niedriglöhnen abzuspeisen.
Schließlich kann keineswegs zwingend davon ausgegangen werden, dass der digitale Fortschritt zu einem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen führen wird. Dieses Argument, das oftmals zur Begründung eines bedingungslosen Grundeinkommens vorgebracht wird, wird etwa durch den demografischen Wandel, den Fachkräftemangel und den Blick auf historische Entwicklungen abgeschwächt.
Bezüglich der Umsetzbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens konnte festgehalten werden, dass Finanzierungsfragen kein entscheidendes Hindernis für dessen Realisierung darstellen. Ein BGE wäre durchaus finanzierbar. Viel schwerer wiegt die verbreitete Abneigung gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen in den relevanten politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland.
Vielfach musste konstatiert werden, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einem Sozialexperiment mit unvorhersehbaren Konsequenzen, einem Sprung ins kalte Wasser gleichen würde. Nicht zuletzt aufgrund dieser immer wieder aufkommenden Erkenntnis sollte von der Realisierung eines bedingungslosen Grundeinkommens abgesehen werden.
Der gegenwärtige deutsche Sozialstaat ist aufgrund des demografischen Wandels und der Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen in eine schwere Schieflage geraten und muss daher dringend reformiert werden. Eine Optimierung des bestehenden Sozialstaates scheint jedoch möglich zu sein und bietet im Vergleich zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens den Vorteil, die Folgen verabschiedeter Maßnahmen besser einschätzen zu können.
''Wenn Fitnesstraining und gesündere Ernährung ausreichend sind, würde kaum jemand eine Herzoperation riskieren, um sein Leben zu verbessern. Zumal nach der OP ein Fitnesstraining genauso notwendig wäre'' (Enste 2019, S. 102).Dementsprechend sollte es zukünftig insbesondere darum gehen, befristete Beschäftigungen, Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen zugunsten von unbefristeten Vollzeitarbeitsplätzen aufzulösen (Stapf-Finé 2009, S. 206). Weiterhin muss für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns, eine stärkere Umverteilung zwischen reichen und armen Haushalten sowie für größere Chancengerechtigkeit im Bildungssystem gesorgt werden.
Der deutsche Staat verfügt durchaus über die Möglichkeit, die gegenwärtige Verteilungsschieflage abzumildern und die soziale Sicherung der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, ohne sich hierzu auf riskante Experimente mit ungewissem Ausgang einlassen zu müssen. Künftig wird es darauf ankommen, diese Gelegenheit mit aller Konsequenz beim Schopfe zu packen.
Literaturverzeichnis
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