Ein Beitrag von Marius Kölly über folgenden Aufsatz:
Alberto Acosta: Vom guten Leben. Der Ausweg aus der Entwicklungsideologie; in: Blätter für deutsche und internationale Politik (Hg.) (2015), Mehr geht nicht! Der Postwachstums-Reader, Blätter, S. 191-197.
Der Autor beschäftigt sich zunächst mit dem Begriff der ‚Entwicklung‘ oder auch dem ‚Fortschritt‘ und prangert das Versprechen der Industrieländer (u.a. Truman) auf die „Entwicklung“ und deren Umsetzung an. Genauer gesagt, das Vorgehen der Industrieländer in den peripheren Regionen, z.B. durch Interventionen von IWF und Weltbank auf ökonomischer Ebene, aber auch durch militärische Aktionen. Diese Interventionen werden von den westlichen Industrieländern dadurch legitimiert, dass die „Durchsetzung der Demokratie“ als Voraussetzung für die Entwicklung unabdingbar ist.
Als der Glaube an Entwicklung dann aber zu bröckeln begann, hat man nach alternativen Entwicklungspfaden gesucht, ohne aber den Pfad der Entwicklung komplett zu verlassen, was der Autor sehr kritisch sieht, d.h. der Begriff der Entwicklung wurde mit Zweitnamen versehen: soziale Entwicklung, lokale Entwicklung, ländliche Entwicklung, nachhaltige Entwicklung, endogene Entwicklung, geschlechtergerechte Entwicklung.
Vom Neoliberalismus zum Extraktivismus
Der Autor fährt mit seiner Kritik an der Entwicklungsideologie weiter fort. In den 80er und 90er Jahren kam es zu – vom Neoliberalismus inspirierten – Reformen, welche allerdings die soziale Ungleichheit und die Umweltprobleme weiter wachsen ließen. Solange, bis die sozialen Konflikte, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und der immer weiter zunehmende Marktradikalismus immer deutlicher wurden.
Dies führte in einigen Ländern Südamerikas zu einem politischen Wandel nach links und zur Ablehnung des Neoliberalismus. Folglich kam es zu neuen Entwicklungsstrategien, die die Ausbeutung der Rohstoffe und des Agrarlands für den Export verfolgten. Genannt „Extraktivismus des 21. Jahrhunderts.“ Mit diesem Wandel bleiben Probleme allerdings nicht aus. Der nun auf Konsum ausgerichtete und räuberische Lebensstil bedroht das globale ökologische Gleichgewicht und schließt immer mehr Menschen von den vermeintlichen Vorteilen der Entwicklung aus.
Auch hier findet der Autor weitere Ansätze zur Kritik. Laut Acosta akzeptieren die lateinamerikanischen Staaten soziale und ökologische Verwüstungen (z.B. im Bereich des industriellen Bergbaus), um den fortgeschrittenen, modernen Ländern nachzueifern. Man schaut zu, wie alles kommerzialisiert wird, während gleichzeitig die eigenen historischen und kulturellen Wurzeln verleugnet werden. Acosta plädiert dafür, dass die natürlichen Ressourcen nicht länger als Basis für wirtschaftliches Wachstum herhalten müssen.
Alternativen zur Entwicklungsideologie – das Konzept ‚Buen Vivir‘
Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Lebensweise innerhalb des Kapitalismus überhaupt möglich ist, die von den politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechten sowie den Rechten der Natur angetrieben wird?
In diesem Zusammenhang stellt Acosta das Konzept Buen Vivir als Alternative zur Entwicklung bzw. als Grundlage für einen Diskurs über Alternativen zur Entwicklung vor. Buen Vivir entstand im Kontext indigenen Widerstands gegen den Kolonialismus und wird heute noch in einigen indigenen Gemeinden praktiziert. Als bekannteste Umsetzung des Konzepts gilt die Verfassung Ecuadors und Boliviens, denn hier ist Buen Vivir festgeschrieben.
Buen Vivir stellt das Konzept des Fortschritts und die auf hauptsächlich wirtschaftlichem Wachstum basierende Entwicklung in Frage. Beispielsweise gibt es in einigen indigenen Gemeinschaften gar keinen Begriff für ‚Entwicklung‘. Das Leben ist nach dieser Philosophie kein linearer Prozess mit einem Vorher und Nachher. Es gibt weder unterentwickelte noch entwickelte Phasen, welche die Menschen auf der Suche nach Wohlstand durchlaufen. Es gibt keine Konzepte von Armut und Reichtum.
Denn: Buen Vivir basiert auf der Ethik des „Ausreichenden“ – für die ganze Gemeinschaft und nicht nur für das Individuum. Des Weiteren schlägt das Konzept einen zivilisatorischen Wandel vor, heißt: Man muss den Kapitalismus überwinden, um neue Formen des Wirtschaftens zu erschaffen. Allen voran eine Wirtschaft, die im Einklang mit der Natur steht und die Bedürfnisse der Menschen und nicht die des Kapitals bedient.
Wie bereits angeklungen, spielt die Natur beim Buen Vivir eine zentrale Rolle. Hier gilt es zu verstehen, dass die Menschen ein integraler Bestandteil der Natur sind. Der Mensch muss also aufhören, die Natur zu beherrschen versuchen, denn sie ist keine unerschöpfliche Quelle.
Deshalb setzt sich das Konzept auch zur Aufgabe, die Natur und die Menschen einander anzunähern mit dem Ziel, die Natur zu entkommerzialisieren. Das bedeutet, die ökonomischen Ziele müssen der Funktionsweise der Ökosysteme untergeordnet werden. Also gilt es, die natürlichen Ressourcen nur insoweit zu nutzen, wie die Natur sie regenerieren kann. Hierzu fordert Acosta die Politik auf, die Natur als Rechtssubjekt anzuerkennen, denn die Natur ist nicht bloßes Objekt des Eigentums.
Kurz darauf relativiert der Autor sein ‚Angebot‘ an die Politik mit dem Hinweis, es sei eine „komplexe Aufgabe“. Denn allein die Idee zu akzeptieren, braucht Zeit, sie auszuarbeiten, noch viel mehr. Selbst in Bolivien und in Ecuador, wo das Buen Vivir Teil der Verfassung ist, wird es immer schwieriger umzusetzen, da mittlerweile beide Regierungen neoextraktivistische Politik betreiben und sich der kapitalistischen Akkumulation verschrieben haben.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass Buen Vivir kein fertig ausgearbeiteter Vorschlag ist, noch kann es globales Programm sein. Vielmehr bietet es eine Möglichkeit oder eine Grundlage, um kollektiv neue Lebensformen zu entwicklen. Es kann möglicherweise als Diskussionsplattform zur Entwicklung von Antworten auf beispielsweise die Effekte des Klimawandels und/oder die wachsenden sozialen Verwerfungen herangezogen werden.