Samstag, 19. Januar 2019

Unser Schrottplatz in Afrika

Ihr habt euch gerade einen neuen Laptop gekauft und euren Alten entsorgt? Gut für euch. Das Problem ist, dass er mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit hier landen wird:


Agbogbloshie, ein Stadtteil der Millionenmetropole Accra im westafrikanischen Ghana, ist der Schrottplatz für den Elektroschrott Europas. Eine der größten Elektromüllhalden der Welt vergiftet in Ghanas Hauptstadt Menschen und Umwelt und bietet zugleich "Arbeitsplätze" für die Bewohner. Ist er somit Fluch oder Segen für die Menschen in Agbogbloshie?

Das Motto des Westens scheint klar zu sein: Aus den Augen, aus dem Sinn. Tonnenweise Elektroschrott wird nach Afrika verschifft. Dort wird dieser illegal entsorgt. Die giftigen Schwermetalle verseuchen Böden, Flüsse, Fische und Menschen. Eigentlich ist die Ausfuhr von Elektroschrott in Drittstaaten EU-weit verboten, dennoch landet der Schrott in den Entwicklungsländern. Davon sind vor allem Afrika und Asien betroffen. Agbogbloshie ist eine dieser Endstationen für aussortierte Elektrogeräte. Dort werden die Menschen und die Umwelt von Blei, Quecksilber, Cadmium und Arsen vergiftet.

Laut einer Untersuchung der United Nations University fielen 2016 weltweit rund 45 Millionen Tonnen Elektroschrott an. Die hochgiftigen Schwermetalle, die durch die Entsorgung enstehen, dürften die jeweiligen Länder allerdings nicht verlassen. Jedoch wird davon nur ein kleiner Teil fachgerecht entsorgt. Der Rest wird billig nach Afrika verschifft, wo mit illegalem Schrott Millionen verdient werden. Laut dem UN-Report werden an der illegalen Verschiffung und Ausschlachtung von Elektroschrott rund 17 Milliarden Euro jährlich verdient. Klingt nach einem lukrativen Geschäft, ist es auch. Vor allem aber, ist es ein schmutziges Geschäft. Die Statistik (siehe hier) zeigt das Elektroschrott-Aufkommen der einzelnen Länder im Detail: Erschreckend hierbei ist das Gewicht an Elektroschrott pro Einwohner. Hier führen wir Deutschen die Statistik an. 

Gesundheitliche Folgen

Nur 700.000 Tonnen Elektroschrott gelangen jedes Jahr in das Recyclingsystem der Bundesrepublik. Die restlichen 1,3 Millionen Tonnen verschwinden einfach. Allein aus Deutschland werden jährlich etwa 1,3 Millionen Tonnen Elektroschrott nach Afrika verschifft, die dann auf dem Schrottplatz in Agbogbloshie landen. Dort arbeiten rund 6.000 Menschen. Aber nicht nur sie sind den Giften ausgesetzt. Laut Angaben der ghanaischen Umweltbehörde sind rund 250.000 der insgesamt 2,3 Millionen Bewohner Accras direkt betroffen. Die Geräte werden auf der Müllhalde verbrannt, um das Plastik vom wertvollen Kupfer zu trennen. Dabei atmen die Schrottarbeiter und Anwohner des Slums die Giftschwaden ein. Hinzu kommt, dass viele Recycler ohne Arbeitskleidung mit gefährlichen Materialien hantieren. Geschwächte Lungen, Tumore und Schilddrüsenprobleme werden damit in Verbindung gebracht. Der Elektroschrottfriedhof gehört zu den am stärksten verseuchten Orten der Welt.

Nicht umsonst wird Agbogbloshie auch "Sodom und Gomorra" genannt. Sicherheitsmaßnahmen auf der Müllhalde sind Fehlanzeige. Kinder nehmen die toxischen Elektrogeräte ohne Sicherheitskleidung auseinander, wobei es oft zu Verletzungen kommt. Was das für die Gesundheit der Kinder bedeutet, möchte man sich gar nicht erst ausmalen.

Eine Untersuchung von Greenpeace ergab, dass die Bleikonzentration zum Teil 100-mal höher ist als in nicht-kontaminierter Erde. Ein Aufenthalt über mehrere Stunden, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen, ist unmöglich. Vor allem Kinder sind gefährdet, da sie sich noch in der Wachstumsphase befinden. Blei und Cadmium wird während dieser Phase in die Knochensubstanz eingelagert und erhöht das Krebsrisiko enorm. Durch den Rauch kommt es zu starken Kopfschmerzen, geröteten Augen und Schlaflosigkeit. Aber wie gelangt der Elektroschrott nach Agbogbloshie? 

Der lange Weg nach Agbogbloshie

Alte, kaputte Fernseher mehrere Tausend Kilometer übers Meer zu verfrachten, kostet viel Geld. Wem nützt es, deutschen Schrott außer Landes zu transportieren und wer verdient daran? Der lange Weg nach Agbogbloshie beginnt meistens auf Flohmärkten, Wertstoffhöfen, Haushaltsauflösungen oder in privaten Haushalten. Dies sind die Hauptumschlagplätze für illegalen Exportmüll. Was für uns ein kaputter Fernseher ist, ist für andere ein lukratives Produkt. Mit Hilfe von Lastwagen, Pick-ups oder auch normalen Pkw gelangen die elektronischen Geräte nach Hamburg in die Billstraße - dem schrägsten Basar in Deutschland. Wenn Hamburg das Tor zur Welt ist, dann ist die Billstraße die Einfahrt zu ihren Mülldeponien. Hier wird gehandelt, was die Wohlstandsgesellschaft als wertlos erachtet.

Von dort aus, geht es weiter in den Hamburger Hafen. Schifffahrtsagenturen wickeln den Papierkram ab. 20 bis 30 Container gehen im Monat nach Westafrika. Hinzu kommen Tausende Gebraucht-Pkw, die vor der Verschiffung nach Ghana oder Nigeria bis unters Dach mit Computern oder auch Küchengeräten vollgestopft sind. Hier treten die Elektrogeräte dann ihre letzte Reise an.

Elektroschrott zu verschiffen, ist aber doch eigentlich verboten? Richtig. Allerdings gibt es hier eine Grauzone. Second-Hand-Ware, die noch funktioniert, darf nämlich in andere Länder verschifft und dort verkauft werden. Das Problem ist also, zu unterscheiden, was Schrott und was noch funktionierende Ware ist. Bei 9 Millionen Containern im Jahr, die am Hamburger Hafen be- und entladen werden, ist es für die Hafenmitarbeiter schwierig, jeden Container und die Richtigkeit der angegebenen Ladung zu überprüfen. Öffnet man die Container, so kommen Plastikstühle, Kühlschränke, Fahrräder, Polstermöbel oder TV-Geräte ans Licht. Hierbei handelt es sich aber oftmals um funktionierende Gebrauchtwaren. Die defekten Geräte sind hinten im Container.

Ghana ist einer der wichtigsten Importeure für alte Elektronik. Von Hamburg bis nach Tema legen die Schiffe etwa 7.800 Kilometer zurück. Von Tema nach Accra sind es dann nur noch 30 Minuten mit einem PKW oder einem LKW. In Accra angekommen, werden die Elektrogeräte an die Händler direkt aus dem Container verkauft. Funktionierende Geräte stehen dann später im Wohnzimmer einer ghanaischen Familie oder hängen an der Wand eines Straßencafes. Der Markt für Repariertes boomt in Ghana. Aus den kaputten Elektrogeräten wird alles ausgebaut, was als Ersatzteil genutzt werden kann. Alles, was nach dem Ausschlachten übrig bleibt, landet dann bei den Schrottsammlern von Agbogbloshie. Sie sind in ganz Accra zu sehen. Die jungen Männer ziehen von Laden zu Laden, von Haus zu Haus und holen mit Holzkarren kaputte Elektrogeräte ab. Die Schrottsammler können fast alles gebrauchen, was Metall enthält. Damit ziehen sie weiter in ein Gebiet westlich der Innenstadt von Accra, nach Agbogbloshie, unserem Schrottplatz in Afrika. 

Agbogbloshie

Ein Ort, an dem sich die Wege an Alt-Motoren und Autokarosserien vorbei schlängelt. Wie weiter oben in einem Filmausschnitt zu sehen ist, ist die Erde schwarz, durchtränkt von Altöl und Autobatterie-Säure, übersät von Scherben und spitzigen Metallteilen. Es wehen immer wieder schwarze Rauchschwaden über den Schrottplatz. Berge von Plastikrahmen alter TV-Geräte sind zu sehen und Aluminium aus Klimaanlagen ist sorgsam aufgestapelt. Man sieht viele junge Männer unter einfachen Wellblechdächern arbeiten und gelegentlich kann man die Geräusche von Hammer und Meißel hören.

In Ghana gibt es keine reguläre Recyclingindustrie. Die Verwertung findet direkt vor Ort statt. Auf den ersten Blick wirkt Agbogbloshie chaotisch. Allerdings ist der Schrottplatz ein Markt mit einem funktionieredem System. Jeder hat seine Rolle: Sammler, Recycler, Agent und Händler. Es gibt eine Vereinigung für Schrotthändler und sogar ein Büro der Steuerbehörde und Niederlassungen von Banken.

Die Recycler von Agbogbloshie kommen auf den Schrottplatz, um die Kabel der alten Elektrogeräte zu verbrennen. Schmilzt nämlich das Plastik, so bleibt Kupfer übrig und das ist, was alle wollen. Das Material, das aus den Altgeräten gewonnen werden kann - Kupfer, Aluminium, Eisen - wird dann an Händler verkauft. Diese wiederum verkaufen es an Firmen, die die Metalle einschmelzen und exportieren. Hier beginnt das Geschäft dann lukrativ zu werden. Der UN-Bericht schätzt den Wert des Rohmaterials aus Elektroschrott weltweit auf 55 Milliarden Euro. Die in Accra gewonnenen Metalle werden dann nach China, Frankreich, Indien und Deutschland exportiert. So schließt sich der Kreis.

Das globale Geschäft mit elektronischem Müll ist ein Geschäft mit Zukunft. Denn immer mehr Menschen nutzen immer mehr elektronische Geräte: Mobiltelefone, Tablets, Festplatten, Fernsehgeräte, PCs und Laptops. Die Gebrauchszeiten aber sinken, da die Hersteller die Nachfrage nach permanenten technischen Weiterentwicklungen am Markt bedienen müssen.

Auf der anderen Seite ist der Schrottplatz für viele Menschen ein Arbeitsplatz. Sie verdienen hier mühsam ihr Geld mit Müll und Elektroschrott. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Müllbeseitigung. In Stadtteilen, in denen kein Müll gesammelt werden kann, sammeln die Arbeiter den Müll ein und bringen ihn zum Schrottplatz. Sollte also der Schrottplatz von Agbogbloshie geschlossen werden, bräuchte man eine Alternative für die vielen Arbeiter vor Ort. Mittlerweile ist um den Schrottplatz herum ein ganzer Stadtteil entstanden, ein Slum. Viele kleine Geschäfte, Händler und Imbissbuden leben indirekt von dem Schrottplatz. Rund um Agbogbloshie ist ein Netz von Geschäften enstanden, in denen kompetente Techniker den Elektroschrott ausschlachten und daraus neue Produkte bauen. 

Was können wir als Verbraucher tun?

Das Baseler Übereinkommen, das auch Deutschland unterschrieben hat, verbietet den Export von technischem Schrott. Leider ist das Recycling nach EU-Standards teuer und das Geschäft mit Second-Hand-Ware aus der sogenannten Ersten Welt in Afrika dagegen lukrativ. Oft spielt es keine Rolle, ob die Geräte tatsächlich funktionieren. Rücksichtlose Händler, wie es sie in der Billstraße zur Genüge gibt, wissen, dass in den Häfen in Europa die Geräte kaum getestet oder kontrolliert werden. Im Hafen von Accra wartet dann das nächste Problem: Korrupte Zollbeamte, die gerne die Hand aufhalten, um den Schrott durchzuwinken. Wer letztlich verantwortlich ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Was sich aber eindeutig sagen lässt ist, dass sich etwas ändern muss.

Eine Möglichkeit wäre das sogenannte Urban Mining. Kreislauf statt Abfall. Letztlich ist es nichts anderes, wie es bereits in Agbogbloshie vorgelebt wird. In Deutschland werden bisher nur zwei Drittel des Hausmülls wiederverwertet. Der Rest ist für immer verloren. Diese hohe Verlustquote können wir uns in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen nicht mehr leisten. Ziel ist es also, deutlich weniger ungenutzten Müll zu produzieren. Denn nicht nur Elektrogeräte sind wertvolle Rohstofflager.

Jahrhundertelang wurden Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Aluminium und viele andere wertvolle Metalle verbaut. Überall lagern also wertvolle Rohstoffe, die durch Rückgewinnung wieder neu nutzbar sind, ähnlich wie es mit dem Elektroschrott in Agbogbloshie gehandhabt wird. Das ist wohl auch das bekannteste Beispiel für Urban Mining: Schrottplätze und Mülldeponien. Dies ist mittlerweile auch unter dem Begriff Landfill Mining bekannt. Elektroschrott, aber auch Plastik, Glas, Papier und Metallreste lagern gut konserviert auf den alten Mülldeponien.


Eine andere Möglichkeit wäre, bei uns Verbrauchern anzusetzen:
  • Je länger ein Gerät benutzt wird, desto besser wurden die Ressourcen genutzt und desto besser ist es für unsere Umwelt. Wir müssen also anfangen, uns vor einem Kauf zu überlegen, ob ich wirklich schon wieder ein neues Handy brauche, einen neuen Fernseher oder das neueste iPad.
  • Außerdem sollten wir darauf achten, dass defekte Geräte zum Recyclinghof gebracht werden. In Großstädten gibt es für Küchen- und andere elektronische Haushaltsgeräte mittlerweile Sammelcontainer, ähnlich wie für Altglas und Papier. Einen alten Fernseher am Straßenrand abzustellen oder via Ebay zu verschenken, ist hingegen keine gute Idee.
  • Ein weiterer Punkt wäre, darauf zu achten, dass die elektronischen Geräte, die man kauft, fair produziert werden. Vorreiter sind bei Smartphones etwa das niederländische Unternehmen Fairphone und die deutschen Shiftphones.

Fluch oder Segen

Abschließend lässt sich sagen, dass der Schrottplatz von Agbogbloshie Fluch und Segen zugleich sind. Der ursprüngliche Gedanke war sicherlich gut gemeint. Elektrogeräte, die von vielen Menschen in Europa nicht mehr genutzt werden, weil sie nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprechen, werden denjenigen zu Verfügung gestellt, die sich den neuesten Stand der Technik nicht leisten können. Leider ist es mittlerweile so, dass es sich bei 80% dieser Geräte nicht um Dinge handelt, die die Menschen in den Entwicklungsländern noch nutzen können, sondern um getarnten Schrott. Die Menschen in Europa entledigen sich auf diesem Weg des Elektorschrotts, für den die legale Entsorgung teuer und aufwändig wäre. Die Menschen und die Umwelt in den Ländern, die den Schrott empfangen, leiden unter den Folgen. Ein normales Leben ist durch die Folgen dort nicht mehr möglich. Dunkler Rauch ist auf fast allen Bildern zu sehen, Flammen im Hintergrund. Chronische Bleivergiftung, Krebs und neurologische Probleme sind die langfristigen Schäden.

Am Beispiel von Agbogbloshie lässt sich von Segen nur deshalb sprechen, weil der Schrottplatz von Agbogbloshie für viele Menschen Arbeit bedeutet. Viele Menschen verdienen am Geschäft mit dem Elektroschrott. Denn ein defekter Röhrenfernseher, der in Deutschland nur noch einen negativen Wert hat, lässt sich in Afrika noch für 3 bis 11€ verkaufen. So ist der Schrottplatz oft die einzige Möglichkeit, sich selber und seine Familie zu ernähern. Wer noch mehr zu diesem Thema erfahren möchte, dem kann ich den Film "Welcome to Sodom" ans Herz legen.


Quellen

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