Donnerstag, 8. März 2018

Vom linearen zum systemisch-vernetzten Denken

Die Welt befindet sich in einer Zeit krisenhafter Umbrüche, die bis in die wichtigen Teile der Gesellschaft reichen. Davon betroffen sind die Umwelt, die Politik, das Sozialwesen, die Arbeitswelt, sowie die Ökonomie und die Ökologie (vgl. Weizsäcker 2017, S. 21). Diese Umbrüche wirken sich ebenfalls auf die Bevölkerung aus, die mit den zunehmenden Anforderungen, die ihr durch die Veränderungen zugemutet werden, nicht mehr klarkommt. Die Folgen daraus sind die Zunahme von Stress und Druck. Die Menschen haben immer mehr das Gefühl, sich in einem Rad zu befinden, das sich fortwährend dreht und aus dem es kein Entkommen gibt (vgl. Scharmer 2011, S. 27).

Orientierungslosigkeit macht sich breit. (vgl. Negt 2016, S. 42ff.) Diese Phänomene sind nicht neu, sondern seit dem Jahr 1972 bekannt. In diesem Jahr veröffentlichte der Club of Rome seinen ersten Bericht unter dem Titel „Grenzen des Wachstums“ (Weizsäcker 2017, S. 11), in dem schon damals vor den Auswirkungen dieser Umbrüche gewarnt wurde. (vgl. ebd., S. 11-13) Es ist bis heute nicht gelungen, die in dem Bericht verfassten Vorschläge umzusetzen. Ziel dieser Seminararbeit ist es, diesen Grund näher zu betrachten und Aufschluss darüber zu geben, warum es den Menschen schwerfällt, die auf sie zukommenden Herausforderungen zu lösen.

Bei den oben angeführten krisenhaften Umbrüchen handelt es sich nicht um vereinzelt zu betrachtende Phänomene. Vielmehr stehen diese Phänomene in einem Gesamtzusammenhang. Es handelt sich somit um komplexe Systeme. (vgl. Vester 2002, S. 11) Daher soll an dieser Stelle der Frage nachgegangen werden, was ein komplexes System ist und was es ausmacht?

Was ist ein komplexes System?

Unter einem System versteht man ein Gebilde, das sich aus der Verbindung mehrerer Teile zusammensetzt, wobei die einzelnen Teile so miteinander verbunden sind, dass eine Vernetzung entsteht. In dieser Vernetzung sind die Teile nicht willkürlich miteinander verbunden, sondern sie folgen bei ihrer Verbindung einer bestimmten Ordnung. Werden einzelne Teile aus dem System entfernt, ändert dieses seine Eigenschaft oder wird durch diesen Eingriff zerstört. Durch die Vernetzung der einzelnen Teile entwickelt das dadurch entstandene System neue Eigenschaften, die sich von den vorherigen Eigenschaften der einzelnen Teile unterscheiden. Das neu entstandene System operiert nun vollkommen anders, als das die zuvor einzelnen Teile taten. (vgl. ebd., S. 17-19)

Welche Eigenschaften hat es?

Nach Dörner (2010) besteht ein System aus den Eigenschaften Komplexität, Dynamik und Intransparenz, die hier im Folgenden kurz beschrieben werden.

Komplexität: Wie bereits oben beschrieben, besteht ein System aus mehreren miteinander vernetzten Teilen. Dabei gehen die Teile eine korrelative Verbindung miteinander ein. Sie stehen somit in einer Abhängigkeit zueinander und bilden dadurch im System veränderliche Größen. Findet eine Veränderung in einem Teil des Systems statt, wirkt sie sich aufgrund der Abhängigkeit der Elemente voneinander auch auf die anderen Teile des Systems und deren veränderliche Größen aus. In Folge dessen kommt es zur Entwicklung von eventuell unerwünschten Begleiterscheinungen und Rückkopplungen, deren Wirkungen zeitlich verzögert in Erscheinung treten. Die Komplexität eines Systems besteht aus der Summe der in ihm befindlichen veränderlichen Größen. Je mehr dieser veränderlichen Größen im System vorhanden sind, umso komplexer ist es. (vgl. Dörner 2010, S. 60f.)

Dynamik: Ein System ist kein starres Gebilde. Es verhält sich progressiv. Das bedeutet, dass Entscheidungen zum Handeln möglichst ohne langes Zögern getroffen werden müssen. In Folge dessen ist es nicht möglich, alle wichtigen Informationen, die für ein korrektes Handeln nötig wären, zu erhalten. Es ist daher notwendig, das ganze System zu betrachten, um herauszufinden wohin es in seiner Entwicklung tendiert. (vgl. ebd., S. 62f.)

Intransparenz: Unter Intransparenz wird die teilweise oder komplette Undurchschaubarkeit der im System befindlichen Elemente verstanden. Dies bedeutet, dass man beim Umgang mit dem System nur bruchstückhafte bzw. unvollständige oder gar keine Informationen über die Vorgänge im System hat und dementsprechend in diesem operieren muss. (vgl. ebd., S. 63f.)

Die hier nach Dörner beschriebenen Eigenschaften verdeutlichen, dass es sich bei den oben genannten krisenhaften Umbrüchen nicht um in diesem Jahrtausend entstandene Phänomene handelt, sondern diese Problematiken aufgrund ihrer Komplexität ihren Ursprung in den frühen 1970er Jahren haben. Die fortschreitende Dynamik und die Intransparenz haben des Weiteren dazu beigetragen, dass sich diese Krisen bis heute so rasant weiterentwickelt haben.

Formen von komplexen Systemen

Komplexität lässt sich in 3 Formen einteilen: In die dynamische (1), die soziale (2) und die emergente Komplexität (3). (vgl. Scharmer 2011, S. 83-85)

(1) Unter dynamischer Komplexität versteht man, dass der eingetretene Effekt zeitlich und örtlich verzögert im Bezug zur ursprünglichen Quelle auftritt. Die Erderwärmung ist ein Beispiel für diese dynamische Komplexität. Je mehr Anteile an dynamischer Komplexität in einem System vorhanden sind, umso schwieriger wird es, in diesem System adäquat zu handeln. (vgl. ebd., S. 83)

(2) Soziale Komplexität entsteht dann, wenn verschiedene Weltanschauungen und Wertvorstellungen aufeinandertreffen. Das zähe Ringen um gemeinsame Vereinbarungen beim Kyoto Protokoll oder Pariser Klimaabkommen sind Beispiele für diese Komplexität. Bei sozialer Komplexität gilt der Grundsatz: Je geringer die soziale Komplexität, desto leichter lassen sich, auf Grundlage von Fachleuten und Studien, Ergebnisse erzielen. Je mehr soziale Komplexität vorherrscht, desto schwieriger ist es, zu schnellen Lösungen zu kommen. In diesem Fall müssen alle, die von der Problematik betroffen sind, einbezogen werden. (vgl. ebd., S. 84)

(3) Die emergente Komplexität beschreibt Ereignisse und Probleme, auf die wir linear keinen Einfluss nehmen können, da wir noch keine Antwort haben, die zur Aufklärung der Problematik führt. Das Problem ist nicht klar umschrieben, es ist zu vage, um es erfassen zu können. Es handelt sich dabei um ein Ereignis, das wir mit den zuvor in der Vergangenheit gesammelten Daten nicht lösen können. (vgl. ebd., S. 85)

Die in dem vorangegangenen Abschnitt geschilderten Eigenschaften von Systemen machen zweierlei deutlich:

(1) Bei den zu Anfang beschriebenen krisenhaften Umbrüchen handelt es sich um ein Zusammenspiel von verschiedenen Systemen und deren Eigenschaften.

(2) Es fällt uns schwer, im Zusammenspiel dieser komplexen Systeme geeignete Entscheidungen für tragfähige und nachhaltige Lösungen zu finden.

Aber warum ist das so? Warum fällt es uns schwer, geeignete Lösungen für komplexe Probleme wie z.B. den Klimawandel zu finden? Einer der Gründe dafür liegt in unserem Denken. Daher wird sich der folgende Abschnitt mit dem menschlichen Denken auseinandersetzen und aufzeigen, wie der Mensch denkt und was er in seinem Denken verändern muss, um mit komplexen Systemen besser umgehen zu können.

Wie entwickelt sich das menschliche Denken?

Nach Tomasello entsteht und entwickelt sich das Denken durch das soziale Miteinander in einer Gemeinschaft. Die Gemeinschaft und das darin enthaltene soziale und kulturelle Handeln bilden den Rahmen, in dem sich das menschliche Denken vollzieht und entwickelt. (vgl. Tomasello 2006, S. 10) Die Kognition des Menschen sowie die daraus resultierenden Fähigkeiten und Erzeugnisse sind nicht durch biologisch-genetische Vererbung, sondern durch kulturelle Weitergabe entstanden (vgl. ebd., S. 15). Die kulturelle Weitergabe von Wissen und Erzeugnissen, die aus diesem Wissen hervorgegangen sind, verläuft nach dem "Wagenhebereffekt."(ebd., S. 16)

Demnach werden die Erzeugnisse, die durch das Denken in einer Kultur entstanden sind - Tomasello bezeichnet diese Erzeugnisse als „Artefakte“ (ebd., S.16) -, nicht in einem bestimmten Zeitraum von einem Individuum oder einer Gemeinschaft hergestellt, sondern die Entwicklung vollzieht sich über mehrere Zeiträume hinweg. In diesen Zeiträumen kommt es durch die Verwendung des Artefakts, dessen Gebrauch kulturell weitergegeben wurde, zu Veränderungen und Anpassungen. Die daraus neu entstandenen Anwendungsmöglichkeiten des Erzeugnisses werden wiederum an die nächste Generation weitergegeben. Die neuen Anwendungsmöglichkeiten können dabei von der neuen Generation erst einmal über eine längere Zeit unverändert weiterverwendet werden, bevor sie wiederum eine erneute Anpassung erfahren. Der Wagenhebereffekt bezeichnet somit das Aufrechterhalten der zuvor kulturell erworbenen Erzeugnisse mit all ihren dazugewonnenen Anwendungsmöglichkeiten. (vgl. ebd., S.16)

Unser Denken entwickelt sich demnach durch kulturelle Weitergabe und wird im Laufe der Entwicklung immer wieder angepasst. Aber wie Denken wir in unserer gegenwärtigen Epoche bzw. welche Art des Denkens ist uns kulturell übermittelt worden? Welche Art von Denken wenden wir hauptsächlich an? Anhand einer Grafik sollen diese Fragen beantwortet werden. Die Abbildung zeigt, wie unser Denken strukturiert ist. Auf der linken Seite sieht man eine Person, der ein Blumentopf auf den Kopf fällt. Die Folge ist, dass die Person aufgrund des Aufpralls eine Beule am Kopf bekommt. Der Fall des Blumentopfs auf den Kopf der Person stellt demnach die Ursache dar, deren Wirkung das Entstehen der Beule ist.

Der beschriebene Vorgang vollzieht sich somit linear nach dem Ursache-/Wirkungsprinzip. Unser Denken geht dabei sehr einfach und einseitig vor. (vgl. Vester 2002, S. 12) Das menschliche Denken ist trivial (vgl. Förster S. 66), ihm liegt eine anerzogene Denkfähigkeit zugrunde. (vgl. Vester 2002, S. 9) Hier wird, wie von Tomasello beschrieben, die kulturelle Weitergabe des Denkens sichtbar, welche in Form der Erziehung an die nächste Generation weitergegeben wird. Ein weiterer Grund für dieses lineare Denken ist unsere Wahrnehmung, die aufgrund unserer Erfahrungen determiniert und somit selektiv ist (vgl. Eckert S. 2). Das heißt, wir nehmen nur das wahr, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Dinge und Vorgänge die wir nicht eindeutig erfassen können, werden als nicht bedeutsam eingestuft. (vgl. Kühne u. a. 1998, S. 9-36) Wie und wodurch vollzieht sich diese Weitergabe des Denkens und worauf baut diese Übermittlung des linearen Denkens auf? Dies soll im nächsten Abschnitt genauer betrachtet werden.

Wo und wie findet die kulturelle Übermittlung des Denkens statt? Wie ist diese Art der Übermittlung entstanden?

Die Ursachen für das lineare Denken haben ihren Ursprung in der Historie der Wissenschaft. In der Medizin, der Biologie, der Chemie, der Physik sowie der Mathematik war und ist es bis heute üblich, Dinge und Aspekte in isolierter Weise zu betrachten. Das heißt, die Experimente, die in diesen Wissenschaften gemacht werden, isolieren einen gewissen Aspekt aus dem Gesamtgefüge heraus, um ihn untersuchen zu können. (vgl. Hüther 2012, S. 8f.) Dadurch entsteht eine Fragmentierung, durch die das Ganze in kleine Einzelteil aufgespalten wird. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise ist so nicht mehr möglich. Diese Vorgehensweise berücksichtigt nicht die oben erwähnte Komplexität des Systems. Rükkopplungseffekte werden dadurch nicht berücksichtigt, da sie durch die Isolierung nicht stattfinden können.

Dieses Vorgehen der Naturwissenschaften führte dazu, dass sich einzelne Wissenschaftsdisziplinen bildeten. Dadurch entstanden völlig unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen mit ihren je eigenen Definitionen und Funktionen. Dabei ging es darum, eine eigene Fachlichkeit zu entwickeln, um dadurch Einfluss und Macht zu generieren. (vgl. ebd., S. 8) Dieses durch die Wissenschaft geprägte Denken ist bis heute in der Schulbildung und Ausbildung zu finden. Der in der Schule und der Ausbildung vermittelte Lernstoff wird fragmentiert vermittelt. Das heißt, die Schulfächer werden in der Regel immer noch getrennt voneinander unterrichtet. Biologie getrennt von Physik und Chemie oder Physik getrennt von Mathematik und Deutsch. (vgl. Vester 1999, 18f.)

Die Folge ist, dass die Welt nicht als ein zusammengehörendes System wahrgenommen wird, sondern als etwas fragmentiertes, unzusammenhängendes. Anstelle eines ganzheitlichen Weltbildes entsteht ein fragmentiertes Weltbild, in dem die Zusammenhänge mit anderen Bereichen nicht erkannt werden.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Ursachen für die Schwierigkeiten, mit komplexen Systemen umgehen zu können, in unserem durch die Wissenschaft geprägten Denken und dem damit verbundenen fragmentierten Weltbild liegt. Es stellt sich die Frage, wie wir diesen beiden Ursachen begegnen können?

Was kann getan werden?

Die Lösung liegt in der Aneignung eines neuen Denkens und der Veränderung unseres Weltbildes. Das herkömmliche Weltbild ist, wie schon erwähnt, durch die Vorstellung der Naturwissenschaften geprägt, alles in Einzelteile zu zerlegen und zu untersuchen, um dadurch ein Verständnis der Welt zu erlangen. Dieses Vorgehen stellt sich zunehmend als Trugschluss heraus.

Die Quantenphysik, selbst ein Teil der naturwissenschaftlichen Disziplin, konnte durch ihre Untersuchungen nachweisen, dass es eine Schwingung gibt, die allen Atomen und der Welt gleichsam ist. Es gibt somit etwas unteilbares, etwas Ganzes, das nicht mehr zerlegt werden kann. Alles ist mit Allem verbunden. Die Welt ist somit nicht teilbar, sondern ganzheitlich. Die Quantenphysik macht deutlich, dass keine Trennung zwischen den einzelnen Teilen existiert, auch wenn wir das glauben. (vgl. Dürr, H. P. 2012, S. 15-28) Das bedeutet, dass wir von unserem fragmentierten Weltbild zu einem ganzheitlichen Weltbild kommen müssen. Ein Weltbild, in dem Alle und Alles miteinander verbunden ist und in einer Wechselwirkung miteinander besteht. Der Mensch steht dabei nicht mehr im Zentrum dieses Weltbildes, sondern ist ein Teil davon.

Hans Peter Dürr im Dialog: 


Die Veränderung des Weltbildes ist der eine Teil, den wir verändern müssen, der andere Teil ist unser Denken selbst, das geändert werden muss. Weg vom linearen hin zum systemisch-vernetzten Denken. Wie kommt man also vom linearen zum vernetzten Denken und was bedeutet vernetztes Denken?

Die Abbildung in Vester 2015 auf Seite 101 zeigt, wie unser herkömmliches Denken strukturiert ist und wie es funktioniert. Wenn wir Beobachtungen über unser System machen, befinden wir uns in dem System, welches wir beobachten. Aus dieser Position heraus ist es uns nicht möglich, die im System vorhandenen Zusammenhänge mit ihren Rückkopplungen und Wechselwirkungen zu erkennen. Die um das System herum entstehenden und entstandenen Problematiken werden durch diese Art des Denkens nicht erkannt. Daher ist es notwendig, die Position aus dem System nach draußen zu wechseln und somit eine Meta-Ebene mit Blick auf das System einzunehmen, wie es auf dem nächsten Schaubild ersichtlich wird. (vgl. Vester 2015, S. 100)

Wie vom Schaubild veranschaulicht wird, gelingt es durch den Positionswechsel vom Inneren zum Äußeren des Systems, die Rückkopplungseffekte und Wechselwirkungen zu erkennen und diese mit den geeigneten Instrumenten zu bearbeiten. (vgl. ebd., S. 102) 

Vernetztes Denken als Instrument für systemisches Denken 

Ein Instrument, welches sich zur Analyse von komplexen Systemen eignet, ist das vernetzte Denken, das zum Abschluss dieser Arbeit kurz beschrieben werden soll. Unter vernetztem Denken wird das Denken in Regelkreisläufen verstanden. Es unterscheidet sich dadurch, dass man nicht mehr wie oben beschrieben linear denkt, sondern in Einflusskreisen. Dadurch wird das Erkennen von festgelegten Schemata ermöglicht. Diese Schemata laufen ständig immer wieder ab. Durch diesen Ablauf werden die Konstellationen einer Gegebenheit negativ wie auch positiv beeinflusst. (vgl. Senge 2011, S. 94) Peter M. Senge beschreibt diese Art des Denkens am Beispiel eines Wasserhahns, welches an dieser Stelle als Erklärungsmodell dienen soll.

Abb. 4.: Regelkreislauf Wasserhahn (Quelle: i.A.a Senge, P. M. 2011, S. 94)

Das Bild beschreibt den Vorgang den man unternimmt, um sich ein Glas mit Wasser am Wasserhahn zu befüllen. Dazu dreht man am Wasserhahn und das Wasser läuft in das Glas. Während das Wasser in das Glas läuft, achtet man auf den Wasserpegel im Glas, damit dieses nicht überläuft. Die Pfeile beschreiben den Regelkreislauf, der durch die Aktion in Gang gesetzt wird.
Abb. 5.: Stellung und Einfluss des Wasserhahns ( Quelle: i.A.a ebd., S. 94)


Je nachdem, wie stark oder schwach man am Hahn dreht, hat dies Einfluss auf den Wasserfluss ins Glas.
Abb. 6.: Beeinflussung des Regelkreislaufs (Quelle: i.A.a ebd., S. 95)

Dreht man den Hahn stärker auf, so läuft mehr Wasser ins Glas, welches dadurch schneller vollläuft. Das Drehen am Hahn beeinflusst somit den Wasserfluss. Der Wasserfluss beeinflusst wiederum den Pegelstand im Glas. Dadurch kommt es zu einer Veränderung der Wahrnehmung, indem man den Unterschied zwischen dem momentanen und dem gewollten Wasserstand überprüft, und man beginnt, sobald der gewünschte Stand erreicht ist, den Hahn zuzudrehen. (vgl. ebd., S. 94f.)

Anhand dieses Beispieles werden zwei Perspektiven ersichtlich. Die erste Perspektive macht deutlich, dass die Hand der Person die Funktion des Steuermanns übernimmt, indem sie durch das Drehen am Wasserhahn den Wasserfluss ins Glas regelt und diesen unterbricht, sobald die gewünschte Menge an Wasser im Glas erreicht ist. Aus der zweiten Perspektive wird ersichtlich, dass nicht nur die Hand für die Steuerung des Kreislaufs verantwortlich ist, sondern auch der Wasserpegel im Glas. Dieser signalisiert der Person, dass sie den Hahn zudrehen muss, damit das Glas nicht überläuft. Der Wasserpegel nimmt eine steuernde Funktion ein, die auf die Person einwirkt und diese dazu veranlasst, den Hahn zuzudrehen. (vgl. ebd., S. 96)

Das Beispiel mit dem Wasserhahn macht deutlich, wie systemisch-vernetztes Denken funktioniert und angewendet werden kann. Es zeigt den Unterschied zum linearen Denken auf. Beim linearen Denken wird nur der reine Vorgang betrachtet. Die weiteren im Regelkreislauf stattfindenden Beeinflussungen werden dabei nicht zur Kenntnis genommen. Das systemisch-vernetzte Denken hingegen zieht diese Beeinflussungen in Betracht und eröffnet damit einen anderen Umgang mit dem System.

Zusammenfassung

Um die komplexen Probleme, vor denen die Menschheit steht, in einer geeigneten Art und Weise zu lösen, bedarf es einer Veränderung des Weltbildes und des damit verbundenen Denkens. Unser Weltbild, welches sich immer noch an den durch die Naturwissenschaften geprägten Vorstellungen ausrichtet, muss sich von einer fragmentierten und isolierten Sichtweise, die alles in einzelne Bestandteile zerlegt, verabschieden. Es muss zu einer ganzheitlichen Sichtweise gelangen, in der der Mensch nicht mehr als Krone der Schöpfung im Zentrum steht, sondern sich als einen Teil des ökologischen Systems begreift. Damit verbunden ist eine Veränderung des menschlichen Denkens vom linearen hin zum systemisch-vernetzten Denken. Dabei haben die Schulen, Ausbildungsstätten und Universitäten die Aufgabe, dieses Denken zu vermitteln und damit in der Gesellschaft zu etablieren. Dadurch entsteht die Möglichkeit, in Zukunft besser mit komplexen Problematiken fertigzuwerden. 

Literatur:

Dörner, D. (2010): Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, 9. Aufl.

Dürr, H. P. (2012): Teilhaben an einer unteilbaren Welt. Das ganzheitliche Weltbild der Quantenphysik. In Hüther, H./Spannbauer, C. (Hrsg.): Connectedness. Warum wir ein neues Weltbild brauchen. Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, 1. Aufl.
 
Förster, H. v. (2010): Entdecken oder Erfinden. Wie läßt sich Verstehen verstehen? In Gumin, H./Meier, H. (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus. Bd.5. München: Piper Verlag, 12. Aufl.

Hüther, G./Spannbauer, C. (2012): Wege zum Wir. In: Hüther, H./Spannbauer, C. (Hrsg.): Connectedness. Warum wir ein neues Weltbild brauchen. Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, 1. Aufl.

Kühne, N./Gewicke, M./Harder-Kühne, H./Priester, J./Sudhues, M./Tiator, G. (Hrsg.) (1998): Psychologie. Für Fachschulen und Fachoberschulen. Köln: Stam Verlag, 6. Aufl.

Negt, O. (2016): Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Göttingen: Steidel Verlag, 1. Aufl.

Scharmer, O. S. (2011): Theorie U. Von der Zukunft her Führen. Presencing als soziale Technik. Heidelberg: Carl-Auer Verlag, 2., erw. Aufl.

Senge, P. M. (2011): Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 11., überarb. und erw. Aufl.

Tomasello, M. (2006): Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1. Aufl.

Vester, F. (2015): Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. Der neue Bericht an den Club of Rome. München: dtv, 10. Aufl.

Vester, F. (2002): Unsere Welt ein vernetztes System. München: dtv, 11. Aufl.

Vester, F. (1999): Neuland des Denkens. Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter. München: dtv, 11. Aufl.

Weizsäcker, E. U./Wijkman, A./u.a. (2017): Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt. Gütersloh und München: Gütosloher Verlagshaus, 1. Aufl.

Internetquellen:

Eckert, W.: Vernetztes Denken in Studium und Beruf: URL: http://www.ba-loerrach.de/uploads/media/Vernetztes_Denken_.pdf (Abgerufen am 18.02.2018)

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